CD-Rezension, Das Wunder der Heliane - Erich Wolfgang Korngold, IOCO Rezension, 10.03.2019
NAXOS - CD : Das Wunder der Heliane - Erich Wolfgang Korngold
Expressionistisches Drama mit packender Wucht wiederentdeckt.
von Michael Stange
Erich Wolfgang Korngold zählte zu den besten und bekanntesten Filmkomponisten des 20 Jahrhunderts. Seine Filmmusiken für die Errol Flynn-Filme Captain Blood, Robin Hood und Essex haben in den Kinos und im Fernsehen Millionen von Hörern erreicht. Oscar prämiiert lag ihm in den dreißiger Jahren Hollywood zu Füßen.
Der Weg dorthin war ihm als Sohn des Wiener Musikkritikers Julius Korngold nicht vorgezeichnet. Geboren 1897 entpuppte er sich aber früh als eines der größten kompositorischen Talente seiner Zeit. Mit dem Ballett Der Schneemann startete er 11-jährig seine Karriere. Die vom Kompositionslehrer Alexander von Zemlinsky orchestrierte Pantomime wurde am 4.Oktober 1910 an der Wiener Hofoper uraufgeführt. Bei der Uraufführung seiner Oper Die tote Stadt Korngold er erst 23 Jahre alt.
Diese Begabung war aber zugleich auch sein großes Handicap. Von Jugend an Erfolg und Anerkennung gewöhnt, komponierte er nicht gern für die Schublade. Der einflussreiche Musikkritiker und Vater Julius Korngold öffnete ihm die Türen der Musikwelt. Er war gewöhnt, dass seine Werke sofort aufgeführt wurden. Das Wunder der Heliane vollendete er Ende der zwanziger Jahre nach einer längeren Schaffenspause in der er Operetten bearbeitete und dirigierte.
Als Das Wunder der Heliane 1929 uraufgeführt wurde, wehte aber musikalisch schon ein anderer Wind. Zur schärfsten musikalischen Konkurrenz des Werkes gehörten die von der Handlung wesentlich handfesteren Opern Cardillac von Hindemith, Wozzeck von Berg oder Johnny spielt auf von Krenek.
Korngold war auch ein Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahnes. In Österreich wurde nach 1933 die Heliane überhaupt nicht, die Tote Stadt nur wenige Male aufgeführt.
Gleichwohl belegen achtzig Aufführungen des Wunders der Heliane bis zum Jahr 1931, dass das Werk früh seinen Weg auf die Bühne gefunden hatte. Anders als sein Lehrer Alexander von Zemlinsky, dessen Opern bis 1980 überhaupt nicht aufgeführt wurden, war Korngold aber nie – auch infolge seiner Filmmusiken – vergessen. Er kehrte oft nach Europa zurück, konnte sich dort aber nicht wieder als „ernsthafter“ Komponist etablieren. Man respektierte ihn zwar als noch als Mitglied der Musikszene, aber ihm haftete zugleich der Makel eines musikalisch unzeitgemäßen tonalen Fossils an.
Gleichwohl wurde seine Tote Stadt vom Bayrischen Rundfunk in einer heute noch hörenswerten Aufnahme mit Maud Cunitz und dem häufig unterschätzten Karl Friedrich unter Fritz Lehmann 1952 aufgenommen und die Oper 1955 mehrfach sehr erfolgreich im Münchner Prinzregententheater aufgeführt.
Anders als die Tote Stadt hat sich die Heliane nach dem Zweiten Weltkrieg - wie Die Ägyptische Helena von Richard Strauss - infolge des kulturpolitischen Gegenwindes der Avantgarde und der interpretatorischen Herausforderungen schwer behaupten können.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Das Wunder der Heliane in London 1959 und 1968 aufgeführt. Das Jahr 1970 brachte eine szenische Produktion in Ghent und eine weitere 1988 in Bielefeld. Edo de Waart nahm sich des Werkes 1995 in Amsterdam an. Vladimir Jurowski präsentierte es mit dem London Philharmonic Orchestra 2008 in Abu Dhabi, Taipei, Hong Kong, Sejong, Wien und London. Spätestens danach war der Bann gebrochen und es begann eine Welle der Wiederentdeckungen.
Hinderungsgrund für Aufführungen sind zudem die schwer zu besetzenden Hauptpartien. Richard Wagners Äußerung bei den ersten Bayreuther Festspiele 1875 gegenüber dem Gesangspädagogen Julius Hey: „Was hilft es mir, wenn ich noch so schöne Noten schreibe und keinen Sänger finde, der sie zu singen versteht?“ gilt auch für Korngolds Heliane. Die Hauptpartien verlangen Stimmen, die nahezu unmögliches leisten müssen. Weiteres Handicap für die Oper sind Handlung und Libretto. Sie gehören zum Absurdesten, was die Opernbühne zu bieten hat.
