Dresden, Semperoper, Sächsische Staatskapelle - Zemlinsky - Lyrische Symphonie, IOCO Kritik, 22.05.2022
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsische Staatskapelle - Christian Thielemann
- Alexander Zemlinsky - Lyrische Symphonie Opus 18 - des Unentschlossenen -
von Thomas Thielemann
Alexander Zemlinsky (1871-1942) wurde als Sohn des Schriftsteller-Journalisten Adolf von Zemlinzky (1845-1900) in Wien geboren. Seine Mutter Clara (1848-1912) geborene Semo stammte aus einer sephardischen Familie Sarajevos. Der aus der katholisch-getauften Familie nach Wien gekommene Vater verließ 1870 seiner künftigen Ehefrau zuliebe die katholische Kirche und wurde in die sephardische Gemeinde Wien aufgenommen.
Die Sepharden bilden eine Gruppe der Nachkommen der 1513 von der iberischen Halbinsel vertriebenen Juden, die ihre kulturellen Besonderheiten bis in die Neuzeit pflegen. Das Adelsprädikat hatte Adolf für vermeintliche Verdienste eines Vorfahren dem Namen zugefügt und das „z“ aus der Namensschreibung liquidiert.
Alexander Zemlinsky trat mit 13 Jahren in das Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde ein. Als seine Kompositions-Dissertation lieferte er 1890 einen Walzerzyklus für Klavier ab, der bei Breitkopf & Härtel als sein Opus 1 verlegt wurde. Die weitere Abschlussarbeit, eine Symphonie in d-Moll (Nr. 2) wurde 1892 im Konservatorium mit positiven Kritiken aufgeführt. Zemlinsky begann seine Laufbahn als Operettendirigent am Wiener Carl-Theater und Leiter des Laienorchesters „Polyhymnia“ und wechselte später an die Volksoper Wien. Weitere Stationen waren „Musikdirektor des Neuen Deutschen Theaters“ in Prag und ab 1927 die Kroll-Oper in Berlin.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ging Zemlinsky wieder nach Wien. Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 emigrierte er nach den Vereinigten Staaten, wo er 1942 an den Folgen eines Schlaganfalls starb.
Neben acht vollendeten Opern komponierte er eine Sinfonietta, Kammermusik, vor allem Lieder und als sein eventuell wichtigstes Werk, die Lyrische Symphonie op. 18. Von den weit mehr als einhundert abgeschlossenen oder begonnenen Kompositionsarbeiten Zemlinskys sind nur 27 einer Opus Zahl zugeordnet. Das lässt schon tief blicken.
Für einige seiner Orchesterwerke und Opern erhielt Zemlinsky, auch von seinem Schwager Arnold Schönberg (1874-1951), mit dem ihm seit seiner Jugend eine innige Freundschaft und Fachpartnerschaft verband, große Anerkennung. Aber Zemlinsky konnte den Übergang von der Tonalität zur Atonalität nicht beschreiten, blieb trotz der Abkehr von der traditionellen Harmonik in den Grenzenzwischen Spätromantik und Moderne verhaftet. Eine Beschäftigung mit der Zwölftontechnik schloss er konsequent aus. Ab Mitte der 1930er Jahre wurden seine Arbeiten nahezu vergessen und erst im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts erinnerte man sich seiner wieder.
In der in den Jahren 1922 und 1923 entstandenen „Lyrischen Symphonie“ ist Zemlinskys Suche nach Individualität noch spürbar. Mit der Vertonung der Gedichte von Rabindranath Tagore (1861-1941) vereinte er nicht nur unterschiedliche Stränge der Spätromantik, sondern öffnet auch den Raum für die Moderne, schuf auch Gegenstücke zu Gustav Mahlers Lied von der Erde und Schönbergs Gurre-Liedern. Für diesen Komplex von großer Symphonie und Orchesterlied setzte Zemlinsky gleichfalls zur Entwicklung eines breiten emotionsgeladenen Erzählstroms den großen spätromantischen Orchesterapparat ein.
