Flensburg, SH Landestheater, PETER GRIMES - Benjamin Britten, IOCO
Die Endlosigkeit der Meere, Ebbe und Flut, die Stürme, die Machtlosigkeit der Menschen gegenüber den Naturgewalten, das sind die Themen von Benjamin Brittens 1945 uraufgeführter Oper Peter Grimes; dort am Meer hat auch Benjamin Britten gelebt .....
18.5.2024 - Premiere: GMD Ingo Martin Stadtmüller und das Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester verzaubern das Publikum mit Vielschichtigkeit und reichen Farbvariationen der Komposition
von Wolfgang Schmitt
Die Endlosigkeit der Meere, Ebbe und Flut, die Stürme, die Machtlosigkeit der Menschen gegenüber den Naturgewalten, das sind die Themen von Benjamin Brittens 1945 uraufgeführter Oper Peter Grimes. Das weitere Element dieses Werkes ist das Zusammenleben der Menschen in dem kleinen Fischerdorf an der Küste, die dort herrschende Enge und die soziale Kontrolle.
In diese Dorfgemeinschaft hat es der Fischer Peter Grimes schwer sich anzupassen und einzugliedern. Er ist ein Einzelgänger, doch sein großer Ehrgeiz ist es, mit dem Fischfang viel Geld zu verdienen und die Lehrerin Ellen Orford zu heiraten. Sein Lehrjunge ist durch einen tragischen Unfall ums Leben gekommen, doch für die Dorfgemeinschaft ist er verdächtig und nun zu einem Mörder abgestempelten Außenseiter geworden.
Die Premiere dieser Britten-Oper am 18. Mai 2024 am Schleswig-Holsteinischen Landestheater in Flensburg in der Regie von Operndirektorin Kornelia Repschläger war ein voller Erfolg und wurde vom begeisterten Publikum heftig bejubelt. Einen maßgeblichen Anteil an diesem Erfolg hatte der GMD Ingo Martin Stadtmüller, dem es mit seinem Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchester trefflich gelang, die Vielschichtigkeit dieser Komposition bis ins kleinste Detail auszuloten und die klangprächtige Musik mit ihren schier unerschöpflichen Farbvariationen energetisch und kraftvoll strömen zu lassen. Brittens Musik ist packend, spannend, klingt modern, aber nie atonal. Eine klare Gliederung erfährt die Partitur in rezitativische und ariose Teile, wir hören sanfte, folkloristisch anmutende Klänge, oder auch an amerikanischen Jazz und Musicals erinnernde Passagen. Ganz besonders in den sechs orchestralen Zwischenspielen werden jedoch die von Britten intendierten Stimmungen genauestens getroffen.
Während dieser „Sea Interludes“ hatte sich die Regisseurin Balletteinlagen einfallen lassen: ein Ballettänzer (Yun-Cheng Lin) als „alter-ego“ von Peter Grimes stellte dessen Verzweiflung und innere Zerrissenheit in einer ausgefeilten Choreographie von Nicola Mascia tanz-akrobatisch dar, in den letzten „Interludes“ sogar als „pas de deux“ zwischen den alter-egos von Peter Grimes und seinem Lehrjungen (getanzt von Ben Silas Beppler).
Das stimmungsvolle, in Blautöne gehaltene Bühnenbild, von Angelika Höckner entworfen, wird ergänzt durch Meeres-Projektionen, mal sanft, mal stürmisch bis orkan-artig auf transparenten Zwischenvorhängen. In einer Szene putzen und bearbeiten die Chordamen als Fischersfrauen den Fang, während im dritten Akt ein Ruderboot für die Szenen mit dem Lehrbuben John (intensiv dargestellt von Max Carlos Thomsen) das Zentrum der Bühne bildet.
Auch die Kostüme von Ralf Christmann sind sämtlich blau in allen Schattierungen: ein ganz helles blaugrau für Peter Grimes, ein hellblaues Kostüm für Ellen Orford, dunklere Blautöne für Captain Balstrode, für die weiteren Protagoisten und den Chor, ein blass blaugrüner Mantel für Mrs. Sedley. Grelle Farbtupfer zu ihrer blauen Bekleidung bieten nur Auntie mit gelben Rock und gelben Schuhen sowie ihre beiden „Nichten“ im pinken bzw. orangen Büstenhalter und passenden Schuhen.
