Dresden, Semper Zwei, ÄNDERT DICH DIE WELT? - Pasticcio, IOCO
SEMPER ZWEI: Am 19. Dezember 2024 hatte die Dresdner Semperoper in seine Studio-Bühne Semper Zwei zur Premiere eines Pasticcios mit „Spoken Words“ eingeladen: Es hatte eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Akteuren um die Macht und um Einflüsse gegeben.
"Ändert dich die Welt?" - Pasticcio „Ändere die Welt“ mit vielen Denkanstößen und Emotionen
von Thomas Thielemann
Am 19. Dezember 2024 hatte die Dresdner Semperoper in seine Studio-Bühne Semper Zwei zur Premiere eines Pasticcios mit „Spoken Words“ eingeladen:
Es hatte eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen gesellschaftlichen Akteuren um die Macht und um Einflüsse gegeben. Auf der Spielfläche des Studios „Semper Zwei“ liegen noch die Reste der Zerstörungen und es sind noch Explosionen aus der Ferne zu hören. Niemand weiß um das Ergebnis der Kämpfe. Hat die Gewalt für die Gesellschaft zu einer positiven Weiterentwicklung gebracht? War das tatsächlich eine Revolution?
Aus einem Tor in der Rückwand der Spielfläche kommen eine Mutter mit Kind, eine Trauernde, ein Revolutionär sowie ein alter Mann mit den acht Musikern des Projektorchesters und nahmen uns in einem Pasticcio in ihre Situation. In deutscher, englischer, französischer und russischer Sprache vermittelten sie mit einer Kollage von Liedern und Opernausschnitten aus Werken der vergangenen zwei Jahrhunderte ihre Gefühlszustände ob der ungeklärten Sachlage. Die ausgezeichneten Sängerdarsteller standen für vier der unzähligen Glieder der Gesellschaft, die von ihren Erlebnissen und Erfahrungen in der Zeit der Gewalt berichteten und ihren unterschiedlichen Ängsten, Hoffnungen sowie Erwartungen Ausdruck gaben.
Eröffnet wurden die Darbietungen mit Liedern nach Texten Bert Brechts von Hanns Eisler: als der alte Mann Vladyslav Buyalskiy mit wunderbar moduliertem Bassbariton „In die Stadt kam ich zu der Zeit der Unordnung“ aus den „Zwei Elegien“ sang und die Sopranistin Magdalena Lucjan mit klarem Sopran „Als ich dich in meinem Leib trug“ aus den Wiegenliedern Op. 33 aus dem Jahre 1930 vortrug. Auch im weiteren Verlauf bildeten die Brecht- und Eisler-Arbeiten, ob deren konsequent orientierten Schaffens das Gerüst der revolutionären Stimmung. Dazu gehörten vor allem „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe“ von 1985 und im späteren Teil des Abends aus dem Lehrstück „Die Maßnahme“ von 1930 das „Ändere die Welt“ sowie die „Ballade vom Soldaten“ und das „Mein Sohn, was immer wird aus dir wird werden“ aus den Wiegenliedern für Arbeitermütter.
Kurt Weills Oper „Der Silbersee- ein Wintermärchen“ nach Georg Kaisers Theaterstück aus dem Zeitraum um den Jahreswechsel 1932/1933 gehörte unbedingt zu diesen Beiträgen. Weills Oper enthielt zahlreiche Anspielungen an die Mechanismen des dann auch erfolgten Machtwechsels der Nationalsozialisten. Mit der Ballade „Rom hieß eine Stadt“ wurde der Tod Cäsars thematisiert und Hitlers Machtergreifung regelrecht angekündigt.
Richtig opernhaft-revolutionär wurde die Stimmung mit dem Bekenntnis der Freunde Pietro und Masaniello aus Daniel Aubers „Die Stumme von Portici“:„Besser sterben, als elend bleiben“ mit dem Zitat des Refrain der sechsten Strophe der Marseillaise „Heilige Liebe zum Vaterland“. Aubers vom Grundsatz nicht als Revolutionsoper angelegte Komposition hatte aber mit ihrer Aufführung am 25. August 1830 in Brüssel eine angereicherte Stimmung in der Bevölkerung zum Überkochen gebracht und damit die Belgische Revolution ausgelöst. Aus seinem Männerduett wurde ein faszinierendes Quartett gebildet und zum musikalisch begeisternden Beitrag des Abends geführt. Da wirkte das „Komm Hoffnung“ aus „Fidelio“ des radikaleren Ludwig van Beethoven (1770-1827) fast schon besänftigend und eigentlich gegensätzlich zu seinem kraftvollen „Die Trommel gerührt“ aus der Musik zu Goethes Trauerspiel „Egmont“.
Diesen, den revolutionären Ereignissen trauernd, abwartend-kritisch, ignorierend oder gegnerisch gegenüber stehenden Positionen gaben ihr Gesicht und es reihten sich Element an Element. Viele der Vokalstücke blieben im Ohr oder erreichten den Verstand: Zunächst Robert Schumanns Eichendorf-Vertonung. Mit seiner Stimmung aus der Zeit der Leipziger vorehelichen Wirren des Jahres 1842 komponierte er das „In der Fremde“. Aber auch Schumanns Heine-Vertonung „Die beiden Grenadiere“ kritisierte bei aller Verlästerung des Krieges gewaltsame Auseinandersetzungen.
