Dresden, Kulturpalast, Die Sächsische Staatskapelle - zum 474sten Gründungstag, IOCO Kritik, 24.09.2022
Sächsische Staatskapelle zum 474sten Gründungstag - Leonidas Kavakos gratuliert und ....
- Am 22. September 1548 unterzeichnete Moritz von Sachsen die Gründungsurkunde der Kurfürstlichen Kapelle -
von Thomas Thielemann
Der Leipziger Bürger-Kantor Johann Sebastian Bach (1685-1750) hatte eine doch etwas ironische Distanz zum höfischen Dresdner Musikleben. Als er 1731 im Zusammenhang einer Orgelkonzert-Reise am 13. September mit seinem Sohn Wilhelm Friedemann (1710-1784) im „Großen Opernhaus“ am Zwinger die Uraufführung der Oper Cleofide von Johann Adolph Hasse (1699-1783) besuchte, soll er dem jungen Begleiter „Da wollen wir mal die Dresdner Liedchen hören“ zugeraunt haben.
Das hatte zwar Bach nicht gehindert, sich 1733 in Hinsicht auf die gegenüber Leipzig komfortableren Arbeits- und Lebensbedingungen mit einer katholischen Messe in h-Moll, heute als Urfassung der h-Moll-Messe „Missa BWV 232 I“ bekannt, als „Compositeur bei der Hof Capelle“ zu bewerben.
Aber den Titel als „Königlich Polnischen und Kurfürstlich Sächsischen Hofkapellmeister“ schnappte ihm besagter Hasse im gleichen Jahr weg, so dass Bach erst 1736 von August III. (1696-1763) nach einigen weiteren Huldigungs-Kompositionen den Titel „Königlich Polnischer und Kurfürstlich-sächsischer Compositeur bey Dero Hoff-Capelle“ nebst einem Honorar erhielt.
Die Hofkapelle hat Bach nie dirigiert. Da aber inzwischen die Gepflogenheit, mit den jährlichen Geburtstagskonzerten der „Gesellschaft der Freunde der Sächsischen Staatskapelle Dresden“ am 22. September mit Kompositionen früherer Musiker des Traditions-Klangkörpers an diesen Teil der Orchester-Tradition zu erinnern, verschwunden ist, war es durchaus angängig, das von Leonidas Kavakos gestaltete Konzert mit der Rekonstruktion nach Bachs Cembalokonzert BWV 1052, dem „Violinkonzert d-Moll BWV 1052“ zu eröffnen.
Leonidas Kavakos hatte dazu seine „Willemotte-Stradivari“ von 1734 mitgebracht. Geschaffen wurde das außergewöhnliche Instrument 1734, als Antonio Stradivaris Söhne die legendäre Werkstatt in Cremona bereits führten und er sich ob seiner 90 Lebensjahre Zeit zum Experimentieren nahm. Er vergrößerte die Wölbung des Instruments, um mehr Raum im Korpus für Klangproduktion, Farbe und Klangtiefe zu schaffen. Die Klangbreite des Instruments mit seiner Intensität und der darunterliegenden Dunkelheit kombiniert das Beste der Instrumente Stradivaris mit denen der Werkstatt Guarneris, ohne dabei das Stradivari-typische Zischen in den Hohen Lagen zu opfern. Namensgeber der Geige war der Amsterdamer Violinist Charles Willemotte, auch Wilmotte (1817-1883). Leonidas Kavakos konnte 2017 nach mehreren Anläufen das außergewöhnliche Instrument käuflich erwerben. Vor ihm hatten das Instrument unter anderem der Violinist und Komponist Jean Baptiste Cartier (1765-1841) sowie die deutsche Geigerin Maria Lidka (1914-2013), letztere bis in ihr hohes Alter, gespielt.
Die Ursprünge des BWV 2052 gehen mit einer gewissen Sicherheit auf Bachs Weimarer Zeit zurück. Wahrscheinlich ist Bach von Johann Georg Pisendel (1687-1755) mit Vivaldis berühmten Violinkonzerten bekannt gemacht worden. Ob Bach intuitiv das Potenzial der modischen Gattung erkannte, ist nicht belegt. Zumindest experimentierte er mit dem Genre und schuf mit dem „Violinkonzert in d-Moll“ mit vielen Saitenkreuzungen und offenen Saitentechniken eine derartige technische Herausforderung, die nur wenige Geiger bewältigen konnte und damit kaum interessierte, so dass das Notenmaterial verloren ging.
