Dresden, Semperoper, BENVENUTO CELLINI - Hector Berlioz, IOCO
BENVENUTO CELLINI in Dresden: Tatsächlich hat der Herzog Cosimi I. deʼ Medici (1519-1574) im Jahre 1545 dem multitalentierten Goldschmied und Bildhauer Benvenuto Cellini (1500-1571) den Auftrag erteilt, eine Statue des „Perseus
Benvenuto Cellini - Barbora Horáková inszeniert Hector Berlioz Gechichtsklitterung
von Thomas Thielemann
Das kann eigentlich nur die Oper: den Entstehungsprozess eines Kunstwerks von neun Jahren auf zweieinhalb Tage reduzieren, den Vorgang von Florenz nach Rom transformieren und daraus eine beeindruckende Karnevals- und Liebesgeschichte gestalten.
Denn tatsächlich hat der Herzog Cosimi I. deʼ Medici (1519-1574) im Jahre 1545 dem multitalentierten Goldschmied und Bildhauer Benvenuto Cellini (1500-1571) den Auftrag erteilt, eine Statue des „Perseus mit dem Haupte der Medea“ so zu schaffen, wie sich der Herzog in seiner Eingebildetheit selbst sah.
Bei aller seiner Genialität sehen wir in unserer moralisch aufgeladenen Zeit die Person Benvenuto Cellini mit seiner moralischen Verworfenheit deutlich differenzierter, als in der Oper charakterisiert. Er galt als jähzornig, gewalttätig, rauflustig und geschäftlich-politisch durchtrieben. Seine Gestaltung der Perseus-Skulptur zeigt deutlich Spuren seiner brutalen Gesinnung und Mordlust. Er war an mindestens drei Tötungsdelikten aktiv beteiligt, von denen einige den Tatbestand eines Mordes erfüllten. Seine sexuellen Vorlieben überstiegen selbst alles, was inzwischen gesellschaftlich normalisiert ist und umfasste durchaus auch Erniedrigungen von Sexualpartnern. Die Protegierung durch drei Päpste und durch Französische Könige verhinderte selbst nach einem Todesurteil stets eine ernsthafte Bestrafung Cellinis.
Als Logistik-Talent wollte Cellini die Ausführung aller Fertigungsstufen in eigener Regie ausführen. Er zügelte sein überschäumendes Temperament sowie seine kriminelle Energie, schränkte seine politischen Ambitionen ein und kanalisierte seine Talente auf die Figurengruppe des „Perseus mit dem Medusenhaupt“. Zunächst ließ er einen Gewölbe-Wannen-Schmelzofen für eine zeitbedingte Fichten- bzw. Eichenholz-Befeuerung bauen und erlernte das Wachsausschmelz-Gießverfahren. Auch erprobte er vorab die Ofenfunktionen und das Erlernte an den kleineren Figuren, die für den Sockel des Standbildes vorgesehen waren und fertigte im Juni 1548 den kopflosen Medusa-Körper ehe er sich dem 320 Zentimeter-hohem „Perseus mit dem blutendem Medusen-Haupt“ widmete. Um ein eisernes Skelett wurde aus mit organischen Stoffen, wie Pferdemist, Kälberhaaren oder Knochenmehl aufgelockertem Ton ein der Figur entsprechender Kern gefertigt und gebrannt. Auf diesen Kern trug Cellini im Atelier aus Wachs das Volumen der späteren Bronze-Figur auf. Dazu stand ihm vermutlich der etwa 17-jährige Fernando di Giovanni di Montepulciani über Wochen Modell. Diese Anordnung wurde in eine Grube vor dem Mundloch des Ofens auf einen Rost gesetzt und mit Röhren für den Fluss des Gießgutes sowie dem Abzug der Luft bzw. der Gießgase versehen. Diese Zusammenstellung erhielt mit jeweiligen Zwischen-Trocknungen mehrere dünne Schichten eines Lehm-Ton-Holzkohle-Anstrichs. Mit Bändern und Draht gesichert, ließ Cellini das Ganze mit einer Mauer einfassen und den Zwischenraum mit Erden auffüllen. Unter dem Rost wurde ein Feuer entfacht mit dessen Wärme das Wachs schmelzen und ausfließen konnte.
