Dortmund, Konzerthaus, London Symphony Orchestra - Barbara Hannigan, IOCO Kritik, 08.03.2023

Dortmund, Konzerthaus, London Symphony Orchestra - Barbara Hannigan, IOCO Kritik, 08.03.2023
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Konzerthaus Dortmund

Konzerthaus Dortmund © Daniel Sumesgutner
Konzerthaus Dortmund © Daniel Sumesgutner

London Symphony Orchestra - Barbara Hannigan

- Olivier Messiaen: L'Ascension  -  Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 4 G-Dur -

von Thomas Birkhahn

Zwei unterschiedliche musikalische Wege in den christlichen Himmel werden am 5.3.2023 vom London Symphony Orchestra (LSO) unter Leitung von Barbara Hannigan im Konzerthaus Dortmund beschritten.

Zunächst erklingt Olivier Messiaens viersätziges Frühwerk „L'Ascension“ (Himmelfahrt), welches der streng katholische Komponist im Jahr 1933, gerade 25 Jahre alt, schrieb.

Messiaen wählt Satzüberschriften, die den Inhalt der Musik erklären und die nahelegen, dass es sich in den Ecksätzen um Gebete,im zweiten Satz um ein Lied und im dritten Satz um einen Tanz handelt.

Konzerthaus Dortmund / London Symphony Orchestra, Dirigat Barbara Hannigan © Holger Jacoby
Konzerthaus Dortmund / London Symphony Orchestra, Dirigat Barbara Hannigan © Holger Jacoby

Der erste Satz ist ausschließlich für Bläser komponiert. Messiaen schreibt Musik, die man im besten Sinne als gebetsmühlenartigbezeichnen könnte, weil sie immer wieder neu ansetzt und Gehörtes wiederholt.  Die Blechbläser des LSO spielen diese feierlich getragene Musik mit großer Wärme und strahlendem Glanz. Im zweiten Satz stehen dann zunächst die Holzbläser im Mittelpunkt, die mit klangschönen Soli, sehr frei, fast rezitativisch, den Zuhörer beeindrucken. Als sich die Streicher hinzu  gesellen,  hätte man sich mehr Einheitlichkeit im Klang gewünscht. Die hervorragende Akustik des Konzerthauses macht die unterschiedlichen Bogengeschwindigkeiten und unterschiedliche Intensitäten des Vibratos hörbar. Sie verhindern besonders in den ersten Violinen einen wirklich homogenen Klang. Am besten gelingt an diesem Nachmittag der dritte Satz, der „Tanzsatz“. Auch hier werden – analog zu religiöser Anbetung – Motive sehr oft wiederholt. Dirigentin Barbara Hannigan entlockt den Streichern sehr emotionale Klänge, sie  steigert die Musik sehr effektvoll bis hin zu einer Art Durchbruch, nachdem die Musik auf wie auf eine höhere Ebene gehoben wird und ein triumphales Tutti mit schneidender Schärfe und grellen Klangfarben religiöse Verzückung suggeriert.

Dieses Niveau erreicht der vierte Satz, der den Streichern vorbehalten ist, nicht ganz. Trotz teilweise sehr intensiver Farbgebung fehlt es wiederum an Einheitlichkeit im Klang. Es scheint, dass dem LSO bei diesem selten gespielten Werk (noch?) eine gemeinsame Klangvorstellung fehlt.

Gustav Mahler Gedenkstätte in Wien Foto IOCO
Gustav Mahler Gedenkstätte in Wien Foto IOCO

Mahlers Vierte Sinfonie ist um die Jahrhundertwende entstanden und es ist seine letzte Sinfonie, in die er eines seiner „Wunderhorn“-Lieder integriert. Ursprünglich hatte Mahler sein acht Jahre zuvor komponiertes Lied „Das himmlische Leben“ als Finale seiner Dritten Sinfonie geplant, entschied sich dann jedoch dafür, die riesenhafte Dritte mit einem großen Adagio zubeschließen und mit dem „Himmlischen Leben“ seine – nach Mahlerschen Dimensionen gemessen - kompakte Vierte zu beenden.

Hannigan wählt für die berühmten „Schellenklänge“ des Beginns ein extrem langsames Tempo, um dann beim Einsetzen des Hauptthemas in ein sehr rasches, beinahe hektisches Tempo umzuschwenken. Das soll vermutlich den Zuhörer aufschrecken und verfehlt seine Wirkung auch nicht, aber es bleibt die Frage, ob die Musik selber nicht schon genug „Aufschreckpotenzial“ besitzt und diese extremen Tempogegensätze überflüssig macht. Denn dass die Schellenklänge und das Hauptthema irgendwie nicht recht zusammen passen, wird auch ohne diese extremen Tempogegensätze deutlich.