Da aber Bach seine einmal gehabten musikalischen Ideen immer wieder einsetzte, hat er seine Weimarer Melodie in den Kantaten BWV 146 und 188, sowie im Leipziger Collegium Musicum, wo er oft Cembalo-Soli spielte, eingebracht. Möglicherweise hat er die Tonfolge 1724 auch auf einer der Dresdner Silbermann-Orgeln vorgestellt. Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel hat 1734 eine Partitur der Orchesterstimmen (BWV 1052a) erstellt, der später auch eine Cembalo-Stimme hinzugefügt wurde.
Carl Philipp Emanuels Arbeit bot eine gute Grundlage für Rekonstruktionen des d-Dur-Violinkonzertes seines Vaters.
Im Konzertleben des 19. und frühen 20. Jahrhunderts etablierten sich Bachs Violinkonzerte nur zögerlich. Die Weiterentwicklung der zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus Italien übernommenen Concerto-Form durch Johann Sebastian Bach beruhte auf der motivisch-thematischen Einbeziehung der Solostimme in das Orchester sowie die kontrapunktische Durcharbeitung des Satzgeschehens, was erst nach und nach Anerkennung fand.
Im Konzert stellte Leonidas Kavakos die von dem Musikwissenschaftler, Musikpädagoge und Dirigent Wilfried Fischer für die „Neue Bachausgabe“ editierte Rekonstruktion des „d-Moll-Konzertes BWV 1052 für Violine, Streicher und Basso continuo“ vor.
Impulsiv, erfrischend, ohne ehrfurchtsvolle Erhabenheit und mit makelloser Intonationssicherheit näherte sich Leonidas Kavakos mit den Musikern der Sächsischen Staatskapelle dem Kopfsatz-Allegro der Bach-Rezeption.
Das Adagio intonierte Kavakos erneut ohne Partitur betont konzentriert und langsam. Mit subtil-feinsten Abstufungen wurden die Feinheiten der Komposition ausgelotet. Der Solist stand mit dem Farbenreichtum seiner „Willmotte“ im Vordergrund und ließ dem Streichorchester und dem Basso continuo wenig Raum.
Erst mit dem abschließenden Allegro gab der Solist mit einer Öffnung seiner Virtuosität auch den Streichern des Orchesters die Gelegenheit, ordentlich gegenzuhalten.
Im zweiten Teil des Konzertes interpretierte Leonidas Kavakos mit Musikern der Staatskapelle von Sergej Prokofjew (1891-1953) dessen Erste Symphonie D-Dur, die „Symphonie classique“.
Drei sinfonische Versuche benötigte der junge Komponist, ehe er seine erste Symphonie D-Dur als sein Opus 25 der Öffentlichkeit 1918 vorstellte. Sein erster Versuch von 1902, als er im Alter von elf Jahren unter Anleitung von Reinhold Glière (1875-1956) eine Symphonie in G-Dur schrieb und sein zweiter Anlauf von 1908, als er sich mit einer e-Moll- Komposition versuchte, blieben unveröffentlicht. Die fünf knappen Sätze der Sinfonietta A-Dur blieben von 1909 bis zu einer ersten Überarbeitung 1914 sowie der Erst-Publikation 1915 liegen. Und auch erst nach einer weiteren gründlichen Revision im Jahre 1929 erhielt die Sinfonietta ihre endgültige Opuszahl 48.
Während im Jahre 1917 in Russland die heftigsten gesellschaftlichen Umbrüche stattfanden, wurde das Jahr für den Komponisten Prokofjew zur produktivsten Zeit. Es wurde zwar berichtet, dass er die revolutionären Umbrüche im Februar 1917 begrüßt habe, aber offenbar waren ihm die Umstände der Doppelherrschaft der Kerenski-Regierung und der Sowjets unklar geblieben.
