Dresden, Semperoper, 5. Symphoniekonzert - Sächsische Staatskapelle, 7. 1. 2023
Der inzwischen als Einspringer-Gast beim Orchester bestens etablierte David Afkham eröffnete mit der Sächsischen Staatskapelle das Jahr 2024 mit dem 5. Symphoniekonzert - mit Edward Elgars Violinkonzert h-Moll und Franz Schmidts Symphonie Nr.4 C-Dur.
Mit Edvard Elgar und Franz Schmidt ins neue Konzertjahr - David Akfam zunehmend etabliert bei der Staatskapelle
von Thomas Thielemann
Der inzwischen als Einspringer-Gast beim Orchester bestens etablierte David Afkham eröffnete mit der Sächsischen Staatskapelle das Jahr 2024 mit dem 5. Symphoniekonzert - mit Edward Elgars Violinkonzert h-Moll und Franz Schmidts Symphonie Nr.4 C-Dur.
Edward Elgar (1857-1934) war seit Henry Purcell (1659-1695) der erste herausragende Komponist Englands und der bedeutende Vertreter der englischen spätromantischen Musik. Außerhalb Englands wird sein Schaffen oft auf seine patriotischen Orchestermärsche „Pomp and Circumstance“ op. 39 reduziert und seine andere Musik selten aufgeführt. In kontinentaleuropäischer Überheblichkeit wird Elgar dann als „universaler Komponist“ eingestuft. Der Violinist Fritz Kreisler (1875-1962) hatte ihn allerdings in einem Interview im Jahre 1905 zum größten lebenden Komponisten geadelt und sein Schaffen neben Beethoven sowie Brahms gestellt.
Deshalb war es nicht verwunderlich, dass Elgar, als ihn auf Anregung des Geigers „die Philharmonische Gesellschaft“ um ein Violinkonzert bat, er dieses Werk Kreisler widmete. Allerdings trägt die Partitur auch die lateinische Inschrift „Aqui esta encerrada el alma de ….“, auf Deutsch „Hierin ist die Seele von ….verankert“. Neben anderen Vermutungen wird dieser Umstand als eine Anspielung auf Elgars Schwärmerei zu Alice Stuart-Wortley (1862-1936) gedeutet. Die Elgars pflegten mit dem Ehepaar Stuart-Wortley einen engen freundschaftlichen Umgang und Alice, von Edward als „Windflower“ geneckt, war dem Komponisten offenbar mehr, als eine Freundin. Elgars Briefe an die Muse wurden leider von deren Tochter verstümmelt, so dass uns die Bestätigung fehlt, ob das Allegro des Violinkonzertes tatsächlich, wie vermutet, ein Portrait der Angebeteten sei. Aber es ist leider eine Tatsache, dass sich Elgar nach seinem Violinkonzert h-Moll op. 61 von 1910 und seiner zweiten Symphonie des Jahres 1911 von seiner „Bekenntnismusik“ verabschiedete. In der Abgeschiedenheit seines Landsitzes komponierte Elgar nur noch ausschließlich Kammermusikwerke, bis mit dem Tode seiner Frau im Jahre 1920 seine Kreativität versiegte.
Als Interpret des Elgar-Konzertes stand mit Frank Peter Zimmermann ein seit seinem Engagement als Capell-Virtuos der Saison 2018/2019 im Hause bestens bekannter Solist auf der Bühne der Semperoper. Mit seinem Intellekt und seiner technischen Versiertheit ließ er jede musikwissenschaftliche Überlegung in den Hintergrund treten, ob das Violinkonzert der Programmmusik Elgars zuzuordnen sei, oder absolute Musik oder gar eine Rhapsodie sei. Zimmermanns perfektioniertes und leidenschaftliches Spiel, der Klang seiner Stradivari „Lady Inchiquin“, die 1711 gebaut und über Umwege und einige Wirren nunmehr fest in seine Hände gekommen ist, nahm seine Zuhörer vom ersten Takt gefangen. Die langen Sätze gestaltete der Solist scheinbar mühelos und entwickelte Elgars Motive sowie Themen mithörbar ohne ins Schwelgerische zu verfallen. Lyrisch expressiv und dann zupackend, wo es angebracht war, setzte der Solist den rhapsodisch-erzählerischen Tonfall ebenso beherrscht ein, wie das Spiel mit Arabesken oder die gebrochenen Akkorde. Der Balance kam auf jeden Fall zugute, das Zimmermann die virtuosen Ausbrüche mit betont leichter Hand und makelloser Tonreinheit seinem Instrument aus der Cremonaer Werkstatt Antonio Stradivaris fast spielerisch entlocken konnte.
