Dresden, Semperoper, 10. Symphoniekonzert - Sächsische Staatskapelle, IOCO Kritik, 21.05.2023
Semperoper - 10. Symphoniekonzert - Sächsische Staatskapelle
- Gustav Mahler - Symphonie Nr. 3 d-Moll -
von Thomas Thielemann
Mit seiner Dritten Symphonie machte Gustav Mahler (1860-1911) alles das, was er besser hätte lassen sollen. Er akzeptierte keine Grenzen bei der Überlänge. Die außergewöhnliche Zahl von sechs Sätzen, dabei riesenhafte Kopf- und Finalsätze, sowie neben dem Alt-Solo noch einen Frauen- mit einem Knabenchor. Er ist noch kindischer als mit seiner zweiten Symphonie. Aber sein Gefühl für Abläufe ist sicherer geworden. Für ihn war die Vollendung seiner zweiten Symphonie ein innerer Durchbruch der Selbstanerkennung als Symphoniker. Nun ist er sicher, wie das symphonische Schaffen von Gustav Mahler aussehen werde. Das oft zitierte „Meine Zeit wird kommen“ habe Mahler zwar erst 1902 an seine Frau Alma geschrieben. Aber die Überlieferungen der Bratschistin und langjährigen Weggefährtin Mahlers Natalie Bauer-Lechner (1858-1921) lassen in den 1890-er Jahren ein unwahrscheinliches Selbstbewusstsein des Komponisten erkennen. „Meine Symphonie werde etwas sein, was die Welt noch nicht gehört hat“. So packte er seine gesamte Kosmologie von der unbelebten Materie über Blumen, Tieren, Menschen, Engeln bis hin zur allumfassenden Liebe in ihnen gemäßen Charakteren in seine dritte Symphonie zu über neunzig packende Minuten universeller Musik.
Christian Thielemann fasste die ausufernde Struktur des Werkes unter einem überzeugenden formalen Bogen zusammen. Faszinierend gelang es Dirigent und Orchester das allmähliche Erwachen des kreatürlichen Lebens mit klangfarblichem Reichtum hörbar zu machen. Thielemann entlockte seinen Musikern Sinnliches und subtil Doppelbödiges, um im weiteren Verlauf die Musik in ein ungeschöntes, plebejisches Element zu überführen: derb, jahrmarkthaft, jedoch niemals übertrieben grotesk. Das grell-Verzerrte irdisch-Hässliche der scharf dissoziierenden Bläser brachte er ebenso treffsicher zur Geltung, wie das Übersinnliche der atemberaubend vorgetragenen geschmeidigen Streicher. Überhaupt blieb für die prachtvollen Solisten der Staatskapelle viel Platz.
Nach dem kraftvollen Wüten des ersten Satzes wurde ein Moment der Beruhigung unabdingbar. Wie ein Traum in lichten Pastellfarben erklang das mit orchestraler Unbekümmertheit, Behaglichkeit und Anmut gespielte Menuett. Schwelgerisch pointierte Einsätze der Streicher, Klarinetten Flöten und Harfenwaren dramaturgisch wirkungsvoll implantiert.
Am Beginn des recht homogen vorgetragenen dritten Satzes hielten sich Humor und meditative Versenkung die Waage, so dass die musikalische Groteske des Scherzos erst zunehmend an Präsenz gewinnen konnte. Aber wann hat man das Posthorn-Solo, wie von Helmut Fuchs so herrlich innig und klar intoniert, gehört.
Das existenziell Gefährdende, Zerrissene, Grelle, Bissige wurde in den ersten drei Sätzen nur wenig gewagt, so dass bisweilen der Kitsch aufblitzte und die Musik wie abgefedert im Netz der großen Wirkung hängen blieb.
Christa Mayer, Foto links, intonierte im vierten Satz mit ihrer betörend wie Smaragd schimmernden Stimme das Mitternachtslied von Friedrich Nietzsche, um auszudrücken, dass erst mit dem Menschen das Leid in die Welt gekommen sei. Sie sang von Lust, die tiefer ist als das Herzeleid und von der Ewigkeit. Man kann vermuten und subjektiv spekulieren, ob dem, was Mahler mit Nietzsche sagen wollte, die Auslegung Christian Thielemanns mit seiner mysteriös intonierten Orchester Begleitung auch nahekam. Auf jeden Fall war der Satz ob seiner Mischung von Ernsthaftigkeit und Ironie wirkungsvoll und ergreifend.
Mit der von Mahler bewusst naiv ausgestellten Chor-Idylle des fünften Satzes wurde die Melancholie regelrecht untergraben und in die sensibel angelegten emotionalen Steigerungen des langsamen Finalsatzes überführt. André Kellinghaus hatte die Damen des Staatsopernchores und Claudia Sebastian-Bertsch den Kinderchor der Semperoper präzis vorbereitet.
Kein Sterben in Schönheit erlebte man, sondern einen sanft fließenden Lobgesang, ohne jeglichen Anflug von Sentimentalität. Mit enormer Umsicht steuerte Christian Thielemann den gewaltigen Apparat durch das monumentale Werk und brachte Mahlers Weltgebäude vollendet zur Wirkung. Nach den vierfachen Steigerungswellen wurden mit weihevoller, majestätischer Eleganz Tempi und Lautstärke gedrosselt, so dass zum Schluss eine gigantische orchestrale Steigerung alles in eine orgiastische Explosion von Licht und Farbe ermöglicht wurde. Der Schlussakkord verhallte dann zu sekundenlange Stille, die vom gigantischen Jubel des Publikums abgelöst wurde.
Eine brillant aufgelegte Sächsische Staatskapelle hatte uns mit dem Dirigat seines Chefdirigenten Christian Thielemanns eine Aufführung wie aus einem Guss geboten. Da stimmte das Ganze: Die Tempi, die Dynamik, die Soli der Musiker, die außergewöhnliche Pausensetzung des Dirigenten, das Aushauchen lassen der Passagen, Alles war auf höchste Wirksamkeit austariert. Ich kann mich nicht nach dem mehrfachen Hören der Komposition an eine so vollkommen ausgewogene Mahler-Dritte erinnern.
Selbst gegenüber der Aufführung der d-Moll-Symphonie mit den nahezu identischen Protagonisten im Februar des Jahres 2018, damals sang Elena Garanca das Solo, glaube ich einen vollkommeneren Eindruck von Mahlers Dritten bekommen zu haben. Nun wissen wir, dass Gustav Mahler mit der vierten Symphonie seine Phase der spätromantischen Monumentalität verlassen hatte und die Dritte später anders konzipiert haben würde. Deshalb wäre durchaus interessant, ob die in der Komposition beinhalteten Glanzpunkte nicht auch mit bescheidenerem Aufwand oder überhaupt mit einer anderen zeitgemäßen Auslegung zu erschließen wären. Außer einem Corona-bedingten Versuch Klaus Simons mit dem Musikkollegium Winterthur, der als gelungen gilt, ist da wenig bekannt.
Am kommenden Donnerstag wird das Konzert im Gewandhaus zu Leipzig im Rahmen der Mahler -Festtage aufgeführt.