Dresden, Semperoper, Madama Butterfly - Giacomo Puccini, IOCO Kritik, 08.04.2022
Madama Butterfly - Giacomo Puccini
- Amon Miyamoto inszeniert - mit fernöstlicher Deutung -
von Thomas Thielemann
Das Schicksal des Teehaus-Mädchens Cho-san im japanischen Nagasaki der 1890er Jahre hatte die Missionarin Sarah Jane Correll (1835-1932) sehr berührt, so dass sie die Geschichte ihrem Bruder, dem US-amerikanischen Schriftsteller John Luther Long (1861-1927) erst in einem Brief, dann persönlich berichtete. Aus seiner Niederschrift der Begebenheit gestaltete er mit dem Dramatiker und Theaterunternehmer David Bellasco (1853-1931) für dessen Theater die einaktige Tragödie Madam Butterfly. Giacomo Puccini (1858-1924) lernte das Stück im Juni 1900 im Londoner Duke of York´s Theatre kennen und war von dem Aufeinanderprallen der fernöstlichen und amerikanischen Lebensauffassungen fasziniert. Die Rechte des Stoffes wurden gekauft und Luigi Illica mit der Abfassung eines Librettos beauftragt. Guiseppe Giacosa wurde für die Abfassung der Verse verpflichtet.
Um eine „glaubhafte japanische Färbung seiner Komposition“ zu erreichen, nutzte Puccini als Inspirationsquellen alles was japanische oder chinesische Klangfarben aufweisen konnte. Mit diesen Inspirationen schuf ereine von herrlichen Momenten erfüllte, hemmungslos romantische Musik, die in der Oper mit ihrer Schönheit auf die Brutalität der Handlung trifft. Eine aus heutiger Sicht ist das eine erstaunliche Kombination.
Deshalb sei die Frage erlaubt, ob man in der #MeToo-Ära diese Oper dem Publikum noch zumuten darf. Man darf, wenn die Regie sich ihrer Verantwortung der unangenehmen Gegensätze, so wie der japanische Gast Amon Miyamoto, Jahrgang 1958, gewachsen zeigt.
Miyamoto belässt die Handlung im Jahre 1894, als der US-amerikanische Offizier Pinkerton, damals 25-jährig, nach Nagasaki kam, um als Beobachter den japanisch-chinesischen Krieg zu begleiten. Zu Beginn der Opernhandlung kennen sich Cio-Cio-San und Pinkerton bereits; möglicherweise von ihrer Arbeit im Teehaus. Die Emotionalität des Liebesduetts zum Schluss des ersten Aktes weist zumindest auf eine außergewöhnliche Leidenschaft, eine schicksalhafte Begegnung voller transzendenter Kraft der Beiden.
Pinkerton hatte eine solche Frau noch nie getroffen, so dass nur noch der Moment zählt. Er musste diese Frau heiraten, egal was passiert, auch wenn in Amerika die Verlobte wartet.
Im Kriegseinsatz schwer verletzt, heiratet Pinkerton in den Staaten die Verlobte Kate und beide holen den Sohn aus der japanisch-amerikanischen Beziehung samt der Kinderfrau Suzuki nach Amerika. Den Suizid der Butterfly motivierte bei Miyamoto nicht ihre Verzweiflung, sondern ist Folge der Erkenntnis der jungen Japanerin, dass ihre Situation nie wieder besser werden könne. Deshalb blieb das Endziel ihres Lebens, ihrem Sohn die Chance zu erhalten, Amerikaner zu werden. Ihm drückte sie zum Abschied symbolisch ein US-Fähnchen in die Hand und ging hinter den Wandschirm und man hört den Fall des Dolches…
Doch der Pinkerton-Sohn, inzwischen erwachsen, wird in Amerika nicht glücklich. Er tut sich schwer mit seiner Identität und leidet unter der Fremdenfeindlichkeit, bis er in den 1920-er Jahren einen Abschiedsbrief seines Vaters erhält, der ihm die Geschichte der Beziehung zwischen seinen leiblichen Eltern eröffnet.
Diesen Aspekt, der über die Sichtweise der Puccini-Oper hinaus führte, stellte Amon Miyamoto in einer Rahmenhandlung zur Oper und erzählte uns seine Interpretation des Puccini-Werkes mit dem Inhalt des Briefes eines ob seiner Gewissensnot schwer depressiven Menschen. Der erwachsene Sohn Cio-Cio-Sans und Pinkertons begleitete das Operngeschehen als Betrachtender und durch Körpersprache Kommentierender.
