Dresden, Semperoper, DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN - S. Prokofjew, IOCO

Die Liebe zu den drei Orangen: Wir erlebten am 7. Dezember 2024 die Oper in der Semperoper mit der Übersetzung des russischen Librettos des Autors und Dramaturgen Werner Hintze in deutscher Sprache....

Dresden, Semperoper, DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN - S. Prokofjew, IOCO
SEMPEROPER, Dresden @ Matthias Creutziger

Sergej Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ im Spannungsfeld - Evgeny Titov inszenierte mit einer glänzenden Besetzung

von Thomas Thielemann

Der Komponist und Spross einer Großgrundbesitzer-Familie Sergej Prokofjew (1891-1953) konnte mit den Ereignissen der russischen Februar- und Oktoberevolutionen nichts rechtes anfangen. Die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse und der Bürgerkrieg am Rande (U Kraina) des in Aufruhr befindlichen Russlands veranlassten ihn, das Land über Wladiwostok und Japan in Richtung USA zu verlassen. Er wollte nicht emigrieren, sondern offenbar die Beruhigung der russischen Situation im Ausland abwarten. In seinem Gepäck befand sich die erste Nummer der von dem russischen Theaterpraktiker Wsewolod Meyerhold (1874-1940) herausgegebenen Zeitschrift „Die Liebe zu den drei Orangen oder Doktor Dapertuttos Magazin“, die Meyerholds Bearbeitung aus dem Jahre 1914 von Carlo Gozzis (1720-1806) Satiremärchen „L 'amore des trois melarance“ enthielt. Die Skurrilität und das Ironische der Kritik Meyerholds am Akademischen in der Kunst sprachen den 27-jährigen Prokofjew unmittelbar an. Während er in Japan auf sein Visum für Amerika wartete, begann er den Text für ein Opernvorhaben zu entwerfen. Kaum in den Vereinigten Staaten, begeisterte er den Direktor der Chicagoer Oper Cleofante Campanini (1860-1919) für das Projekt. Gemäß einem abgeschlossenen Vertrag sollte „Die Liebe zu den drei Orangen“ im Oktober 1919 fertig gestellt sein und unmittelbar zur Aufführung kommen. Für das amerikanische Publikum erstellte Prokofjew mit der brasilianischen Sopranistin Vera Janacópulus (1892-1955) eine französische Textfassung. Durch das Versterben Campaninis und wegen finanziell geprägter Auseinandersetzungen Prokofjews mit der Interimsleitung der Chicagoer Oper verzögerte sich die Uraufführung bis nach dem Amtsantritt von Mary Garden (1874-1967) am Ende des Jahres 1921.

SEMPEROPER - Die Liebe zu den drei Orangen youtube Semperoper

Wir erlebten am 7. Dezember 2024 aber die Oper in der Semperoper mit der Übersetzung des russischen Librettos des Autors und Dramaturgen Werner Hintze in deutscher Sprache.

In der Mitte des 18. Jahrhundert gab es in Venetien ein durch die „Commedia dell ‘Arte“ geprägtes reiches Theaterleben. Oft über sechs unterschiedliche Bühnen unterhielten die Bürger Abend für Abend mit ihren meist oberflächlichen von  Improvisationen geprägten Stücken. Aber vor allem Carlo Goldoni (1707-1793) und Pietro Ghiari (1712-1785) waren bestrebt, mit niveauvolleren Formaten die „Commedia dell ‘Arte“ abzulösen. Goldoni riss Konventionen nieder, entfernte in seinen Stücken die thematisierten Figuren, erfand neue Personen, trennte sich von den Versformen und schrieb detailliert ausgearbeitete Texte. Viele Besucher erkannten sich und ihre Probleme auf der von Goldoni betreuten Bühne, so dass sich der Besucherzulauf steigerte. Ghiari hingegen führte seine Stücke in Versen auf und wollte die französische Theater-Schule in Venetien einführen.