Korngolds Mysterienspiel fußt auf der Grundlage des früh verstorbenen österreichischen Dichters Hans Kaltneker. Die Handlung spielt im Reich eines grausamen Herrschers, der seinen Untertanen Freude und Lust verbietet. Hintergründe sind seine innere Einsamkeit, seine Lieblosigkeit und dass sich ihm seine Gattin, die Königin Heliane verweigert. Ein Fremder, der im Reich Freude predigen wollte, wird dafür zum Tode verurteilt und eingesperrt. Die Königin besucht ihn und ist von ihm fasziniert. Nach seinem Ausruf: „O gebt mir Euren Leib! Gebt mir das Wunder…“, lässt sie ihr Gewand fallen und zeigt sich ihm fast unverhüllt. Es erscheint der Herrscher, der den Fremden unter der Voraussetzung begnadigen will, dass er ihn lehre, wie er die die Liebe Helianes gewinnen könne.
Als er die leicht bekleidete Königin bemerkt, gerät er außer sich und vermutet Ehebruch. Bevor es auch zu einer Verhandlung gegen Heliane kommt, begeht der Fremde Selbstmord, um nicht gegen sie aussagen zu müssen. Die Königin wird, um selbst der Todesstrafe zu entgehen, aufgefordert, den Toten durch Gottesurteil wieder auferstehen zu lassen. Sie willigt zunächst ein. Als aber zum Gottessurteil kommt verweigert sie die Anrufung Gottes mit den Worten: „Ja! Ja! Ich hab‘ ihn geliebt! An seinem Mund hab‘ ich Süße getrunken! Begnadet und schuldig sind wir zusammen gesunken.“ Unbeschadet dessen, wird der Fremde wieder zum Leben erweckt.
Darauf tötet der Herrscher Heliane und flieht, anschließend. Eng umschlungen, gehen Heliane und der Fremde in den Himmel. Die Welt verwandelt sich und der Vorhang schließt sich über Licht und Schönheit.
Trotz der vordergründig verworrenen und sperrigen Handlung bietet das Libretto, wenn man sich näher damit beschäftigt, tiefgründige psychologische Studien der Charaktere. Daneben prunkt die Oper mit immensem musikalischem Reichtum. Korngold befand es später für seine größte Komposition. Die Klangfülle des Orchesters, die Klangfarben und die musikalischen Einfälle vereinen packende Dramatik und inwendige lyrische Melodien. Korngold zeigte hier, über welchen Reichtum orchestraler Ausdrucksmöglichkeiten und Einfälle er verfügte.
Wer sich mit dem Libretto auf die Reise zu Erich Wolfgang Korngolds Heliane macht wird eine bedeutende Neu- oder Wiederentdeckung machen. Tablet- oder PC-Nutzern sei dazu folgender externe Link empfohlen: [ es gilt die DSGVO der Zielseite : http://operagazet.be/ ]
http://operagazet.be/wp-content/uploads/2017/10/libretto_das_wunder_der_heliane.pdf
Die Firma Naxos hat einen wichtigen Dienst zur Verbreitung des Werks gemacht. Die zweite Veröffentlichung auf CD bietet ein lyrisch entschlacktes Korngold Bild. Die Aufnahme ist dramatisch wuchtig, packend und durchleuchtet den sinnlichen Melodienfluss mit feurigem Klang. Fabrice Bollon gelingen fließende meditativen Momente und auflodernde dramatische Szenen. Dadurch erhält die Oper ein eigenständiges Klangbild und scheint nicht als Plagiat von Strauss oder Puccini. Bollon baut immense Spannungen auf und kostet die Oper sinnlich aus.
Korngolds polytonale Klangsprache vereint Lyrik und dramatische Wucht und lässt Manches der späteren Filmmusiken vorausahnen. Aris Argris als Herrscher ist ein weiterer wesentlicher Pluspunkt dieser Aufnahme. Er verfügt über einen wuchtig dramatisch ausladenden schwarzen Heldenbariton mit einem enormen Stimmumfang. Auch die höchsten Lagen erreicht er mühelos. Gestalterisch gelingen ihm die Momente des sich nach Liebe sehnenden und vor Rache brennenden Herrschers mit glühender Leidenschaft und packend bösartiger Kraft. Er ist eine Idealbesetzung für diese Partie, da er heldenbaritonales Gewicht mit Belcanto-Gesang verbindet.
Annemarie Kremer ist eine glänzende Heliane. Mit lyrischem, farbenreichem Timbre und dramatischer Attacke gestaltet sie die Titelrolle. Sie überbewältigt in den dramatischen Szenen mit Feuer und Intensität. Die Arie „Ich ging zu ihm..“ klingt berührendem inwendig. Ian Storey als Fremder bietet in großen Teilen ein überzeugendes Rollenportrait, hat aber im Finale hörbare Mühe. Katerina Hebelkovà als Botin singt die Partie mit leuchtendem Mezzosopran. Frank van Hove ist ein stimmstarker Pförtner mit lyrischem Bass. Nutthaporn Thammathi ist ein gewichtiger und imposanter Schwertrichter.
Die Tonqualität der Aufnahme ist überragend. Orchesterklang und die Balance zwischen Orchester und Stimmen sind hervorragend. Die CDs lassen Orchester, Chor und Ensemble glänzend zur Geltung kommen und bieten endlich die Gelegenheit, das in einer hervorragenden Aufnahme kennen zu lernen.
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