Hamburg, Altonaer Theater, HAIR - Musical von Galt MacDermot, IOCO Kritik, 10.01.2022

Hamburg, Altonaer Theater, HAIR - Musical von Galt MacDermot, IOCO Kritik, 10.01.2022
Altonaer Theater © Thomas Huang
Altonaer Theater © Thomas Huang

Altonaer Theater

HAIR - Kult-Musical von Galt McDermot

 - heute so aktuell wie vor 50 Jahren -

von Wolfgang Schmitt

Hair, das war das Kult-Musical der späten Sechziger Jahre, das war Flower-Power. Love-In, das war die Hippie-Kultur, „California dreaming“, Haschisch, LSD, Timothy Leary, lange Haare, „freie Liebe“, die Auflehnung gegen das „Establishment“, gegen die Generation der Eltern, Protest gegen den Vietnam-Krieg und neuer Pazifismus.

Hair, das war – und ist noch immer – wunderschöne Musik von Galt McDermot, komponiert nach der Story bzw. nach den Texten von Jerome Ragni und James Rado. 1968 wurde Hair am New Yorker Broadway uraufgeführt und dort sechs Jahre lang gespielt. Schnell trat das Musical seinen Siegeszug um die ganze Welt an, die Songs daraus erreichten die Top-Ten der amerikanischen Pop-Charts und wurden internationale Hits, wie z.B. „Aquarius / Let the Sunshine in“ von den 5th Dimension, Hair von den Cowsills, „Good Morning Starshine“ von Oliver, „Ain't got no – I got Life“ von Nina Simone, „Where do I go / Hare Kirshna Mantra“ von den Happenings, „Easy to be hard“ von Three Dog Night, „Let the Sunshine in“ von Julie Driscoll & Brian Auger, oder auch „Frank Mills“ von Esther Ofarim“.

Altonaer Theater Hamburg / HAIR - das Kult-Musical © GS Baraniak
Altonaer Theater Hamburg / HAIR - das Kult-Musical © GS Baraniak

Das Altonaer Theater brachte in dieser Spielzeit eine großartige, faszinierende neue Hair-Inszenierung heraus mit wunderbaren, engagiert singenden und spielenden Protagonisten. Die Bühne ist schwarz, ausgestattet mit drei Podesten und fünf silbernen Scheinwerfermasten, mehr ist auch nicht nötig, den Rest besorgen die phantastischen Darsteller. Regisseur Franz-Joseph Dieken hatte die Handlung mit Texten von Nico Rabenald, aktualisiert, und so begann die Vorstellung mit dem Sturm aufs Capitol – d.h. die Darsteller stürmten die Bühne vom Zuschauerraum aus -, so wie die wütenden Trump-Befürworter, angeführt von einer Jake-Angeli-Fellmütze mit Hörnern. Sie skandierten Texte wie “Wir sind Amerika“, „Nancy (Pelosi) wo bist du“, „Wir sind das Volk“ oder „Ich bin ein Patriot“ u.ä.. Nach dieser Radau-Einführung, diesem anfänglichen Schreck begann ein herrliches Happening, eine 100-minütige Show, die keine Wünsche offen ließ. Die Solisten stimmten „Aquarius“ an, dann nimmt die Handlung ihren Lauf. Es geht u.a. um Claude, einem Sohn aus gutem Hause, der sich entscheiden muß zwischen dem Dienst am Vaterland oder der Kriegsdienstverweigerung. Vietnam wird in dieser aktualisierten Fassung zu Afghanistan. Im weiteren Verlauf wird Bezug genommen auf Homophobie, die Transgender-Debatte, der Rassismus wird thematisiert, auch werden „White Lives matter“-Plakate herumgetragen. Viele Themen also, die damals wie heute aktuell sind; Martin Luther Kings „I had a Dream“ besitzt damals wie heute noch Allgemeingültigkeit. Auch die jetzige Corona-Problematik wird gestreift, wenn Masken vom Bühnenhimmel herunterrieseln. Prügelnde Cops bekommen ihr Fett weg, wenn sie auf spärlich bekleidete, friedlich demonstrierende junge Leute einprügeln.

Die Kostüme des Ensembles entwarf Volker Deutschmann, schrill, bunt, hippiemäßig, eine gute Mischung aus dem Stil der Endsechziger und der heutigen Zeit. Sven Niemeyer war für die eindrucksvolle – ausdrucksvolle – Choreographie verantwortlich und die Protagonisten gaben ihr Allerbestes. Unter der musikalischen Leitung von Andreas Binder lief die gesamte Truppe zur Hochform auf, es war für sie die reine Tour de Force, in keinem Augenblick ließ die Spannung nach oder gab es Momente zum Luft holen, die Action verlief im Nonstop-Tempo.

In der Rolle des George Berger glänzte Martin Markert sowohl gesanglich als auch in seiner Darstellung als charismatischer Anführer der Truppe. Starke Auftritte hatte er gleich zu Beginn mit dem Song „Donna“ und besonders später im Verlauf der Handlung mit dem Ensemble in „Good Morning Starshine“ und im Finale mit „The Flesh Failures / Let the Sunshine in“. Patrick Miller überzeugte als Claude in seinem Zwiespalt zwischen Pflichtbewußtsein und Gewissen, wunderbar auch seine Interpretation von „Where do I go“. Carolina Walker war die hochintensive Darstellerin der Sheila, besonders anrührend klang ihr Song „Easy to be hard“. Nicht unerwähnt bleiben sollen die sängerischen, tänzerischen und darstellerischen Leistungen von Tamara Wörner als Dionne, Katharina Bakhtari als Jeannie, Valerija Laubach als Ronnie, Melissa Holley als Chrissy,  William Baugh als Hud, sowie Finja Kelpe und Giovanni de Domenico in verschiedenen Rollen, Herrlich anzuschauen war Henning Karge in seiner Szene als der sich  über das „gefälschte“ Wahlergebnis echauffierende Donald Trump, perfekt in seiner Mimik und Kostümierung mit blonder Haartolle, rotem Schlips, dunklem Anzug und Mantel. Ebenfalls seriös gekleidet waren Dirk Hoener und Sarah Kattih in den Rollen der Eltern Claudes sowie auch als Joe und Jill Biden.

Altonaer Theater Hamburg / HAIR - das Kult-Musical hier der Schlussapplaus © Sebastian Siercke
Altonaer Theater Hamburg / HAIR - das Kult-Musical hier der Schlussapplaus © Sebastian Siercke

Großen Sonderapplaus gab es für Regisseur Franz-Joseph Dieken, der für den erkrankten Darsteller des Woof kurzfristig diese Rolle übernommen hatte, sich nahezu perfekt in das Ensemble einfügte und in seinem knappen Kostüm “den wahrscheinlich schönsten Bauch von Altona“ (lol) präsentierte. Der verdiente Applaus für diese phantastische Inszenierung ist ihm ohnehin gewiss, und man bedauerte, daß diese 100 Minuten so schnell vorübergegangen waren, man hätte noch stundenlang weiter zusehen und zuhören können. Am Ende gab es Standing Ovations fürs gesamte Team und für diese hervorragende Aufführung.

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