Der konservative Aristokrat Carlo Gozzi  wollte weder die französische Schule noch das realistische Venedig auf der Bühne sehen und betrieb mit seiner Zwitterform „analisi riflexa“, eine Art Zaubertheater. Feen sowie Kobolde trieben ihr Wesen und belehrten mit kommentierenden Inhaltsangaben die Zuschauer. Mit seiner polemischen Satirefassung des Märchens „L 'amore des trois melarance“ bekämpfte er die fortschrittlicheren Theaterformen und karikierte mit der Figur der bösen Zauberin Fata Morgana die Person Goldonis. Andere Quellen vermuten Chiari hinter der Fata Morgana und Goldoni hinter dem Tschelio. Im weltoffenen Venedig fanden aber alle Theater ihr Publikum. Denn, nachdem die Theaterfreunde von Goldoni aufgeweckt worden waren, hatten viele auch Lust bei Gozzi zu lachen. Aber auch Teile der Schauspieler verteidigten die Masken und die Improvisation der traditionellen Commedia.

Die Liebe zu den drei Orangen - Szenefoto @ David Baltzer

Der kreative Wsewolod Meyerhold bediente in seiner russischen Bearbeitung von Gozzis „Die Liebe zu den drei Orangen diesen historischen Hintergrund, indem er in einem Vorspiel von verschiedenen Menschengruppen deren unterschiedliche Anforderungen an ein gelungenes Theaterstück offerieren und seine Aufführung von den Tragikern, Spöttern, Komikern, Lyrikern und Hohlköpfen auch begleiten ließ. Demokratisch diente Meyerholds Theater dem Austausch der Meinungen. In Werner Hintzes Übersetzung treten die aus dem russischen übersetzten „Tschudaki“ als Sonderlinge und nicht als Spötter auf. Kenner der russischen Sprache würden sie aber, wie bei Mussorgski (1839-1881), den „Gottesnarren“ zurechnen und damit zeitgemäßer, als Wunderlinge benennen. Die böse Zauberin Fata Morgana übernahm bei Meyerhold die zentrale Rolle in der Darstellung von Illusionen und Realitäten, verwischte mithin die Grenze zwischen magischer Täuschung und realer Gefahr. Sie stand für die dunklen und manipulativen Kräfte, die die Handlung vorangetrieben hatten. Sie schickte die Protagonisten, allen voran den Prinzen, auf die gefährliche Reise der Konfrontation mit den Wunschvorstellungen und letztlich zur Selbstfindung. Die drei Orangen symbolisierten die Suche des Prinzen nach Liebe und Glück, die oft von Hoffnungen und Täuschungen begleitet war, denn nur eine der drei Prinzessinnen überlebte das Abenteuer. Die Orangen waren ein Symbol für das Unerreichbare und die Herausforderungen, die auf dem Wege des Prinzen zur Erfüllung von Wünschen und Träumen, zu seiner Liebe lagen. Die Rettung der Ninetta mit Wasser inmitten der Wüste ist nach der Logik eine unmögliche Konstellation, war aber als „Sensation der Trivialität“ eine der wichtigsten Aspekte seines Stückes. Aus heutiger Sicht führt das Sujet damit Ideologien als Anleitung zum Handeln ad Absurdum. Dass die Warnung Tschélios, die Orangen nur am Wasser öffnen zu dürfen, in den Wind geschlagen wurde, verdeutlichte das auf das Eindringlichste. Und dass die Rettung ausgerechnet durch die „Tschudaki“ erfolgte, war eine besondere Petitesse.

In Prokofjews Libretto blieb zwar das Vorantreiben der Handlung durch die Fata Morgana mit ihrem inszenierten Unfall und die daraus folgende Verwünschung des Prinzen erhalten, eine Vertiefung ihrer Bedeutung war allenthalben durch die Musik erkennbar. Aber nicht so, wenn ein Regisseur wie Evgeny Titov ans Werk geht. Im Spannungsfeld zwischen dem reaktionär-konservativen Gozzi und dem absolut künstlerischem Freigeist Meyerholds hatte Evgeny Titov die Ebenen der Oper, den Streit um die Einflussnahme auf die Kunst, die Heilung eines Kranken mit dem Kampf positiver und negativer Kräfte um Vorrechte und Macht, durchlässig miteinander verknüpft. Jeder beeinflusste jeden. Die Vielfalt der Positionen, verbunden mit dem Surrealen und Illusorischen der Geschichte, wurde durch seine Personenführung hervorragend verdeutlicht

