Eutin, Festspiele 2024, DER FREISCHÜTZ - C M von Weber, IOCO
EUTINER FESTSPIELE 2024: „Der Teufel ist eine Frau“ - an diesen Filmklassiker des genialen Regisseurs Josef von Sternberg aus den 1930er Jahren mit der legendären Filmdiva Marlene Dietrich muß man unwillkürlich denken, wenn man in der neuen Eutiner Freischütz -i ....
von Wolfgang Schmitt
„Der Teufel ist eine Frau“ - an diesen Filmklassiker des genialen Regisseurs Josef von Sternberg aus den 1930er Jahren mit der legendären Filmdiva Marlene Dietrich muß man unwillkürlich denken, wenn man in der neuen Eutiner Freischütz -Inszenierung des Regisseurs Anthony Pilavachi gleich zu Beginn aus den Lautsprechern bei sanftem Windesrauschen und leisem Donnergrollen die dunkle in schwarzes Leder gehüllte Person über die weitläufige Bühne schreiten sieht und ihre ersten Verse rezitiert, bevor die Ouvertüre einsetzt.
Denn in Pilavachis hervorragend einstudiertem Freischütz wird Samiel von einer Frau dargestellt, von der Schauspielerin Nina Maria Zorn, die von Beginn an über die gesamte Oper – und nicht nur in der Wolfsschlucht-Szene – präsent ist, wie eine Art Conferencière fungiert, hintergründig einzelne Szenen kommentiert und insgesamt für eine bedrohliche, diabolische Atmosphäre sorgt. Ihre helle, durch Microport verstärkte Stimme setzte sie gekonnt wandlungsfähig ein, von kindlich flüsternd über weinerlich skurril bis bizarr kreischend und wie vom Wahnsinn getrieben. Die Naturbühne mit den hohen Bäumen im Hintergrund bot den richtigen Rahmen für ihre diversen Auftritte, besonders als die Dämmerung einzusetzen begann.
Die von Jörg Brombacher entworfene Bühne verfügt über mehrere mit Kunstrasen belegte Spielebenen und breite Treppen vor der stimmungsvollen Waldkulisse. Links und rechts stehen größere Quader, die zweckmäßigerweise auch bei der Eutiner Produktion Jesus Christ Superstar , IOCO Rezension HIER, Verwendung finden. Im größten dieser Quader ist Agathes Zimmer eingerichtet mit gedecktem Tisch und roten Stühlen, dem Gemälde des Ahnherrn an der Wand, später steht dort ein breites Bett. Über allem hängt eine riesige schwarze Spinne und viele graue Spinnweben. Auf den Spielebenen verstreut liegen einige morsche, verrottete Särge, aus denen während der Wolfsschlucht-Szene Zombies herauskrabbeln.
Einen wesentlichen Anteil an der durchweg stimmigen Atmosphäre der Aufführung hatte die wunderbare Lichtregie von Rolf Esser, ganz besonders während der Wolfsschlucht-Szene, als die Dunkelheit bereits eingesetzt hatte und die Bühne mitsamt den Bäumen dahinter nebelhaft in ein fahles, gespenstisches grau-blaues Licht getaucht ward. Geisterhaft tauchten zunächst drei gesichtslose Gestalten mit üppigen grauem Haar auf, ein Seil in den Händen haltend wie die Nornen in Wagners „Götterdämmerung“, sodann der schwarz gekleidete Chor mit grauen Spinnweb-artigen Umhängen, während Kaspar über einer brennenden Tonne die Freikugeln gießt.
Nicht nur in der Wolfsschlucht, sondern auch in allen anderen Szenen ist der von Sebastian Borleis perfekt einstudierte Eutiner Festspielchor hervorragend. Die Damen mit weiß geschminkten Gesichtern in schwarzen Gewändern, schwarzen Hütchen und roten Handschuhen, die Herren, ebenfalls weiß geschminkt, in schwarzen Anzügen und Hüten und mit roten Socken unter den etwas zu kurzen Hosen (Kostümentwürfe von Cordula Stummeyer), sangen und bewegten sie sich in natürlicher, gekonnt lässiger Choreographie besonders in den folkloristisch angehauchten Szenen.
