Flensburg, Schleswig-Holsteinisches Landestheater, A STREETCAR NAMED DESIRE - André Prévin, IOCO Kritik, 01.04.2023
A STREETCAR NAMED DESIRE - André Prévin
- ENDSTATION SEHNSUCHT oder auch ENDSTATION PSYCHIATRIE -
von Wolfgang Schmitt
Eigentlich ist eine Fahrt durch Schleswig-Holstein immer recht eindrucksvoll. Am Samstag dem 25. März 2023 jedoch regnete es heftig, so daß man von der schönen Landschaft nicht viel mitbekam. Als man jedoch die Hochbrücke über den Nord-Ostsee-Kanal hinter sich gelassen hatte, da hatte der Wettergott offenbar ein Einsehen, und in Flensburg angekommen, konnte man die Innenstadt im Trockenen durchwandern. Flensburg ist Deutschlands nördlichste Stadt, an der Grenze zu Dänemark gelegen und Sitz des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters. Mit Opernproduktionen gastiert das Landestheater auch in Rendsburg und Neumünster.
Nach dem plötzlichen Abgang des vormaligen Generalmusikdirektors hat nun der bisherige Erste Kapellmeister Ingo Martin Stadtmüller diese Position übernommen. Unter seiner Leitung präsentierte das Landestheater die Oper A Streetcar named Desire von André Prévin (1929 – 2019). Dieses war die erste Oper des Komponisten, die 1998 an der San Francisco Opera uraufgeführt wurde. Prévin war ein begnadeter, vielseitiger Musiker, Pianist und Dirigent. Während seiner aktiven Dirigentenlaufbahn von 1967 bis 2006 hatte die Chefpositionen der Symphonie-Orchester von Houston, London, Pittsburgh sowie der Philharmonischen Orchester in Los Angeles, London und Oslo inne.
André Prévin komponierte Werke für großes Orchester, Sinfonik, Klavierkonzerte, Kammermusik, Jazz, Lieder und auch Popsongs sowie Filmmusik, unter anderem für Billy Wilders „One Two Three“ mit Horst Buchholz und Lieselotte Pulver, für „Inside Daisy Clover“ mit Nathalie Wood, oder für „Valley of the Dolls“ mit Sharon Tate, Patty Duke, Barbara Parkins und Susan Hayward;. Der Titelsong „Theme from Valley of the Dolls“, gesungen von Dionne Warwick, wurde ein Welt-Hit und war in diesem Genre sein größter kommerzieller Erfolg.
Die Vorlage zu seiner Oper war das gleichnamige Theaterstück von Tennessee Williams – deutscher Titel Endstation Sehnsucht -, welches 1951 von Elia Kazan verfilmt wurde mit Marlon Brando und Vivien Leigh in den Hauptrollen.
Das Libretto der Oper, von Philip Littell geschrieben, hält sich strikt an die Schauspielvorlage von Tennessee Williams. Die Handlung dreht sich um Blanche, eine Südstaaten-Schönheit, die einige Schicksalsschläge hinnehmen mußte. Sie fand heraus, daß ihr Ehemann eigentlich homosexuell war und machte ihm bittere Vorwürfe, worauf er Selbstmord beging. Sie verlor ihre Anstellung als Lehrerin, weil sie einen jungen Schüler verführt und auch sonst recht promisk gelebt haben soll. Schließlich wurde ihr Anwesen zwangsversteigert, worauf sie ihren Heimatort verließ nach New Orleans reiste, um bei ihrer Schwester Stella Unterschlupf zu finden, die mit ihrem polnisch-stämmigen Ehemann Stanley Kowalski in beengten Verhältnissen lebt. Stanley ist schlicht, vulgär und neigt zu Brutalität. Sie lernt Mitch kennen, einen Arbeitskollegen von Stanley. Er ist schüchtern, etwas unbedarft, einsam wie Blanche und beide finden Gefallen aneinander. Doch Stanley hat Nachforschungen über Blanche angestellt und alles dem sensiblen Mitch berichtet, so daß dieser nicht mehr zu einer Ehe mit ihr bereit ist. Blanche hat ein Alkoholproblem, und als sie von Stanley auch noch vergewaltigt wird, ist sie völlig am Ende und wird in die Psychiatrie eingewiesen.