Die Liebe zu den drei Orangen - Szenefoto @ David Baltzer

Der zentrale Kern der Handlung war simpel: der hypochondrische Prinz lachte über das vermeintliche Unglück einer alten Frau und wurde zur „Vision einer Liebe zu drei Orangen“ verzaubert. Er und sein Begleiter Truffaldino eroberten durch eine List die drei Orangen und gelangten mit ihnen auf dem Heimweg in eine wasserlose Wüste. Die Warnungen des guten Zauberers Tschelio, die Orangen nur am Wasser zu öffnen, schlug Truffaldino in den Wind, so dass zwei der in den Orangen verzaubert gewesenen Prinzessinnen verdursten. Nur dank der „Tschudaki“ überlebte die Dritte und konnte, nach einem retardierenden Zwischenspiel, die Liebe des Prinzen erfüllen. Mit der Vielfalt der Positionen, verbunden mit dem Surrealen und Illusorischen der Geschichte, drang Titov tief in die Psyche der handelnden Figuren ein. Dabei legte er eine Vielzahl ihrer Gefühlszustände frei und gestaltete Unsichtbares sichtbar, so wie unter der Oberfläche von Personen nebeneinander eine komplexe Fülle von Emotionen und Herzlosigkeiten zu finden sind. Auch gesellschaftliche Zusammenhänge, wie die gelungene Flucht der Intriganten, waren Themen auf der Szene.

Mit faszinierenden Konstrukten hatte Wolfgang Menardi Irrealitäten der Handlung unterstützt und durch genial kombinierte einfache Stilmittel Bühnenräume geschaffen, die den Agierenden immer Platz für ihr Tun auf der Szene gaben. Unterstützt war ihre Wirkung von der kreativen Lichtgestaltung Fabio Antocis. Mit ihren phantasievollen Kostümen komplettierte die Britin Emma Ryott den Erfolg der Inszenierung.

Die Liebe zu den drei Orangen - Szenefoto @ David Baltzer

So außergewöhnlich wie die Handlung der Oper, ist auch Prokofjews Musik. Voller Ironie, rasant, witzig und direkt hatte er die Szenen zusammengesetzt. Obwohl die Oper auf einem italienischen Sujet fußte und in deutscher Sprache aufgeführt wurde, war sie voll russischer Melodien. Zugunsten großer Spannungsbögen hatte Prokofjew auf eine Einteilung in abgeschlossene Nummern verzichtet. Er hatte die Partitur stilistisch vielschichtig entsprechend den darstellerischen Ebenen gestaltet und ließ das Orchester die Texte witzig kommentieren. Schwelgerische Melodienbögen kamen ebenso vor, wie massiv instrumentierte Ensembles mit großen Orchester- und Chorbesetzungen. Prokofjew fiel sich immer wieder selbst ins Wort bzw. in den Ton und ließ eine klangliche Überraschung nach der anderen folgen.

Faszinierende Musik erschallte aus dem Orchestergraben, wo die bestens disponierte Sächsische Staatskapelle die vielen Klangfarben und Tempowechsel der Partitur perfekt meisterte. Der bei den Musikern bereits bekannte US-amerikanische Gast Erik Nielsen dirigierte mit Begeisterung, Kraft und mit angemessen abrupten Farb- und Tempowechseln. Er interpretierte die Partitur schmissig und hob die volkstümlichen Elemente besonders hervor. Geschärft wurde der Bühnenspaß durch Nielsens immer wieder präzisem Zugriff auf Prokofjews ungemütlichen und unwiderstehlichen Marsch, der die Figuren auch immer wieder in Fratzen verwandelte.

Die Liebe zu den drei Orangen - Szenefoto @ David Baltzer

Eine zentrale Rolle hatten die in fünf Gruppen, die Tragischen, die Komischen, die Lyrischen, die Sonderlichen und die Hohlköpfischen, aufgeteilten Sänger des Sächsischen Staatsopernchores. Von Jonathan Becker hervorragend vorbereitet, erfüllen alle Gruppen, immer fest im Klang und genau im Ton ihre differenzierten Aufgaben beim Vorantreiben des Geschehens. Die Chöre verliehen mit ihren Partien, Outfits und Choreografien dem Bühnengeschehen zusätzlichen Charme. Bewundernswert, welch zusätzliche schauspielerische Leistungen diese ausgebildeten Sänger dank der Choreografie des Niederländers Pim Veulings auf die Bühne brachten.