Für eine Beschreibung der Dramatik beim Gießprozess im Dezember 1849, die auch den dritten Akt der Oper bestimmte, wäre ein kleiner Exkurs in mein früheres Fachgebiet zweckmäßig. Weil nämlich zwar reines Kupfer bei 1083 Grad Celsius schmilzt bzw. erstarrt, gibt es bei Bronzen mit einem Zusatz von zehn Prozent Zinn ein sogenanntes Erstarrungsintervall. Bereits ab 1010 Grad beginnt die Erstarrung des überhitzten Metalls. Das Gießgut wird mit abnehmender Temperatur teigiger und zäher, ist aber erst unter 830 Grad tatsächlich fest. Erhöht man aber den Zinngehalt in der Schmelze, so verschieben sich beide Zustands-Punkte zu tieferen Temperaturen und der Intervallbereich zwischen Fest- und Flüssigtemperatur wird größer. An der Grenze dieser Eingriffsmöglichkeit, der Zinngehalt von 13,5 Prozent, sind die Liquidus-Temperatur auf 975 Grad und die Solidus-Temperatur auf 789 Grad abgesenkt. Damit ist aber auch der Temperatur-Bereich des zäh-teigigen Zustands des Metalls von 140 auf 186 Kelvin ausgeweitet, was die Möglichkeiten des Gießers erweitert. Da Cellini diese Zusammenhänge inhaltlich kannte, konnte er bei den Problemen des Gießvorgangs im Dezember 1549 richtig reagieren: ein stürmischer Regen trieb nämlich Wasser in die offene Werkstatt bis zum Schmelzofen, kühlte ihn herunter und gefährdete das Ofen-Gewölbe.
Das, sowie die gegenüber früheren Gießgängen höhere Metallmenge, brachte mit der größeren Belastung des Ofens Risse im Gewölbe-Mauerwerk, so dass sich das Dach der Werkstatt entzündete. Das Schmelzbad wurde teigig. Der von den Vorbereitungen erschöpfte, sich zur Ruhe gelegte Cellini wurde aktiv, organisierte umgehend die Feuerlöschung und dichtete mit Brettern, Tüchern sowie Teppichen die Hallenöffnung ab. Dazu beschaffte er trockenes Eichenholz aus der Nachbarschaft. Vor allem setzte er die in der Werkstatt noch vorhandenen 60 Pfund Zinn der Schmelze zu. Zur guten Vorsicht ließ er aus seinem Hausrat alle Zinnteller und Zinngefäße herbei schaffen und zum Teil in den Ofen einbringen. Als das Ofengewölbe drohte einzustürzen, befahl Cellini den Mundloch-Zapfen wegzuschlagen und dem Gießgut den Weg zur Form zu öffnen. Helfer hielten die noch verbliebenen Zinngeräte in der Zufluss-Rinne in den Metallstrom und verbesserten mit dem abschmelzenden Hausrat die Fließfähigkeit der Bronze noch weiter.
Nach zwei Tagen Abkühlungszeit, die vor allem dem Abbau von Eigenspannungen im Gußkörper dienten, wurde die Außenform abgeschlagen und das Gußteil als gelungen beurteilt. Nach Cellinis Aussagen, habe es eine „Ungänze“ am rechten Vorderfuß des Perseus gegeben, was Reparaturarbeiten, also Zusatzaufwand erfordere. Immerhin wurden für die Reinigung und Oberflächenbehandlung des Gußkörpers fast vier Jahre benötigt. Moderne Untersuchungen der Skulptur konnten allerdings keinerlei Nachbesserungsspuren am rechten Vorderfuß der Skulptur nachweisen, so dass man dem Schlitzohr Cellini finanzielle Hintergründe seiner „Feststellung“ unterstellen kann. Er wollte einfach mehr Geld.
