Dresden, Sächsische Staatskapelle, Gedenken an die Zerstörung Dresdens - Konzert, IOCO Kritik, 22.02.2019
Sächsische Staatskapelle Dresden
Gedenken an die Zerstörung von Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden - Christoph Eschenbach
von Thomas Thielemann
Die Konzerte der Sächsischen Staatskapelle „Zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945“ sind für den Autor und seine Familie stets schwierige Termine: Meine Frau, damals eine Sechsjährige, musste an jenem Abend mit Mutter, Großmutter und ihrer jüngeren Schwester durch das brennende Dresden laufen; zuvor waren sie „ausgebombt“ worden.
Als wir 2009 nach Sachsen zurückgekommen waren, war Dresden wegen seines Kulturangebots und seiner Umgebung der Wohnort unserer Wahl. Die Rückkehr in ihre Geburtsstadt legten bei meiner Frau jedoch verschüttet geglaubte Kindheitserinnerungen frei.
Die Stadt befand sich im Landtags-Wahlkampf. Vor allem NPD-Plakate beherrschten das Stadtbild. Vor allem thematisierte die rechte Szene die nach wie vor unbekannte Zahl der Opfer der Luftangriffe und nutzte das zu Provokationen. Der über ideologische Parteigrenzen reichende, von der damaligen Oberbürgermeisterin Helma Orosch organisierte Widerstand gegen den Missbrauch der Erinnerungskultur, half uns, diese kritischen Tage zu überstehen.
Bei den Menschen der Stadt ist die Erinnerung an den 13. Februar 1945 tief verwurzelt, da wohl jede in der Innenstadt angesiedelte Familie von den Terror-Angriffen in irgend einer Form betroffen war. Auch wenn die Zeitzeugen zunehmend versterben, werden jene, die den Anblick des zerstörten Schlosses, die Ruine der Frauenkirche noch erlebt hatten, die Erinnerung an diesen Bombenterror bewahren.
Auch bleibt die Vermutung, dass der Stadt das Schicksal von Hiroshima gedroht hätte, wenn die Atombombe früher zur Verfügung gewesen wäre, im Gedächtnis der Menschen.
Aus diesem Dresdener Trauma heraus war es wertvoll, daß die Sächsische Staatskapelle für das Gedenk-Konzert 2019 Antonin Dvoráks Stabat mater op. 58 gewählt und Christoph Eschenbach, von Kriegswirren auch hart getroffen, eingeladen hatte.
Das Stabat mater, exakt Stabat mater dolorosa (lat: es stand die Mutter schmerzerfüllt) ist ein mittelalterliches Gedicht, das die Mutter Jesu in ihrem Schmerz um den gekreuzigten Sohn zum zentralen Inhalt hat. Der Text beruht auf einer Weissagung des Propheten Simeon gegenüber der Mutter Maria: „Deine Seele wird ein Schwert durchdringen“ und wird häufig dem Jacopone di Todi (1230 bis 1306) zugeschrieben. Aber auch eine Autorenschaft des Papstes Innozenz III. ist nicht ausgeschlossen.
Nach meinen Recherchen sind die Texte zwischen 1480 und 2008 61-mal für zum Teil sehr persönliche Kompositionen genutzt worden. Darunter sind Arbeiten so bedeutender Musiker wie die Scarlatti, Pergolesi, Vivaldi, Haydn, Rossini, Liszt, Schubert, Penderecki und Pärt. Die möglicherweise am häufigste aufgeführte und eingespielte Vertonung ist die 1876 bis 1877 unter dem Eindruck der Verluste seiner drei Kinder entstandene Komposition Dvoráks Opus 86.
Er hatte die Textbearbeitung auf Basis einer kritischen Sichtung der Handschrift-Überlieferungen von Clemens Blume und Henry M. Bannister des Gedichtes für vier Solisten, Chor und Orchester eingerichtet. Vom mittelalterlichen Original übernahm der Komponist die Struktur der zehn Strophen. Jede dieser Strophen hat eine eigene thematische Basis und ist seinerseits in Teile zu je drei Zeilen gegliedert. Dvorák verzichtete auf eine Aufteilung des Chores in zwei Halbchöre. Der Dialogcharakter war von ihm den Solisten übertragen worden.