Die Sächsische Staatskapelle, Solisten und der Sächsische Staatsopernchor musizierten mit viel Engagement und, wo es angebracht war, mit einem vollen saftigen Orchesterklang. Die Sängerinnen und Sänger agierten in ihren Rollen ohne Ausnahme auf einem hohen Niveau.

Mit seiner klaren Tenorstimme bediente Mauro Peter mit berührender Naivität alle Bereiche der Wandlungen der Prinzen-Figur vom schadenfroh-hypochondrischen Weichling, dem aktivistischem Draufgänger bis zum sensiblen Liebhaber. Auf der Szene mit viel Spielwitz und einem schönen Tenor agierte Aaron Pegram als der Spaßmacher und Begleiter des Prinzen Truffaldino. Sowohl Peter als auch Pegram hielten mit ihrer häufigen Anwesenheit das Bühnengeschehen im wahrsten Sinne des Wortes zusammen und begeisterten mit erlesenem Gesang und ihrem ideenreichen Spiel. Einen selbst in den weinerlichen Situationen imposanten König Treff spielte und sang Georg Zeppenfeld mit seiner prachtvollen Stimme, wie es sich für einen Herrscher gehörte. Mit einem weichen einschmeichelnden Bariton stellte Danylo Matviienko vom Hausensemble den Ratgeber des Königs Pantalon dar. Die beiden Intriganten am Hofe Treffs, die doppelzüngige Prinzessin und Nichte des Königs Clarisse von der Gast-Mezzosopranistin Nadezhda Karyazina dargeboten, sowie der ränkevolle Premierminister Leander vom Haus-Bariton Neven Crnić gezeigt, verfolgten auch stimmlich voller Überzeugung ihre bösen Absichten. Hell und klar erklang der schöne Sopran der Jasmin Delfs vom Hausensemble in der Rolle der Ninetta. Dabei bot sie auch als Darstellerin eine äußerst anmutige Partnerin des Prinzen. Ihre Orangen-Genossinnen, die Prinzessinnen Linetta und Nicoletta, Michal Doron und Valerie Eickhoff führten als Verdurstende ein nur kurzes, aber gut ins Ensemble passendes Bühnenleben. Wie eine Königin der Nacht bestach in ihrem Haus- und Rollendebüt die Schweizer Sopranistin Flurina Stucki mit ihrer dramatisch geprägten Stimme und ihrem mitreißenden Spiel als böse Zauberin Fata Morgana. Ihren Gegenspieler, den guten, im Dienste des Königs stehenden Zauberer Tschelio, sang mit klar definiertem Bass Alexandros Stavrakakis. Besonders eindrucksvoll boten beide ein darstellerisch und vokal packendes Duell, das an Mozarts Zauberflöte erinnerte.

Die Liebe zu den drei Orangen - Szenefoto @ David Baltzer

Die im Libretto als Mezzo angelegte Partie der Smeraldina, eine schwarze Sklavin und Helferin des intriganten Leanders, verkörperte spannungsreich die auf Barbados geborene Koloratursopranistin Georgina Fürstenberg. Als Teufel Farfarello blies Tilman Rönnebeck mit beeindruckender Bass-Stimme die Orangen ins Schloss Kreonta. Dort erwies sich das imposante Auftreten und das sich überlisten Lassen der Köchin und Bewacherin der Orangen des Bassisten Taras Shtonda als wichtig für den Fortgang der Handlung. Der Tenor Gerald Hupach hatte als Zeremonienmeister nur einen kurzen Auftritt.

Bei allen Solisten waren die Anleitungen Evgeny Titovs auf fruchtbaren Boden gefallen. Kleinste Finessen der Handlung machten sie sich zunutze und ließen jede Bewegungspointe zünden. Eine Bühnenschau vom feinsten mit köstlichen Einzelszenen, fantasiereichen Kostümen, schönem Licht, mitreißender Musik, ausgezeichnetem Gesang und viel Symbolik waren geboten worden.

Der philosophische Tiefgang der Inszenierung des Regisseurs Evgeny Titov war ohne Vorbereitung auf den Besuch nicht einfach zu erfassen, so dass die Premiere für einige der Besucher zu einem Spektakel verflachte. Damit ging auch der gesellschaftliche Bezug über Strecken verloren.

Aber auch diese Besucher dürften ihre Freude an den unbeschwerten heiteren zwei Stunden Leichtigkeit gefunden haben.

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