CD - BENJAMIN SYMPHONIE - ELEGIE - Peter Ruzicka, IOCO
CD: Peter Ruzicka hat in seiner „Benjamin Symphonie" die Quintessenz seiner gleichnamigen Oper gezogen. Das Werk wurde 2018 an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt. Es beinhaltet sein subjektiv, musikalische „Nachfühlen“ der Gedanken- und Wirkungswelt Walter Benjamins.
Packende Einspielung von Peter Ruzickas Benjamin Symphonie und Elegie - mit Lini Gong und Thomas E. Bauer - CD HC23503
von Michael Stange
Peter Ruzicka hat in seiner „Benjamin Symphonie" die Quintessenz seiner gleichnamigen Oper gezogen. Das Werk wurde 2018 an der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt. Es beinhaltet sein subjektiv, musikalische „Nachfühlen“ der Gedanken- und Wirkungswelt Walter Benjamins.
Kennzeichnend für den 1892 geborenen Walter Benjamin waren sein scharfer analytischer Blick auf Zeitströme und insbesondere, wie das Leid der Menschen ausgeblendet oder vergessen wurde. Seine Themen waren Krieg, Antisemitismus und die Vorstellungen der Zukunft, die er mit Ängsten vor Kriegen und dessen Vergessen verband. Charakteristisch für Benjamins Schriften war das Denken in Bildern, die er statt konkreter Begriffe verwendete. Im Bereich zwischen Philosophie und Literatur gewann er durch diese Art der Veranschaulichung mannigfaltige Erkenntnisse. Theodor Adorno bezeugte später, dass von Benjamin „eine Aura des Außerordentlichen“ ausging und dessen gesamte Existenz „völlig von der Vergeistigung“ und einer „geradezu unerschöpflichen, sich aus sich selbst heraus erneuernden Produktivität“ geprägt war. Neben seinen Schriften spielte in seinem Leben sein Interesse für den Kommunismus eine erhebliche Rolle. Dies führte Benjamin im Winter 1926/27 nach Moskau, wo er seine Geliebte Asja Lācis besuchte mit der er später in Berlin lebte und mit der er bis zu ihrer Verhaftung 1936 in Kontakt blieb.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten lebte er im Exil. Im September 1940 unternahm er den Veruch aus Frankreichs nach Spanien zu gelangen und von dort über Portugal mit seinem USA-Visum auszureisen. Im spanischen Grenzort Portbou, nahm er sich nach erfolgreichem Grenzübertritt das Leben, IOCO Artikel hierzu HIER!, weil er noch immer die Auslieferung an die Nationalsozialisten befürchtete.
Ruzickas Benjamin Symphony ist ein komprimierter Extrakt der Oper BENJAMIN von Peter Rudzicka - LINK HIER die den dortigen rhetorischen Bogen aufgreift. Breiter Raum wird den Instrumental-teilen der Oper eingeräumt. Neben dem Vorspiel stehen drei Zwischenspiele und eine Auswahl von Szenen. Die Personen sind in der Symphony auf die Rollen von Walter B. und Asja L. reduziert worden. Die schwierige Liebesgeschichte zwischen Benjamin und der lettischen Schauspielerin Asja Lācis, die sich 1924 auf Capri begegnet waren, ist wesentliches Moment der Opernhandlung.
BENJAMIN SYMPHONIE ELEGIE - hänssler Classic - CD HC23503
In ähnlich analytischer bildreicher Weise wie Walter Benjamin hat Ruzicka dessen Schicksal musikalisch untermalt. Die Symphonie konzentriert sich in sieben Szenen auf die Flucht Walter Benjamins vor den Nationalsozialisten und seine Beziehung zur lettischen Schauspielerin und Kommunistin Asja Lacis. Während B seine Erfahrungen und sein Leid reflektiert preist L Partei und Kommunismus. Nur in einer Szene in der der Chor das Volkslied „Das bucklicht Mänlein“ singt und rezitiert scheinen beide kurz vereint. Das Werk endet damit, dass B Satzfetzen aus seinen Werken zitiert. Ruzickas Musik begleitet teilnahmsvoll und tonal die traurige Geschichte. Die Instrumente erweitert er u. a. um Bongos, Cymbales antiques, und javanische Buckelgongs. Dadurch erhalten die düsteren Verse von B und die feurigen Attacken von L eine faszinierend abgründige und schaurige tonale Farbpalette.
Das Werk wirkt melancholisch düster in den Passagen von B und gleißend aber zugleich artifiziell übersteigert in den Hymnen der L an die Partei. Das wie ersterbend geflüsterte Volkslied beendet diese Gegensätze und das trüb-traurigen Moll des Finales scheint wie ein Erlösungsversprechen durch den Tod, den B gezwungenermaßen wählt.
