Freiburg, Theater, "GAME ON: Zauberflöte", IOCO Essay
Das Theater Freiburg entwickelte eine originelle Idee im Bereich der Opernregie: ein absoluter Bruch von Maximen wie dem Repertoirekanon und eine Abkehr von der Treue zur Partitur des Komponisten, stattdessen wird mit immersivem Theater experimentiert .....
von Adelina Yefimenko
Das Theater Freiburg entwickelte eine originelle Idee im Bereich der Opernregie: ein absoluter Bruch von Maximen wie dem Repertoirekanon und eine Abkehr von der Treue zur Partitur des Komponisten, stattdessen wird mit immersivem Theater experimentiert und ein theatraler Raum zur Beteiligung des Publikums am Geschehen erschaffen; Titel des neu geschaffenen Werks: GAME ON ZAUBERFLÖTE
Das Theater Freiburg arbeitet uneingeschränkt mit Regisseuren und Dirigenten zusammen, die entweder den Mut oder die Kühnheit haben, Librettos und Partituren der Opernklassiker zu überarbeiten. Obwohl solche Experimente, wie die Verwendung des Musikdramas als Soundtrack, bei Opernfachleuten, Musikwissenschaftlern und Kritikern für Empörung sorgen, versuchen die Freiburger Produktionen aufrichtig, das Potenzial des zeitgenössischen Musiktheaters zu erweitern. Die Aktualisierung von Meisterwerken der Oper unter dem Motto der unbegrenzten Freiheit der Kreativität verblüfft oder berührt, unterhält oder lässt schmerzhaft die Probleme spüren, die das moderne Leben mit sich bringt. Vor allem aber weckt sie bei jungen Menschen, und nicht nur bei diesen, die Neugier auf eine andere Art der Opernaufführung. Die Freiburger Aufführungen bleiben immer in lebhafter Erinnerung.
Der deutsche Regisseur Michael von zur Mühlen integrierte poetische Kommentare mit Texten des Schriftstellers Thomas Köck in eine Inszenierung von Verdis „Don Carlos“, demontierte die majestätische, von politischen und religiösen Konflikten geprägte Szenerie des historischen Dramas und stellte das zeitgenössische Publikum in den Mittelpunkt, wobei der Chor und der Großinquisitor im Raum des Zuschauerraums agierten und sangen. Mühlen und Köck nutzten verschiedene Mittel, um das Publikum in eine Diskussion über die am Vorabend der Wahlen zum Europäischen Parlament relevanten Themen Demokratie, Meinungsfreiheit, Stärkung der politischen Kräfte und Prävention von Rechtsextremismus zu verwickeln. Schließlich ist das Thema der politischen Konflikte, die das Leben der Menschen zerstören, auch das Thema der historischen Figuren, die in Verdis Oper unsterblich geworden sind. Gleichzeitig aktualisieren die Regisseure nicht so sehr die Handlungen, sondern versuchen, auf historische Fehler hinzuweisen, die im Laufe der Geschichte die Saat für Konflikte gelegt haben.
Das Theater Freiburg beschränkt sich in seinen Inszenierungen nicht auf historische oder gesellschaftspolitische Themen. Es gibt auch eine Tendenz zur Anti-Aktualisierung. Ein Beispiel dafür ist die Inszenierung von Alban Bergs Oper „Wozzeck“. Der Chefdirigent des Theaters, Andre de Ridder, bot dem Freiburger Publikum eine unerwartete Sicht auf dieses Sozialdrama. Die Orchestermusiker sind ein Teil des Geschehens und sitzen nicht im Orchestergraben, sondern in der Mitte der Bühne, die sich im Kreis bewegt. Die Aufführung war minimalistisch. Der deutsche Regisseur Marko Štorman braucht keine zusätzlichen Requisiten auf der Bühne, aber die Kostüme der Solisten mit ihren glänzenden Rüstungen, die an außerirdische Wesen erinnern, standen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.
