Dresden, Semperoper, 8. SYMPHONIEKONZERT, Sächsischen Staatskapelle, IOCO
Konzert 23. März 2025
Joshua Weilerstein und Emanuel Ax mit Werken von Gideon Klein, Ludwig van Beethoven und Antonin Dvořák
Eigentlich wollte uns der Ehrendirigent des Orchesters Herbert Blomstedt im 8.Symphoniekonzert seine altersweise Deutung der 5. Symphonie Es-Dur von Jean Sibelius vorstellen. Obwohl mir noch über ein Altersjahrzent der Blomstedtschen Jahre fehlen, lerne auch ich inzwischen, dass längerfristige Pläne zunehmend problematischer werden, so dass es erklärbar ist, dass der Hochverehrte seine Wirkung am Pult der Staatskapelle auf Grund einer Erkrankung absagen musste.
Der 1987 in einer prominenten amerikanischen Musikerfamilie geborene Joshua Weilerstein hat den Termin kurzfristig übernommen und mit einem ihm „mit heißer Nadel“ zugeschnittenen Programm für sein Debüt bei der Sächsischen Staatskapelle genutzt.
Zum Auftakt seines Konzertes mit den „Dresdnern“ hatte Joshua Weilerstein „Partita für Streichorchester“ von Gideon Klein gewählt.
Der in Přerov geborene Gideon Klein (1919-1945) gehörte zu jenen jüdischen Musikern, die in das von den deutschen Faschisten für propagandistische Zwecke in Theresienstadt eingerichtete Vorzeige-Konzentrationslager für prominente und ältere jüdische Mitbürger verbracht worden waren, um dort ein „normales Ghettoleben“ vorzutäuschen. Im Konzentrationslager hatte sich Gideon Klein seit dem Dezember 1941 mit anderen Musikschaffenden um die Organisation eines kulturellen Lebens bemüht und war bald zu einer zentralen Persönlichkeit der „musikalischen Freizeitgestaltung“ geworden. Unermüdlich unterrichtete er und komponierte er Werke, die für eine Aufführung unter den eingeschränkten Möglichkeiten des Ghettos geeignet waren. Vor allem Stücke für Frauenchöre und Kammermusik sind in dieser Zeit entstanden. Seine wahrscheinlich letzte Arbeit war das 1944 komponierte Streichertrio für Violine, Viola und Cello, bevor er in die Kohlengruben des Auschwitz-Außenlagers „Fürstengrube“ deportiert wurde. Nur wenige Tage vor der Befreiung ist er dort unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen. Bei der dargebotenen Fassung handelt es sich um eine Rekonstruktion und Instrumentierung des Nachlasses Gideon Kleins durch den tschechischen Komponisten Vojtech Saudek (1951-2003) aus dem Jahre 1990. Trotz der problematischen Umstände der Entstehung der ursprünglichen Komposition bleibt das Stück denkbar weit von jeder Larmoyanz entfernt. Kraftvoll und selbstbewusst griff die Tondichtung auf mährische Volkslieder zurück, die einfach und geradlinig in der Interpretation Joshua Weilersteins umgesetzt wurden. Der erste Satz verarbeitete zwei Melodien in schlichter ergreifender weise. Den Mittelsatz bildeten acht Variationen, die von sparsamer Linienführung über Scherzando-Abschnitte bis zur expressiven Klage geführt und im dritten Satz in einem Perpetuum-Finale enden. Das alles wurde in einem folkloristisch versachlichten Stil der Neoromantik geboten. Ob hingegen der üppige Streicherapparat zur Klarheit des ursprünglichen Trios von Violine, Viola und Cello führten, bleibt trotz der energischen Leitung Weilersteins zweifelhaft. Hatten doch auch die Umstände der Pariser Idylle ihre Spuren hinterlassen und der chorische Streicherklang milderte klangliche Härten ab. Verdienstvoll bleibt aber unbestritten, dass Saudek zur Verbreiterung der Musik Gideon Kleins beigetragen hatte.
Für Ludwig van Beethovens (1770-1827) „Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58“ war als Solist der 1949 in einer polnischen Familie geborene Emanuel Ax gewonnen worden. Eine Zusammenarbeit des weltweit erfolgreichen Pianisten mit der Staatskapelle hatte es bisher nach meinen Informationen nur 2020 gegeben, als eine gemeinsame „Mittelmeer-Tournee“ unter dem Ersten Gastdirigenten Myung-Whun Chung mit Emanuel Ax zwar vorbereitet worden war, die dann ein Opfer der Covid-Pandemie geworden ist. In Dresden hat Ax vor allem als Kammermusiker mit großem Erfolg im Rahmen der Musikfestspiele gewirkt. Als legendär ist der Triumph des Konzertes im September 2024 des Pianisten Ax mit Leonidas Kavakos und Yo-Yo Ma in die Geschichte der Festspiele eingegangen.
