Dresden, Semperoper, 7. SYMPHONIEKONZERT SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE, IOCO

Dresden, Semperoper, 7. SYMPHONIEKONZERT SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE, IOCO
Semperoper Dresden copyright Matthias Creutziger

2. März 2025           

Eindrucksvoller Gustav-Mahler-Klang mit Daniele Gatti, Sara Blanch und Christian Gerhaher

Seinen Zeitgenossen war Gustav Mahler (1860-1911) vor allem als Dirigent von seltener Gestaltungsgabe, Werktreue, und Erkenntnisstärke bekannt. Viele Stunden seiner eigentlich kostbaren Zeit verschwendete er, insbesondere in den Jahren von 1897 bis 1907 als Direktor der Wiener Hofoper, für logistische Tätigkeiten und zur Abwehr von Intrigen.

Bereits mit sechs Jahren komponierte Gustav auf eine Bitte seiner Mutter eine Polka, die er mit einem Trauermarsch eingeleitet hatte. Mit langen Auflistungen sind ab dieser Zeit alle bekannten Informationen über Mahlers kompositorische Bemühungen bis zum Jahre 1880 dokumentiert worden. Viele seiner oft als Freizeitbeschäftigung entstandenen Tonstücke, Entwürfe und Skizzen waren von Mahler selbst vernichtet worden oder sind verloren gegangen. Einiges, was er des Aufhebens würdig erachtete, hatte Mahler der Gattin des Weber-Enkels Marion von Weber (1856-1931), mit der ihm in der Leipziger  Zeit eine leidenschaftliche Affäre verband, übergeben. Zeitgenossen berichteten, dass Marion die überlassenen Manuskripte auf das Sorgfältigste verwaltete und gelegentlich auch Einsichten gewährte. Dieses in der Musikwissenschaft als „Dresdner Archiv“ bezeichnete Material ist nach dem Tode der Freifrau von Weber nie wieder aufgetaucht und ist vermutlich ein Opfer des Feuersturms des 13. Februar 1945 geworden.

Vermutlich in der Leipziger Bibliothek der Familie von Weber entdeckte Mahler im Frühjahr 1887 die Gedichtsammlung der Freunde Achim von Arnim und Clemens Brentano „Des Knaben Wunderhorn“. Von der Breite der behandelten Themen, der Reichhaltigkeit der Sprache der Verse und der Intensität der Gefühlswelt der Gedichte war Mahler derart beeindruckt, dass er die Sammlung in den folgenden zwölf Jahren in sein kompositorisches Schaffen einbezogen hat. Zunächst schrieb er für die drei Kinder der Marion von Weber das Wunderhorn-Lied „Um schlimme Kinder artig zu machen“. Eigentlich war das Lied für die Kinder denkbar ungeeignet, denn es war eher eine Persiflage auf das Geschlechterverhältnis, als ein Erziehungsthema.

Bis zum Jahre 1891 folgten weitere Vertonungen von „Wunderhorn-Liedern“ für Singstimme und das Klavier. Um die musikalische Ausdruckskraft und die emotionale Tiefe der Texte stärker zu betonen und die Stimmungen der Lieder intensiver zu vermitteln, gestaltete Mahler weitere Vertonungen in den folgenden Jahren als Orchesterfassungen. Offensichtlich wollte er auch eine Brücke zwischen dem Volkslied und der symphonischen Musik bauen, um einen größeren Hörerkreis auch diese Musikform zu erschließen.

Im ersten Teil des Konzertes sang der Bariton Christian Gerhaher jene Wunderhorn-Lieder-Vertonungen Mahlers, die von Menschen handelten, die sonst wenig Beachtung in der Musik finden: verurteilte Deserteure, vom Krieg getrennte Paare, Gefangene und verwundete Soldaten sowie verhungerte Kinder. Jenen Menschen, denen vor Mahler im Konzertsaal selten eine Stimme gegeben worden war, sollte ein Votum zu teil werden. Jedes der Lieder verfügt über einen einzigartigen und individuellen Charakter der Besetzung des Orchesters, denn die Liederreihe war nicht als Zyklus entstanden. Mahler schuf seine Wunderhorn-Lieder ziemlich spontan und aus Stimmungen heraus. Die Ausgewogenheit und Transparenz der Instrumentierungen gaben dem prachtvollen Bariton Christian Gerhaher und dem sensiblen Dirigenten Daniele Gatti die Möglichkeit, jedem der Stücke eine individuelle Wirkung zu verschaffen.

Mit den Paukenschlägen der Introduktion von „Der Schildwache Nachtlied“ wurden die Hörer unmittelbar in die Welt der einsamen Wachsoldaten regelrecht einbezogen und von Gerhahers Bariton für die Liedreihe geradezu belebt.

Wie eine profanen „Erlkönig-Aufführung“ hatten Daniele Gatti und Christian Gerhaher die Tragödie des um Brot bettelnden Kindes inszeniert. Vom ersten Ton des Vorspiels war der dramatische Ausgang des Liedes zu spüren und der Sänger wurde zu einem Kommentator des Orchestergeschehens.