Die von Josiah Marks, einem Schüler der britischen Modedesignerin Vivienne Westwood, der Begründerin des Punk-Stils in der Haute Couture, entworfenen Kostüme riefen eine Bandbreite von Emotionen hervor, die von Überraschung und Unverständnis bis hin zu Freude über die surreale Interpretation des expressionistischen Dramas reichten. Štorman´s einfallsreiches Konzept mit der unerwarteten Verwandlung der Protagonisten in übernatürliche Gestalten (Wozzeck in einem leuchtenden Gewand inmitten einer schillernden Gesellschaft unbekannter Kreaturen) appellierte zusammen mit anderen Komponenten der Inszenierung an das zeitgenössische postdramatische Theater. Von Missverständnissen und Überraschungen bis hin zum Erfühlen der Schmerzpunkte der menschlichen Psychologie. Diese Bandbreite der Debatten in der Presse wurde zu einem Indikator für den Erfolg des Stücks. Und das ist nicht die einzige Arbeit des Regisseurs, der sich auf die deutschen Traditionen des Schautheaters stützt, bei dem es auf der Bühne kein Brimborium gibt, und stattdessen nach Wegen sucht, die universelle Bedeutung des Theaters, die Bedeutung des Wortes, die Synthese von visueller und musikalischer Kommunikation zu vermitteln. Schön, dass die Neuerungen des Regisseurs durch das vorbildliche Singen und Spielen der erstklassigen Sänger – Robin Adams als Wozzeck, Roberto Gionfriddo als Hauptmann, Karolina Meltzer als Marie und Anja Jung als Margrethe – unterstützt werden. Die Verkettung der Ereignisse, vom schlafwandlerischen Beginn bis zum Ritualmord an Marie, wurde nur in der Fantasie des Regisseurs aufgebaut. Jeder der Darsteller brachte das Wesen und die Präsenz auf der Bühne deutlich zum Ausdruck, und das nicht nur durch ihre brillanten Kostüme.
Mozarts „Zauberflöte“ in der Inszenierung von Mark Štorman in Freiburg übertraf alle Erwartungen. Aber um sich auf die Überraschungen dieser Interpretation vorzubereiten, brauchte das Publikum eine Reihe von Warnungen, von denen ich drei wichtigste erwähne.
Die erste Warnung: Erwarten Sie keine Aufführung einer ganzen Oper von W. A. Mozart. Immerhin dauert die Vorstellung mit dem Titel „Game on: Zauberflöte“ etwa eineinhalb Stunden, (jedoch kann das Publikum aber die Länge der Aufführung auf seinen Wunsch hin verändern). Für die szenografische Umsetzung der technischen Ideen wandte sich Štorman an die Agentur Moby Digg aus München. So war ein Experiment, ein Rebranding des fiktiven Unternehmens Sarastro Entertainment unter dem Slogan: Digitale Welten kapern Opern-Feelings. Jacob Nolte bereitete die Texte für das „Spiel“ von Marco Štorman und dem Freiburger Opernteam vor.
Bekanntlich hatte Štorman bereits während der Pandemie in Stuttgart die Idee einer Oper als Computerspiel konzipiert, doch in Freiburg wurde sein Konzept als Fantasie über die Verschmelzung zweier Welten realisiert – analog auf der Bühne und im Publikum, also mit realen Protagonisten, und digital auf der großen Leinwand, in der Avatare, die die Bewegungen der Opernfiguren einfangen, die Protagonisten imitieren und in ihrem eigenen Raum nach den Gesetzen eines Computerspiels agieren. Die Aufführung war nicht ohne Enttäuschungen. Aufgrund der technischen Komplexität und des geringen Budgets war Freiburg nicht in der Lage, die Ideen mit Hilfe der KI-Technologie umzusetzen. Štorman beendete die Zusammenarbeit mit dem Theater noch vor der Premiere. Doch das Theaterteam machte weiter und präsentierte ein außergewöhnliches Theaterexperiment: Das Publikum nimmt an der Vorstellung teil, und die Protagonisten interagieren in der digitalen Welt der Computerspiele.
