Dresden, Kulturpalast, Dresdner Musikfestspiele 2023 - Chamber Orchestra of Europe, IOCO Kritik, 29.05.2023
Dresdner Musikfestspiele 2023 - Chamber Orchestra of Europe
- Altersweisheit trifft jugendliche Unbekümmertheit -
von Thomas Thielemann
Zu den reizvollen Aspekten der Dresdner Musikfestspiele gehört, dass wir mehrfach Konzerte von uns bekannten Dirigenten mit häufig gehörten Werken aber selten oder bisher noch nie wahrgenommen Orchestern erleben können.
Das Chamber Orchestra of Europe war 1981 aus der Gruppe der 140 jungen Musiker des Europäischen Jugendorchesters auf Anregung Claudio Abbados entstanden, um den die die Altersgrenze von 26 Jahren überschreitenden Musikern eine Gelegenheit zu geben, in einer freien Formation weiter gemeinsam musizieren zu können. Etwa 60 professionelle Musiker, die überwiegend aus Spitzenorchestern Europas kommen, treten mit erfahrenen Dirigenten bevorzugt bei Festivals auf. Im vergangenen Jahr war das Kammerorchester mit Simon Rattle in Dresden. In diesem Jahr 2023 treffen die Musiker mit Werken von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) auf den Doyen der Orchesterleiter Herbert Blomstedt.
Das Mendelssohn-Violinkonzert konnten wir zuletzt im vergangenen Herbst von der erfahrenen Julia Fischer mit der Sächsischen Staatskapelle hören, so dass ein fast unmittelbarer Vergleich anstand. Als Solistin des e-Moll-Violinkonzertes war die inzwischen im Konzertbetrieb etablierte spanische Geigerin María Dueñas nach Dresden gekommen.
Herbert Blomstedt gab der jungen Solistin allen Raum, um ihr virtuoses Können unbekümmert ausbreiten zu können. Er überließ ihr die Tempogestaltung des Konzertes, begnügte sich mit Eingriffen in die Dynamik des Orchesterparts und sicherte aber in jeder Phase eine ausgewogene Balance des Orchesters zum Solopart. Die Dynamik des Orchesters blieb stets elegant und präzise. María Dueñas spielte ihr Können von Anfang an aus. Sie brachte ihre außerordentliche Technik zur Geltung und meisterte die Hürden der Partitur spielend.
Gestützt wurde der großartige Eindruck von dem in hohen Lagen strahlend klaren Ton und dem wunderbar warmen in der Tiefe weichen Timbre ihrer Violine „Herzog von Camposelice“. Der Klang des 1710 in der Cremonenser Werkstatt des Antonio Stradivari (um 1644-1737) gebauten Instruments war bei aller Fülle immer transparent und klar geblieben.
Die ausladenden Melodiebögen Mendelssohns nutzte sie zur Entfaltung ihrer gekonnten Spielfertigkeiten und bot die überleitenden Passagen mit erlesener Eleganz. Die lyrischen Passagen ließ María Dueñas ruhig angehen, so dass die Spannung etwas abfiel, wenn sie mit ihrem silbrigen, weichen Ton ins Schwelgen geriet. Stets blieb der Eindruck eines eleganten Fließens.
In Mendelssohn Kopfsatz-„Molto appassionato“ war Dueñas über jeden Zweifel erhabene Technik stabil, auch in den ruhig absteigenden Sequenzen vor der eher langsam genommenen Kadenz differenziert ausgeformt. Die Darbietung der Kadenz ließ bereits María Dueñas künstlerische Reife durchscheinen.
Ein zart, mit beseelter Innigkeit gestalteter zweiter Satz, der in den subtilen Übergang zum „Allegretto non troppo“ führte. Im Finalsatz meisterte sie die virtuose Komponente des rasenden Passagenwerkes ebenso mühelos, wie den stilsicher beschwingten Abschluss. Beeindruckend gelang ihr, den schwierigen Spagat, die solistische Rolle selbstbewusst, aber nicht selbstdarstellerisch auszufüllen. Die bereits vor der Pause gespendeten stehenden Ovationen dürften nicht nur der Solistin, sondern vor allem dem in Dresden besonders geschätztem Phänomen Herbert Blomstedt gegolten haben.
