Dresden, Kulturpalast, FILARMONICA ARTURO TOSCANINI - Gastkonzert, IOCO Kritik, 11.06.2023
Filarmonica Arturo Toscanini- Gastkonzert
mit Omer Meir Wellber - Michail Pletnev
von Thomas Thielemann
Der 1981 in Israel geborene Komponist Omer Meir Wellber war vom Beginn der Saison 2018/2019 bis zum Jahre 2022 Erster Gastdirigent der Dresdner Semperoper. Seine Dirigate der Gastkonzerte der Filarmonica Arturo Toscanini bei den Dresdner Musikfestspielen 2023 waren ein weiterer Nachweis, dass man den hochkreativen Dirigenten hätte unbedingt in der Stadt halten sollen.
Besonders gespannt waren wir im Konzert des 9. Juni 2023 auf die Aufführung des Klavierkonzerts Nr. 1 b-Moll von Peter Tschaikowski (1840-1893) mit Michail Pletnev als Solisten. Obwohl der 1957 in Archangelsk geborene Komponist, Dirigent und Pianist seit Jahren das europäische Musikleben bereichert, haben wir Pletnev bisher nur als Musikalischen Leiter des Konzertes am 13. Februar 2011 zur Erinnerung an die Zerstörung Dresdens im zweiten Weltkrieg mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms erleben dürfen.
Im Konzert bot uns Michail Pletnev seinen individuellen „Tschaikowski“. Das begann damit, dass er den für ihn gebauten Flügel des japanischen Klavierbauers Shigeru Kawai mitgebracht hatte. Nach Auffassung des Pianisten ist der hervorragende Sound des Kawai-Flügels gegenüber den Steinway-Instrumenten dunkler, nicht so hochgetunt und damit Pletnevs persönlichem Klangempfinden näher.
Im Konzert spielte Pletnev die Erstfassung Tschaikowskis aus dem Jahre 1874, die wesentlich lyrischer, langsamer daherkommt, als die uns seit Jahren geläufige Version. Die geringeren Anforderungen der Erstfassung an Pletnews Virtuosität ermöglichte ihm mehr Entfaltungsmöglichkeiten und Feinheiten der Komposition zu betonen. Deshalb wollte Pletnev auch nicht mit dem üblichen Tastendonner bei dem wohl berühmtesten Auftakt eines Klavierkonzertes dienen. Nach der von Wellber ungewohnt zurückhaltend gestalteten Introduktion richtete sich der auf einem Stühlchen sitzende Nachdenkliche auf, griff nach den Tasten des Kawai-Flügels, sezierte mit sanft perlenden Tönen den Kopfsatz „allegro non troppo“ und macht jede Note hörbar. Da war im Spiel nichts ausgelassen oder verwischt. Sein phantastischer Anschlag sicherte insbesondere in den leisen, melodiösen Passagen die Wirkung und ließ alles leichter und farbiger erscheinen.
Aber er konnte durchaus in den schnelleren Partiturabschnitten heftiger agieren, allerdings ohne sich zu verausgaben. Pletnev blieb immer beherrscht, sein Stilgefühl bewahrte ihn, es mit Lautstärke zu übertreiben.
Im Zusammenwirken mit dem Orchester war die Übersicht des dirigierenden Interpreten erkennbar, so dass eine geschlossene Mischung von kühler Analyse und Pletnevs subjektiver Werkauffassung zu erleben gewesen war. Das aus überwiegend jüngeren Musikern bestehende Orchesters folgte den Intensionen des Solisten und sicherte die Wirkung dieser von Altersweisheit geprägten Tschaikowski-Deutung.
Für den reichen, herzlichen Beifall bedankte sich Michail Pletnev mit Mili Balakirows (1836-1910) Bearbeitung der Glinka Miniatur „die Lerche“, mit der die Besucher nochmals die Möglichkeiten seines phantastischen Anschlags auskosten konnten.
Das Klavierkonzert wurde von zwei Ouvertüren eingerahmt. Mit dem Vorspiel zu Giuseppe Verdis (1813-1901) „I vespri siciliani“ als einer Demonstration der Kernkompetenz der italienischen Musiker und mit Richard Wagners (1813-1883) „Tannhäuser-Ouvertüre“ als Verbeugung vor der Gastgeberstadt, erlebten wir Omer Meir Wellber so, wie wir ihn über Jahre im Graben hören durften.
Zur Komplettierung des Abends dirigierte Omer Meir Wellber die Filarmonica Arturo Toscanini mit den „Metamorphoseon Modi XII“ von Ottorino Respighi (1879-1936) ein seltener gespieltes Werk. Obwohl Respighi zu den bedeutenden italienischen Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte, werden eigentlich nur seine Symphonischen Dichtungen der „Trilogia Roma“ häufiger aufgeführt. Die „Metamorphoseon Modi XII“ gehört zur Gruppe jener Kompositionen, die Serge Koussevitzky (1874-1951) anlässlich des 50. Jahrestags des Bestehens des Bostoner Symphonieorchesters in Auftrag gegeben hatte. Neben Kompositionen von Ravel, Strawinsky, Hindemith sollte auch ein Werk Respighis ein Repräsentant Neuer Musik im Festspielreigen werden. Und so wie Strawinsky seine „Psalmensymphonie“ ohne rechten Bezug zum Auftrag nach Boston schickte, hat Respighi eine Arbeit, die er zufällig fertig gestellt hatte, an den großzügigen Koussevitzky zur Uraufführung übergeben. Dem Vernehmen nach sei Respighis Phantasie von Rimsky-Korsakov zu den „zwölf Variationen über ein Thema: Andante moderato“ angeregt worden, wobei die zwölf Transformationen in ein überwältigendes finales „Vivo non troppo“ mündete. Neben dem geschlossenen Können des Orchesters beeindruckten solistische Leistung und dabei besonders die Kadenz des VII. Modus der Kapellmeisterin Mihaela Costea.
Zwei Opernzugaben, der Toreromarsch aus Carmen und das „Intermezzo sinfonico“ aus Cavalleria rusticana, erzeugten jene stehenden Ovationen beim Publikum, die ich mir auch für das Tschaikowski-Klavierkonzert gewünscht hätte.