Dresden, Kulturpalast, HONG KONG PHILHARMONIC ORCHESTRA, IOCO Kritik
Das Hong Kong Philharmonic Orchestra feiert mit der derzeitigen Saison sein 5o-jähriges Bestehen als professionelles Orchester. Seit Jaap van Zweden 2012/13 die musikalische Leitung übernommen hatte, erreicht der Klangkörper weltweite Anerkennung durch seine Höhen der künstlerischen Qualität.
EUROPAPREMIERE: Hong Kong Philharmonic Orchestra mit erstem Europa-Gastkonzert in Dresden
von Thomas Thielemann
Das Hong Kong Philharmonic Orchestra feiert mit der derzeitigen Saison sein 5o-jähriges Bestehen als professionelles Orchester. Bereits im Jahre 1947 hatte sich eine Gruppe des „Sino-British-Clubs“ zu einem Amateurorchester für klassische Musik zusammengefunden. Der „Sino-British-Club“ war gegründet worden, um das kulturelle Auseinanderstreben der chinesischen und der britischen Bevölkerungsgruppen in der damaligen britischen Kronkolonie einzuschränken. Nachdem sich die Musiker 1957 vom Club gelöst und in „Hong Kong Philharmonic Orchestra“ umbenannt hatten, konnten sie sich im Jahre 1974 dank einer finanziellen Ausrüstung durch die Administration der britischen Kronkolonie zum professionellen Klangkörper formieren. Seit dieser Zeit entwickelte sich das „HKPO“ zu einem der führenden klassischen Orchester des Asiatischen Kontinents. Seit Jaap van Zweden in der Saison 2012/13 die musikalische Leitung der Kapelle übernommen hatte, erreichte der Klangkörper auch weltweite Anerkennung durch seine Höhen der künstlerischen Qualität.
Sein Jubiläum begeht das Hong Kong Philharmonic Orchestra mit einer Tournee durch fünf europäische Länder. Das erste Gastkonzert der Reise fand am 24. Februar 2024 als vorab-Eröffnung der 47. Dresdner Musikfestspiele im Konzertsaal des Kulturpalast Dresden statt.
Mit dem Konzertprogramm verbanden sich östliche und europäische Betrachtungsweisen der Musik unterschiedlicher zeitlicher und kultureller musikalischer Herkunft.
Zum Beginn des Konzertes stellte das Orchester die europäische Erstaufführung „Asterismal Dance“ des 1986 in China geborenen und in Großbritannien ausgebildeten Komponisten Daniel Lo Ting-cheung vor. Mit nur wenigen Minuten leidenschaftlicher und energischer Rhythmen entführte uns sein „Scherzo fantastique“ in das fernöstliche Herkunftsland. Mit ihrer Entfaltung von unterschiedlichen, nichtlinearen Betrachtungen durchquerten seine Themen die unterschiedlichen Instrumentengruppen und entwickelten aus der musikalischen Substanz unterschiedlichste Formen. Auf vielfältige Weise variiert, erweitert und überlappt verflochten sich Anklänge der chinesischen Folklore zu einem komplexen Tanz und bildeten eine interessante Einstimmung in das folgende etwas inhomogene Konzertprogramm.
Das Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58 ist wahrscheinlich das folgenreichste, nachhaltigste der Klavierkonzerte Ludwig van Beethovens (1770-1827), schon weil sich ob seiner atmosphärischen Dichte Komponisten wie Robert Schumann, Felix Mendelssohn Bartholdy und Frederic Chopin an ihm orientierten.
Beethoven komponierte das Konzert in den Jahre 1805 und 1806 als das Ringen um seine symphonische Sprache der Eroica sowie der 4. Symphonie überwunden, sein lyrischer Ton mit dem Violinkonzert und dem Streichquartett op. 59 gefunden worden waren. So konnte er ein Klavierkonzert als ein im Einklang stehendes Gespräch zwischen Partnern ohne das überlieferte „Schwarz-Weiß-Prinzip“ von Solist und Orchester entwickeln.
Das keineswegs zu den beliebtesten Klavierkonzerten Beethovens gehörende G-Dur- Werk wurde im Konzert von einem niederländischen Dirigenten geleiteten fernöstlich geprägten Orchester und einem französischen Solisten dargeboten. Der 1997 in Clermont-Ferrand in eine Musikerfamilie geborene Alexandre Kantorow hat 2019 den ersten Preis sowie die Goldmedaille des Moskauer Tschaikowski-Wettbewerbs gewonnen und ist seit dieser Zeit zu einem der aufregendsten Ausnahme Pianisten geworden.