Die zweite Warnung: Das Theaterpersonal versorgte alle Zuschauer mit zweifarbigen Stimmkarten, mit denen jeder Anwesende per Abstimmung den Ablauf des Spiels nach seinem Wunsch bestimmen konnte. Dabei wies die jeweilige Farbe der Stimmkarte ihren Lieblingsfiguren aus Mozarts Singspiel bei der Bewältigung der Hindernisse einen vorgegebenen Weg zu. Mein Favorit war Papageno, ein munterer junger Schönling, kein Avatar, kein Roboter und auch kein forscher Moderator. Der Bariton Jakob Kunat sang die Arie des Papageno auf einem Barhocker sitzend auf einer in den Saal verlängerten Brücke, als wäre er kein Opernsänger, sondern ein Kandidat bei The Voice. Mit seinen Talenten als Popstar heizte er die Zuschauer richtig ein. Das gesamte Publikum sang mit ihm im Refrain den Vogelfänger-Hit „Der Vogelfänger bin ich ja, immer lustig, heissa, hopsassa! Ich bin bekannt als Vogelfänger. Bei alt und jung im ganzen Land“. Wer den Text vergessen hatte, konnte den die Untertitel mitlesen, fast wie beim Karaoke. Der eigentliche Spaß lag in der aktiven Interaktion des Publikums: Jeder konnte nicht nur mitsingen, sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes abstimmen und die Reihenfolge der Ereignisse bestimmen. Selbst die Dauer der Aufführung hing vom Publikum ab, weshalb jeder Abend mit „Game on: Die Zauberflöte“ einzigartig war. Je nach Auswahl änderte sich den Ablauf der Aufführung.
Die dritte Warnung ist, dass wir uns von der Eindeutigkeit der Bewertungs-kriterien befreien müssen. In diesem Stück gibt es keine Konfrontation zwischen Gut und Böse, keine moralischen Kriterien oder Gesetze. Das wichtigste Gesetz sind die Regeln des Spiels. Alle Ereignisse von „Das Spiel läuft: Die Zauberflöte“ spielt sich nach den Regeln der virtuellen Welt der Computerspiele ab. Die Entscheidung, einen bestimmten Zug zu wählen, und das Ergebnis (Sieg/Verlust) bleiben den Teilnehmern der „Show überlassen“. Die Regisseure entledigen sich also ihrer Verantwortung und geben dem Publikum lediglich einen Ratschlag: „Spielt so, dass die Maxime eures Avatars jederzeit zu einem universellen Gesetz werden kann!“ Die Zuschauer sind also nicht Zuschauer, sondern ebenfalls Protagonisten des „Game on: Zauberflöte“ neben Monostatos (Roberto Gionfrido), Sarastro (Junus Schainger), Königin der Nacht (Natasha Zalles), Pamina (Maive Göglund) und Tamino (Yunbum Lee), Papagena (Sara de Franco) und Papageno (Jakob Kunat).
Aber jeder Aufführungsstrang wird nach bestimmten Regeln aufgeführt, auch wenn „Demokratie in der Oper“ selbst von den anspruchsvollsten Musikkritikern erklärt und akzeptiert wird. „Demokratie in der Oper“ titelte der weise deutsche Kritiker Eckbert Tol nach der Premiere. Er bemerkte zu Recht: „Also Kant, aber philosophisch ist der Abend auf andere Art, nämlich in der Frage, ob Entscheidungen überhaupt etwas ändern“. Offensichtlich nahm der Musikkritiker das blamable Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament vorweg, als er einen Monat zuvor die Rolle des Monostatos in einem neuen Stück nach der Zauberflöte kommentierte: „Das Dümmste an der Demokratie“, so Monostatos, „ist, dass man zwar wählen kann, aber nur zwischen vorgegebenen Optionen wählen kann“. Interessanterweise ist Mozarts Monostatos, der von Sarastro verurteilt wird, eine negative Figur (und in unserer Zeit der Gender Studies wäre er in den europäischen Medien wegen sexueller Belästigung bekannt geworden und hätte im Mittelpunkt von MeToo-Debatten und -Prozessen gestanden).
