Graz, Schlossbergbühne Kasematten, Fidelio - "Namenlose Freude" in berstender Musikalität, IOCO Kritik, 29.08.2020
Fidelio – Schlossbergbühne Kasematten - Graz
- "Namenlose Freude" in berstender Musikalität -
von Michael Stange
Mit Beethovens Fidelio fand in der Schlossbergbühne Kasematten von Graz eine der ersten österreichischen Opernproduktionen nach dem Corona-Lockdown statt. Die Grazer Kasematten sind neben Oper und Konzerthaus eine einzigartige Kulisse für Opernaufführungen. Ursprünglich Kellergewölbe des Schlosshauptmannshauses, Vorratslager und Gefängnis, dienen sie seit neunzig Jahren als Naturtheater.
Österreichischer Corona-Musik-Lockdown endet in Graz mit FIDELIO
Die Widerbelebung der sommerlichen Opernaufführungen hat Kapellmeister Marcus Merkel und der von ihm gegründete Verein Junge Konzerte Graz initiiert. Insbesondere die Grazer Spielstätten und ihr Leiter Bernhard Rinner haben dies mit ihrem Engagement und ihrem Elan ermöglicht. Als Markus Merkel das Projekt Anfang des Jahres an Chor und Orchester herantrug verzichteten die beteiligten Musiker damals spontan sofort auf ihre Ferien und sagten ihre Mitwirkung zu. Zum Gelingen beigetragen haben ferner viele Sponsoren und unzählige Helfer, die sich mit großem Enthusiasmus in das Projekt warfen.
Den Beteiligten ist dafür zutiefst zu danken und der Erfolg war für alle Lohn und Glück zugleich. In den drei ausverkauften Aufführungen konnten Mitwirkende und über 2000 Menschen wieder eine der größten Opern der Musikgeschichte erleben. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie mit der aus infektiologischen Gründen erforderlichen Distanz, dem Abstandhalten und Vereinsamung, sind die Themen Liebe, Freiheit und Gemeinschaft des Fidelio ein brennendes Thema.
Das gewölbeartige Backsteintheater mit seiner Gefängnishistorie bot optisch und historisch eine ideale Kulisse für den halbkonzertanten Fidelio. Unter wetterfestem Dach führte Andrea Baquero (Ausstattung: Emma Hoffmann) Regie. Klug nutzte sie den knappen Bühnenraum aus. Die Beziehungen zwischen den Figuren wurden im 1 Akt durch geschickte Positionierung auf beiden Bühnenseiten dargestellt. Dies erläuterte Handlung und die Beziehungsgeflechte der Akteure. Leonore war ein kecker, aber zugleich zurückhaltender Junge mit weißem Hemd und Schiebermütze. Florestan liegt nach der Arie wie tot auf dem Boden. Leonore und Rocco finden ihn nach Durchschreiten des Zuschauerraumes. Die Auseinandersetzung zwischen Leonore und Pizarro wird mit brennender Wucht gespielt.
Beethoven lässt seine Oper Fidelio zunächst wie ein heiteres Singspiel über Liebe und Eifersucht zwischen jungen Leuten beginnen. Erst mit dem bedrohlichen Zwischenspiel und dem Auftritt Roccos wird klar, dass sich ein großes Drama mit ungewissem Ende ausrollt.
Diese Steigerung der Dramatik, die vielschichtigen Nuancen und Wendungen mit ihrer emotionalen Wucht und die Botschaften von Liebe, Freiheit und Gemeinschaft loteten alle Beteiligten mit großer Kunst aus. So entstanden musikalisch grandiose und herausragende Fidelio Vorstellungen, die zu den Besten gehörten, die seit langem geboten wurden. Alle Beteiligten waren mit immensem Feuer und einer Hingabe bei der Sache, dass man meinte, man höre das Werk zum ersten.
Barbara Krieger als Leonore nahm man schon optisch mit ihrer Schiebermütze und der sportlichen Gestalt ab, dass sie sich aus Liebe zu Florestan als Mann verkleidet, um als Diener des Kerkermeisters Rocco ihren Gatten zu suchen. Stimmlich entwickelte sie die Rolle im Sinne des Dramas. Leise und verhalten nahm sie das erste Duett mit Marzelline und das Quartett. Durch Pianotöne und sinnlich verhaltenes Singen gab sie bis zum Terzett einen Kundschafter, der neues Terrain erkunden und sich den ihr unbekannten übrigen Protagonisten mit Charme, Zurückhaltung aber auch Tatkraft bei der Arbeit annähert. In der Arie "Abscheulicher, wo eilst Du hin" entfaltete sie dann endgültig ihre gesamte vokale Pracht.
Den Beginn nahm Barbara Krieger mit ergreifenden dunklen Vokalen. "Komm Hoffnung.." begann sie mit zartem Piano das ihren ganze Erwartung und Sehnsucht nach dem Wiedersehen mit Florestan stimmlich auszudrückte. Die anschließenden hohen Töne nahm sie völlig locker und flutete die Stimme mit so großen Elan, dass ihre Arie zu einer Glanzleistungen des 1.Aktes wurde. Im 2. Akt bot sie insbesondere bei "Halt, töt erst sein Weib..." eine Wucht und Verve, die den stimmlich und körperlich hühnenhaften Pizarro und das Publikum erstarren ließen. In dieser Leonore hat Barbara Krieger ihre herausragenden stimmlichen Mittel und ihr beeindruckendes Gestaltungsvermögen erneut unter Beweis gestellt. Wie sie ihre Emotionen durch ihre Stimmfarben ausdrückte und ihre vokalen Reserven in den dramatischen Momenten machtvolle und locker zugleich entfaltete, war staunenswert. Ein Sopran der Extraklasse. Sie riss mit und ließ durch ihre Intensität häufig erschauern.