Sensibel, aber ohne Scheu näherte sich Kantorow dem Beginn des ersten Satzes, um dann leicht auseinandergefächert feinfühlig das Hauptthema zu vollenden. Von diesem Moment an bestimmte die Anmut und Leidenschaft seines Spiels die Wirkung des Konzerts. Mit einer lyrischen Grundstimmung übernahmen die feinfühligen Streicher des Orchesters den duftigen Zauber der verblüffenden Farbenspiele der Harmonik, bis Jaap van Zweden bewusst überbordente Energieschübe im Kontrast mit betont überdehnten Generalpausen kombinierte: eine Vorgabe, auf der sich Kantorow nachdenklich entfaltete. Wie selbstverständlich wuchsen der Solopart aus den Orchesterstimmen heraus und umgekehrt. Ein begeisternd ausgeglichener Dialog zwischen den Partnern mit wahren Wundern der Wandlungsfähigkeit durchliefen das Hauptthema und entwickelten glanzvolle. Emotionen. Faszinierend, mit nie versagender Phrasierungskunst gestaltete Kantorow die Kadenz.
Ohne aufgesetzte Dramatik führte Jaap van Zweden das Orchester in das Andante con moto und spielte ganz bewusst den betonten Gegensatz zum Klavierpart aus. Es war eine interessante Erfahrung, die Beethoven-Komposition mit einem Orchesterklangbild, das dem gewohnten Dresdner Klang ziemlich konträr war, zu hören. Fast flehend besänftigend setzte sich Kantorow den schroffen Einwänden des Orchesters entgegen. Seine Töne und Harmonien ordnete und wendete er zu kostbaren Klangfolgen, gestaltete individuelle Schattierungen bis zum atemlosen Pianissimo am Satzausklang
Mit dem „Rondo vivace-Finalsatz“ waren die Diskussionen beendet und die Meinungsverschiedenheiten offenbar überwunden, so dass Kantorow mit dem Beethoven-typischen Brio in rasenden Läufen brillierte. Der hervorragende Solocellist mit einer sinnenden Gesangslinie, die Hörner mit glitzernd markanten Einwürfen und die herrlich strahlenden homogenen Streicher beendeten Beethovens revolutionäre Verschmelzung von Solopart und Orchester in Jaap van Zwedens und Alexandre Kantorows Interpretation auf das Prachtvollste wie selbstverständlich.
Mit dem sensibel interpretierten Intermezzo op. 118/2 von Johannes Brahms bedankte sich Alexandre Kantorow für den stürmischen Applaus des Dresdner Publikums.
Für uns Heutige bleiben deshalb die Querelen der Uraufführung des G-Dur Klavierkonzerts am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien unerklärlich. Der 38-Jährige Beethoven hatte die erste öffentliche Präsentation seines Opus 58 in ein regelrecht überfrachtetes Mamut-Konzert hineingepackt. Das mit seiner fünften und sechsten Symphonien, drei Teilen der C-Dur-Messe op. 86, einer Konzertarie „Ah, perfido" sowie der Chorfantasie op. 80 kombinierte Klavierkonzert überforderte das Orchester, so dass Beethoven sich bei den Proben mit den Musikern überwarf und nur aus einem Nebenraum dem verängstigten Dirigenten Korrekturvorschläge machen konnte.
Im dritten Teil des Programms folgte Dmitri Schostakowitschs Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70. Als Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) zum Jahreswechsel auf 1945 angesichts der Fortschritte der Roten Armee im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht gefragt wurde, wie er den bevorstehenden Sieg besingen wolle, reagierte er, dass er zwar an eine neunte Symphonie denke, und, falls er einen entsprechenden Text fände, dieses Werk für Chor, Solisten und Orchester komponieren wolle. Er befürchte aber, dass man ihn dann unbescheidener Analogien verdächtigen könne. Der zurückhaltende „Dima“ wollte keinesfalls vom zu erwartenden Siegestaumel profitieren. Deshalb bleibt nicht verwunderlich, dass Schostakowitsch am 30. August 1945 ein kleines rein instrumentales Werk mit fünf Sätzen beendete und bald darauf aufführen ließ. Die gesamte neunte Symphonie war nicht länger, als die Kopfsätze seiner „Leningrader“-siebten von 1942 oder der tragischen achten Symphonie von 1943.
In den letzten Kriegswochen hatte Schostakowitsch tatsächlich an einer Exposition und der Durchführung eines Ersten Satzes gearbeitet, brach aber die Weiterführung ab, um im Sommer 1945 innerhalb von fünf Wochen seiner Erleichterung und seinen Hoffnungen auf die Zukunft mit diesen fünf Sätzen Ausdruck zu verleihen.