Emotional die Arbeit des jungen Sergej Rachmaninow, der mit einem Tolstoi-Text „Oh du wogendes Feld aus goldenem Korn“ den bittersüßen Erinnerungen des Dichters an eine vergangene Liebe und Rückbesinnung zu besseren Zeitumständen eine klangvolle Musik verschafft hatte. Auch Dmitri Schostakowitschs Romanze „Renaissance“ aus dem Jahre 1937 nach einem Gedicht Alexander Puschkins und Richard Wagners Wesendonck-Lied „Träume“ sind diesen Befindlichkeiten zuzurechnen.
Kurt Weills Komposition „Youkali“, aus der Bühnenmusik des Stückes „Marie Galante“ des Jaques Duval mit dem Text von Roger Fernay, fragte im Stil eines Tango-Habanera, „wo unser Land der Sehnsucht liegt, wo man geachtet wird, geborgen sich fühlt“.
Eine Quintessenz der musikalischen Reihung brachte der Bassbariton Vladyslavs Buyalskiy. Er sang aus dem Notturno des Schweizer Komponisten Othmar Schoeck (1886-1957) dessen Vertonung eines Fragments von Gottfried Keller: „Herwagen, mächtig Sternbild der Germanen“, das mit den Worten „ich spähe weit, wohin wir fahren“ abschloss.
Der niederländische Regisseur Mart van Berckel hatte die musikalischen Elemente der unterschiedlichen Stilformen gekonnt zusammengeführt und Texte, Musik, Bewegungen und Licht zu einem fantasievollen Gesamttheater verbunden. Es war bewegend, die seit Jahrzehnten zu unserem Leben gehörenden Melodien in dieser außergewöhnlichen Qualität und in dem besonderen Kontext erleben zu dürfen. Das verblüffendste an der Aufführung war für mich, wie diese Stücke in diesem Umfeld eine völlig neue Wirkung entfalteten.
Die Kompositionen, alle in vergangener Zeit entstanden, wurden von der niederländischen Spoken Word-Künstlerin Amara van der Elst mit ihren Kombinationen von Poesie und Performance auf beeindruckende Weise in unsere Zeit aktualisiert. Der Klang ihrer Worte und die Rhythmik ihrer Darbietung verstärkten die Emotionen aus dem Erlebten.
Aber ein so richtig revolutionäres Ergebnis konnte ich weder im Pasticcio noch in Amaras Rezitationen finden. Irgendwie blieb das Gebotene an inzwischen weit verbreiteter Gesellschaftskritik hängen. Gegenseitige Achtung im gesellschaftlichen Umgang, Sicherheit unter einer virtuellen Macht und Hoffnung auf die Zukunft sind doch etwas wenig.
Sollte nicht Ziel der menschlichen Gesellschaft sein, eine weltweite Ordnung der gegenseitigen Achtung aller Menschen, ohne Macht von Ideologien sowie ohne Hegemonien einzelner Gruppen zum Zukunftsmodell aufzubauen.
Es wurde ohne Ausnahme hervorragend musiziert. Als „eine Mutter“ überraschte die aus Polen stammende Magdalena Lucjan mit ihrem wunderbar wandlungsfähigen Sopran und ihrem emotionalen Spiel. Beim Wettbewerb der Mohn-Stiftung „Neue Stimmen 2024“ konnte sie den ersten Platz belegen. Die Partien „der trauernden Frau“ hatte die seit der vergangenen Saison im Jungen Ensemble der Semperoper engagierte mexikanische Sopranistin Fernanda Allende mit einer grandiosen Stimme und erstaunlicher Wandlungsfähigkeit auf die Spielfläche gebracht.
Mit seiner fantastisch warmen Stimme wartete der aus Russland stammende Bariton Anton Beliaev als „der Revolutionär“ auf. Mühelos bewältigte er die tiefen Passagen und bot eine perfekte Symbiose von Gesang und Schauspiel. Seit der Saison 2023/2024 ist Anton Beliaev Mitglied des Jungen Ensembles der Semperoper.
Einen klar definierten Bassbariton setzte der aus der Ukraine stammende Vladyslav Buyalsky für seine sänger-darstellerischen Aufgaben ein. Beeindruckend, wie er Gesang und Spiel perfekt und authentisch zum Einklang brachte.
Der aus Spanien stammende Pedro Beriso, der auch die Musikstücke zusammengestellt hatte, dirigierte sein Projektorchester vom Klavier aus und hielt mit seiner musikalischen Gesamtleitung das Geschehen professionell zusammen.
Auf jeden Fall war das Erleben der gelungenen Kombination eines Pasticcio mit „Spoken Work“ eine für uns eine neue Erfahrung und wurde den Aktiven sowie dem Inszenierungsteam mit begeistertem Beifall gedankt.