Hatten die Librettisten Léon de Wailly (1804-1864) und Auguste Barbier (1805-1882) aus der überzogenen Selbstdarstellung eines introvertierten Herzogs einen Repräsentationsauftrag des Papstes gemacht, das Geschehen um die Entstehung der Perseus-Statue zeitlich gestrafft sowie örtlich von Florenz nach Rom verschoben, vor allem aber den Charakter Benvenuto Cellininis mehr als nur geglättet, so war doch damit der Inszenierung der Barbora Horáková jede Gestaltungsfreiheitgegeben, die Opernhandlung weiter zu öffnen. Als dann die Librettisten noch Kupferlegierungen mit Eisenwerkstoffen durcheinander warfen, konnte Barbora Horáková jeden Bezug zu einem reellen Umfeld fallen lassen. Rasant und turbulent trieb sie das Bühnengeschehen durch den Raum und die Zeit. Die Karnevalssituation erlaubte ihr ein üppiges Kaleidoskop der Spanne zwischen Renaissance und Jetztzeit aufzubauen. Provokationen gesellschaftlicher Umstände waren einzubauen ohne dass deshalb ein gestraffter Ablauf von Nöten gewesen wäre. Auch viel Symbolik war im Spiel, wenn zum Beispiel der Papst im goldenen Käfig auf die Bühne gerollt wird. Ein Kiosk, in dem man mit Bitcoins zahlen konnte, so man hat. Die Anspielungen an die künstliche Intelligenz und Robotertechnik in Gestalt des Gehilfen Cellinis Ascanio hatten ihre besondere Bedeutung. Auch das Gießerei-Schlussbild wollte sagen, dass die Industriegesellschaft noch ihre Bedeutung hat und dass die Breite der Gesellschaft neben und nicht unter den Eliten steht.
Mit der Gestaltung ausladender Tableaus bewies Frau Horáková ihr hohes Können der Personenführung, die selbst in den Massenszenen jedem Einzelnen Profil verschaffte, hatte aber zur Folge, dass der Klamauk entscheidende Momente der Handlung untergehen ließ: die Verfolgung von Cellinis Mord an Pompeo, seine Flucht und Fieramoscas Verhaftung erforderten schon besondere Aufmerksamkeit.
Das die Oper in der Karnevalszeit angesiedelt ist, war der Eva Butzkies eine Steilvorlage für die Kostümopulenz und ihrer Freude am Detail, was einen Renaissance-Prunk jeder Art zuließ.
Die Bühnenbauten von der Aida Leonor Guardia wurden von einer futuristisch anmutenden Riesenskulptur bestimmt, die in zwei Teile gepalten im Raum bewegt wurde, aber auch als Büro-Container der Gießerei Dienst verrichtete.
Währenddessen liefen über den Rundhorizont die gekonnten Video-Installationen Sergio Verdes, die nahezu eine Parallelhandlung aufbauten. Mit etwas Wohlwollen gegenüber der Regie konnte man Barbora Horáková zugestehen, dass sie aus der Statue ein Symbol für Hoffnungen in der Krise gestalten wollte. Dass die Aufführung für auch den irritierten Besucher ein Gewinn war, ließ sich in musikalischer Hinsicht eindeutig positiv beantworten.
Das Feuer der spektakulären Aufführung wurde vor allem im Orchestergraben gelegt. Der Dirigent Giampaolo Bisanti schlug mit der Staatskapelle Funken aus der temperamentvollen und witzigen Instrumentierung Berliozʼ.
Bereits in der Ouvertüre inszenierte er die schlauen Übergänge, genauso geschickt wie die Brüche, die Berlioz zwischen den Tonfällen eingebaut hatte und gab mit ausgefeilter Dynamik, differenzierten Tempi und klanglicher Präzision einen veritablen Auftakt. Das Spitzenorchester Staatskapelle Dresden konnte unter der Leitung Giampaolo Bisantis Farben und Glanz entfalten und obendrein mit Durchhörbarkeit punkten, dass es nur so eine Pracht war. Großartig war, wie das Orchester die oft rasanten Tempi durchzog und das Fehlen der großen Melodienbögen kompensierte. Wie ein Bildhauer arbeitete Bisanti die intrikate Rhythmik der Partitur heraus. Eine Unzahl von Soli, darunter auch der seltene Kontrabass waren zu hören. Eine perfekt ausbalancierte Stimmgewichtung zwischen den fast ohne Vibrato spielenden Streichern und Bläsern sicherte einen Oberton lastigen weichen, klaren und überaus transparenten Klang. Verbunden mit einem fein abgestimmten Dynamikspektrum, unterstütze das regelrecht umspülend die Sänger.
Großartig, wie der Bewegungschor sein enormes Pensum mit viel Klang und Konzentration im durch mehrstimmige Fugen geordneten Chaos bravourös bewältigte. Das in den rhythmisch oft höllisch schwierigen Karnevalsszenen gelang ohne die Intonation oder den Kontakt zum Orchester zu verlieren. André Kellinghaus hatte den Chor wahre Wunder an vokalem Witz mit durchschlagskräftiger Präsenz vollbringen lassen und mit der Choreographie von Juanjo Arqués zu eminenter Wirkung gestaltet.