Vom sowjetischen Publikum war die Symphonie differenziert aufgenommen worden. Wegen des fehlenden Heroismus und ob ihrer Bescheidenheit waren viele enttäuscht. Aber ansonsten wurde das Werk überwiegend als „Ausdruck der Freude über den Sieg, als lakonische, lebensbejahende Reaktion der Erinnerungen an die schrecklichen Stürme des Krieges und deren Überwindung“ mit Begeisterung gefeiert.
Die vermeintlich dicke KGB-Akte des Komponisten ist uns noch nicht zugänglich, so dass Analysen seiner Arbeiten, Äußerungen von Zeitzeugen auch über seine psychischen Probleme noch immer Spielflächen von Spekulationen bleiben. Sicher ist aber, dass er sich im problematischen Bereich eines staatlich gut alimentierten Künstlers bewegte, dessen Werke vom Publikum sowie von seinen Fachkollegen überwiegend hoch geschätzt wurden, der aber von der offiziellen Kulturpolitik argwöhnisch beobachtet blieb. Ob und bis zu welchem Umfang er politisch und gesellschaftlich reglementiert worden war, bleibt aber zumindest für mich offen.
Der erste Satz ist vollständig von der Attitüde des sorglos Heiteren geprägt, ist humorvolle und amüsante Musik, während ihm der zweite Satz durchaus nachdenklichere und der vierte Satz sogar tragische Töne gegenüber stehen, bevor das Finale die komödiantischen Züge des Kopfsatzes, allerdings mit einigen ins grelle überspitzten Aspekten wieder aufnimmt. Schostakowitsch lässt für Jenen der genau hinhört, keinen Zweifel aufkommen, dass er angesichts dessen, was der Krieg und der Sieg gekostet haben, keine Freude zu empfinden vermag.
Ob man deshalb die Symphonie zu jenen Grabdenkmälern zählen sollte, zu denen Schostakowitsch die meisten seiner Symphonien erklärt hatte, bleibt für mich fraglich.
Der 1960 in Amsterdam geborene und seit 1995 als Dirigent tätige Jaap van Zweden ging die 9. Symphonie Dmitri Schostakowitschs wie ein echter Kosmopolit unvoreingenommen an.
Der erste Satz begann mit humorvoller, amüsanter Musik und schien vollständig von sorgloser Heiterkeit geprägt. Die harmlosen, fast spielerisch-fröhlichen Anklänge erwiesen sich aber im Satzverlauf zunehmend als aufgesetzt und schlossen einen möglichen Siegesjubel aus.
Ein nachdenklicher Klagegesang im zweiten Satz erinnerte an die problematischen ersten Kriegsjahre und die spürbaren seelischen Narben. Die traurigen Klänge des glänzenden Flötensolos zogen eine nüchterne Bilanz und vermitteln den Eindruck von Einsamkeit. Die Zähigkeit am Ende des Satzes mag an die Strapazen des Kampfes und die endlosen Märsche durch Matsch und Schnee erinnern.
Verzweifelt-hysterisch hetzt der dritte Satz Presto voran. Der im Tempo angezogene Marsch tobte regelrecht, ohne dass ein erlösendes Ziel in Sicht wäre.
Das konnten auch die eher sarkastischen Fanfaren des vierten Satzes mit ihrem überzogenen militärischen Klang nicht versprechen. Die tragischen Bläsersignale gingen fast ins Leere, so dass das berückende Fagott-Solo wieder eine Klage übernehmen muss, um von der Allgegenwart des Todes und der Trauer zu künden. Ohne Pause schloss sich der fünfte Satz mit einem Fagott-Übergang an, bevor das Finale die komödiantischen Züge des Kopfsatzes allerdings mit einigen grell überspitzten Aspekten wieder aufnehmen konnte.
Die Interpretation Jaap van Zwedens der Schostakowitsch-Symphonie war so zu einem Appell gegen jede Freude einer Kriegsvorbereitung geworden. Sein hochengagiertes Dirigat und das hervorragende Hong Kong Philharmonic Orchestra entlockten der vielschichtigen Partitur all die Facetten und Färbungen, die Schostakowitsch den Musikern vorgegeben hatte.
Natürlich kann man Schostakowitschs 9. Symphonie auch als anti-stalinistisches Werk definieren. Angesichts der derzeitigen geopolitischen Weltlage und unserer gesellschaftlichen Stimmungen war eine erfrischende und entspannte Interpretation die bessere Lösung.
Für die Erfahrung, den Konzertsaal mit einen anders geprägten Orchesterklang erlebt zu haben , dankte das aufgeschlossene Publikum mit heftigen Beifall den deutlich im Durchschnitt jüngeren Musikerinnen und Musikern des Hong Kong Philharmonic Orchestra, die uns mit dem Furiant der Slawischen Tänze Antonin Dvořáks gelöst in die Nacht entließen.