Beethovens 4. Klavierkonzert ist jenes, das der Komponist selbst in dem mystischen Vierstunden-Mamut-Konzert am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien unter denkbar ungünstigsten Bedingungen uraufgeführt hatte. Die Forschung ist sich ziemlich sicher, dass der Komponist mit dem brachialen Aufwand des Konzertes der Öffentlichkeit einen Querschnitt seines Schaffens der vorausgegangenen zweieinhalb Jahre präsentieren wollte. Aber die Bedingungen für den Erfolg seiner Absichten waren denkbar ungünstig. Der Konzertraum war nahezu unbeheizt und das Orchester hatte zu wenig geprobt, so dass es zu Irritationen mit dem Dirigenten kam. Auch der Pianist Beethoven wäre mehrfach neben der Spur gewesen.
Beethovens G-Dur-Klavierkonzert spielte Emanuel Ax ebenso zupackend wie leichtfüßig mit immer wieder lichtvoll-strahlendem Klang. Jeder Ton, jede Phrase, jede Farbschattierung war gründlich durchdacht und entsprechend differenziert ausgestaltet. Ax spielt die vielen Noten, die Beethoven in den ersten Satz hineinkomponiert hatte, ruhevoll, wie einer der die Musik mit größter Zuneigung liebt.
Joshua Weilerstein hielt mit der Staatskapelle vollmundig, aber nie mit zu breitem Orchestersound dagegen, so dass die von Beethoven angestrebte Zwiesprache zustande kam. Die Bläsersolisten des Orchesters spielten mit all der Zärtlichkeit, derer sie fähig waren.
Die Spontaneität der Erstbegegnung von Solist und Orchester war hörbar und erfreute mit Überraschungsmomenten, so dass man im scheinbar so vertrauten Werk auch einiges Neue entdecken konnte. Emanuel Ax´s angenehme Gelassenheit der Interpretation wirkte wie ein Vergrößerungsglas. Beide setzten nicht auf Wettstreit sondern vielmehr auf die vom Komponisten gewünschte und so angelegte symphonische Verflechtung zwischen Solist und Orchester zustande kam.
Für den herzlichen Beifall bedankte sich Emanuel Ax mit der Franz-Liszt-Transkription von Franz Schuberts „Ständchen“ als Zugabe.
Zur Konzertabrundung folgte als Verbindung der Musik der Heimat des Gastdirigenten mit dem europäischen Repertoire Antonin Dvořáks Symphonie Nr. 9 e-Moll op. 95 „Aus der Neuen Welt“ mit.
Als Antonin Dvořák (1841-1904) zum Direktor des Konservatoriums von New York berufen worden war, sollte er den US-Amerikanern zu einer eigenen Nationalmusik verhelfen. Dvořák wollte die amerikanische Musik nicht kopieren, sondern sich nur von ihr inspirieren lassen. Als er am 16. Dezember 1893 seine Symphonie Nr. 9 e-Moll op. 95 „Aus der Neuen Welt“ mit sensationellem Erfolg vorstellte, hatte er deshalb ein Werk geschaffen, das gleichermaßen von musikalischen Eindrücken aus den Vereinigten Staaten wie von seiner tschechischen Heimat geprägt war. Die fünf Töne, die besonders die Englischhorn-Melodie im Adagio bestimmen, sind sowohl in der slawischen als auch in der amerikanischen Volksmusik zu finden.
Nun war interessant, wie ein Amerikaner das häufig gehörte Stück dirigieren werde. Erwartungsgemäß stand Winnetou zwar nicht am Pult, aber mit seiner interessanten Interpretation bot uns Weilerstein eine Kostprobe, wie das Werk wohl in den USA aufgeführt werden könnte. Begrenzt blieb, wie seine formale Übersicht mit der vorbildlichen Klangkultur der Staatskapelle zusammen passten. Die Holz- und Blechbläser ließ er in herrlichem Licht erstrahlen und singen. Die Streicher spielten mit wenig Vibrato und so erreichte der Dirigent eine ausbalancierte Transparenz und einen ausgewogen neutralen Gesamteindruck. Nie wirkte die Darbietung akademisch oder distanziert. Effekthaschereien waren weder bei den Tempi noch bei der Lautstärke zu spüren, aber dennoch groß, wenn es die Musik erforderte. Der dritte Satz wurde im feinen kantablen Fluss und nicht sonderlich pointiert geboten. Typisch Amerikaner, hatte er dicksuppige Folklore-Seligkeit vermieden und durch strukturierten Impetus ersetzt. Am besten hatte mir der Ausklang gefallen, als die Musik zart verklingend, aber trotzdem klar und gerade bis zum letzten Ton blieb.
Für uns war es eine etwas andere Art, die Symphonie Antonin Dvořáks zu hören.