In Marko Štormanʼs Stück ist Monostatos ein talentierter Moderator, der frei mit der Königin der Nacht, den Spielern und dem Publikum debattiert und die Öffentlichkeit einer demokratischen Gesellschaft mit provokativen Vorschlägen herausfordert, wie z. B. der Einführung einer Reihe von Verboten, allen voran das Verbot von Reichtum, Oligarchen und Technokraten, die in Kriege und die Zerstörung der Natur investieren. Ein aufmerksamer Kritiker bemerkte sogar, dass nach solchen Klagen „ein einzelner Zuschauer irgendwo auf dem Balkon laut und demonstrativ applaudierte und zwei weitere im Publikum den Saal verließen“. Ungeachtet solcher Nebensächlichkeiten betont Monostatos, dass keine Partei Verbote vorschlägt, dass Demokratie Demokratie ist, dass Parteiführer debattieren und dass gewählte Beamte demokratisch auf Entscheidungen warten, die dem reibungslosen Funktionieren der Gesellschaft dienen, sowohl in Friedenszeiten als auch angesichts von Naturkatastrophen oder Kriegen. Das Spiel ist eröffnet.
Während der gesamten Aufführung erinnert man sich an die Sprichwörter wie: Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor, wenn du spielen willst, bereite dich auf Herausforderungen vor, denen du dich noch nie gestellt hast, wie zum Beispiel die virtuelle Welt, die die Designer von Moby Digg auf der großen Leinwand des Freiburger Opernhauses demonstrieren, indem sie das Publikum dazu einladen: „Finde deinen Avatar“.
Die Moderatoren der Talkshow unterbrechen das Geschehen und Mozarts Musik, kommunizieren mit dem Publikum, stellen neue Aufgaben und bieten an, über das weitere Schicksal der Spielteilnehmer zu entscheiden. Die Darsteller waren nicht nur überzeugend, sondern wirklich brillant! Roberto Gionfriddo und Natasha Salles sind fantastische Schauspieler in ihren brillanten Kostümen (das Markenzeichen der Aufführungen von Regisseur Marco Štorman). Das Publikum ging schnell mit und wurde unterhalten, ohne darüber nachzudenken, welche Charaktere die Sänger auf der Bühne eigentlich verkörperten – märchenhafte, reale, computergenerierte, vielleicht Aliens aus der Zukunft, in der von künstlicher Intelligenz gesteuerte Roboter die Menschen ersetzen werden. Auch das Orchester und der Chor sind in diese Interaktion eingebunden. Doch, wenn der Chor der Freiburger Oper mit der virtuellen Welt verschmolz, beschallten die Orchesterspieler das Spiel nicht aus dem Orchestergraben, sondern von der unteren Bühne aus. Sie waren deutlich sichtbar. Die Musiker wurden zu Vollstreckern nicht nur des Willens des Dirigenten, sondern auch des Willens des Publikums. Diese Erfindung ist besonders unterhaltsam und amüsant, wenn man sich die Aufführung als Spiel und nicht als Mozart-Oper vorstellt.
