Dresden, Semperoper, 4. Symphoniekonzert - Sächsische Staatskapelle, IOCO Kritik, 13.11.2022
Sächsische Staatskapelle - Tugan Sokhiev - Julia Fischer
- Einspringerkonzert - Interpretation von Beethoven und Brahms -
von Thomas Thielemann
Eigentlich wollten die Musiker der Sächsischen Staatskapelle mit ihrem Chefdirigenten Christian Thielemann und der Geigerin Julia Fischer in der Matinee des 4. Symphoniekonzertes am 13. November 2022 dem 175. Jahrestag des Versterbens des großen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy als „königlich Sächsischer Hofkapellmeister“ gedenken.
Aber, Maestro Thielemann hatte sich in den vergangenen Wochen “andernorts derart ins Zeug gelegt“, dass er aus gesundheitlichen Gründen die Dirigate des vierten Saisonkonzerts anderen Kapellmeistern übertragen musste. Einer Erklärung würdig wäre gewesen, warum der eingesprungene, gelegentlich als „Allzweckwaffe“ bezeichnete Kaukasier Tugan Sokhiev eine so robuste Programmänderung vorgenommen oder akzeptiert hatte.
Für Julia Fischer war das Konzert der Auftakt ihrer Wirkung als Capell-Virtuosin der Sächsischen Staatskapelle der Saison 2022/23. Julia Fischer ist zwar seit 2012 mehrfach Gastsolistin des Orchesters gewesen, will aber mit neun gemeinsamen Veranstaltungen in der Spielzeit 2022/23 ihre besondere Verbundenheit mit den „Dresdnern“ zum Ausdruck bringen.
Vor allem erscheint ihr die Staatskapelle als ein besonderer Partner, wenn sie die Vielfältigkeit ihres Könnens demonstrieren möchte. Deshalb hätten wir auch gern die Solo-Pianistin Julia Fischer im Konzertkalender gehabt.
Das „Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61“ von Ludwig van Beethoven (1770-1827) bot uns Julia Fischer in einer musikalisch äußerst feinfühligen Interpretation mit einer berückenden Klangfülle und Melodieführung. Julia Fischer spielte präzise und äußerst notengerecht. Sie gestaltet, wo Ausdruck geboten ist, die Musik in geschwungenen Bögen und setzte, wo Virtuosität angesagt, ihre außergewöhnlichen technischen Fertigkeiten für ein brillantes Feuerwerk ein, als ob es für sie keine technischen Grenzen gäbe. Nie wirkte ihr Spiel aufgesetzt oder vom Orchester isoliert.
Tugan Sokhiev formte die Orchesterphrasen deutlich und schlank, begleitete mit der Staatskapelle achtsam Fischers Solo, gab dem solistischen Vortrag einen angemessenen Rahmen. Er ließ die Soli einzelner Orchestergruppen prägnant und ebenso deutlich erklingen wie die Artikulationen der Solistin und konnte damit das Spiel der Partner beeindruckend zusammenschmelzen. Bereits im Kopfsatz war zu spüren, dass hier Musizierende miteinander können. Doch mit dem Larghetto und dem finalen Rondo sowie der exaltiert ausgespielten Kadenz wurde uns bewusst, welchen Glanzpunkt wir erleben durften.
Als Zugabe spielte Julia Fischer die Caprice no. 13 von Nicolai Paganini.
Im zweiten Konzertteil dirigierte Tugan Sokhiev die „erste Symphonie c-Moll op. 68“ von Johannes Brahms (1833-1897). Mit großer Selbstverständlichkeit ließ Sokhiev die Musik sich entwickeln, nichts Beliebiges oder Vordergründiges trübte die Freude am Hören. Die fließenden Tempoübergänge wirkten durchdacht, die Wahl der Tempi blieb bei aller Freizügigkeit gelassen und ruhig.Die prägnanten Paukenschläge vom Solopauker des Orchesters Thomas Käppler gestalteten den Beginn des Kopfsatzes zur regelrechten Schicksalsklage.
Offen, unverstellt-vorandrängend mit jugendlicher Energie und Frische wurde das Adagio-Allegro in bester Brahmsscher Tradition geboten. Das Andante sostenuto wurde mit einer erstaunlich flexibel-schlanken Interpretation gespielt, der jeder Hang zur Monumentalität abging. Besonders beeindruckten das leuchtende Oboen- und Klarinettenspiel.
Die von Brahms im dritten Satz angestrebte Bündelung der Energie wurde von Tugan Sokhiev höchst-diszipliniert umgesetzt, indem er sein Temperament zügelte, das Orchester zunächst zurück nahm, um im Satzverlauf die Energie umso prachtvoller zu entfalten und damit zum freudigen Finale überzuleiten.
Das wunderbare rhythmisch-markante Zusammenspiel der Streicher in der Kombination mit den intensiven Soli der Bläser im Finale entwickelte Sokhiev derart einheitlich, dass man einzelne Gruppen aus dem Klangkomplex kaum noch heraushören konnte.
Das Publikum in der auf den letzten Platz ausverkauften Semperoper, im Mittelrang waren sogar noch zusätzliche Stühle aufgestellt, dankte mit heftigen, lang andauernden Ovationen.
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