Bryn Terfel war ihr potenter Gegenspieler. Der walisische Bariton feierte in Graz sein Rollendebut. Die Bösartig und Grausamkeit Pizzaros füllte er mit Schauspielkunst und gesanglicher Verve aus. Stimmliche Intensität und machtvolle Tonfülle prädestinieren ihn neben seinen Wagnerrollen und dem Scarpia für den Pizarro. Sein Erschrecken über die Revision der Gefängnisse folgt bei "Ha welch ein Augenblick..." ein bebender vulkanischer Ausbruch. Eine Glanzleistung von intensiver Tiefe und Dramatik und ein eindrucksvolles Rollendebut.
Roberto Sacca war ein Florestan mit Tonfülle, Stimmkultur und Rollenidentifikation. Er bewies erneut, dass er einer der führenden europäischen Tenöre des lyrisch dramatischen Fachs ist. Die Arie "Gott welch Dunkel" nahm er nach dramatischem Ausbruch mit dem Text folgender stimmlicher Modulation, und berückenden Pianotönen. Mit immenser Dramatik schwang er sich in ein brillant gesungenes himmlisches Reich auf. Ein Sänger von packender Wucht, der sich in seiner Karriere von Mozart bis in das dramatische Fach entwickelt und bis heute die Gesangskultur und das Timbre seiner Glanzzeit bewahrt hat.
Narine Yeghiyan war eine selbstbewusste ungemein farbenreiche, betörende Marzelline mit großen vokalen Reserven. Mit süßem, verführerischem Klang und großem Atem nahm sie ihre Arie und die Ensembles. In der Auseinandersetzung mit Jaquino durch mühellose dramatische Steigerungen wird deutlich, dass sie vom Leben einen Ehemann mit Saft und Kraft erwartet.
Peter Kellner hat mit dem Rocco eine seiner Glanzrollen gefunden. Sein tiefes Bassfundament, die strömende Mittellage und die federnde Höhe machen ihn zu einem der vielversprechendsten Bässe der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Mit gesanglicher Brillanz, Spielfreude und immenser Musikalität lotete er die gemütlichen Seiten aber auch den Widerstand gegen Roccos Mordpläne vielschichtig aus. Seine Arie „Hat man nicht auch Gold beineben….“ sprühte vor Charme und Witz. Man sah ihn vokal förmlich mit den Münzen jonglieren. Einst Ensemblemitglied der Grazer Oper ist der Dreißigjährige nun an der Wiener Staatsoper engagiert.
Neven Crnic als Minister war eine Luxusbesetzung. Der Sechsundzwanzigjährige verströmte seinen Heldenbariton mit einer Klangschönheit und Poesie, die heute selten zu hören ist. Die Stimme sitzt perfekt, er entfaltet eine unglaubliche Wärme in der Mittellage, die er mit strahlendem Gesang in der Höhe krönt.
Mario Lerchenberger war als Jaquino gleichfalls ein Ereignis. Mit warmem, lyrischem, edel klingendem Tenor - wie geschaffen für Mozart - gestaltet er als Jüngster im Ensemble seine Rolle mit großem Einsatz und Meisterschaft.
Neben den jungen Kräften sang Tenorlegende Reiner Goldberg, der in Graz 1980 in Kreneks Johnny spielt auf, debütierte einen beeindruckenden 1. Gefangenen. Stimmklang und Timbre erinnerten an seine großen Leistungen in Bayreuth und Salzburg. Er sang seine kurze Passage mit derart blühendem Tenor und strahlendem Ton, dass man nicht glaubte dass ein Achtzigjähriger auf der Bühne stand.
Die Mitglieder des Grazer Opernchores sangen klangschön mit Vielschichtigkeit und Leidenschaft. Mit Glut, sprühender Musikalität und überirdischem Spiel bestachen die Mitglieder der Grazer Philharmoniker.
Die treibende Kraft der Aufführung war Kapellmeister Marcus Merkel. Seine Klangvorstellungen, waren von übervoller Poesie und rhythmischer Präzision. Er vermittelte sie so überzeugend, dass trotz der Spielpause eine faszinierende Symbiose aller Musiker entstand. Sein Konzept war von einer fließenden, lyrischen Intensität und dramatischen Dichte geprägt. Innigen Momenten ließ er genug Raum, düstere Passagen präsentierte er in getragenem Tempo, um dann in dramatische Attacken ein atemberaubendes Tempo vorzulegen. Dies durchzog schon das Vorspiel, das so schon dort einen Ausblick auf die kommende Handlung und seine Lesart der Partitur gab. Mit diesem Ausloten und Auskosten der Partitur wurde Fidelio zu einem spannungsgeladenen Drama. Seine phänomenalen Musikalität und seine Fähigkeit sein Gespür für die dramatischen Entwicklungen auf alle Mitwirkenden zu übertragen, sucht seinesgleichen. Klangbild und Spannungsbögen rissen von ersten bis zur letzten Minute mit. Ein Ausnahmedirigent, der fesselte und begeisterte.
In Graz wurde in diesen drei Aufführungen gezeigt, dass und wie furioses Musiktheater geht und welche Begeisterungstürme es hervorruft. Hoffentlich war dies der Startschuss einer neuen Grazer Sommeroper mit vielen künftigen Auftritten aller Beteiligten.
Fidelio in der Grazer Kasematten; besuchte Vorstellung 23.8.2020 ---| IOCO Kritik Schloßbergbühne Kasematten |---