Dresden, Kulturpalast, Mariinski-Orchester - Valerie Gergiev, IOCO Kritik, 07.06.2019
Skrjabins futuristische Farbensymphonie leuchtet im Kulturpalast
Dresdner Musikfestspiele 2019
von Thomas Thielemann
In der klassisch orientierten Musikwelt gilt der russische Komponist Alexander Skrjabin (1871-1915) für viele als ein Verrückter, als ein Egomane mit allerlei mystischen Vorstellungen. Wer sich aber näher mit ihm beschäftigt, erkennt ihn als genialen stilprägenden Komponisten des beginnenden 20. Jahrhunderts. Leider bereits im Alter von 43 Jahren verstorben, hat er sein Schaffen nicht in Ansätzen vollenden können. Dazu kommt, dass Skrjabin ob seiner Freundschaft mit Georgi Plechanow (1856-1918) in Ost und West immer mit einem gewissen Misstrauen gesehen wurde, obwohl er sich in die Auseinandersetzungen der zwischen-revolutionären Bewegung des zaristischen Russlands nicht eingebracht hatte. Seine Philosophie bleibt ungreifbar. Okkultismus, Theosophie, indische Philosophie, Nietzsche, Fichte, Schopenhauer, Symbolismus und Marxismus baut er zu einem eigenen Denkgebäude, ohne sich einer Tradition verpflichtet zu fühlen. Mit seinen Kompositionen wollte er seine ästhetischen und weltanschaulichen Vorstellungen gestalten. Dabei genügten ihm die herkömmlichen Möglichkeiten nicht. Neben Orchester, Chor und Soloinstrumenten bezog er Farben und Bewegungen in seine Kompositionen ein. Zunehmend schafft er sich eine eigene Tonsprache, deren Vollendung sein früher Tod verhinderte.
Zu den Dresdner Musikfestspielen 2019 kam Valery Gergiev mit dem Orchester des Mariinski-Theater und brachte neben Tschaikowskis Vierter Sinfonie die einsätzigen La Poème op. 54 und op.60 von Alexander Skrjabin mit. Das „Poème de l´extase“ op. 54 hatte Skrjabin 1905 in Genf begonnen, als ihn die Nachrichten von den revolutionären Ereignissen in Russland erreichten. Ektase bedeutete dabei für Skrjabin Handlungsbereitschaft und gleichermaßen Schaffensrausch. Er schließt das Werk als sinfonische Dichtung und nicht als 4.Sinfonie an seine Dreier-Serie an. Stattdessen wählt er die Form des einsätzigen Poems. Die Orchestersprache ist erweitert und eine differenziertere Klangfärbung soll „die göttliche Kraft des freien Willens in seiner Selbstverwirklichung durch die aktive Tat“, und deren Entwicklung zu diesem Ziel, zum Ausdruck bringen.
Diesem Grundkonzept ordnete auch Valery Gergiev sein Dirigat unter, indem er zunächst ziemlich verhalten seine gewaltige Orchesterbesetzung beginnen ließ. Mit für Gergiev ungewöhnlichem Körpereinsatz trieb er in der Folge seine Musiker in Skrjabins Mythologie und zu dessen Ekstase Begriff. Skrjabin hatte 1908 die Komposition noch mit einem Gedicht regelrecht erläutert: „Der Geist, vom Lebensdurst beflügelt, schwingt sich auf zum kühnen Flug“. Er hatte aber untersagt, dass die 369 Verse in die Partitur aufgenommen werden, weil sich die Dirigenten „auf die reine Musik beziehen sollten“.
Das Proéthée.Le poème du feu op. 60 hatte Skrjabin für ein überbordeten Orchesterapparat, ein Soloklavier, einen vierstimmig gemischten Chor und ein „Farbenklavier“ komponiert. Mit dieser multimedialen Konstruktion aus Musik und Lichtinstallation wollte er ein Gesamtkunstwerk für Auge und Ohr, ein Ansprechen mehrere Sinne erreichen. Er dachte sogar über die Einbeziehung von Gerüchen nach.
Skrjabin hatte die „synästhetische Fähigkeit“, dass er beim Hören von Musik Farben sah. Derartige Erfahrungen wollte er mit dem Farbenklavier seinem Publikum gleichfalls vermitteln. Oberhalb der üblichen Instrumentalstimmen enthält die Partitur des „Prometheus-Poems“ eine als „Tasteria per luce“ bezeichnete Doppel-Stimme in traditioneller Notenschrift, wobei jedem Ton der Oktave eine Farbe zugeordnet ist. Die Zweistimmigkeit ermöglicht, dass Farben gemischt werden können.
Während des Konzertes wurden das Orchester des Mariinski-Theater und die Saal-Rückwand wechselnd mit sattem Licht unterschiedlicher Farben (Foto) angestrahlt
Die Pianistin Danae Dörken (*1991) ordnete die Farbenmischung den Rhythmen der wechselden Klängen zu. Eigentlich war schon im Vorfeld klar, dass die von Skrjabin angestrebte Wirkung beim erstmaligen Erleben nur begrenzt erreicht werden könnte. Es lenkte zunächst die Lichtwirkung den ungeübten Besucher von der „Harmonik der wechselnden Klangzentren“ und dem wundervollen Klavierspiel des Solisten Ilya Rashkovskij ab. Lichtdesign: Sebastian Marschner. Dabei sind die sechstönigen „Klangzentren“ von 1908 eine Vorstufe der erst ein Jahrzehnt später entwickelten Zwölfton-Musik. Eine Wirkung des sogenannten „Mystischen Akkords“ dürfte dem übergroßen Teil der Hörer ohnehin verloren gewesen sein.
Am 19. September 2019 werden wir Skrjabins selten gespielte Farbensymphonie im Theater Magdeburg (link hier) erleben, wo die neue Generalmusikdirektorin Anna Skryleva das Werk als Einstand ihrem neuen Publikum bieten möchte.
Im zweiten Konzert-Teil bot Valery Gergiev mit den Mariinsky-Musikern eine vollendet ausgereifte vierte Sinfonie von Peter Tschaikowski und enttäuschte ob seiner bekannten sparsamen Dirigierweise nicht.
Nach der Zugabe erlebten die Musiker, wenn auch etwas zögerlich, stehende Ovationen für dies außergewöhnliche Konzerterlebnis
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