Dresden, Semperoper, DANIELE GATTI Antritt - Schönberg und Mahler, IOCO

DANIELE GATTI : Nachdem Daniele Gatti am 3. April 2024 in der Jahres-Pressekonferenz das erste Programm für 2024/2025 seines Engagements bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden vorgestellt hatte ...

Dresden, Semperoper, DANIELE GATTI  Antritt - Schönberg und Mahler, IOCO
Dresden, Semperoper @ Matthias Creutziger

Amtsantritt Daniele Gattis als Chefdirigent in Dresden - Daniele Gatti dirigiert im 1. Symphoniekonzert Schönberg und Mahler

von Thomas Thielemann

Nachdem Daniele Gatti am 3. April 2024 in der Jahres-Pressekonferenz das erste Programm für 2024/2025 seines Engagements bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden vorgestellt hatte, wollte ich ihn beim anschließenden Empfang eigentlich fragen, warum er die Planung seiner schlüssigen Mahler-Spielfolge der zwölf Symphoniekonzerte ausgerechnet Arnold Schönbergs Streichorchester-Fassung der „Verklärten Nacht“ voranstellt. Immerhin leitet er mit dem Beginn seiner Chefdirigenten-Zeit für die Staatskapelle eine neue Ära ein. Leider musste Daniele Gatti nach einem halben Glas Sekt zum Flughafen aufbrechen, so dass das Konzert am 31. August 2024 meine Frage beantworten musste.

Im Zeitbereich um seinen 25. Geburtstag befand sich Arnold Schönberg (1874-1951) mit dem Geschwisterpaar Mathilde und Alexander Zemlinski auf einem Ferienaufenthalt im niederösterreichischen Payerbach. Während Alexander Zemlinski (1871-1942) die Fertigkeiten des Autodidakten Schönberg in der Kompositionslehre komplettierte, baute das künstlerische Naturtalent Arnold eine Beziehung zu Zemlinskis Schwester Mathilde (1877-1923) auf. Fasziniert von den Gedichten Richard Dehmels (1863-1920), die Friedrich Nietzsches Herrenmoral mit Liebe und Sexualität sowie sozialistischen Ideen verbanden, ließ sich Schönberg von der „Verklärten Nacht“ aus der Sammlung „Weib und Welt“ anregen, in dieser Umgebung sein Streichsextett op. 4 zu komponieren. Das einsätzige Werk ist, wie das Gedicht, programmatisch in fünf Abschnitte geteilt und folgt dessen Handlung: ein Paar geht im Mondschein durch einen „kahlen Hain“ und die Frau gesteht dem Partner, dass sie aus einer früheren, gescheiterten Beziehung, schwanger sei. Entgegen ihrer Erwartung, anerkennt der Mann das Kind, als das seine. Es sei voller Licht und sein Strahlen werde alles durchdringen, und voller Hoffnung: „o sieh, wie klar das Weltall schimmert“.

DANIELE GATTI @ Oliver Killig

Für Schönberg war mit dem Streichsextett das Sujet noch nicht abgearbeitet: im Oktober 1901 hatten Arnold und Mathilde geheiratet. Finanzielle Schwierigkeiten nebst Arnolds Sorglosigkeit in Geldangelegenheiten und Mathildes eingeschränkter Gesundheitszustand, sie litt an Anämie sowie an Depressionen, gestalteten die Ehe problematisch. Nachdem sich das Paar mit dem hochbegabten Maler Richard Gerstl (1883-1908) u. a. über einen Malunterricht befreundet hatte, betrieb Mathilde eine Beziehung mit dem jüngeren Mann. Obwohl Schönberg das Paar in flagranti erwischte, blieben die Eheleute wegen der Kinder zwar zusammen, der Komponist war aber tief gekränkt. Möglicherweise die gedankliche Nähe der „Verklärten Nacht“ zu Richard Wagners „Tristan und Isolde“ veranlasste Schönberg, im Jahre 1917 eine Fassung für Streichorchester zu erstellen. Diese Fassung, die mit einer Verstärkung der Celli sowie einer zusätzlichen Stimme für Kontrabass aufwartete, revidierte Schönberg im Jahre 1943 zu seinem inzwischen häufigst gespielten Werk. Faszinierend an den Bearbeitungen ist, dass die Orchestrierungen den Rausch und die Tondichtung zwar deutlich ausgeweitet hatten, der Zerbrechlichkeit des Opus vier Schönbergs letztlich keinen Verlust zufügten.