Beeindruckend ist Kornelia Repschlägers ausgefeilte Personenregie sowohl der Solisten als auch beim überragend hochdramatisch singenden, von Avishay Shalom einstudierten Opernchor und Extrachor des Landestheaters. Die Chor-Damen und Herren erfüllten ihre mannigfachen szenischen Aufgaben aufs trefflichste, trugen während der Ball-Szene im dritten Akt Mickey-Mouse-Masken, und schminkten sich beim „Lynch-Chor“ die Münder knallrot, vermutlich als ein Hinweis auf die Bösartigkeit der Dorfbewohner, ähnlich wie der böse „Joker“ mit den blutrot geschminkten Lippen in den „Batman“-Filmen (dargestellt von Jack Nicholson und Heath Ledger).
Im Prolog zu Beginn während der Gerichtsszene sitzen Teile des Chors auf den Parkett-Außenplätzen, während Swollow vorn im ersten Rang platziert ist und Grimes vom Tod an dem Lehrburschen freispricht, doch das Misstrauen der Dorfbewohner bleibt bestehen. Später in der Kneipenszene erscheint Peter Grimes wie eine Lichtgestalt vor den erstaunten, ihn abweisenden Gästen. Am Ende, während seines Wahnsinns-Monogloges in dem nun umgekippten Ruderboot, hält Grimes den toten Lehrjungen ähnlich einer Pietà-Stature in den Armen.
In der Titelrolle des Peter Grimes überzeugt der aus Ecuador stammende und in Italien ausgebildete Tenor David Esteban auf ganzer Linie mit seiner Ausstrahlung, seiner starken Bühnenpräsenz und seiner durchschlagskräftigen, ausdrucksvollen Stimme, mit der er sämtliche Emotionen auszudrücken in der Lage ist. Er gestaltete diesen Fischer darstellerisch anrührend, bedrückend und voller Leidenschaft, gesanglich schön mit einer makellosen Höhe, einer klangvollen Mittellage und profundem Tiefenregister, so daß in seiner Interpretation dieser Partie keinerlei Wünsche offen blieben.
Shelley Clarkson bewältigte die Partie der warmherzigen Lehrerin Ellen Orford mit bewundernswerter Natürlichkeit und einem klangvollen, warm timbrierten, sicher geführtem Sopran. Sehr differenziert in ihrer vokalen Gestaltung machte sie den Charakter der liebenden, mitleidenden Gefährtin durchaus glaubhaft. Ihre Arien “...cast the first stone“ und “Embroidery“ gingen förmlich unter die Haut.
Philipp Franke war stimmlich ein exzellenter Captain Balstrode mit seinem voluminösen, kraftvoll auftrumpfenden Bariton. Als Typ des eigentlich pensionierten, bärbeißigen alten Seebären war er optisch zwar zu jung, doch dies tat seiner sängerischen und darstellerischen Gesamtleistung desjenigen, der Peter Grimes letztendlich in den Selbstmord schickt, keinerlei Abbruch.
Als eifrig über die Moral der Dorfbewohner wachende und gern jedem Gerücht nachgehende, jedoch offenbar selbst dem Alkohol und der Tablettensucht verfallene Hobby-Detektivin Mrs. Sedley bot Sophia Maeno eine herrlich skurrile und komödiantische Charakterstudie dieser Miss-Marple-Figur, die auch einem „tète-à-tète“ mit dem Apotheker nicht abgeneigt zu sein schien und die ihren eindringlichen Charakter-Alt wirkungsvoll einzusetzen verstand.
Mit ausdrucksstarkem Mezzosopran sang Evelyn Krahe die Partie der sich arrogant und überheblich gebenden Kneipenwirtin Auntie. Ihre beiden angeblichen Nichten, die sich auf derbe Art frivol und verführerisch präsentierten, waren mit der kleineren, wohl proportionierten Anna Avdalyan mit hellem lyrischen Sopran, und der großen schlanken Mezzosopranistin Malgorzata Roclawska rein vom Typ her passend besetzt, zumal sie auch vom Stimmklang her in ihren vielen kleineren Szenen bestens harmonierten.
Auch die weiteren Partien waren treffend besetzt: Robin Neck als hysterisch wirkender Methodist Bob Boles, Timo Hannig als Bürgermeister des Dorfes und Anwalt Mr. Swallow, Kai-Moritz von Blanckenburg als Apotheker Ned Keene, Dritan Angoni als Pfarrer Horace Adams, und schließlich Ulrich Burdack als der Fuhrmann und Dorfpolizist Hobson, der auch seinen Auftritt als halbnackter Wikinger-Trommler hatte.
Ovationen für sämtliche Solisten, Chor, Orchester und fürs Regieteam: Eine besondere Ehrung und Blumen gab es für die Regisseurin Kornelia Repschläger, die zum Ende dieser Spielzeit als Operndirektorin des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters ausscheidet.