Dresden, Semperoper, Sächsische Staatskapelle - Strawinsky, Debussy, IOCO Kritik, 21.06.2022
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden - 8. Kammerabend
Igor Strawinsky zum 140. Geburtstag - Claude Debussy
von Thomas Thielemann
Der 140. Geburtstag Igor Strawinskys am 17. Juni 2022 war für Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden Anlass, am 19. Juni 2022 im Rahmen eines Kammerabends zu einem schillernden Kaleidoskop des französischen Impressionismus in den Semper-Bau einzuladen.
Igor Strawinsky (1882-1971) gehört zweifelsfrei zu den letzten großen Komponisten, die noch mit einem konventionellen Verständnis alle Gattungen der Musik bedient haben. Dabei bewies er eine faszinierende Wandlungsfähigkeit, wechselte von der spätromantischen Tradition des „Feuervogels“ zum Modernistischen „des Petruschka, des Sacre“. Dem folgte das Neoklassizistische mit „Concerto in D; Symphonie in C“, um in seinem Spätwerk zwölftönig zu werden.
Das Septett für Klarinette, Horn, Fagott, Violine, Viola, Violoncello und Klavier dürfte das Schlüsselwerk in Strawinskys Schaffen gewesen sein, als er unter dem Einfluss Robert Crafts (1923-2015) vom Neoklassizismus sich der Zwölfton-Technik annäherte. Arnold Schönberg (1874-1951) war verstorben, die ideologisch aufgeheizte Auseinandersetzung der beiden Titanen konnten nicht weitergeführt werden, so dass Strawinsky seine besondere Kompostionsweise, das Beste aus der Musikhistorie geschickt zu kombinieren, ausleben konnte. Bewegte er sich im ersten Satz des Septetts noch im Neoklassizismus, setzte sich in der Folge mit ständigen Wiederholungen eine konsequente kompositorische Ökonomie durch.
Jan Seifert (Klarinette), Marie-Luise Kahle (Horn), Thomas Eberhardt (Fagott), Lukas Stepp (Violine), Uhjin Choi (Viola) sowie Norbert Anger (Violincello), aber allen voran der Pianist Johannes Wulff-Woesten, Foto links, konnten Strawinskys Vorlage beeindruckend umsetzen.
Dem Spätwerk Strawinskys aus den Jahren 1952/1953 folgten zwei spätere Kompositionen Debussys, als er erschüttert vom ersten Weltkrieg und von Krankheit gezeichnet sich den kleineren Formen widmete. Mit der Sonate für Flöte, Viola und Harfe, dieser ungewöhnlichen Kombination eines Holzblasinstruments mit einem Streich- und einem Zupfinstruments, versuchte Debussy einen Bezug zur verlorenen Welt des Barocks herzustellen.
Hervorragend ausbalanciert, sich abtastend, sich aneinander abarbeitetend, gelang es Rozálie Szabó, Wen Xiao Zheng und Johanna Schellenberger die F-Dur-Musik Debussys fast unwirklich in der Schwebe zu halten. Die drei Instrumente umgarnten sich und gaben die Stimmen weiter, so dass man kaum ausmachen konnte, woher die Klänge kamen.
Die d-Moll-Sonate aus der gleichen 1915-er Schaffensperiode Debussys, von ihm für Violoncello und Klavier konzipiert, wurde im Konzert von Anke Heyn und Johanna Schellenberger in einer Fassung für Cello und Harfe geboten.
Die beiden Vollblut-Musikerinnen boten ein bestrickendes Klangbild voller Pathos und Theatralik. Mit geradliniger Modellierung antwortete im Kopfsatz das Cello auf die kadenzartigen Vorgaben der Harfe. Besonders in den beiden Mittelsätzen schillerte schwerelose Ironie durch. Im Finale verbeugten sich die Interpreten mit selten gehörten Harfenklängen vor der Barockmusik und führten ihre Darbietung mit reicher Inspiration auf die Spannungen der Entstehungszeit des Werkes zurück.
Der zweite Teil des Konzertes führte uns zum Strawinsky der 1920er Jahre:
Kaum verwunderlich, dass das Pariser Publikum der Uraufführung des „Bläser-Oktetts“, das einen wilden ungestümen Russen erwartet hatte, den milden, nüchternen Neo-Klassizisten des Jahres 1923 nach der Uraufführung mit eisigem Schweigen bediente.
