Gohrisch, Festtagshalle, 13. Internationale Schostakowitsch-Tage - Matinee, IOCO Kritik, 05.07.2022

Gohrisch, Festtagshalle, 13. Internationale Schostakowitsch-Tage - Matinee,  IOCO Kritik, 05.07.2022
Festtagshalle Gohrisch - Dmitri Schostakowitsch Tage © Matthias Creutziger
Festtagshalle Gohrisch - Dmitri Schostakowitsch Tage © Matthias Creutziger

Schostakowitsch-Tage

13. Internationale Schostakowitsch Tage - Aufführungs-Matinee

Dmitri Jurowski dirigiert in einer Art „Konzertscheune“

von Thomas Thielemann

Unter einer Buche, im Garten des damaligen Gästehauses des Ministerrates der DDR, dem heutigen Parkhotel Albrechtshof im sächsischen Gohrisch, am Teich sitzend, hatte Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) in den Tagen vom 12. bis zum 14. Juli 1960 an der Partitur seines Streichquartetts op. 110 gearbeitet.

„Die schöpferischen Arbeitsbedingungen haben sich gelohnt: ich habe dort mein 8. Streichquartett komponiert“, so Schostakowitsch. Inzwischen dürfte dieses „ziemlich verzweifelte Stück Musik“, vor allem in der Kammersymphonie - Bearbeitung op. 110a von Rudolf Barschai (1924-2010) zu den am häufigsten gespielten Stücken des Komponisten gehören.

Im Jahre 2009 gründete sich der Verein Schostakowitsch in Gohrisch e.V., um die Aufenthalte des Komponisten in den Jahren 1960 und 1972 in der sächsischen Kurstadt im öffentlichen Gedächtnis zu erhalten.

Mangels eines repräsentativen Konzertraums griff der Verein 2010 auf eine Scheune mit Betonwänden, Dachstuhl und Asbestbedachung zurück, die leergeräumt, eine grandiose Klangentwicklung ermöglicht. Vom 30. Juni bis zum 3. Juli 2022 trafen sich zum dreizehnten Mal die Verehrer des Komponisten, um den Musiker und Menschen zu den Internationalen Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch zu würdigen und seine Musik zu hören.

Festtagshalle Gohrisch / Dmitri Jurowski und Musiker der Säcsischen Staatskapelle © Matthias Creutziger
Festtagshalle Gohrisch / Dmitri Jurowski und Musiker der Säcsischen Staatskapelle © Matthias Creutziger

Am 3. Juli 2022 besuchten wir eine Aufführungs-Matinee in der Konzertscheune, die dem Gedenken an dem vor kurzem verstorbenen frühen Förderer der Gohrischer Tage Michael Jurowski (1945-2022) gewidmet war.

Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden spielten unter der Leitung von Dmitri Jurowski, jüngster Sohn von Michael Jurowski. Als Solistin wirkte die bereits häufig in Gohrisch zu Gast gewesene russische Sopranistin Evelina Dobraceva.

Für den Konzert-Auftakt war eine „Deutsche Erstaufführung“ der „zwei Elegien für Streichorchester“ des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov aus den Jahren 2000 und 2002 angekündigt gewesen. Die umfangreichen Solidaritätsbekundungen für das ukrainische Volk hatten aber zwischen Programmankündigung und Konzerttermin das eingängige Werk schon mehrfach in deutschen Konzerthäusern erklingen lassen.

Valentin Silvestrov, am 30. September 1937 in Kiew geboren, hat zur Rolle des Komponisten bei der Schaffung neuer Werke eine besondere Auffassung: eigentlich sei Alles bereits geschaffen worden. Man müsse nur aufmerksam dem lauschen, den Schwingungen nachspüren. Der Komponist habe lediglich die Aufgabe, die Schwebungen aufzunehmen und als Katalysator in Musik umzuformen, sie hörbar zu gestalten. Seine Arbeiten sind nur schwierig Strömungen zuzuordnen und orientieren sich an Silvestrovs Bewunderung der Musik des 19. Jahrhunderts.