Sein ungewöhnliches vokales Personal hatte Berlioz musikalisch höchst effektvoll porträtiert: mit der intimem Tonsprache des Paares, in den Auseinandersetzungen der Chorszenen und dem salbungsvollem Pathos der päpstlichen Entourage, die auch mal ins Lächerliche kippte.
Stimmlich souverän, höhensicher charmant meisterte der russische Sängerdarsteller Anton Rositzkiy die anspruchsvolle Titelpartie des Cellini mit einem gut gelagertem Tenor und nie nachlassender Kraft. Die mörderischen Höhenstrapazen der exponierten Spitzentöne nahm Rositzkiy nicht als tenoralen Kraftakt, sondern mit viel französischem Flair. Anton Rositzkiy war ein sympathischer Cellini mit Ausstrahlung, der mit seiner Geliebten tändelnde Schnellsingparcours absolvierte, um dann gleich mit intelligenter Phrasierung auf wundervolle Lyrismen umzustellen. Seine Kavatine im dritten Akt hatte mich aus persönlichem Erleben besonders berührt.
Tuuli Takala war mit ihrem runden ansprechenden Sopran sowohl stimmlich als auch darstellerisch eine einnehmende und feurige Teresa. Ihre Koloratur in der Cavatine des ersten Aktes war außergewöhnlich sauber und locker gesungen. Mit ihrer strahlenden lyrischen Stimme war sie in den Liebesduetten die ideale Partnerin Cellinis. Auch im Gebet mit dem Ascanio der Ṧtĕpánka Pučálková harmonierten ihre zarten glockenreinen Spitzentöne auf das Wunderbarste mit deren Stimme.
Mit der Hominiden/Roboter Ausformung des Gesellen Ascanio war die temperamentvolle stimmlich höchst eindringliche Ṧtĕpánka Pučálková der ideale Beschützer Teresas. Sprühend vital, mit jungenhaftem Charme und biegsamen, warm timbriertem Mezzo bestimmte sie über Strecken die Bühne.
Mit Neid, schleimig und Intrigantem im Timbre bewegte sich der zu kurz gekommener Liebhaber zwischen Humoreske und Tragik als Fieramosca der Bariton Jérôme Boutillier. Kein Wunder, dass der Bildhauer vom alten Schlag bei Teresa abblitzte. Sängerisch markant und souverän, erwies er sich mit seiner voluminösen Stimme als ein komödiantisches Talent. Als sein treuer, sich letztlich beim Mordanschlag opfernder Pompeo agierte Matthias Henneberg mit sanftem Bariton.
Genüsslich karikierte Ante Jerkunica den erzkonservativen päpstlichen Schatzmeister, dem die Tochter auf der Nase herumtanzte. Polternd mit seinem profunden Bass und mit einer gehörigen Portion Selbstironie agierte er mit affektierter Tollpatschigkeit.
Tilman Rönnebeck wirkte als Papst Clemens VII. als die bestimmende Ordnungsmacht, wenn er die Amnestie Cellinis verkündete: “Die, welche in ihrem Beruf einzigartig sind, müssen nicht dem Gesetz unterworfen sein.“ Als Gegengewicht der Karikatur des Schatzmeisters setzte Rönnebeck seine gesamte vokale Würde ein.
Mit der Verkörperung des geschäftstüchtigen Wirts des Kiosk-Restaurants hat mit seiner Stimme, seiner komödiantischen Begabung und Umtriebigkeit der Haustenor Jürgen Müller seine Bestimmung gefunden.
Ansprechend auch die Auftritte der Cellini unterstützenden Gießereiarbeiter Francesco von Aaron Pegram und Bernandino von Vladyslav Buyalskiy sowie der Offizier der Päpstlichen Garde Anton Beliaev.
Ein imposanter Saisonabschluss der Semperoper 2023/2024 mittels einer Komödie mit Tiefgang, die in ihrer Perfektion von Orchester, Chor und Ensemble in ihrem Klangzauber die Leistungsfähigkeit des Hauses verdeutlichte.
In den Schlussbeifall hinein verabschiedete Peter Theiler den Kammersänger Matthias Henneberg, der nach über vierzig Jahren Hauszugehörigkeit seine letzte Vorstellung in der Semperoper absolvierte.
Aber auch für Peter Theiler war der Benvenuto-Cellini-Nachmittag seiner Lieblingsoper die letzte Vorstellung, die er nach fünf erfolgreichen und prägenden Spielzeiten als Intendant der Semperoper zu verantworten hatte.