Was ist der Sinn dieses Experiments? Als die schlanke Schönheit Königin der Nacht ihre luxuriöse VR-Brille abnahm und ihr glasiger, durchbohrender Blick das Publikum durch die roten Kontaktlinsen anblickte, erinnerte ich mich an die Aussage eines Kritikers: „Dieser Opernabend hat andere Dominanten und wirft Fragen auf“.. Seien Sie über die Fortsetzung nicht überrascht: Collagen aus verschiedenen Werken Mozarts und nicht nur in einer Inszenierung sind keine Neuheit mehr, sondern eine Hommage an die Tradition der Regieoper: Als im Finale nach dem unerwarteten Einsatz eines musikalischen Fragments aus Mozarts Requiem die Königin der Nacht auf die Bühne kommt und sich mit einem bedrohlichen, eiskalten und siegreichen Blick im Publikum umsieht, versteht jeder, dass das Spiel, die Debatte und die Demokratie vorbei sind. Ich persönlich war erschrocken. Man erkennt, dass die Menschheit verloren hat und dass der Sieg der Königin der Nacht das logische Ergebnis unserer gemeinsamen Entscheidung ist.
Schließlich war das Publikum der Hauptakteur in diesem Spiel und kontrollierte den Verlauf der Aufführung. Sie durften freiwillig den Weg der Prüfung für Tamino und Pamina, Papageno und Papagena wählen, und die Reihenfolge der Partitur hing davon ab. Die Arie des Papageno oder die Arie der Königin der Nacht konnten zweimal aufgeführt werden. Das Publikum wurde darüber informiert, dass der Dirigent die Partitur im Voraus in 25 Module unterteilt hatte, so dass sie je nach Entscheidung des Publikums bei jeder beliebigen Nummer beginnen konnten. Das Publikum beteiligte sich begeistert an der Wahl, indem es aktiv seine Spielkarten hochhielt: auf einer Seite war die Karte gelb, auf der anderen magenta. Ausnahmslos beteiligten sich Alle an dem Spiel „Game on: Zauberflöte“. Denn gemeinsames Spielen ist immer ein kommunikativer, lustiger und lehrreicher Prozess: Man kann seinen Figuren Superkräfte verleihen, ihnen helfen, Fehler zu vermeiden, Gefahren offensiv zu begegnen und so die Geschichte verändern.
Aber die Inszenierung glich nur einem Computerspiel, mit künstlichen Bildern, die im Hintergrund über den Bildschirm flimmerten: Feuer, verbrannte Erde, Berge und seltsame Pflanzen. Aber gibt uns ein solches Videospiel nicht nur die Illusion von Freiheit? Vor allem für die jungen Leute im Publikum, die in der Blütezeit der Fernsehsendungen geboren wurden?
Meine Wahl war zusammen mit den anderen Teilnehmern oft in der Minderheit, denn wenn die Moderatoren uns fragten, wie es weitergehen sollte, hob ich meine Karte mit der gelben Seite statt mit der magenta. Ich verstehe, warum meine Stimme nicht beliebt war. Ich habe gegen Sarastros Spiel gestimmt, gegen Sarastro Entertainment unter dem Slogan: Digitale Welten kapern Opera-Feelings. Dieser Sarastro war nicht von Mozart. Er erschien auf der Bühne, bewegte sich langsam, wie ein Roboter mit einem seltsamen Kopfgestell in Form eines Abgusses einer Eisenkrone, die die Sonne symbolisieren sollte. Nach Štormans Vorstellung ist Sarastro ein einflussreicher Entertain-Entwickler, der die Geschäftsstruktur und die Technologie eines erfolgreichen Spieleunternehmens geschaffen und geleitet hat und immer mehr Menschen dazu bringt, die Produkte der neuesten Unterhaltungsindustrie zu konsumieren.
Offensichtlich ist Sarastro ein Avatar eines echten Unternehmers, der inkognito bleibt. Ich erinnerte mich an die Welt des Diktators Snow aus der amerikanischen Fantasy-Filmreihe „The Hunger Games“, bei dem Gary Ross Regie führte und der auf dem Roman von Suzanne Collins basiert. Das Programmheft von Sarastro-Entertainment bewirbt die Welt von Sarastro als „eine Welt der absoluten Fantasie, in der alles möglich ist! Eine virtuelle Welt, die vom Eros, dem Avatar der Selbstbestätigung, bis zum Thanatos, dem Avatar des selbstgefälligen Spiels mit dem Tod, interessante Möglichkeiten der Selbstentfaltung bietet“. Es wird sogar darauf hingewiesen, dass Mozarts brillante Musik für das Spiel unerlässlich ist und viel mehr Möglichkeiten bietet als ein einfacher elektronischer Spielesoundtrack. Vielleicht sollten Opernkenner für diesen Zusatz dankbar sein.