Die nachdenkliche Musiksprache der kurzen fast aphoristischen Kompositionen konfrontierten die Hörer mit rhythmischen Reihungen und meditativem Wohlklang, was zumindest mit dem Dirigat von Dmitri Jurowski eher schwermütig daher kam.

Die wortgewaltige Marina Iwanowna Zwatajewa (1892-1941) war eine der großen Liebesdichterinnen der Weltliteratur. Ihr Leben war von einer poetischen, existenziellen und erotischen Radikalität geprägt, eine Liebende voller „Maßlosigkeit in einer auf Maß bedachten Welt“. Dass sie dem uralten Thema neue Formen abgewann, machte sie zu einer literarischen Besonderheit.

Wegen ihrer Ehe mit einem weißgardistischen Offizier emigrierte sie 1922 nach Prag und 1926 nach Paris. Dort entspann sich ein hinreißender, in hochgebildetem poetischen Deutsch geschriebener, Briefwechsel zwischen ihr, Rainer Maria Rilke und Boris Pasternak (1890-1960). Innerhalb der russischen Emigranten blieb sie isoliert. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie ließ sich ihr Mann vom sowjetischen Geheimdienst zur Überwachung des Sohnes von Leo Trotzki anwerben und wurde in einem Mordkomplott verstrickt, so dass sie 1939 nach Russland zurückkehrte. Auch dort Verdächtigungen ausgesetzt, nahm sich Marina Zwetajewa im Alter von 49 Jahren das Leben.

Sehr spät, im Jahre 1973, vertonte Dmitri Schostakowitsch, längst nicht mehr auf tonaler Basis sechs Gedichte der Marina Zwetajewa für Altstimme und Klavier als sein Opus 143, transformierte die Noten fast zeitgleich als Opus 143a für Altstimme und Kammerorchester.

Für die Aufführung mit Evelina Dobraceva in der Gohrischer Konzertscheune hatte Dmitri Jurowski diese Kompositionen für Sopran und Kammerorchester bearbeitet.

Festtagshalle Gohrisch / Dmitri Jurowski © Matthias Creutziger
Festtagshalle Gohrisch / Dmitri Jurowski © Matthias Creutziger

Evelina Dobraceva setzte auch in diesem Jahr mit ihrer Darbietung der Zwetajewa-Gesänge die Glanzlichter des Konzertes. Mit viel Feingefühl gab sie ihrem Liedgesang eine bestrickende Tiefe und bestach mit hervorragender Textverständlichkeit.

Den Abschluss der Matinee bildete die Uraufführung einer Konzertfassung des Michael Jurowski von Dmitri Schostakowitschs Opus 37 „Die menschliche Komödie“.

Honoré de Balzacs (1799-1850) in Anspielung an Dantes Göttliche Komödie 1842 geschriebener Roman hat sich mehrfach Bühnenadaptionen gefallen lassen müssen, war er doch ein umfassendes Sittengemälde der französischen Gesellschaft. Zu einer solchen Bearbeitung des Moskauer Wachtangow-Theater als Bühnenwerk komponierte Schostakowitsch in den Jahren 1933 bis 1934 eine Schauspielmusik.

Michael Jurowski, der mit Schostakowitsch in jungen Jahren vierhändig Klavier gespielt hatte, wenn der Komponist im Hause des gleichfalls komponierenden Wladimir Michailowitsch Jurowski (1915-1972) zu Gast gewesen war, wollte die musikalischen Einfälle der fast entschwundenen Bühnenmusik auf keinen Fall der Vergessenheit überlassen.

Mit achtzehn Miniaturen, die Dmitri Jurowski mit Kommentaren voneinander abgrenzte, überraschte er das dem Komponisten verbundene Publikum. Entsprachen doch „Mitjas“ musikalische Einfälle kaum dem Titanen Schostakowitsch, wie wir ihn aus seinen Symphonien oder seiner Kammermusik kennen.

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