In dem von Angelika Klöckner entworfenen Einheitsbühnenbild – dunkelrote treppenartige Kästen vor transparenten gewellten Kunststoffwänden deuten die kleine Wohnung der Kowalskis an – zeichnet die Flensburger Operndirektorin Kornelia Repschläger in ihrer Inszenierung dieses Dramas Blanche als die einerseits stolze, überhebliche, andererseits als feinsinnige, verunsicherte Frau von Anfang 30, die ihren Halt verloren hat und ständig zur Flasche greift. Ihrer Schwester gegenüber fühlt sie sich überlegen und kann nicht nachvollziehen, daß sich diese von ihrem gewalttätigen Ehemann demütigen und unterdrücken läßt. Stanley gibt sich als stolzer Proletarier, der die Anerkennung einfordert, daß er der Herr im Hause ist und dem die Anwesenheit der Schwägerin lästig ist, so daß es zu Beleidigungen und Belästigungen kommt. Mitch, der noch bei seiner kranken Mutter lebt, ist nicht stark und nicht charakterfest genug, um Blanche's Sehnsucht nach Geborgenheit und Sicherheit zu entsprechen und ihr den nötigen Halt zu geben, so daß sie am Ende zusammenbricht und ihre Endstation die Psychiatrie ist.
Amelie Müller war Blanche, die „Southern Belle“, die sich ständig im Badezimmer aufhält, sich pflegt und ihre schönen eleganten Kleider vorführt (die Kostüme entwarf Ralf Christmann). Sie steht praktisch die ganze Zeit auf der Bühne, ihre Partie ist die reinste Tour-de-Force. Aber sie meistert die Partie bravourös, war darstellerisch anrührend und intensiv, überzeugte gesanglich mit ihrem technisch perfekt geführten großen lyrischen Sopran, dem aufblühenden Höhenregister, den zarten sanften Passagen und den dramatischen Attacken.
Philipp Franke, rein vom Typ her eher der nette Junge von nebenan, gab sein Bestes, um der Rolle des machohaften, vulgären, brutalen Stanley Kowalski in schwarzer Lederjacke gerecht zu werden. Unbarmherzig und aggressiv hält er Blanche ihre Vergangenheit vor und zerstört ihre mühsam aufgebaute Lebenslüge und ihre Hoffnung auf ein gutes Leben. Die Konfrontation der Beiden gipfelt schließlich in einer angedeuteten Vergewaltigung, die jedoch nahtlos übergeht in einen Liebesakt mit seiner Frau Stella, durchaus ästhetisch und erotisch choreographiert mit dem Paar in fast fleischfarbenen knappen Outfits (Choreographie von Nicola Mascia). Seinen kräftigen Charakterbariton setzte er mal sanft, mal bedrohlich ein, und in seinen Schlüsselszenen konnte er sowohl stimmlich wie auch darstellerisch überzeugen. Seine junge Frau Stella wurde mit geschmeidigem lyrischem Sopran von Malgorzata Roclawska gesungen, meist in rosafarbenem Minirock und rotem Pulli gekleidet. Sie bot ein anrührendes, passendes Rollenportrait der jüngeren Schwester von Blanche, die ihrem Mann hörig ist, seinen Wünschen und Bedürfnissen entspricht und seine Gewalttätigkeiten stoisch über sich ergehen läßt.
In der Partie des Mitch ist Matthew Pena der zurückhaltende schüchterne Arbeitskollege von Stanley, der mit seinen 30 Jahren noch immer bei seiner Mutter lebt und sich von seinen Pokerfreunden herumkommandieren läßt. Seinen lyrischen Tenor bringt er im dritten Akt erst richtig zur Geltung, wenn er auch darstellerisch aus sich herauskommt, als er Blanche die Abfuhr erteilt und ihren Traum und die Hoffnung auf ein geordnetes Leben zu zweit zerstört.
In den weiteren kleinen Partien gefielen die Altistin Alma Samimi als Mexican Woman quasi als Todesbotin in furchterregendem Skelett-Kostüm mit Totenschädel, der Tenor Dritan Angoni als Collector, sowie die Mezzosopranistin Sarah Kuffner und der Tenor Xiaoke Hu als die Nachbarn Eunice und Steve Hubbell.
Der von seiner Erfahrung in Filmmusik und von Jazz-Einflüssen geprägte Kompositionsstil André Prévins erinnert in Teilen auch sehr an Strawinsky und Schostakovich. Zeitweise glaubt man, die Handschrift eines Leonard Bernstein zu erkennen, während zarte lyrische Arien der Blanche wie „I want Magic“ oder „I can smell the Sea“, von Amelie Müller betörend hingebungsvoll, besonders auch gegen Ende des dritten Aktes sanft und filigran interpretiert, an Richard Strauss denken läßt, beispielsweise an seine „Liebe der Danae“.
Das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester unter der inspirierten Leitung von GMD Ingo Martin Stadtmüller offenbarte den Farbenreichtum der spannungsreichen Partitur, in der sich die Expressivität, das Pathos und die Dramatik in manchen energiegeladenen Szenen mit Stanley abwechselten mit den sensiblen, sanften und empfindsamen Passagen der Blanche oder den devoten, demütigen Darstellungen der Stella.
Das Theater war gut besucht, wenn auch nicht ausverkauft. Das Publikum erlebte musikalisch und szenisch eine überaus gelungene Präsentation dieser modernen Oper, die keinerlei Wünsche offen ließ.