Während Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert e-Moll op. 64 eine Freundschaftsgeste zu Ferdinand David (1810-1873), damit letztlich ein Auftragswerk an sich selbst gewesen war, ist die Entstehung der a-Moll-Symphonie „Schottische“ zunächst auf die emotionalen Reiseerlebnisse des zwanzigjährigen Felix durch das schottische Hochland zurückzuführen. Noch auf der Reise notierte er 1829 eine Klavierfassung des Andantes. Aber andere Projekte, so die Wiederaufführung der „Matthäuspassion“ Johann Sebastian Bachs in Berlin, schienen ihm wichtiger. Auch die Verarbeitung der Eindrücke des Besuchs einer Schottischen Untertage-Bleimine, die bei dem konvertierten Juden den Wunsch zu einem musikalischen Glaubensbekenntnis zum Protestantismus geweckte hatte, schienen dringlicher und mündete in die „Reformations-Symphonie“. Dann gab es noch die unbeschwerte Reise 1830 und 1831 in den Süden, die zur Symphonie A-Dur „Italienische“ führte.
Es ist wenig bekannt, wann Felix die Edinburgher Klaviernotizen wieder herausholte, in welchen Zeiten und unter welchen Umständen er die vier Sätze im Verlaufe der Jahre bis 1842 komplettierte. Die Reihung der Sätze, die Entwicklung der düsteren Musik von den Schottischen Ruinen in die lebhafteren Eindrücke in Leipzig und Berlin, lassen schon vermuten, dass da im Verlaufe der dreizehn Jahre spätere Inspirationen eingeflossen sind. Selbst Felix bekundete, dass er sich nicht mehr recht in die schottische Nebelstimmung habe versetzen können. Keinem Geringeren als dem Kritiker Robert Schumann unterlief, dass er in einer Rezension die „Schottische“ mit der „Italienischen“ verwechselte. Aber dass Felix Mendelssohn Bartholdy am 3. März 1842 das Werk im Gewandhaus zu Leipzig ohne Satzpausen „attacca“ dirigierte, dürfte weniger inhaltliche Gründe finden. Er ärgerte sich nur über den gelegentlichen Satzbeifall einiger Leipziger Banausen.
Auch bei der „Schottischen-Symphonie“ stand der zeitnahe Vergleich mit David Afkhams Einstand bei der Staatskapelle im 4. Symphoniekonzert zur Verfügung. Bereits mit den ersten Takten war der gestalterische Wille Herbert Blomstedts zu spüren. Seine sparsamen Bewegungen vermittelten den Musikern alles für eine ausdrucksstarke Aufführung Notwendige. Der Einsatz des Themas des Kopfsatzes und die Führung zum „Allegro un poco agitato“ hatten schon erwarten lassen, dass uns der Zauberer am Pult wieder einmal oft Überhörtes erschließen werde und dass es lohnte, die Ohren auf konzentrierten Empfang zu schalten.
Nach dem Kopfsatz, der mit seiner Sprödigkeit andeutete, dass der Klassizist Mendelssohn durchaus romantisch daher kommen konnte, ließ Blomstedt den zweiten Satz „Vivace non troppo“ perlend, wenig tänzerisch aufführen. Während sich im dritten langsamen Satz zwischen Orchester und Dirigent ein prachtvolles mehrstimmiges Zusammenwirken entwickelt hatte, wurde der Finalsatz impulsiv-brisant knisternd und voller Leuchtkraft gespielt. Nur im Allegro vivacissimo gewährte Herbert Blomstedt dem Orchester, den Klang hochdramatisch aufblitzen zu lassen.
Das satte Spiel der Streicher des Chamber Orchestra, das große Potential der Blechbläser und vor allem die virtuos musizierenden Holzbläser bildeten das sichere Fundament für das fesselnde Hörerlebnis. Vor allem das hervorragende Klarinetten-Solo begeisterte.
Blomstedts fortwährende Änderungen der Dynamik mit mehr mezzo-piano als forte sicherte bis ins Pianissimo einen tragfähigen Klang. Selbst kleine Anpassungen der Klangfarbe, die behutsam gesetzten Farbtupfer ließen die Interpretation mit ihren mehrfachen Wiederholungen hochkomplex und verflochten wirken lassen.
Die Transparenz im Orchesterklang und die volle Nutzung der Breite des Klangspektrums ermöglichten dem Dirigenten mit dem Orchester zur Tiefe der Komposition vorzudringen. Gerade in der vordergründigen Leichtigkeit und Einfachheit der Musik Mendelssohns ihre Substanz zu finden, war die hohe Kunst Blomstedts zu erleben.