Bremerhaven, Stadttheater Bremerhaven, Les Contes d´Hoffmann - Jacques Offenbach, IOCO Kritik, 11.11.2021
Les Contes d’Hoffmann - Jacques Offenbach
- Grandioses Musiktheater an der Wesermündung -
von Michael Stange
Les Contes d’Hoffmann erzählt die Geschichte des Dichters Hoffmann, der seinen Zechkumpanen drei Episoden seiner Vergangenheit berichtet, die aus Phantasien, Alkoholräuschen und Liebes- und Lebensverwirrungen bestehen. Sie berichten über Stadien seines Verfalls, Versagens und Scheiterns. Mit 20 ist er Student mit literarisch-musikalischen Neigungen, mit 30 Rechtsreferendar und mit 40 berühmter Künstler. Die lebenslange qualvolle Bindung an eine Frau ist dabei die prägende Komponente.
Vorlage der Oper sind drei Erzählungen des Dichters und Komponisten E. T. A. Hoffmann (1776 - 1822). Er hat mit seinem literarischen Werk, das durch Vermischung von Realität und Illusion geprägt ist, einen wesentlichen Beitrag für die Fortentwicklung der Literatur geleistet und war gleichsam einer der Pioniere der Fantasy-Literatur.
In Hoffmanns Werken und Leben sah Offenbach die Chance, sich als Komponist großer Opern zu verewigen und seinen Ruhm als begnadeten Operettenkomponisten zu zu steigern. Die Berliner Weinstube Luther & Wegner und der Weinkeller, in dem Hoffmann seine regelmäßigen Zechgelage durchgeführt hat existierte wirklich, wurde aber im zweiten Weltkrieg zerstört.
Auch von dieser Weinstube war Jacques Offenbach (1819 - 1880) so begeistert, dass er sie zum Ausgangspunkt seiner Oper Les Contes d’Hoffmann machte. Er selbst konnte das Werk infolge seines Todes 1880 nicht mehr vollenden. Viele seiner Skizzen und Teile des historischen Aufführungsmaterials gingen verloren. So wurden über die Jahrzehnte verschiedene Fassungen erstellt. Im Schott-Verlag ist eine Edition erschienen, die auch noch in den achtziger Jahren aufgefundene Autographen berücksichtigt und das Puzzle aus der verschiedenen Materialien vorerst finalisiert hat. Aus dieser Edition hat das Theater Bremerhaven eine eigene Fassung erstellt.
Kein Monolog, keine Solo-Arie ohne Zuhörer und keine Aussage über sich selbst offenbaren etwas aus Hoffmanns Innenwelt. Sie lässt sich nur aus den Reaktionen der übrigen Protagonisten herleiten. Nie weiß der Zuschauer was Realität und was Imagination ist.
Musikalisch und szenisch stehen in dieser Inszenierung die Schicksale der Beteiligten im Vordergrund. Durch ausgefeilte Personenführung und szenische Details wird der Besucher kontinuierlich vom musikalischen und szenischen Geschehen gebannt. Die Inszenierung von Johannes Pölzgutter (Bühne und Kostüme: Julius Semmelmann) verlegt Hoffmanns Geschichten in eine Villa der zwanziger Jahre, deren Innenräume sich in den jeweiligen Szenen verändern. Hoffmann sitzt zu Beginn in einer Gruppe von in identischen Hausmänteln gekleideten Zechern. Sie müssen den in der Garderobe sitzenden hervorholen, um seine Erzählung von Klein Zack zu hören, Im Olympia-Akt wird das Fenster zum Labor, in dem Spalanzani und die Muse mit einem Laptop Olympia steuern. Ihren Gesang stimmt sie nach Inbetriebnahme der Standgrammophons und der elektrischen Verkabelung an. Lösen sich die Anschlüsse, dann verstummt sie, was Hoffmann aber aufgrund der erworbenen magischen Brille entgeht. Im Antonia-Akt wandelt sich der Raum zum Musikzimmer und im Giulietta-Akt zum Filmstu-dio. Das schicksalhafte für Hoffmann, dass die Begegnungen mit Antonia und Guiletta verbindet, wird durch die Verwendung eines lila Halstuches verdeutlicht, das Crespel aus der Urne seiner verstorbenen Frau zieht und mit dem Hoffmann Schlemihl später erdrosselt.