Mahler schreibt „Bedächtig. Nicht eilen“ für die Schellenklänge  und dann „Recht gemächlich“ für das Hauptthema vor.  Das suggeriert keine komplett verschiedenen Tempi. Natürlich wissen wir nicht genau, was ein Komponist  im Jahr 1900 unter „gemächlich“ verstanden hat, aber Hannigans Wahl der Tempi wirkt doch etwas zu gewollt anders und überzeugt nicht recht.

Sie nimmt sich im Verlauf des Satzes dann viel Zeit für die gesanglichen Momente, lässt sie sehr breit ausspielen. Auch in der Durchführung, in der Mahler seine lieblich heitere Musik ins Spukhafte verkehrt, gibt es großartige  Momente gespenstischer Unruhe.

Konzerthaus Dortmund / London Symphony Orchestra, Dirigentin Barbara Hannigan © Marco Borggreve
Konzerthaus Dortmund / London Symphony Orchestra, Dirigentin Barbara Hannigan © Marco Borggreve

Aber auch am Schluss ist ihre Tempowahl nicht ganz überzeugend. Die letzte Rückkehr des Hauptthemas ist wie eine Frage, die etwas zögerlich gestellt wird. Das ist durch die Musik so angelegt und Mahler schreibt auch „sehr langsam und etwas zögernd“ in die Partitur, doch bei Hannigan kommt die Musik hier beinahe zum Stillstand, ihr extremes langsames Tempo wirkt auch hier ein wenig so, als wolle sie sich etwas zu gewollt von anderen Interpretationen absetzen.

Dadurch geht in diesem Kopfsatz der große Zusammenhang verloren. Trotz vieler schöner Momente fehlt der Blick fürs Ganze, die einzelnen Teile fügen sich nicht zu einer Einheit zusammen. Es scheint, als ob Hannigan diesen Satz nur aus der Nähe betrachtet und sich den einzelnen Details mit viel Liebe widmet aber dabei den Überblick über das Ganze verliert.

Besser gelingen ihr die Mittelsätze. Im Scherzo herrscht eine bissige Unruhe, Hannigan vermeidet hier zunächst allen Schönklang und lässt ihre Musiker die Ängste des Menschen im beginnenden 20. Jahrhunderts heraufbeschwören. Auch im wienerischen Ländler kommt wenig Lieblichkeit auf, sie scheint dem schmachtenden Wohlklang dieser Musik zu misstrauen, was aber ein durchaus stimmiges Gesamtbild dieses Satzes ergibt.

Ein echter Hörgenuss sind die Geigensoli des Konzertmeisters des LSO, der auf  seiner höher gestimmten „Teufelsgeige“ vibratolos und großartig unbequem und sperrig aufspielt.

Hauchzart beginnen die Celli den großen Gesang des Adagios, wunderbar fortgesetzt von den fantastischen Holzbläsern des LSO, bei denen allen voran die Oboe mit herzzerreißendem Spiel den Zuhörer begeistert. Etwas gestört wird die hauchzarte Stimmung von den Kontrabässen, deren glockenartige Pizzicato-Begleitung etwas zu gewichtig wirkt.

Konzerthaus Dortmund / London Symphony Orchestra hier Sopranistin Aphrodite Patoulidou © Daniel Nartschick
Konzerthaus Dortmund /London Symphony Orchestra hier Sopranistin Aphrodite Patoulidou © Daniel Nartschick

Ursprünglich war Dirigentin Barbara Hannigan auch für den Solopart des vierten Satzes  vorgesehen. Da sie jedoch stimmlich indisponiert war, übernimmt Sopranistin Aphrodite Patoulidou die Aufgabe, vom „Himmlischen Leben“ zu singen. Patoulidou kann auf ganzer Linie überzeugen. Ihr heller Sopran und ihr kommunikativer aber schlichter Vortrag erzählen auf anrührende Weise von  der Naivität eines kindlichen Engels im Himmel.

Aber auch hier überzeugt Hannigans Wahl der Tempi nicht immer. Bei den Worten „wir tanzen und springen und hüpfen und singen“ wählt sie ein zu breites Tempo, es kommt keine kindlich-naive Freude auf, sondern klingt eher wie mit angezogener Handbremse gesungen.

So bleibt besonders das phänomenale Spiel der Bläser des London Symphony Orchestra und der anrührende Gesang von Aphrodite Patoulidou von einem Konzert im Gedächtnis, das insgesamt nicht ganz überzeugen kann.

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