Mit der Staatskapelle, dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden und der Sopranistin Venera Gimadieva, der Altistin Elisabeth Kulman, dem Tenor Pavol Breslik und dem Bassisten René Pape stand dem Christoph Eschenbach für seine Interpretation ein hochkarätiges Ensemble zur Verfügung.
Das Orchester bildete mit seinem faszinierenden warmen dunklen Klang das Rückgrat der Aufführung. Dabei entwickelte Christoph Eschenbach seine Orchesterführung zunächst aus der Stille, im lyrischen ergreifend und in den Steigerungen packend. Das auf das Detail konzentrierte Dirigat führte dabei den Chor und die Solisten beeindruckend zusammen.
Der besonders ausgedehnte Eröffnungssatz erzeugte bereits eine Stimmung eindringlicher Trauer, unterbrochen von flüchtigen Momenten der Wut und des Trotzes. Diese Ausbrüche des Chores und des Orchesters beruhigte Pavol Breslik mit schönen Phrasierungen und makelloser Höhe bis die übrigen Solisten die Melodie aufnahmen. Venera Gimadieva, Elisabeth Kulman, Pavol Breslik und René Pape gelang, jede feine Schattierung der Partitur in Intensität umzusetzen. Sehnsüchtiges Pianissimo wurde klangfarbenreich und brillant wie das mächtige Forte textdeutlich umgesetzt.
Die acht folgenden Strophen mit ihren eigenen Themenstellungen boten ob der zwei-Dreizeilenstruktur reichliche Gelegenheiten zu Wiederholungen innerhalb der Sätze sowie zu brillanten Einzelleistungen der Solisten und des Chores. So gehörte der von Mozarts Requiem inspirierte vierte Vers „Fac, ut ardeat cor meum" (Mach, dass brenne mein Herz) neben den Chorstimmen vor allem dem warm-eindringlichen und würdevoll-expressiven Bass des René Pape.
Zu den vielen Höhepunkten gehörte auch das „Fac me vere Tecum Flere“(Lass mich wahrhaft mit dir weinen), das Pavol Breslik vom schlichten Beginn zu einem wilden Aufbegehren steigerte und mit den Männerstimmen des Chores in der Folge wieder zur Ruhe abmildern ließ. Beeindruckend war das von den Frauenstimmen in den höchsten Lagen fein und wendig dargebotene „Virgo virginum praeclara“ (Jungfrau, der Jungfrauen strahlendste). Das Duett „Fac, ut portem Christi mortem" (Lass mich tragen Christi Tod), meisterlich gesungen von der russischen Koloratursopranistin Venera Gimadieva und dem Tenor Pavol Breslik, erzeugte nicht zuletzt ob der begleitenden Holzbläser eine warme beruhigende Atmosphäre.
Leidenschaftlich auch die Interpretation des Inflammatus et accensus (Entflammt und entzündet), das von Elisabeth Kulman höchst emotional vorgetragen worden war. Der Staatsopernchor (Einstudierung: Jörn Hinnerk Andresen), eigentlich ständig präsent, beeindruckte insbesondere bei den sensiblen a capella-Stellen.
Christoph Eschenbach gelang es bis zum Schluss, die gelegentlich süßlichen Melodien nicht ins Gefühlige abdriften zu lassen. So ließ er nach dem machtvoll gesteigerten Amen im Finale, das Ausklingen zugleich innig als auch erdennah spielen.
Trotz der Monumentalität der Komposition gelang damit Christoph Eschenbach eine sanfte demutsvolle Aufführung, so dass er seine ergriffenen Hörer regelrecht getröstet entließ.
Bei den Salzburger Osterfestspielen 2019 wird das Konzert jeweils am 16. und 19. April 2019 zur Aufführung gebracht.
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