Das Dirigat Christian Thielemanns entwickelte bei den Musikern der Sächsischen Staatskapelle ein enormes kraftvolles Spannungsfeld. Da war mit interpretatorischer Routine oder eleganter Abgeklärtheit ohnehin nichts zu machen. Es musste eine Portion wissender Neugier und solide fundierter Naivität aktiviert werden, um die innere Zusammengehörigkeit der sieben Gesänge mit ihren Vor- und Zwischenspiele zur Geltung zu bringen. Mit dem Dialog des Baritons Adrian Eröd mit der Sopranstimme von Julia Kleiter entwickelte sich eine faszinierende Geschichte von Sehnsucht, erfüllter Lieben und Abschied, dem alten romantischen Dualismus von Tag und Nacht, von Raum und Zeit, von Pflicht und Leidenschaft.
Den breit ausgeführten ersten Gesang „Ich bin friedlos“ eröffnete der Bariton Adrian Eröd mit sängerischer Souveränität und fügt sich hervorragend in die weitgespannten Passagen des Orchesters ein, hatte allerdings einige Mühe, sich gegen die Wucht des Orchesters zu behaupten.
Gnädiger hatte der Komponist bei der Orchesterbegleitung des zweiten Liedes “Mutter, der junge Prinz muss an unserer Tür vorbeikommen“ die kraftvoll auftrumpfende Julia Kleiter behandelt. Beeindruckend verstand die fein nuancierende Sopranistin, den Wechsel der Empfindungen der Frau zwischen Traum und Realität fast scherzo-artig darzubieten. Ruhiger, leidenschaftlicher kam der Bariton mit der raffinierten Harmonik und der besonderen Instrumentation des dritten Satzes „Du bist die Abendwolke“ zurecht und schuf für mich den emotionalen Höhepunkt des Zemlinsky-Opus 18.
Die Gesänge „Sprich zu mir Geliebter“, „Befrei mich von den Banden deiner Süße, Lieb“ „Vollende denn das letzte Lied“ stellen vermutlich ein autobiografisches Intermezzo dar, mit dem der Komponist eine unerfüllte Liebe zur Frau eines Prager Industriellen zu verarbeiten suchte.
Da beide Interpreten am Drama mit dieser Frau, die trotz erwiderter Zuneigung ihr Leben mit Ehemann und zwei Kindern nicht verlassen wollte, emotional nicht beteiligt sind, gelang die Darbietung der Gesänge freier und gelöster.
Den siebten Gesang „Friede, mein Herz“ gestaltete Adrian Eröd mit seinem höhensicheren Bariton und sängerischer Souveränität zum faszinierenden Abgesang. Wunderbar fließend begleite die Staatskapelle und bildete hervorragend die orchestralen Segmente der Zemlinsky´schen Eingebungen.
Christian Thielemann erwies sich als der selbstsichere und dennoch stets neugierige Beherrscher der schwer auslotbaren Partitur.
Es gab reichlich herzlichen Beifall, aber wir waren nur wenige, die stehend applaudierten. Auch sah ich in meiner Umgebung einige mürrische Gesichter.
Zum Anfang des Konzertes bot Christian Thielemann mit der Staatskapelle die „Symphonie Nr. 3 a-Moll op. 56 (Schottische)“ von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847). Bereits hier war der große gewaltige gestalterische Atem des Dirigenten zu spüren.
Die „Schottische“ wird vielfach als Mendelssohns bedeutendstes symphonisches Werk angesehen. Bei der Uraufführung im Gewandhaus zu Leipzig hatte der Komponist die „stimmungsmordenten Pausen zwischen den Sätzen“ durch nahtlose Übergänge ersetzt. Obwohl im Ursprung zur Vermeidung von Applaus gedacht, dient diese Praxis der Geschlossenheit der Interpretation, zumal die Kompaktheit der motivischen Ebene ihre Entsprechung findet.
Schon der Einsatz des Themas im ersten Satz ließ uns die Ohren auf konzentriertes Hören schalten. Der satte Klang der Streicher und das Potential der Blechbläser, verschmolzen mit atemberaubend musizierenden Holzbläsern, entwickelten den so geliebten Dresdner Klang. Dazu spielte Robert Oberaigner ein traumhaftes Klarinetten-Solo. Die differenzierte Dynamik der Tempi mit den variabel gestalteten Übergängen und der bis in das tiefste Pianissimo tragfähige Klang des Orchesters bildeten die sichere Grundlage für das fesselnde Hörerlebnis.
Für „Mendelssohn“ gab es ungeteilt frenetischen Beifall
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