CD, ELEKTRA, R. Strauss, SOLO MUSICA, B. Krieger, J. Salemkour, IOCO

CD, ELEKTRA, R. Strauss, SOLO MUSICA, B. Krieger, J. Salemkour, IOCO
Elektra CD Cover copyright Solo Musica, Opernfotografie Detlef Kurth

Neueinspielung von Richard Strauss Elektra bei Solo Musica

 

„Was bluten muss? Dein eigenes Genick, wenn dich der Jäger abgefangen hat!“

Heute erscheinen kaum noch im Studio produzierte Opernaufnahmen. Meist gelangen live als Bild mitgeschnittene Aufführungen als DVDs oder Streams auf den Markt. Die Konzentration auf das Musizieren tritt bei derartigen Produktionen infolge der Unwägbarkeiten der Live-Aufführungen naturgemäß in den Hintergrund.

Die vorliegende Neueinspielung von Richard Strauss Oper Elektra bei Solo Musica ist eine reine Studioproduktion. Schon beim ersten Hineinhören punktet die Aufnahme mit klanglicher Opulenz und packender musikalischer Lesart. Beeindruckend, wie textverständlich gesungen wird.

 

In Elektra bilden Text und Musik eine untrennbare Symbiose. Eine Studioaufnahme bietet die Möglichkeit, sich allein auf die musikalische Gestaltung zu konzentrieren und die Hörer durch packenden Gesang zu fesseln. So kann sichdie volle dramatische Wirkung der Oper akustisch ideal entfalten. In dem der Oper zugrundeliegenden Theaterstück hat Sophokles eine Episode aus dem so genannten Atridenmythos besungen. Thema ist die Rache der Geschwister Orest und Elektra an den Mördern ihres Vaters Agamemnon. Nach seiner Rückkehr von einem Feldzug wurde er von seiner Frau Klytämnestra und deren Geliebten Aigisth ermordet. Hugo von Hoffmansthal hat in seinem 1903 in Berlin uraufgeführten Theaterstück den Stoff von Sophokles verdichtet und die seelischen Vorgänge wie unter einem Brennglas zu einem Psychodrama geformt.

Dies hat der instinktsichere Bühnenpraktiker Richard Stauss sofort erkannt und durch geringfügige Änderungen des Theatertextes eine der zentralen Opern des zwanzigsten Jahrhunderts geschaffen. Strauss hat mit Elektra ein musikalisch unerreichtes Psychotableau einsamer, verletzter und mit tödlicher Wut gefüllter Seelen komponiert. Von ihnen ist Elektra die Zerrissenste und am tiefsten Verletzte. Mord, Schuld, Sühne, Fluch aber auch die Leiden Elektras, ihre seelische Pein und ihre Zerrissenheit sind das starke Band, das diese etwa hundert Minuten ununterbrochene Musik zum wohl konzentriertesten und in seiner Dichte wirkmächtigsten Musikdrama von Richard Strauss machen. Dramatisch furios werden mit dem opulenten Orchester grandiose Ausbrüche entfesselt, die neben subtilen, von Strauss als „Nervencontrapunkt“ bezeichneten Klangfarben stehen.

Strauss beklemmendes Seelendrama entstand in dramatischer Zeit. Europa stand infolge von Säbelrasseln und Aufrüstung am Rande eines Abgrundes. Fünf Jahre nach der Uraufführung der Oper stolperte der Kontinent in einen Weltkrieg. Auch für eine derartige Entwicklung ist die junge Königstochter Elektra ein Sinnbild. Sie ist Opfer eines aus Rach- und Mordlust entstehenden Komplotts und der sich in dessen Folge entwickelnder Gewalt. Das Ende dieses sich stetig verschärfenden Konflikts und der Kreislauf sich unaufhörlich verschärfender Gewalt existiert schon zu Beginn der Oper.

Elektras Psychosen und Verluste haben sie von einer jungen blühenden Königstochter in einen äußerlich kalten Rachenengel verwandelt. Ihre Schwester Chrysothemis will sie in ihre Rachepläne einspannen. Ein Urmotiv der griechischen Tragödie ist das familiäre Drama und die in Familien ausbrechende Gewalt. Die abgründige Innenwelt Elektras und ihre Endzeitstimmung sind uns heute auch durch Nachrichten aus Politik und Alltag allgegenwärtig. Die Intensität des Werkes nimmt unmittelbar gefangen. Auch dies dürfte einer der Gründe sein, warum das Werk zu den häufig aufgeführten und auf Tonträgern verfügbaren Opern Richard Strauss zählt.

Die üblicherweise gestrichenen Passagen im Dialog zwischen Elektra und Klytämnestra sowie in Elektras Bericht an Orest über das Erlittene sind für das Verständnis und die Wucht des Werkes essenziell. Auch sie wurden aufgenommen. 

