Dresden, Semperoper, SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE - 2. Saisonkonzert, IOCO
SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE: Maria Dueñas sorgte nicht nur mit ihrem Spiel für ein sinnliches Vergnügen. Auch Ihr variabler Umgang mit der Dynamik begeisterte und dass sie ständig auf die veränderliche Intonation des Orchesters Bezug nahm. Gemeinsam mit der Staatskapelle und Andrés Orozco-Estrada .....
Andrés Orozco-Estrada und Maria Dueñas im 2. Saisonkonzert der Sächsischen Staatskapelle - Edouard Lalos „Symphonie Espagnole“ und Antonin Dvořáks „Siebte Symphonie“ mit glanzvollen Interpretationen
von Thomas Thielemann
Der aus einer spanischen Offiziersdynastie stammende Komponist Édouard Lalo (1823-1892) wird der französischen Musiktradition zugerechnet. In Lille geboren, da die militärischen Glieder seiner Familie in französischen Diensten standen, lebte und arbeitete Lalo überwiegend in Paris. In seinen Kompositionen ist zwar das Streben nach Klarheit in der Form, nach Ausdrucksreichtum zu spüren und sein gediegenes Können sowie sein Erfindungsreichtum sind zu erkennen. Dennoch waren seine Werke wenig erfolgreich, so dass Lalo als Orchestermusiker und Geigenlehrer seinen Unterhalt sichern musste. Eine Initialzündung war für Èdouard Lalo, als im Jahre 1872 der spanische Geiger Pablo de Sarasate (1844-1908) sein erstes Violinkonzert in Paris zur Aufführung brachte und beide sich befreundeten. Die Begegnung mit dem Vollblut-Spanier erinnerte den 50-Jährigen, dass in seinen Adern auch spanisches Blut floß, denn immerhin konnte Lalos Mutter als geborene Wacquez ihre Herkunft über mehrere Generationen spanischer Offiziere verfolgen. Auch hatte ihn Sarasate zur Nachbesserung einiger „Hispanismen“ im Violinkonzert verleitet. Dazu kam, dass zur gleichen Zeit in Paris Bizets Oper Carmen zur Aufführung vorbereitet wurde und eine gewisse „spanische Stimmung“ die Musikwelt erfasste.
So inspiriert, komponierte Édouard Lalo in der Zeit von 1874 und 1875 jenes Werk, dass ihm einen Platz in der Musikgeschichte sicherte: seine „Symphonie espagnole d-Moll op. 21“. Das auch als sein zweites Violinkonzert benannte Stück hat mit seiner koloristisch wirkenden Harmonik, seiner graziösen Rhythmik, dem Glanz seiner Melodik, aber vor allem der äußerst anspruchsvollen, raffiniert einsetzbaren technischen Möglichkeiten der Violine die Gunst aller großen Geigenvirtuosen bis heute erhalten. Der übrigens reiche sonstige kompositorische Nachlass Lalos ist, abgesehen von seinem Cello-Konzert von 1876 im Laufe der Zeit fast gänzlich aus dem Musikleben verschwunden. Möglicherweise, weil er sein Schaffen allzu stark von der eleganten Oberflächlichkeit des Modegeschmacks der Zeit hat leiten lassen. Den Auseinandersetzungen mit den Widersprüchen und Problemen der Zeit war Lalo, im Gegensatz zu George Bizet (1838-1875) oder Hector Berlioz (1803-1869), zu Gunsten der Wünsche nach wohlanständiger Bürgerlichkeit ausgewichen.
Mit seiner „Symphonie espagnole für Violine und Orchester“ hatte Édouard Lalos eine ungewöhnlich phantasievolle Mischung aus Symphonie, Violinkonzert und iberisch-folkloristischer Stimmung geschaffen, die aus fünf Sätzen besteht. In der Matinee spielte die spanische Geigerin Maria Dueñas den Solopart. Die im Jahre 2002 in Granada geborene Solistin verbindet mit Dresden einen Studienaufenthalt als Jung-Studentin an der „Hochschule für Musik Carl Maria von Weber“ in der Zeit von 2014 bis 2016, sowie Konzertauftritte mit Herbert Blomstedt bei den Musikfestspielen. Ihr zur Seite standen die Sächsische Staatskapelle mit dem beim Orchester bestens eingeführten Gast-Dirigenten Andrés Orozco-Estrada.
Im ersten Satz, einem „Allegro non troppo“, gab es nur eine kurze Orchester-Introduktion, bevor die Solistin ohne Übergang ihre technische Perfektion zur Geltung bringen konnte und eine ordentliche Dynamik entwickeln musste. Scheinbar mühelos glitt sie durch die Oktaven und blitzsauber waren die im rasenden Tempo vorgetragenen Paradeläufe. Da saß jeder Ton bei der Intonierung des Hauptthemas. Maria Dueñas absolvierte die akrobatischen Fingerübungen, die Lalo seinen Solisten zumutete, mit beeindruckender Sicherheit und Präzision. Sie nutzte ihre technische Souveränität, um den Reichtum des Stückes mit einer Fülle von Klangschattierungen zu ergründen.
Etwas lichter und charmanter gestaltete sich der spanisch-tänzerische zweite Satz „Scherzando Allegro molto“. Ein beeindruckendes Zusammenspiel mit der fabelhaft musizierenden Staatskapelle, die die fälligen Akkordschläge präzise setzte, hatte sich entwickelt. Die Holzbläser, insbesondere die wunderbaren Klarinetten, kamen zur Wirkung.
