Dresden, Semperoper, ATTILA - Giuseppe Verdi, IOCO Kritik, 05.02.2023
ATTILA - Giuseppe Verdi
- Die Hunnen - konzertant - in der Semperoper -
von Thomas Thielemann
Die Historiker haben sich mit einer personellen Übereinstimmung des historisch belegten Attila (395 bis 406-453) mit dem legendären König Etzel der Nibelungen-Sage stets etwas schwer getan. Mit „Etzel gehe auf Attila zurück“ hilft man sich, die Unsicherheiten der Quellen, und die dort beschriebenen massiven Charakterunterschiede beider Personen zu überbrücken, auch wenn Sprachforscher mit Lautverschiebungen die Identität beider Namen, zu belegen behaupten.
Der aus Königsberg stammende und auch in seinem Privatleben ungeniert agierende Verfasser zahlreicher mystisch-religiöser Dramen historischer Stoffe Friedrich Ludwig Zacharias Werner (1768-1823) setzte sich über derartige Bedenken hinweg. Unter dem Eindruck des Berliner Einmarsches des Kaisers Napoleon Bonaparte (1769-1821) im Oktober 1806 schrieb er sein lyrisches Drama Attila, König der Hunnen.
Der Freimaurer Zacharias Werner hatte Vorlesungen bei Immanuel Kant (1724-1804) besucht, pflegte Umgang mit Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) und war als „Erfinders des Schicksals-Dramas“ einer der am häufigsten gespielten Autoren. Auch in Ludwig van Beethovens (1770-1827) Notizheften finden sich Zitate aus Werners Bühnenwerken „Die Söhne des Thales“ und „die Templer auf Zypern“ sowie Hinweise, dass er über die Verwendung eines Stoffes des Königsbergers für eine Oper nachgedacht hatte.
Freizügig verknüpfte Werner für sein Bühnenstück Attila, König der Hunnen das historische Geschehen des Jahres 452, als „die Geisel Gottes“ Attila nach der Brandschatzung der Stadt Aquileja mit ihren Truppen auf Rom marschierte und vom Papst Leo I. (um 400-461), wahrscheinlich gegen Zahlung eines hohen Geldbetrages, zur Umkehr gebracht worden war, mit Überlieferungen der Nibelungensage. Denn in der Legende errang die burgundische Prinzessin Hildegunde König Etzels Vertrauen, um ihren erschlagenen Vater sowie ihren hingerichteten Geliebten rächen zu können.
Nach dem mäßigen Erfolg seiner Oper Alzira im Jahre 1845, einem Voltair-Stoff über die Kolonisierung Perus durch die Spanier, wollte Guiseppe Verdi (1815-1901) unbedingt an den Erfolg des Nabucco von 1842 anknüpfen und hoffte auf die Zugkraft der Attila-Intention Werners.
Verdi beauftragte den Librettisten seines Nabucco-Erfolges Temistocle Solero (1815-1878) ihm aus Werners Vorlage einen Operntext zu gestalten. Obwohl Werner mit den im Bühnenwerk eingebauten antiken Chören bereits Wirksamkeiten vorgegeben hatte, gelang es Solero nicht, Verdi mit seinem Entwurf zufrieden zu stellen.
Ungeachtet, dass Guiseppe Verdi den Opern-Regisseur und Textdichter des Venediger Opernhauses La Fenice Francesco Maria Piave (1810-1876) oft etwas „von oben“ behandelte, schätzte er an ihm, dass er seine Ideen und Wünsche ohne Nachfragen oder Widersprüche hervorragend umsetzte. Deshalb ließ er Piave den Solera-Text seinen Vorstellungen anpassen.
Premiere am 4.2.2023: Für jene, die die Oper nicht kennen, hier zum Handlungsverlauf:
Im Kriegszug des Heeres des Hunnenkönig Attilas in der Region Friaul-Julisch Venetien erobert die „Geißel Gottes“ die Stadt Aquileia, brandschatze, metzelte nieder was ihr in die Quere kam und erschlug das Oberhaupt der Stadt. Dessen Tochter Odabella stellt sich mit einer Gruppe mutiger Frauen Attila entgegen. Vom Heroismus der jungen Frau überwältigt, verliebte sich Attila in Odabellaund wirbt um ihre Hand.
Entschlossen, die Welt von der „Geißel Gottes“ zu befreien, riskiert Odabella das Misstrauen ihres Angelobten Foresto, und willigt in eine Heirat ein. Bevor es zur Vermählung kommt, gelingt es Odabella an Attila mit seinem Schwert ihre Rache zu vollziehen.
Zum retardierenden Moment der Handlung wird, dass Odabella die Rache an Attila selbst vollziehen möchte und deshalb die parallelen Bestrebungen eines Giftattentats ihres Geliebten Foresto gemeinsam mit dem römischen General Ezio unterbinden muss. Damit wurde der Folgerichtigkeit der Handlung einige logische Unschärfen zufügt.