Die involvierte und mitreißende Interaktion aller Protagonisten erzeugt einen packenden Opernabend. Durch den Blick auf die Einzelschicksale wird eine große dramatische Verdichtung erreicht, die durch die Entscheidung verstärkt wird, das Finale stark zu verkürzen und nahezu nur auf die Chorszene zu begrenzen.
Marc Niemann und das Philharmonische Orchester Bremerhaven haben einen entscheidenden, Anteil am Gelingen der Produktion, Hintergründig, mit warm französischen Klang wird rund, differenziert und einfühlsam musiziert. Durch Tempo und Klangmodulationen werden Barcarole und andere Evergreens vor Verkitschung bewahrt und das Werk mit Dramatik, Tiefsinn und musikalischen Feuer gespielt.
Mirko Roschkowski ist ein Hoffmann der Extraklasse. Mit strahlenden hohen Tönen, großer Ausruckpalette und seiner stimmlichen Agilität weckte er Erinnerungen an seinen großen Rollenvorgänger Alfredo Kraus. Die Stimme ist in der Höhe von schwingend sowie beseeltem Klang und ungemein klangschön. In dramatischen Ausbrüchen und schwelgendem Werben ist er gleichermaßen überzeugend. Sein Gesang schwingt mühelos in den Raum. Mit stimmlicher Agilität, mitreißendem Singen, viriler Bühnenpräsenz und seinem involviert, suggestiven Spiel hat er hier eine Paraderolle, in der er sich glänzend entfalten kann. Ein großer Ausnahmesänger.
Patrizia Häusermann verleiht der Muse stimmliche Pracht und einen schillernden Charakter. Sie verfügt über einen farbenreichen in allen Registern ansprechenden Mezzosopran mit großer Kunstfertigkeit, Vielseitigkeit und großer Farbpalette. Ihre Koloraturfähigkeit, die sie in der Erinnerung an die Olympia-Geschichte im Antonia-Akt zeigt, ist von fließender Geläufigkeit und Virtuosität. Auch sie ist durch ihre ge-sangliche Brillanz und ihre Ausstrahlung eine Säule der Produktion.
Immenses Glück hat das Theater Bremerhaven mit seinen Sopranen.
Victoria Kunze verwandelt Olympia in eine koloraturgespickte Puppe voll stimmlicher Meisterschaft. Mit lockend betörendem Wohlklang in Mittellage und Tiefe kann sie ihre Koloraturen wie ein leuchtend farbprächtiges Feuerwerk in den Raum katapultieren. Dabei sind die Stimmregister perfekt verblendet, so dass es eine Wonne ist, sie zu hören. Auch die höchsten Töne werden rund und leuchtend warm produziert.
Marie-Christine Haase verleiht Antonia einen warmen, elegischen aber auch dramatisch aufblühenden Ton von anrührender Seelentiefe und Klangschönheit. Die anspruchsvolle Bandbreite der Rolle zwischen verliebter junger Frau und ihrer Vison der dramatischen Sängerin füllt sie mit Glut, Leidenschaft und Leben und großem technischen Können.
Signe Heibergs Giulietta ist eine mitreißende Leistung. Ihr lyrisch dramatischer unglaublich klangschöner Sopran ist von immenser dramatischer Präsenz. Mit Sinnlichkeit und technischer Brillanz gibt sie die lockende Schönheit.
Marian Pop verkörperte mit dramatisch timbriertem Bariton und involviertem Gesang die Bösewichte. Rollenidentifikation und stimmliche Leistung ließen Erschauern. So hatte Hoffman einen gefährlichen und furchteinflößenden Gegner.
Das Stadttheater Bremerhaven bietet hier nach der langen Schließung fulminantes Musiktheater. Große Künstler lieferten Grandioses. Danach man sich in den langen Zeiten der Corona-Pause verzehrt hatte. Ein großer Dank an alle Beteiligten, denen frenetisch zugejubelt wurde.
Les Contes d´Hoffmann am Theater Bremerhaven; weitere Vorstellungen am 01., 04., 10., 30.12.2021
---| IOCO Kritik Stadttheater Bremerhaven |---