Die wunderbaren Geigen- und Celli-Soli sicherten die sensible Wirkung der Fassung. Der Umstand, dass die „Verklärte Nacht“ in der Fassung von 1943 die Tonalität nicht verlassen hat und über die Expressivität der Linie der Hochromantik verfügt, verschafften dem Dirigenten viele Möglichkeiten: legt man eher Gewicht auf satten, spätromantischen Klang und Wärme oder reduziert er sich auf das Wesentliche? Daniele Gatti versuchte nicht, seine Hörer mit Klangrausch zu betören oder die Exzentrizität der Partitur herauszukehren. Vielmehr brachte er die berührende Geschichte von Ausbruch und Verzeihung wie eine musikalische Erzählung zu Gehör. Die Klage der Frau wurde so eindringlich musiziert, dass man den Eindruck gewann, dass die Geschichte Dehmels mit all ihren Themen und Motiven instrumental umgesetzt worden war. In den Antworten des Mannes erklang die aufgebrachte Grundmelodie der Klage in besänftigter Form und es gelang mit der Verschränkung beider Themen die Umarmung des Paares zum Klingen zu bringen, so dass das Hauptthema seinen Schmerz verloren hatte. Verblüffend in Gattis Interpretation war die Kombination von klanglicher Wärme und Präzision. Das Orchester bewies mit hoher Konzentration und Genauigkeit Freude am Geschehen. Die Kapelle nutzte aber auch mit ihrem Spiel alle Chancen. Vom Beginn an spielen die Violinen in den vordergründigen Melodien ihren bekannt singenden Dresdner Klang aus und gaben so den weicheren Teilen des Werkes mehr Gefälligkeit. Gleichzeitig sicherten die Bässe mit ihrem Wohlklang eine starke Basis. In den lebhafteren Phasen der Komposition sicherte das Spiel der Musiker eine klare Stimmentrennung. Die Stimmführer der ersten Geigen Thomas Meining und der Bratschen Sebastian Herberg sicherten grandios die Wirkung ihrer Einzelmelodien. Den zweiten Teil der „verklärten Nacht“ mit ihren symphonischen Gestaltungen lieferten die Musiker bevorzugt in erzählender Weise.

Gelassen leitete Gatti das Orchester, gab aber durchaus eindringliche Anweisungen. Fein abgestuft waren die Verzögerungen und Beschleunigungen, so wie sich die Stimme erhöhte und senkte. Die Musiker nutzten die großen Bögen weit und eindrucksvoll hin zu einem langgezogenen Schluss mit seinen beeindruckenden Akzenten.

Nach meinem Empfinden war es eine gefühlswarme, stimmungsvolle, durchaus romantische, aber keinesfalls sentimentale Interpretation, die letztlich alle Fragen zur Programmgestaltung beantwortete.

Gustav Mahler in Hamburg @ IOCO

Er war kein Jungspund mehr, als der 26-jährige Gustav Mahler (1860-1911) mit seiner beim Kurorchester von Bad Hall sowie in den Theater- und Opernhäusern von Laibach bis Prag erworbenen Dirigiererfahrung am Beginn der Opernsaison 1886 als ehrgeiziger Orchesterleiter an das berühmte Leipziger Stadttheater gekommen war. Aber Mahlers Freude über die Bestellung blieb begrenzt, denn der im Jahre 1878 vom Chorleiter zum Chefdirigenten des Orchesters aufgestiegene Artur Nikisch (1855-1922) bestimmte das Geschehen am Haus. Auch dass Nikisch angeblich Leipzig verlassen wolle, wie der Generalintendant und Pächter der Leipziger Theater Max Steagemann (1843-1905) Mahler bei der Anwerbung angekündigt hatte, stimmte nicht. Mahler konnte sich zwar an dem renommierten Haus ein breites Repertoire erarbeiten, durfte aber Aufführungen der ersten, außerhalb Bayreuths erfolgten Inszenierung des Angelo Neumann (1838-1910) von Wagners Ring des Nibelungen“ erst dirigieren, als Nikisch erkrankt war. Da half selbst die freundschaftliche Unterstützung des Generalintendanten wenig. Denn Mahler hatte auch Probleme mit den Musikern des Orchesters. Nicht nur seine intensive Probentätigkeit evozierte Ärger. Vor allem sei es sein Umgangston in den Proben gewesen, dass er Proben willkürlich ansetzte und dass er den Theaterbetrieb nach seiner „Lust und Laune“ gestalte, erregte Unmut.

