Dresden, Semperoper, Die andere Frau - Oper zum Ursprung dreier Weltreligionen , IOCO Kritik, 24.01.2022
Die andere Frau - Uraufführung - T. Rasch, H. Krausser
- Biblisches Drama zum Ursprung von drei Weltreligionen -
von Thomas Thielemann
Die Pandemie hat uns Opernbesuchern bereits manche Flexibilität abgefordert. Deshalb waren wir auch nicht sonderlich verwundert, als wir zur Erstaufführung der Kammeroper Die andere Frau von Torsten Rasch und Helmut Krausser gebeten wurden, auf die Bühne der Semperoper zu klettern.
Auf der Hinterbühne war eine Tribüne mit etwas über 300 Sitzplätzen errichtet, auf der gemäß der in Sachsen gültigen Pandemieregeln 85 Besucher mit der Blickrichtung zum leeren Zuschauerraum Platz nahmen.
Zwischen uns und dem im Graben warteten Orchester hatte der Bühnenbildner Arne Walter als Szene einen mit unzähligen verlorenen Fußbekleidungen bedeckten Fluchtweg, irgendwo zwischen Ägypten und dem „Gelobten Land“ Kanaan aufgebaut. Das Parkett im Zuschauerraum war unbeleuchtet, während die Ränge mit von László Zsolt Bordes gestalteten Lichteffekten, die auf das Hervorragendste mit den Tücken der dreidimensionalen Flächenausleuchtung zurechtkamen, angeleuchtet waren.
Das Auftragswerk des Hauses hatte Torsten Rasch (*1965 in Dresden) gemeinsam mit dem Schriftsteller und Komponisten Helmut Krausser (*1964) aus der biblischen Dreiecksgeschichte von Abram, seiner Frau Sarai und der Sklavin-Leihmutter Hagar, einer Geschichte von einer Geschichte von Flucht, Vertreibung, Liebe und Hass, entwickelt:
The making of "Die andere Frau" mit Komponist Torsten Rasch youtube Semperoper Dresden [ Mit erweitertem Datenschutz eingebettet ]
Abram, mit dem vermeintlich göttlichen Auftrag eine Dynastie zu begründen, war mit Sarai ins „gelobte Land“ Kanaan geflohen. Aber Sarai, nach dem Missbrauch durch ägyptische Männer sowie ob ihres fortgeschrittenen Alters unfruchtbar, konnte Abram den zur Dynastie-Gründung erforderlichen männlichen Nachkommen nicht schenken. Deshalb schlug sie Abram vor, mit der jungen Sklavin Hagar einen Nachkommen zu zeugen. Abram, stolz, ein auserwählter Gottes zu sein, zwang die Sklavin, sich ihm hinzugeben und seinen Nachkommen auszutragen. Hagars Schwangerschaft führte aber bei Sarai zu einer Eifersucht, die Hagar um ihr Leben fürchten lässt. Sie flieht in die Wüste, wird jedoch von einem Engel zur Rückkehr bewegt.
Sarai, in ihrer Stellung als Ehefrau bedroht, plant, die Nebenfrau Hagar, sobald ihre Aufgabe als Leihmutter und Amme von Abrams Erstgeborenen Ismael erfüllt sei, weg zu jagen.
Drei Engel, als zufällige Gäste in Abrams Haus, verheißen Sarai eine baldige Schwangerschaft. In diesem Zusammenhang erfolgt erstmals die Erhöhung Abrams zu Abraham = "Vater der Vielen" [Völker]. Als Sarais Schwangerschaft tatsächlich eintritt, fordert sie von Abraham, Hagar umzubringen.
Abram, nicht in der Lage, den Konflikt zwischen den beiden Frauen zu lösen, schenkt der Sklavin die Freiheit und schickt sie mit Ismael regelrecht in das Ungewisse. Hagar erkennt Abrahams feige Entscheidung und geht mit ihrem Sohn in die Wüste.
Von Abraham aber forderte Gott, dass er ihm den von Sarai geborenen Sohn Isaak opfern solle. Als Abraham dem Befehl folgen wollte, beendete Gott das grausame Spiel und machte beide Söhne Abrahams zu Gründungsfiguren zweier Weltreligionen: über die Nachfahren Isaaks definiert das Judentum Abraham zum Stammvater ihres Glaubens. Das Christentum reklamiert seinen Anteil an der biblischen Überlieferung, indem es im Neuen Testament den Stammbaum Jesu von Nazareth über Isaak auf Abraham zurückführt. Im Koran gilt der Sohn Hagars Ismael als der Gesandte Gottes, als Religionsstifter der Araber. Ein Stiefbruder-Verhältnis, das bis in unsere Zeit nachwirkt. Die Konkurrenz der beiden Frauen symbolisiert über ihre Söhne die Differenzen der Weltreligionen, obwohl alle drei Religionen in Abraham ihren gemeinsamen Ursprung sehen.
Das Libretto Helmut Kraussers legt für uns die menschlichen Verwerfungen hinter der biblischen Geschichte frei, indem er die Agierenden wie heutige Menschen denken lässt. Damit machen Torsten Rasch und Helmut Krausser das Unmenschliche der Geschichte erfahrbar, ohne ihren Sinn infrage zu stellen.
In der Musik Torsten Raschs begleiten Motive bestimmte Ereignisse und werden die Charaktere der Hauptfiguren betont. So wurden Abram und Sarai ständig wechselnde Taktarten, die dem Sprachrhythmus folgen, zugeordnet. Sarais Wechsel zwischen Wut und Reue wird durch die Instrumentierung zum Ausdruck gebracht. Hagars Musik ist lyrischer, fließender, Streicher-betont und bestimmte so deren Gefühlswelt.