Historisch ist belegt, dass Attila im Jahre 453 in der Brautnacht mit der schönen Germanenfürsten-Tochter des Namens Ildico an einem Blutsturz erstickt sei. Der Überlieferung nach, hat der Nibelungen-Etzel eine Zweitfrau namens Ildico gehabt.
Mit der Flucht der Einwohner Aquileias in die Lagunenwälder im zweiten Bild des Prologs und mit dem Befehl Florestos „Jeder baue sich ein Haus“, wird auf die Ursprünge des späteren Venedig Bezug genommen.
Das von Verdi akzeptierte Libretto enthielt große wirkungsvolle Chorszenen und Ensembles. Von der Giftmischerei bis zum Tod des Bösewichts durch die Hand einer Frau war alles beinhaltet, was zur Entwicklung grandioser Opernmusik notwendig gewesen wäre. In der mitreißenden Theatermusik fehlen aber wirkliche Ohrwürmer und die Arien wirken spröder. Die Figuren sind wenig charakterisiert, wobei sich der Verdacht einschleicht, dass die Musik, der Odabella eine größere erotische Anziehung zu Attila als ihrem Geliebten Foresto gegenüber, zuspricht. Trotz dieser Einschränkungen bildet Attila für Verdi den Übergang von überkommener librettistischer Stilistik zu neuen faszinierenden dramatischen Formen.
Die konzertante Aufführung ermöglichte den Besuchern, ihre Aufmerksamkeit auf die Gestaltung der Musik und die Texte zu lenken, da die Singenden, der Chor sowie das Orchester in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt waren. Die Auslegungen einer Inszenierung, Bühnenaufbau und Kostüme lenkten nicht ab. Gesungen wurde in italienischer Sprache, so dass sich der wenig vorbereitete Besucher mit den Übertiteln recht und schlecht behelfen musste.
Von den Sängern verlangt die Oper die Befähigung sowohl Akzentuierungen als auch und Differenzierungen zu setzen, um Verdis psychologische Brüche, seine moralischen Vorbehalte gegenüber den Figuren, plausibel gestalten zu können.
Attila wird von Georg Zeppenfeld weder als strahlender Held, noch als besonders komplizierter Charakter oder als ausgesprochener Bösewicht gesungen. Da ist uns der Sänger durch die inzwischen unzähligen Bühnenbegegnungen viel zu nahe. So gestaltete er den vermeintlichen Brutalo mit einer faszinierenden Mischung von Vitalität, Eleganz und erstaunlich viel Sensibilität in seiner prachtvollen Stimme.
Deshalb entsteht die Irritation, dass die Odabella der Anna Smirnova ihm erotisch nicht unterliegt und ihren Racheplan durchficht. Mit brillanten Spitzentönen, flexiblen Koloraturen, feinen Pianolinien und mit farbigen Tönen in den schwierigen tiefen Lagen begeisterte die aus Moskau stammende Sopranistin. Kraftvoll-dramatisch eröffnete sie ihren Auftritt mit dem „Santo di patria indefinito amor!“, demonstriert, wer hier das Sagen hatte.
Der aus Polen stammende Andrzej Dobber bemüht seinen prachtvollen Bariton für ein besonders stimmschönes Rollenportrait des römischen Generals Ezio. Denn Ezio ist auch der Unterhändler Roms, somit ein Diplomat. Wenn ich bei Zacharias Werner nachlese, ist er eine Kombination des griechischen Gesandten Heracelsius und des Bischofs Leo, konnte somit auch intrigieren und einen Mord einfädeln. Das machte Dobber dann recht überzeugend.
Den Liebhaber der Odabella Foresto sang der kroatische Tenor Tomislav Mužek mit einer individuell-frei entfalteten angenehm timbrierten Stimme und entwickelte damit schöne, eindrucksvolle Momente. Eine Entwicklung zum Kämpfer und Führer hatte ihm Verdis Partitur aber versagt.
Mit seiner kleineren Partie des Bretonischen Attila-Adjutanten gefiel der repräsentable Tenor Timothy Oliver in seiner Aufgabe als Stichwort-Geber. Einen wirkungsvollen Eindruck hinterließ hingegen Tilmann Rönnebeck, als er mit markantem Bass aus der rechten Proszeniums-Loge die Mahnung des Bischofs von Rom, des Papstes Leo I. intonierte.
Für die Musiker der Sächsischen Staatskapelle war die Verdi-Partitur etwas ungewohnt Neues. Trotzdem glänzten die Profis mit ihrem komplexen farbenreichen Schönklang in der gewohnten Weise.
Mit federndem Schwung und beeindruckender Flexibilität hielt der Spanier Jordi Bernàcer Chor, Solisten und das im Graben postierte Orchester straff zusammen. Damit führte er jene Musikwissenschaftler, die Attila als schwerfälligen, lauten Beitrag zur italienischen Einigungsbewegung abqualifizieren, ad absurdum.
Für die Besucher der gut ausgelasteten ersten, von drei geplanten Aufführungen, war der Abend eine interessante Komplettierung ihrer Musikerfahrung.