Dresden, Semperoper, DIE TOTE STADT - E. W. Korngold
Julius Leopold Korngold war Vater des komponierenden Wunderkindes Erich Wolfgang Korngold (1897-1957). Für das Musikgenie war diese Konstellation eher ein Fluch statt ein Segen, denn er musste sich als Gegenfigur zur musikalischen Avantgarde seiner Zeit inszenieren lassen.
Wiederaufnahme der Bösch-Inszenierung - Aktuell wie noch nie?
von Thomas Thielemann
Der renommierteste Wiener Musikkritiker der 1900-er Jahre Julius Leopold Korngold (1860-1945) war ein fanatischer und erbitterter Gegner der “Wiener Schule“ sowie aller Tendenzen der „Neuen Musik“.
Andererseits war er auch der Vater des komponierenden Wunderkindes Erich Wolfgang Korngold (1897-1957). Für das Musikgenie war diese Konstellation eher ein Fluch statt ein Segen, denn er musste sich als Gegenfigur zur musikalischen Avantgarde seiner Zeit inszenieren lassen und die Einmischung des Vaters in seine Arbeit akzeptieren. Mit einem für den gerade Zwanzigjährigen gestalteten Opernlibretto wollte Julius Korngold das Talent seines Sohnes für seinen Kampf gegen die „Atonale Götzendämmerung“ in Stellung bringen. Umso erstaunlicher ist das Ergebnis zu schätzen, welches der Opernwelt aus diesen Umständen geschenkt worden ist.
Als Sujet nutzte der im Zuge einer gedeckten Truppenführung unter dem Pseudonym „Paul Schott“ Schreibende eine Bearbeitung der Erzählung des symbolistischen Romanciers Georges Rodenbach (1855-1898) „Bruges la Morte“. Die „tote Stadt“ stand für das flämische Brügge, das einst blühende Handelsstadt, wegen der Versandung seines Hafens von der Welt abgeschnitten war und sich deshalb mit der Aufarbeitung seiner Vergangenheit beschäftigte. Julius Korngold sah das Wien der Jahre nach dem ersten Weltkrieg in vergleichbarer Lage: eine morbide Atmosphäre vermischt mit damaligen Strömungen der aufkommenden Psychoanalyse, der Traumdeutungen des Unterbewusstseins und der aus heutiger Sicht abstrusen Theorie, dass Frauen zu intellektuellen Leistungen unfähig seien.
Ob der Vater Einfluss auf die kompositorische Arbeit des Sohnes genommen hat ist nicht bekannt. Erich Wolfgang Korngold hat eine von seinem Lehrer Alexander von Zemlinsky beeinflusste, letztlich aber eigene spätromantische Musiksprache entwickelt, die aber weder Richard Wagners Chromatik noch dessen Leitmotiv-Technik verleugnete. Auch Einflüsse des Verismo der Puccini-Gruppe, als auch die Wirkung der Orchestrierungstechnik des Richard Strauss sind zu spüren. Er selbst sah sich als Vertreter der modernen Klassik.
Offenbar hatten die Korngolds einen Nerv der Zeit getroffen, denn die Partitur wurde auf Anhieb von zwei Opernhäusern für eine Uraufführung angenommen. Am gleichen Tage, dem 4. Dezember 1920, wurde Die tote Stadt im Stadttheater Hamburg sowie vom Stadttheater Köln uraufgeführt. In den folgenden Jahrzehnten wurde weltweit von achtzig unterschiedlichen Einstudierungen berichtet. Wegen der jüdischen Herkunft Korngolds verschwand das Werk im Jahre 1933 aus den deutschen, und seit 1938 aus den österreichischen Opernhäusern. Nach seiner Emigration verdingte sich Korngold in den Vereinigten Staaten von Amerika vor allem als Komponist von musikalischen Begleitungen von Hollywood-Filmen. Dabei hat er mit diesem „Broterwerb“ wesentliche Voraussetzungen zur Etablierung der symphonischen Filmmusik als inzwischen eigenständig etablierte Kunstform geschaffen.