Im „Lied des Verfolgten im Turm“ wurden die Emotionen und die Verzweiflung des isolierten Gefangenen mit seinen kraftvollen Ausbrüchen und der inneren Spannung eindrucksvoll dargeboten. Die Dualität von Gedankenfreiheit und der Hoffnungen auf Liebe mit den Gegebenheiten war ein Meisterstück der Interpreten.

Im „Wo die schönen Trompeten blasen“ waren ein Liebeslied mit dem Bekenntnis eines Kriegsbegeisterten verwoben und entsprechend differenziert vom Sänger sowie Orchester kommentiert. Folglich war das „Revelge“, der Weckruf, als ein groteskes Spottlied auf jede Kriegsbegeisterung gestaltet und dürfte nach Zeitzeugen auch die Denkweise Gustav Mahlers widerspiegeln.

Den Abschluss der Liederreihe bildende „Der Tambourg'sell“, die in erhabener Form der Verzweiflung vorgetragene Klage des Deserteurs, der Angesicht des Galgens seine Hinrichtung erwartete. Im Hinblick auf die Entstehung der Komposition am verpatzten Urlaubsbeginn des Jahres 1899 dürfte es sich sogar um ein Selbstportrait Mahlers handeln, hatte sich der Komponist selbst in der Rolle des Delinquenten gefühlt.

Für mich eine Sternenstunde der Mahler-Interpretation.

Nach dem drastischen Abschluss des ersten Konzertteils waren wir Daniele Gatti für seine versöhnende Auslegung der zugänglicheren „Vierten Symphonie G-Dur“ dankbar. Für seine vierte Symphonie hatte Mahler ursprünglich eine Art Inhaltsangabe für sechs Sätze erarbeitet. Mit der eigentlichen Arbeit an der Symphonie begann er nach einer Reihe unglücklicher Zwischenfälle am Beginn seines Sommerurlaubs im Juli 1899 unter zunächst wenig günstigen Umständen. Das Wetter im Kurort Aussee im Salzkammergut war kalt und nass. Die gemietete Villa befand sich in Hörweite der örtlichen Kurkapelle, so dass er sich durch Lesen ablenken musste. Die Komposition der Orchesterlieder „Der Tambourg'sell“ und „Revelge“ dürften diese Phase beendet haben. Denn wie aus dem Nichts flogen ihm plötzlich die musikalischen Ideen zu und Innerhalb weniger Tage nahm auch die vierte Symphonie in seinen Vorstellungen eine reale Gestalt an. Je näher das Ende des Urlaubs kam, umso fruchtbarer wurde seine musikalische Erfindungsgabe. Fast panisch, notierte er alle Ideen in seinem Skizzenbuch und deponierte es in einem Schubfach seines Wiener Schreibtischs, ohne die Entwürfe bis zum Sommer des Folgejahres auch nur anzuschauen.

Dank der schlechten Erfahrungen des Vorjahres, begannen die Mahlers im Jahre 1900 in Maiernigg, einem kleinen Dorf am Nordrand des Wörthersees, mit der Errichtung eines von Wald umgebenen eigenen Urlaubsdomizils. Hier wollte Gustav Mahler in Ruhe komponieren. Aber wieder kam er völlig erschöpft von der Arbeit sowie den Intrigen an der Wiener Hofoper am Urlaubsort an und verfiel in einen Zustand völliger Untätigkeit. Doch irgendwann nahm er sich die Skizzen des Vorjahres wieder vor und war selbst über das bereits Geschaffene verwundert. Innerhalb von reichlichen drei Wochen vollendete er die drei Sätze und beschloss, dass eigentlich Alles gesagt sei. Er werde seinen Zeitgenossen ein kürzeres, zugänglicheres Werk bieten und auf die Sätze vier und fünf verzichten. Wie ursprünglich geplant, komplettierte er die Symphonie mit dem bereit 1892 komponierten Wunderhorn-Lied „Das himmlische Leben“, einer naiven Schilderung eines Kindes, wie es im Himmel so zugehen möge.

Daniele Gatti und die Musiker der Sächsischen Staatskapelle boten uns das Werk als eine Kombination aus irdischer Leichtigkeit und spiritueller Entrücktheit. Gatti ließ hinter der Schönheit und Innigkeit durchaus auch das Sarkastische der Symphonie durchblicken. Im zweiten Satz hat sich Mahler von Arnold Böcklins (1827-1901) „Selbstportrait mit dem auf der Geige spielendem Tod“ inspirieren lassen. Das kurze Anspielen der Solovioline der Konzertmeisterin Yuki Manuela Janke am Beginn dieses Scherzos, oft als das Aufspielen des Todes gedeutet, war fast zu schön anzuhören. Das bittersüße Herzstück der Symphonie, der dritte Satz, war vom sanften Streicherklang in schönster Form der Weltabgewandtheit mit Spannung und höchster Konzentration ohne Anflug von Larmoyanz gespielt. Alles erklang im natürlichen Fluss. Nichts war überzeichnet.

Für die Gestaltung des Finalsatzes hatte sich die spanische Sängerin Sara Blanch für eine unsentimentale Prägung des ursprünglichen bayerischen Volksliedes „Das himmlische Leben“ entschieden und betonte die ernste Fröhlichkeit des Liedes. Mit ihrem glanzvollen Sopran und ausdrucksvollen Gesang erzählte sie, wie sich ein Kind das Leben im Jenseitigen vorzustellen habe.

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