Dieser Gedanke und diese Einstellung zur Musik sind verständlich und immer aktuell: Für jeden Diktator ist brillante Musik (in diesem Fall Mozart) nicht einfach nur Musik, sondern ein bewährtes Mittel, um die Teilnehmer in sein Spiel einzubinden. Und ist in dieser Inszenierung nicht die gesamte Mozart-Oper ein würdiges und wirkungsvolles Propagandamittel für Sarastros Imperium? Auf die Frage der Moderatoren nach der Änderung der Ereignisse hin habe ich für die Ermordung des Diktators gestimmt, wer auch immer er war. Leider entschied sich die Mehrheit des Publikums dafür, dem ausgetretenen Pfad der imaginären Demokratie und Toleranz zu folgen, und wahrscheinlich wollte niemand die Komfortzone verlassen, die einen märchenhaften Sieg des Guten über das Böse verspricht. Das Publikum wollte, dass Sarastro-Entertainment weitergeht. Monostatos und die Königin der Nacht erfüllten ihre Aufgabe gut, auch wenn sie manchmal anderer Meinung waren als der Chef des Glücksspielunternehmens. Dennoch spielten sie gekonnt mit ihm zusammen, indem sie eine manipulative Spielwelt einführten und entwickelten.
Im Finale erstarrte das Publikum, als das letzte Fragment aus Mozarts Requiem „Rex tremendae“, gespielt wurde. Ein unerwartetes Ende für das Sarastro-Entertainment-Spiel! Vielleicht hat diese Musik die Spieler dazu gebracht, über den Tod der Menschheit nachzudenken, wenn den gefährlichen Spielen nicht Einhalt geboten wird? Nicht nur das, auch die virtuelle Welt ist voller Gefahren. Man kann nicht nur das Spiel verlieren, sondern auch sich selbst, indem man in der Welt der virtuellen Realität die Orientierung verliert und den Tod vergisst: ein getöteter Avatar, der immer wieder zum Leben erwacht, reinkarniert und im nächsten Spiel aktiv wird. Aber das Spiel wird immer autonomer.
Was soll man zu den Gefahren der realen Spiele für Erwachsene sagen, die die Menschheit jedes Jahr näher an den Point of no Return bringen – Börsenspiele, tödliche Sportwettkämpfe, Spiele mit natürlichen Ressourcen, technologischer Fortschritt, Kriege, in denen echte Menschen und nicht Avatare getötet werden. Vielleicht gibt es deshalb das Bedürfnis, in die virtuelle Welt einzutauchen und Zugang zu imaginären Welten der ewigen Gleichgültigkeit zu haben?
Offensichtlich spricht diese Inszenierung den Teil der jungen Generation an, der Mozarts Melodien nur aus gefälschten Werbespots kennt. Jene Musikkritiker, die diese Inszenierung als „dummen Scherz“ bezeichneten, empörten sich vergeblich: „Man stelle sich vor, dass eine technisch perfekte Avatarisierung einer Oper ein ernsthafter Schritt in der künstlerischen Entwicklung ist!“
Es besteht kein Zweifel, dass dieses Freiburger „Rebranding der Oper als digitale modulare Performance“ nicht nur als interaktive virtuelle Unterhaltung Aufmerksamkeit verdient, sondern auch als realistischer Blick auf die Probleme des menschlichen Überlebens im Zeitalter des zukünftigen Transhumanismus auf dieser Erde.