Ferner enthält das Album gleichfalls die Ersteinspielung der „Elegie. Erinnerung für Orchester“, die eine musikalische Reflexion über die letzten 13 Takte ist, die Richard Wagner komponierte und als eine Liebeserklärung an Cosima am Vorabend seines Todes im Palazzo Vendramin Freunden vorspielte. Dieses Fragment hat Ruzicka seit langem beschäftigt. Seine musikalische Annäherung an das Klangbruchstück verweist entfernt auf das Vorspiel von Tristan und Isolde. Ruzickas Elegie vereint 40 Solostreichern, drei Flöten und Schlagzeug. Auf zarte Anklänge an den Tristan-Akkords folgte ein fragendes Violin-Motiv an das sich lichte Klänge mit traumhaft melancholischen Sequenzen mischen, die im Finale gleichsam entschweben.
Ruzicka greift verwehte Spur der Literatur- sowie Musikgeschichte auf. Er nutzte sie als Komponist wie als Interpret, indem er der Versäumtes vertont und offenbart. Einer der Kompositionsansätze Ruzickas ist es, Musik zu erfinden, die singend Geschichten erzählt, die betroffen machen. Seine Oper Benjamin zeichnet Stationen des Autor Walter Benjamin vor seinem Freitod in seinem spanischen Exil nach, wo er vor den Nationalsozialisten Zuflucht suchte. Ruzickas Tonarten, Kontraste, Gegenüberstellungen und das Hervorkehren musikalischer Differenzen sind übertreten Grenzen und stellen den Drang nach Freiheit und die Sinnsuche Benjamins aber auch Ruzickas dar. Auch der Dichter Hölderlin, dem Ruzicka eine Oper widmete, wollte nicht mehr Untertan und Diener in der alten feudalistischen Ordnung des Gottesgnadentums sein, sondern ein autonom agierendes Geschöpf.
Eingespielt wurden die Werke unter der Peter Ruzickas Leitung. „Ich finde, ein guter Dirigent muss komponieren. Wenn man selbst etwas schreibt, lernt man doch erst, wie man überhaupt so was macht.", äußerte der Dirigent Otto Klemperer. Bei Peter Ruzicka bewahrheitet sich diese Einschätzung. Er hebt durch seine Deutung pointiert und feinsinnige die Vielfalt und Differenziertheit seiner Orchesterfarben und die tonalen Kontraste seiner Kompositionen hervor und erreicht mit dem Orchester einen packenden musikalischen Fluss. Mit wachem präzisem Ansatz, Feinsinn aber auch teilweisem musikdramatischem Überschwang bringt er die Musik in immenser Farbenpracht zur Geltung.
Auch in dieser Komposition kommuniziert Ruzicka auf verschiedenen Ebenen und lässt ein Wechselspiel von Reflexion und Emotion erklingen. Die CD-Produktion ist erneut ein Beispiel, wie er Komponisten, Philosophen oder Literaten in sein Werk integriert und in seinen Reflektionen auch seine Sicht auf Brüche der Werke offenbart.
Ruzicka und das Orchester waren in ihrem Element und boten mit musikalischem Feuer ein mitreißendes und packendes Klanggemälde.
Lini Gong interpretierte Asja L. mit ihrem dramatischen Koloratursopran zunächst als sprühend feuriges Propagandafeuerwerk. Mit immenser rhythmischer Präzision und akkuraten Akzentuierungen erreicht sie eine schwindelerregende Gesangslinie. Gleißend und feurig pries sie die Partei mit endlosem Atem und scheinenden Koloraturkaskaden. Leicht, mit schwebendem Atem fand sie zurück in die Mittellage und führte die Stimme so mit warmen an manchen Stellen mit gleißenden an anderen mit gewinnendem Ton durch die anspruchsvolle Komposition. Dabei blieb sie der Gesangslinie stets treu und bot mit emphatischer klangschöner und warmer Stimme eine immense Meisterleitung.
Thomas Bauer war ein Walter B. von Format und prächtigem Stimmumfang. Feurig aber auch melancholisch trug er die Gedanken des Dichters mit berückender Rollenidentifikation und Stimmfülle vor. Ein ergreifendes Portrait.
Der Kinderchor der Oper Frankfurt übernahm den Sprechgesang über das „bucklicht Männlein“ mit geheimnisvollem Ton.
Peter Ruzicka und das HR-Sinfonieorchester haben in diesen Einspielungen glückhafte Symbiosen von wissendem Dirigenten und ausgezeichnet disponiertem Orchester erreicht. Dadurch entstanden zwei Einspielungen von großem Rang die von Beginn bis zur letzen Minute packen und mitreißen. Dem Label Haenssler ist es zu danken, dass hier ein weiterer wichtiger Teil von Ruzickas Werk auf Tonträger vorliegt.