Begleitet wurde Zimmermanns meisterhaftes Spiel von der Staatskapelle unter dem Dirigat David Afkhams. Der im Jahre 1983 in Freiburg geboren Afkham ist Dank der inzwischen gehäuften Einspringereinsätze bei der Staatskapelle gut eingeführt. Faszinierend, wie flexibel und organisch er die ständigen Tempowechsel managte und das Zusammenspiel von Violine und Orchester spannungsreich gestaltete. Die Durchhörbarkeit des Gesamtklanges kam besonders dem zweiten langsamen Satz sehr entgegen, wo das Spiel des Solisten zunächst wie aus der Ferne herein zu schweben schien und nur zögernd ausladender wurde. Begleitet das Orchester diesen Satz zu zart oder gar unbeteiligt, droht das Publikum in Monotonie zu ermüden. David Afkham sicherte aber mit der prachtvollen Streicherbesetzung des Orchesters einen massiven dichten Klangteppich, in dessen Klangfülle sich Zimmermann emanzipieren musste und mit tröstlicher Wärme, Sanftheit sowie Empathie auch konnte. Im abschließenden „Allegro molto“ beeindruckte besonders die exponierte Kadenz.
Das Orchester hat Elgar nicht alle Tage auf den Pulten, konnte aber die kontrollierte Schönheiten des Gesamtklanges, das Gleichgewicht von warmer Fülle und Differenzierung dem Auditorium beeindruckend vermitteln.
Im zweiten Konzertteil verhalfen die Programmgestalter den Dresdner Konzertfreunden mit Franz Schmidt die Bekanntschaft mit einem leider sehr wenig gespielten Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der aus einer deutschsprachigen Preßburger Familie stammende Franz Schmidt (1874-1939) war als Zeitgenosse von Gustav Mahler und Arnold Schönberg eine der größten österreichischen Komponistenhoffnungen, bis er sich von den Austrofaschisten umarmen ließ. Besonders sein posthum hinterlassener nationalsozialistischer Jubelgesang „Deutsche Auferstehung“ belastet bis in die Jetztzeit die Anerkennung seines musikalischen Gesamtwerkes.
Von Schmidts Symphonien gilt seine letzte, die vierte in C-Dur, als die gelungenste. Nach Schmidts Aussage hatte er das Werk als Requiem für seine 1932 verstorbene Tochter komponiert. In Dresden wurde das Werk am 26. November 1937 erstmals zur Aufführung gebracht, aber in Dresden noch nicht wieder gespielt.
Franz Schmidt spannte einen großen Bogen von etwa einer dreiviertel Stunde Spieldauer. Aus einem fahlen Trompetensolo entwickelte sich der beeindruckende Klangstrom, der zuletzt wieder abschwillt und in das Trompetensolo zurück fiel. Die vier Sätze des Werkes gingen ineinander über und, obwohl sie zunächst klassisch anmuten, erwiesen sie sich durchaus vielschichtig und mehrdeutig. Dem Hörer begegneten kunstvoll gewobene üppige Klangteppiche von berauschender Farbigkeit in denen meisterlich ausgeformte Satzkunst erkennbar war. Die Verwendung der traditionellen Formen schloss die Verwendung von Dissonanzen und einer kühnen modernen Harmonik nicht aus. Auffällig war die fast allgegenwärtige gestalterische Raffinesse. Im Unterschied zu seinen Zeitgenossen ist seine Musik bevorzugt nach innen gerichtet und eher abgezirkelt, als weltumspannend.
Mit einer klaren, kraftvoll-einfühlsam, differenzierten Interpretation führte David Afkham die Dresdner Staatskapelle zu kompaktem Ensembleklang. Sein einfühlsames Dirigat mit den subtilen Schattierungen der Dynamik, den sorgfältig abgewogen Tempowechseln und der gekonnt gestalteten Balance zwischen den Instrumentengruppen wurde von den Musikern der Staatskapelle begeistert aufgenommen und erlaubte Afkham sein emotionales Konzept mit struktureller Klarheit durchzusetzen. Der Streicherklang hatte etwas verklärendes, während die Holz- sowie die Blechbläser mit ihrem farbenreichen, ausdrucksvollen Spiel zur Betonung der Spätromantik der Komposition beitrugen und das Schlagwerk für die rhythmische Präzision sorgte.
Nach dem Beginn mit dem resignativen Motiv des Solotrompeters Sven Barnkoth entwickelte Afkham das breite schicksalhafte Passionato-Thema grandios differenziert aufgefächert, so der Hörende das Leben der Verstorbenen an sich vorüber ziehen lassen könnte.
Das Adagio und das Finale, mit denen der Vater mit betörenden Cello-Kantilenen der Tochter ein letztes Lebewohl sagte, gerieten zu einem aufwühlenden Zeugnis. Dazwischen das Scherzo mit einer offenbar gefestigten Basis, bis auch hier der totale Zusammenbruch erfolgte.
Zur besonderen Stärke der Symphonie gehört, dass sie sich einer eindeutigen Auflösung verweigert: verortet im weiten Feld der Spätromantik, die die Türen zur Moderne wohl kennt, sie aber nicht gewaltsam öffnet. Somit konnte David Afkhams geschlossene, facettenreiche Interpretation entstehen.