Julien Salemkour ist bei dem Rauschhaften und Vorwärtsdrängenden des Werkes in seinem Element. Mit dramatischer Wucht beginnt er das Werk. Ihm gelingt eine durchgängig kontrastreiche und faszinierende Orchestererzählung. Subtil und mit Ungestüm rollt er das musikalische Gewebe aus. Seine durchaus raschen Tempi verlangen dem glänzend disponierten Orchester und den Sängerinnen das Äußerste ab. Salemkour und das furios aufspielende Orchestre Experience sorgen dafür, dass die Spannung der Erzählung nie abreißt und der Hörer in einem irrwitzigen Rausch musikalischer Kulmination mitgerissen wird. Die Seelenzustände der Protagonisten, ihre Anspannungen und ihre Ängste werden brillant charakterisiert und musikalisch furios untermalt.

Barbara Krieger ist eine lyrisch dramatische Elektra von großer stimmlicher Wandlungsfähigkeit und Eindringlichkeit. Die Herausforderung der Rolle liegt neben den stimmlichen Klippen darin, den Text von Hoffmannstal wortdeutlich zu singen und eindringlich zu gestalten. Sie stellt sie mit klangschöner Gesangslinie die jugendliche Königstochter dar. Neben ihrem Legato besticht die wahrhaftige Gestaltungskraft. So punktet Barbara Krieger durchgehend mit einer packenden Interpretation. Schon den Monolog „Allein, weh ganz allein“ zu Beginn nimmt sie leicht verschattet mit ungeheurer Wehmut. Bei „und über Leichen hin werd' ich das Knie hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden so tanzen sehn“ entwickelt sie eine immense lodernd verzehrende Leidenschaft. Ihr vokaler Einsatz und die breite Palette an Stimmfarben bringen sowohl die eigene Verletzlichkeit aber auch die von ihr ausgehende tückische Gefahr vollends zur Geltung. Bei ihrer Erzählung an Orest „O lass deine Augen mich sehn! Traumbild, mir geschenktes Traumbild“ gelingt ihr eine ungemein anrührende Erinnerung an Jugend und Erlittenes. Barbara Kriegers verzehrende Intensität, ihre große darstellerische Präsenz, ihr leidenschaftliches Timbre sind wesentliche Merkmale ihrer Rollengestaltung. Wort und Wortbedeutung lotet sie prägnant aus. Gestalterisch und gesanglich ein packendes, emotional tiefgründig gestaltetes und anrührendes Portrait.

Astrid Weber als Chrysothemis überzeugt mit lyrischem Sopran und einer involvierten Gestaltung. Zu Beginn ihres Einsatzes verhalten gelingen ihr die blühenden Momente in der sie von Hochzeit und Kindern träumt mit großer Eindringlichkeit und Überzeugungskraft. Im Finale schwingt sie sich bei „Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn, und küssen seine Füsse“ zu großem Glanz auf. Ein eindrucksvolles Rollenportrait. Durch die weiche Farbzeichnung der Rolle bietet sie einen guten Kontrast zu Elektra. In den entscheidenden Momenten stehen ihr stets die notwendigen Reserven und die gestalterische Wucht zur Verfügung.

Sanja Anastasia ist international für ihre italienischen Rollen bekannt. Ihr Gesangsstudium hat sie in Graz absolviert. Die Klytämnestra hat sie mehrfach auf der Bühne gesungen. Auch hier fesselt durch ihre sonore Stimmpracht, ihre vokale Kunstfertigkeit und die zutiefst involvierte Gestaltung. Mit jugendlichem dunklem volltönendem Mezzosopran ist sie eine autoritäre und zugleich jugendlich wirkende Mutter Elektras. Mit starker Wucht artikuliert sie ihre Anwürfe gegenüber ihrer Tochter und die glutvoll vibrierende schleudert erschütternd hinaus. In „Ich lebe hier und bin die Herrin. Diener hab ich genug, die Tore zu bewachen:“ zeigt sie ihren starke, lebendige und wütende Erscheinung. Auch durch die teils sinnliche Gestaltung wirkt ihr Portrait überaus stark und kontrastreich.

Jochen Kupfer ist ein jugendlicher Orest mit kräftigem virilem heldischem Bariton. Sowohl die weich lyrische Tongebung als auch die furiosen dramatischen Attacken gelingen ihm mit immenser Präsenz. Die Wiedererkennungs-Szene wird dadurch zu einem großen Moment, weil er die Seelenqualen der Rolle stimmlich und gestalterisch machtvoll ausfüllt.

 

Sotiris Charalampous als Aegisth verfügt über einen italienischen Spintotenor mit warmer und voluminöser baritonaler Tongebung und prächtigen hohen Tönen. Endlich ein Aegisth, der voll Kraft und Virilität ist und nicht in stimmlich schon im Jenseits dem Ende entgegendämmert.

 

Als Mägde und in weiteren Rollen warten Jasmin von Brünken, Ilja Martin, Lana Hartmann, Denise Seyhan, Frederike Harmsen, Anna Werle, Nataliia Ulasevych, Natalia Baldus und Oleksandra Diachenko mit klangmächtigem involviertem Gesang auf.

 

Eine grandios musizierte und gesungene Elektra. Hörenswert insbesondere aufgrund der musikalischen Dichte, der großartigen Wortdeutlichkeit der Protagonistinnen und des ausgezeichneten Klangbildes.

Eine überraschende und wertvolle Ergänzung der Elektra-Diskografie. Erhältlich als CD, Download und bei den Streaming-Diensten.