Sächsische Staatskapelle mit Daniele Gatti @ Oliver Killig

Wahrscheinlich im Frühjahr 1887 bat die Ehefrau des Reserve-Hauptmanns und Schriftstellers Carl von Weber Marion Mathilde (1856-1931) den Herrn Mahler, die in ihrem Besitz befindlichen Skizzen der Oper des berühmten Carl Maria von Weber (1786-1826) „Die drei Pintos“ zu vervollständigen. Mahler, der die Gattin des Komponisten-Enkels sehr verehrte, nutzte den Sommer zur Rekonstruktion der Partitur-Skizzen des Großvaters. Er stellte unter Nutzung einer von Carl und Mathilde verfassten Textversion des Librettos einen Plan für die drei Akte auf und komplettiere mit Themen und Motiven, vor allem aus dem Nachlass Carl Maria von Webers, die gesamte Oper. Nur sieben musikalische Nummern stammten noch aus der Zeit um 1824 von der Hand des ursprünglichen Schöpfers der „drei Pintos“. Gustav Mahler war vom Erfolg seiner Rekonstruktion der Oper derart überrascht, dass er , so vermutet man, frühere Ansätze einer größeren Komposition wieder aufnahm und in einem Schaffensrausch, auch beflügelt von der Liebe, im Frühjahr 1888 seine „Symphonische Dichtung in zwei Teilen“ mit fünf Sätzen für großes Orchester komponierte und damit etwas völlig neues kreierte.

War es die Erkenntnis, dass zwei Alpha-Tiere gleichzeitig am Leipziger Opernbetrieb nicht funktionieren konnten, oder hatte doch Carl von Weber eine rasche Vertragsauflösung ermöglicht? Am Ende der Spielzeit 1888 verließ Mahler nach nur 22 Monaten die Messestadt und nahm ein Engagement in Budapest an. Dort brachte er die „Symphonische Dichtung“ im Folgejahr zur Aufführung. Dass die Fachkritik und das Publikum das ungewöhnliche Werk kühl und etwas verständnislos aufnahmen, sollten wir den Budapestern nicht verübeln, denn letztlich gelang der Musik Gustav Mahlers der breite Durchbruch auf unseren Konzertpodien auch erst in den 1960-er Jahren.

Der Weg zur „1. Symphonie D-Dur“ wie wir sie hören durften und die hartnäckig mit „Titan“ nach Jean Pauls (1763-1825) gleichnamigem Roman betitelt bleibt, führte über die Extrahierung des ursprünglichen zweiten Satzes, der „Blumine“ nach Pauls Essaysammlung, sowie mit mehreren Änderungen Mahlers aus dessen Proben-Teilnahmen. Vor allem war eine Wiederholung der Exposition des ersten Satzes hinzugefügt worden. Auch seine ursprünglichen Erläuterungen zur Musik hat der Komponist entsorgt und die Bezugnahme auf Jean Pauls Kardinal- und Kapitalroman“ war ohnehin vom Beginn an fraglich gewesen.

Mit seiner ersten Mahler-Interpretation als Chefdirigent überraschte Daniele Gatti, wie intensiv er bereits mit den Musikern des Orchesters übereinstimmte. Die groß angelegten Strukturen und die feineren Details der Mahler-Symphonie bewältigte der Dirigent, indem er die Musiker der Sächsischen Staatskapelle mit einer gekonnten Mischung aus Präzision und Flexibilität führte. Thematische Entwicklungen und emotionale Spannungen waren sorgfältig und transparent herausgearbeitet. Selbst das schwierige Finale konnte Gatti zu einem Höhe- und Zielpunkt des Konzertabends gestalten, indem er das Grelle, Überdrehte auch Parodistische mit gemessenen Tempi spielen ließ und damit dem Abend eine grandiose Wirkung verschaffte.

Ein gelungener Auftakt Daniele Gattis Dresdner Chefdirigenten-Engagements.

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