Die Musiker der Sächsischen Staatskapelle bewältigen mit der Musikalischen Leitung des Chefdirigenten der Oper Halle Michael Wendeberg die anspruchsvolle Partitur mit der gewohnten Präzision und Klangfülle. Johannes Wulff-Woesten hatte sich am Rande des Bühnenaufbaus aufgebaut und sicherte von dort dank einer optischen Verbindung zum Graben die Einsätze auf der Szene.
Der Rhythmus, der Wechsel der Farben der Rang-Anstrahlungen war der Musik zugeordnet und ergänzten das akustische Erleben durch zusätzliche optische Eindrücke.
Die Inszenierung hatte Immo Karaman gemeinsam mit Teresa Reiber spannend, abwechslungsreich und minimalistisch gestaltet. Beklemmend schleppten sich mehrfach wechselnde Flüchtlingsgruppen über die Bühne. Die wenigen Requisiten wurden von den Vertriebenen mit auf den Schauplatz gebracht, abgelegt und, wenn nicht mehr benötigt, auch von einer folgenden Gruppe aufgenommen. So konnten sich die Agierenden auf ihr Singen und ihre Körpersprache konzentrieren.
Die durchaus zwielichtige Rolle des Abram (später: Abraham = Vater der Vielen [Völker]) hatte Marko Marquardt, Foto unten, übernommen. Er repräsentierte zwar den Stammvater der Dynastie, hatte aber seine junge Frau ägyptischen Männern preisgegeben, um sein Leben zu retten. Auch zeugte sein Verhalten im Konflikt zwischen den Müttern seiner Söhne nicht unbedingt von Souveränität.
Von der Last einer religiösen Bedeutung befreit, war schon beklemmend, wie Abram mit der archaischen Sprache der Bibel über Sarais Kinderlosigkeit spricht und wie er Hagar mit der Brutalität der biblischen Zeit als Objekt behandelte. Dabei versteckt er sich bei Bedarf immer wieder, wenn auch etwas unsicher, hinter seinem vorgeblichen „göttlichen Auftrag“. Mit welcher Nonchalance er seine Nebenfrau Hagar und seinen Erstgeborenen mit „Alles ist gut. Alles ist gut“ in die Wüste entsorgte, dem Verderben preisgab, war schon bemerkenswert.
Markus Marquardt (*1960), seit der Saison 2000 dem Ensemble der Semperoper verbunden, setzte in der Inszenierung seinen reifen Bassbariton und seine darstellerischen Fähigkeiten für die fordernde Charakterstudie auf das Erstaunlichste ein.
Für die Sarai (später: Sara = Erzmutter) war, nachdem bereits seit dem Frühjahr 2020 an der Inszenierung gearbeitet wurde, die polnisch-österreichische Sopranistin Magdalena Anna Hofmann erst recht spät nach Dresden gekommen. Mit perfektem Gesang und intensivem Spiel verstand sie es, die differente Gefühlswelt, die aufkommende Eifersucht und die emotionalen Mängel ihrer Bühnenfigur glaubhaft zu machen. Als die Nachricht von der Zerstörung von Sodom und Gomorra mit den Nöten der Neffen-Familie Lots ins Geschehen einfloss, unterdrückte sie jede Reaktion der Betroffenheit.
Auch die Mezzosopranistin Stephanie Atanasov (*1983 in Wien) ist erst spät in die Vorbereitungen der Uraufführung einbezogen worden. Stimmlich hervorragend, gestaltete sie eindrucksvoll die Entwicklung der Hagar von der unterwürfigen Sklavin zur Leihmutter und Abrams Geliebten. Ihre Darstellung der Wandlung Hagars nach der aufgrund einer Intervention eines Engels abgebrochenen Flucht zur selbstbewussten Beschützerin ihres Sohnes Ismael und Verteidigerin der eigenen Person, war schon bewegend.
Der Einsatz des Countertenors Philipp Mathmann, des aus Tirol stammenden Tenors Philipp Meraner und des aus Russland ins Junge Semperoper-Ensembles gekommenen Ilya Silchuk als die Gäste des Hause Abrams kann nur als Luxusbesetzungen dieser kleinen Szenen bezeichnet werden. Ob der mit ihrem grandiosen Gesang ausgesprochenen Verheißung einer baldigen Mutterschaft Saras, erschien aber die Körpersprache der auftretenden Engel etwas befremdlich.
Zu einer Besonderheit der Inszenierung wurden die aufwühlenden Auftritte der „Augenzeugin“ Sussan Deyhim. Die 1958 in Teheran geborene Sängerin, Komponistin und Performancekünstlerin sang aus der Mitte des leeren Parketts Texte der über viertausend Jahre alten sumerischen „Klagen über die Zerstörung der Stadt Ur“ in der Originalsprache und erreichte mit ihrer dunklen Stimme sowie einer Chor- und Hallunterstützung frappierende Wirkungen.
Die Statisterie und die von André Kellinghaus überragend sorgfältig vorbereiteten Chöre von Laiensängern des Sinfoniechores Dresden und des Extrachores der Semperoper, waren wesentlich am Gesamteindruck der Aufführung beteiligt.
Der recht klägliche Schluss-Applaus der fünfundachtzig Besucher im nahezu schalltoten Raum der Hinterbühne, war nach der Dramatik des Erlebten eigentlich deplatziert. Die Bravo-Rufe waren von den Masken ohnehin verschluckt und zum „Stehenden Applaus“ konnte sich gerade die Hälfte der Begeisterten aufraffen.
Auch wenn ich mich wiederhole: in der Entwicklungsrichtung dieser erlebten Aufführung sehe ich eine Zukunft für das von uns so geliebte Opernleben.
Die andere Frau an der Semperoper; die weiteren Termine 22.1.; 30.1.; 2.2.; 9.2.2022
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