Dabei hatte der Komponist die Besetzung des Oktetts seinem Anliegen entsprechend , eine Abkehr von romantischer Ausdrucksseligkeit zu Gunsten einer objektiven Musik geändert, so dass uns Sabine Kittel (Flöte), Marie-Luise Kahle (Horn), Thomas Eberhardt und Hannes Schirlitz (beide Fagott), Anton Winterle und Christoph Reiche (beide Trompete) sowie Jonathan Nuß und Christoph Auerbach (beide Posaune) das Oktett „trocken, kühl , klar und spritzig wie Sekt“, servieren konnten.
Die vom Solo-Korrepititor des Hauses Alexander Bülow dirigierte Interpretation gefiel mit ihrer Leichtigkeit und Burschikosität. Weiche warme Klangfarben mit durchsichtigen Mitteltönen wechselten mit satirisch gefärbten Schärfen.
Das Paris des 19. Jahrhunderts war auch ein Zentrum des Musikinstrumentenbaus. Der Wettbewerb tobte insbesondere zwischen den Klavier- und Harfenbauern Érard und Pleyel. Die Firma des Klavier- und Harfenbauers Sébastian Érard (1752-1831) hatte sich bereits 1810 ein Doppelpedal für seine Harfen patentieren lassen und bot ein mit sieben zweistufig verstellbaren Pedalen ausgerüstetes Instrument mit verbesserten Klangmöglichkeiten an.
Der Chef des von Ignaz Pleyel (1757-1831) gegründeten Unternehmens Gustave Lyon (1857-1937) wollte mit einer einfacher aufgebauten Harfe mit überkreuzliegenden Saiten vergleichbare „chromatische Klangmöglichkeiten“ erreichen und damit die aufwendigen Harfen-Angebote Érards vom Markt fegen.
Die Auseinandersetzung wurde in den Medien und in den Konzertsälen geführt. So wurde Claude Debussy (1862-1918) im Jahre 1904 vom Königlichen Konservatorium Brüssel beauftragt, die „Danses pour harpe chromatique avec accompagnement d´orchestre d´instruments à cordes“ zu komponieren, um die Harfe der Firma Pleyel zu protegieren.
Im Folgejahr konnte die Firma „Klavier- und Harfenbau Érard Paris“ Maurice Ravel (1875-1937) gewinnen, seine „Introduktion et Allegro for Harp, Flute, Clarinet ans String Quartet“ mit einer Doppelpedal-Harfe im Konzertsaal vorzustellen.
Letztlich entschieden die Musiker und setzten die zwar mechanisch aufwendigere, aber präziser spielbare Doppelpedal-Variante als noch derzeit übliche Konzert-Harfe durch.
Deshalb hörten wir im 8. Kammerkonzert Debussys „Zwei Tänze für Harfe und Streicherbegleitung“ von der Solo-Harfenistin der Sächsischen Staatskapelle Johanna Schellenberger mit der Doppelpedal-Harfe sowie einem Streicher-Quintett des Orchesters dargeboten. Dem Auftrag entsprechend hatte Debussy mit der Komposition die klanglichen Möglichkeiten des Instruments voll ausgereizt und dem Solo einen besonders breiten Raum eingeräumt. Johanna Schellenberger beschritt den Weg der eingängig-melodischen Gestaltung konsequent, als sie den „Danse sacrée“ weich sowie ausdrucksvoll spielte und den „Danse profane“ recht beschwingt, mit mehr Dynamik und Klangdifferenzierung interpretierte. Die Streicher Lukas Stepp, Michael Schmid (Violine), Uhjin Choi (Viola), Michael Bosch (Violincello) und Viktor Osokin (Kontrabass) mischten sich in das musikalische Geschehen zurückhaltend ein und blieben angenehm im Hintergrund.
Die holländische Tänzerin Yasmin Verhage und der aus Argentinien stammende Tänzer Gustavo Chalub, beide im Cops de ballet engagiert, illustrierten die Kontraste der beiden Teile mit interessanten Tanzbildern. Für Teile des Publikums war das zwar der emotionale Höhepunkt des Konzertes, letztlich lenkten aber die Tänzer von der Konzentration auf Debussys Musik ab.
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