Marius Pallesen ließ in der Partie des Max keinerlei Wünsche offen. Seinen lyrisch-jugendlichen Tenor führt er in allen Lagen technisch perfekt, ist höhensicher, und auch im dramatischen Bereich klingt er ansprechend, gefühlvoll in seiner Arie „Durch die Wälder, durch die Auen“. In seiner Darstellung charakterisiert er den Max als bedrückter und verunsicherter junger Schütze, dessen Mißerfolge beim Wettstreit ihm sehr zu schaffen machen und ihn sogar zur Aggression gegenüber seiner Braut Agathe verleiten.
Als Kaspar brillierte Thomas Weinhappel mit kraftvoll eingesetztem dunklen Bariton. Bekleidet mit einem schmutzigen Ledermantel, ebensolchen Hosen und Springerstiefeln gibt er auch schauspielerisch ausdrucksstark den gefährlichen Bösewicht. Sein Trinklied vom „Irdischen Jammertal“ präsentierte er überaus wohlklingend und absolut textverständlich. Seine Arie „Schweig, damit dich niemand warnt“, hatte etwas schauerliches, und seine Todesszene mit blutverschmiertem Oberkörper geriet in diesem Rahmen überwältigend.
Ann-Kathrin Niemczyk sah schön aus als Agathe in ihren weißen Kleidern und bot einen hellen, klangvollen lyrischen Sopran von perfekter Gesangstechnik, hatte gute Momente in der Arie „Wie nahte mir der Schlummer“, doch man hätte sich von ihr etwas mehr Beseeltheit im Ausdruck und etwas weniger darstellerische Zurückhaltung gewünscht.
Quirlig dagegen wirkte Océane Paredes bei ihrem hiesigen Bühnendebüt in der Partie des Ännchen. Mit roter Perücke, geblümten Kleid und dunkler Jacke schwebte sie temperamentvoll über die Bühne, sang ihre Arie vom „Schlanken Bursch“ noch etwas glanzlos, die Höhe und die Koloraturen klangen nicht immer einwandfrei, allerdings konnte sie sich in ihrer Traumerzählung bis zu „Nero dem Kettenhund“ noch steigern.
Lukas Konieczny schritt als Eremit würdevoll von der Zuschauertribüne herab auf die Bühne und läutete in seiner kleinen Partie als Eremit mit profundem Bass das Ende der Oper ein.
Überzeugend in den weiteren kleineren Partien präsentierten sich der Charakterbariton Wolfgang Rauch als Fürst Ottokar, der Bass Sebastian Campione als Erbförster Kuno, sowie der lyrische Bariton Laurence Kalaidjian als darstellerisch intensiv agierender Bauer Kilian mit einer offensichtlichen Schwäche für die vier Brautjungfern.
Das Orchester Kammerphilharmonie Lübeck wurde geleitet von Leslie Suganandarajah, seines Zeichens Musikdirektor am Salzburger Landestheater. Er war den Solisten ein umsichtiger, einfühlsamer Begleiter, bevorzugte langsame Tempi, die Ouvertüre klang wohl aufgrund des geschlossenen Orchestergrabens noch etwas dumpf, was sich jedoch im Fortgang der Aufführung änderte und Webers durchaus farbenprächtige Komposition schließlich wunderbar zur Geltung kam. Ein paar kleinere Wackler gab es bei den Bläsern, doch insgesamt gesehen war auch die musikalische Seite des Abends erfreulich..
Die Witterung war kühler und windiger als am Vorabend bei Jesus Christ Superstar, aber der heftige Regen des Nachmittags wiederholte sich abends zum Glück nicht, und das dankbare Publikum honorierte an diesem Abend des 9. August die Leistungen aller Mitwirkenden mit lang anhaltendem Beifall.
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