Das Schlussbild war für mich problematisch, als die suizidierte Butterfly und der ob der Aufregungen des dritten Aktes offenbar verstorbene Anti-Held Hand in Hand „ins Licht" gehen, so als ob die eigentlich Unmöglichkeit der Geschichte eine Verklärung ermögliche. Das mag allenthalben für den Gemütszustand des nach Hause entlassenen Besuchers tunlich sein, aber entspricht nicht unseren gesellschaftlichen Moralansprüchen.
Die eindrucksvolle Bühne war von Boris Kudlicka so gestaltet worden, wie man sich die Wohnverhältnisse in Nagasaki um 1900 vorstellen könnte. Das Spiel mit gewaltigen Vorhängen prägte über weite Strecken das Geschehen auf der Bühne. Phantastische Lichteffekte, einfallsreiche Videoeffekte mit überraschenden Allegorien und fast unbemerkte kleine symbolische Randhandlungen zeigten das Können der Gestalter.
Die fantasievollen Kostüme stammten noch vom im Oktober 2020 verstorbenem Altmeister Kenzo Takada und entsprechen gleichsam unseren Vorstellungen japanischer Kleidung der Handlungszeiten.
Garanten für einen glänzenden musikalischen Abend waren die Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden, die mit dem „noch Ersten Gastdirigenten“ Omer Meir Wellber Puccinis Partitur mit zauberhaften Farben beleuchteten und den Singenden eine stabile Stütze sichern. Wellber nutzte seine Fähigkeit, melodische Linien zu entwickeln sowie mühelos zwischen Poesie und Spannung zu wechseln. Da war auch nicht eine Spur der Gefahr einer Verkitschung des Klangbildes zu erkennen.
Die Cio-Cio-San von Kristine Opolais war keine zerbrechliche Fünfzehnjährige, sondern eine wissende, starke Frau, die sich die Liebe zu Pinkerton als Schicksal erwählt hat. Sie erahnte vom Beginn, dass der Traum vom amerikanischen Eheglück fragil ist, so dass ihr Suizid die Entscheidung bleibt, ihrem Sohn die Chance auf ein Leben in Amerika zu erhalten. Mit angenehm rund geführtem Sopran entfaltete sie Kraft in der Höhe, einen unbändigen Gestaltungswillen und durchaus demonstrative Gesten.
Der warme Mezzosopran Christa Mayers, als die besorgte Suzuki, harmonierte auf das Wunderbarste mit dem Sopran der Titelheldin. Mit ihrer Zerrissenheit zwischen Treue zur Untergehenden, sowie die Erkenntnis der Ausweglosigkeit der Situation der Cio-Cio-San, trug sie wesentlich zur Verdeutlichung der Gemüts- und Stimmungslage ihrer Herrin bei. Neu, die sanfte Frau Mayer kann auch aggressiv werden!
Den B.F. Pinkerton musste und konnte Freddie De Tomaso bei Miyamotos Ausdeutung seiner Beziehung zur Cio-Cio-San sensibler darbieten, als ihm in anderen Inszenierungen möglich gewesen wäre. Ihm kam zu pass, dass seine Tenorstimme doch in den mittleren Lagen hörbar wohler und weicher aufwarten kann, als in der Höhe, so dass er sympathischer wirkte. In der väterlich angelegten Partie des amerikanische Konsul Sharpless war der Bariton Gabriele Viviani mit seiner Sorge um die jungen Leute und mit seinem Unbehagen stimmlich und darstellerisch hervorragend aufgehoben. Der Heiratsvermittler Goro von Aaron Pegram war mit seinem weltmännischen Auftreten, obwohl doch letztlich nur ein Zuhälter, eine gute Besetzung. Die übrigen Rollen waren ordentlich besetzt, blieben allerdings weitgehend unauffällig.
Den Chor, von Jonathan Becker einfallsreich, präzise vorbereitet, ließ Wellber recht ungezwungen frei singen und erreichte so gute Wirkungen.
Reichliche Ovationen für alle Beteiligten einer Inszenierung , die mit hoher Sicherheit ihren Weg im „Touristen-Repertoire“ der Semperoper finden wird
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