Er zog sich in die Ruhe des von seinem Vater verwalteten Landgutes zurück und arbeitete liegengebliebene Projekte auf. Er beendete die beiden seit 1907 begonnenen Sonaten op. 28 und op. 29, schrieb an den 20 „Visions Fugitiver“ nach einem Gedicht von Konstantin Balmont (1867-1942), vollendete das 1916 begonnene D-Dur-Violinkonzert Nr. 1 und schuf auch endlich seine erste Symphonie D-Dur op. 25, die „Symphonie classique“.
War es ein Ignorieren der russischen Situation, die Sehnsucht zu vergangenen Zeiten oder was sonst: jedenfalls entschloss sich der 26-Jährige Komponist, eine Symphonie zu komponieren, die dem Gefühl der Zeit Haydns und Mozarts nahe kommen solle ohne dabei seine eigene Handschrift zu verleugnen. Mit vier knapp gehaltenen Sätzen nahm Prokofjew Bezug auf die alten Zeiten, würzte die Komposition mit witzigen Verfremdungen, baute plötzliche harmonische Wendungen und irreguläre Rhythmen ein. Sobald sich der Hörer seiner Sache sicher fühle, wird er auf liebenswürdige Weise verunsichert.
In den weiteren Teilen des Konzertes war Leonidas Kavakos als Dirigent und Orchesterleiter wirksam. Ohne Dirigentenstab, aber unter effektivem Einsatz beider Arme gab er den Orchestermusikern klar artikulierte Anweisungen.
Mit dem Kopfsatz betonte Kavakos das ironisch-provokative der Komposition, während mit dem ausgewogen Melodischen des Largetto die besondere Spannung und die Prägnanz der Symphonie verdeutlicht wurde. Dem folgten das Tänzerische der Gavotte und der dann richtig aufgedrehte turbulente Finalsatz, der dann eher einer Jahrmarkt-Szene, als einem Symphonie-Schluss entsprach.
Zum Abschluss des Konzertes interpretierte Leonidas Kavakos mit den Musikern der Staatskapelle die „Symphonie Nr. 8 G-Dur op. 88“ von Antonin Dvo?ák (1841-1904). Vor ziemlich exakt drei Wochen hörten wir im gleichen Saal Dvo?áks siebte Symphonie d-Moll mit dem Philadelphia Orchestra und dem Dirigat von Yannick Nézet-Séguin. Bei aller Wertschätzung der Gäste aus Übersee, das Gründungskonzert hat uns wieder vor Augen (und vor allem vor Ohren) geführt, mit welch wunderbarem Klang uns die Staatskapelle verwöhnt und welch ausgezeichnete Solisten sie beheimatet.
Besonders gefreute hatte uns, dass Tibor Gyenge das Pult des Konzertmeisters besetzen konnte.
Mit seiner Interpretation der achten Symphonie Antonin Dvo?áks betonte Leonidas Kavakos den entspannten Optimismus, die Heiterkeit und ungebrochene Lebensfreude der Komposition. Er animierte die Musiker der Staatskapelle zu filigranem Spiel und legte auf ausgeprägte Piano-Stellen wert, nahm am Schluss des ersten Satzes die Tempi zurück, um die Intimität zu betonen.
Die Kapelle folgte seinen Intensionen mit begeisternder Spielfreude und wunderbaren Solo-Darbietungen. So erreichten uns besonders die gleißend singenden Celli-Passagen, die elegisch-virtuosen Holzbläser-Rubriken und natürlich das wunderbare Solo des Konzertmeisters. Mit Zurückhaltung und ohne zu verkitschen, zwischen Leichtfüßigkeit und verhaltener Schwermut wurde der walzerartige dritte Satz gespielt, bis dann dynamisch die Trompeten die Fanfare des Finales einleiteten. Die Celli mit warmen Kantilenen und eine hervorragende Solo-Flöte übernahmen, und gaben dem Dirigenten Gelegenheit zu einer gewissen Entschleunigung, bis dann die geballte Kraft der Staatskapelle, keinen Effekt scheuend, mit dem rasenden Furiant den Schluss gestaltete.
Mit frenetischem Applaus dankte das Publikum dem Orchester und vor allem dem Gastgeber Leonidas Kavakos.
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