Düster begann das „Allegro non troppo-Intermezzo“. Der Raumklang der Semperoper ermöglichte, dass sich das Spiel der wunderbaren, im Jahre 1710 in der Cremonaer Werkstatt des Antonio Stradivari (1644-1737) gefertigten Violine, über den raumgreifenden Resonanzen des Orchesters ausbreiten konnte. Das prachtvolle Instrument war vor unserer Solistin Maria Dueñas unter anderem von der Herzogin Isabella Eugenia von Camposelice, der Namensgeberin der Strad, gespielt worden war.
Wie ein Trauerzug gestaltete sich das „Andante“. Dunkle Blechbläser gaben dem Satz einen fatalistischen spanischen Charakterzug. Maria Dueñas gelang mit betörendem Vibrato eine schmerzlich elegische Stimmung und die Interpretation im Gleichgewicht zu halten.
Eine fast übermächtig drängende Wehmut ließ die Solistin mit ihrer vollen Virtuosität erst im letzten Satz aufblühen und die schwierigen Läufe einfallsreich in den Kontext des instrumentalen Gesangs einbinden. Mit derartigen Klängen und mit ihrer Gabe, die Melodien organisch aufblühen zu lassen, spielte sie sich den Konzertbesuchern direkt ins Herz. Maria Dueñas sorgte nicht nur mit ihrem Spiel für ein sinnliches Vergnügen. Auch Ihr variabler Umgang mit der Dynamik begeisterte und dass sie ständig auf die veränderliche Intonation des Orchesters Bezug nahm. Gemeinsam mit der Staatskapelle und Andrés Orozco-Estrada entfachte sie so eine spritzige Musizierlust. Die klare orchestrale Umsetzung des Dirigenten, die viele Schattierungen hervortreten ließ und klangliche Seiten des Werkes zur Geltung brachte, gehörte ohnehin zu den positivsten Eindrücken es Konzertes.
Für den reichen Beifall bedankte sich Maria Dueñas mit der furiosen Zugabe „Applemania“ von Alexey Igudesman bei ihren Konzertbesuchern.
Für den zweiten Teil des Konzertes hatten die Programmgestalter für Andrés Orozco-Estrade die d-Moll-Symphonie Nr. 7 Antonin Dvořáks (1841-1904) ausgewählt.
Den Anstoß zur Komposition der Symphonie gab zwar äußerlich das Ersuchen der Londoner Philharmonischen Gesellschaft, die ihn im Juni 1884 zum Ehrenmitglied ernannt hatte. Mit seiner siebten Symphonie schuf Dvořák ein Werk der musikalischen Expressivität und musikalischer Dichte, dass mit seinen früheren Symphonien nicht zu vergleichen ist. Üppig und reichhaltig gestaltete Dvořák eine aufregende Klangwelt, die von seinem tschechischen Erbe und seiner Bewunderung für Brahms und Beethoven geprägt war.
Dvořák verinnerlichte mit der Komposition seinen Wunsch nach einem Nationalstaat, so dass die „böhmischste“ seiner Symphonien entstand. Folglich hatte der Komponist als Ausdruck seines Patriotismus bevorzugt Volksmusik seiner Heimat verarbeitet. Den Empfindungen seines Volkes ließ der Komponist tänzerische Rhythmen mit elegischen Stimmungen wechseln. Die Tiefe und Ernsthaftigkeit des Werkes beruht aber letztlich vor allem auf der strengen Entwicklung der musikalischen Ideen und den starken Kontrasten, so dass eine Begrenzung auf eine tschechische Musiksprache unterblieben war.
Unsere letzte Begegnung mit Dvořáks „Siebter“ hatte im Sommer 2023 im Bad Kissinger Max-Littmann-Saal mit der Tschechischen Philharmonie und Petr Altrichter, link HIER!, dem Ur-böhmischsten Dirigenten, den man sich vorstellen kann, stattgefunden. Altrichter hatte naturgemäß seine Heimatverbundenheit in seiner Interpretation folkloristisch betont.
Dem sollte nun der Kontrast folgen:
Der aus Kolumbien stammende Weltbürger Andrés Orozco-Estrada nutzte hingegen seine präzise Orchesterführung und deutliche Ansprache an die Musiker der Sächsischen Staatskapelle, um die Partitur Antonin Dvořáks aus dem eingeengten volkstümlichen tschechischen Umfeld einem breiteren Publikum zugänglich umzusetzen. Kämpferisch entwickelte er aus dem düsteren Klangteppich des Beginns des „Allegro maestoso“ vor allem mit den Blechbläsern eine markante Stimmung.
Besonders im zweiten Satz, dem „Poco Adagio“ gestaltete Orozco-Estrada ausgeprägte Schattierungen und Phrasen. Er schuf individuelle Übergänge, gestaltete eine Vielfalt von Emotionen und Charakteren. Herb und melancholisch, dabei kompakt und streng wirkte das Spiel des Orchesters.
Orozco-Estradas Scherzo war erstaunlich flott, herrlich leichtfüßig und einfach aufregend dargeboten. Ein Holzbläser-Trio sorgte kurz für Entspannung, bis das gesamte Orchester den thematischen Rhythmus heraus schleuderte.,
Das Finale „Allegro alla breve-Finale“ versprühte mit einem mitreißenden Tempo in einer mit Energie geladenen Atmosphäre glutvolle Leidenschaft. Märsche und schroffe Akzente zögerten die erlösende Wendung buchstäblich bis zu den letzten Takten des Matineeabschlusses.