Bremen, Theater Bremen, LOHENGRIN - R. Wagner, IOCO
Theater Bremen: Selten wird so deutlich wie in Frank Hilbrichs Bremer Neuinszenierung, Besuchte Vorstellung: 3.10.24, von Wagners romantischer Oper, dass Elsa - wie Ludwig II. - eine Außenseiterin ist, die viele der Charakterzüge aufweist .....
von Thomas Birkhahn
Vielleicht war es gar nicht der märchenhafte Schwanenritter Lohengrin aus Richard Wagners gleichnamiger Oper, sondern die weibliche Hauptfigur Elsa von Brabant, die König Ludwig II. aus Bayern einen fanatischen Wagnerianer werden ließ, nachdem er im Alter von 16 Jahren eine Aufführung des Lohengrin besucht hatte?
Denn selten wird so deutlich wie in Frank Hilbrichs Bremer Neuinszenierung, Besuchte Vorstellung: 3.10.24, von Wagners romantischer Oper, dass Elsa - wie Ludwig II. - eine Außenseiterin ist, die viele der Charakterzüge aufweist, die auch dem bayrischen „Märchenkönig“ zugeschrieben werden: Sie flüchtet sich in
Traumwelten, sie hat kein Interesse an der realen Welt, sie schenkt ihren
Mitmenschen kaum Beachtung und sie hofft in ihrer Naivität auf den Erlöser Lohengrin, dessen Rolle in Ludwigs Leben der über 30 Jahre ältere Richard Wagner einnahm.
Hilbrich erzählt in diesem Lohengrin eigentlich zwei Geschichten: Jene der
einsamen Elsa und die Geschichte eines Volkes, das nach Orientierung sucht
und dann blind und willenlos einem Erlöser folgt, der wie ein Schicksal aus
dem Nichts hernieder schwebt.
Diesen Erlöser, den Gralsritter Lohengrin, sehen wir schon im Vorspiel, als er -
bedeckt von großen Scherben eines Spiegels – erwacht und sieht, wo er nun als
nächstes im Auftrag des heiligen Grals für Gerechtigkeit sorgen soll:
Es ist in dieser Inszenierung ein halbrunder, holzvertäfelter Gerichtssaal
(Bühnenbild: Harald Thor), an dessen Wänden in zwei Reihen große Porträts
von vermutlich bedeutenden Persönlichkeiten aus der Geschichte des Volkes
von Brabant hängen. Vor der oberen Porträtreihe in einigen Metern Höhe gibt es
einen schmalen Gang, den man entlang gehen kann.
Unten im Saal sitzt das fein herausgeputzte Volk Brabants, das in dieser
Inszenierung eine herausragende Rolle spielt. Der bestens aufgelegte Chor des
Bremer Theaters (Einstudierung: Karl Bernewitz) ist ein großartiges Ensemble
mit warmem Klang und blitzsauberer Intonation.
Der von Michal Partyka mit schneidiger Schärfe gesungene Heerrufer bittet das
Volk, König Heinrich von Sachsen zu empfangen. Hidenore Inoue ist ein
souveräner Herrscher, der auch stimmlich Autorität ausstrahlt. Er bittet die
Brabanter um Unterstützung im Kampf gegen die Ungarn, gleichzeitig muss er
einen Streit schlichten, in dem der Edle Friedrich von Telramund Elsa, die
Tochter des verstorbenen Herzogs von Brabant, des Mordes an ihrem Bruder
Gottfried anklagt.
Selten hat eine Titelfigur einen so effektvollen Auftritt wie in dieser Produktion:
Hilbrich lässt Lohengrin eines der Porträts in großer Höhe durchbrechen und
stark angeleuchtet dastehen. Unter dem Jubel des Volkes blickt er nun im
silbern-metallisch glänzenden Anzug (Kostüme: Tanja Hofmann) - wie es ich
für einen Erlöser gehört – von oben auf „sein Volk“ herab.
Doch zunächst muss er den Konflikt zwischen Friedrich und Elsa lösen.
Elias Gyungseok Han ist ein großartig wütender Friedrich. Er hat eine
bedrohliche Schwärze in der Stimme, mit der er die angestaute Wut dieses
Anklägers sehr überzeugend vermittelt. Angetrieben von seiner bösartigen Frau
Ortrud, deren große Stunde erst im zweiten Akt schlägt, kämpft er
leidenschaftlich um Macht und Ehre.
Hilbrichs Lohengrin ist eine joviale, erfrischend unpathetische Frohnatur, kein
weihevoller Wichtigtuer. Sein Schwert hat er lässig in einem Seesack verstaut.
Im Kampf mit Friedrich benötigt er es nicht, er vertraut ganz allein der Kraft
des Grals und schlägt ihn mit einer großen Bibel k.o.
Christopher Sokolowski verkörpert diesen ungewohnt heiteren Lohengrin sehr glaubwürdig. Auch seine spätere Verzweiflung, als er und Elsa nicht mehr
zueinander finden, nimmt man ihm in jedem Moment ab. Stimmlich meistert
Sokolowski diese Partie ohne hörbare Anstrengung, seine Stimme hat Glanz
und Strahlkraft und zeigt auch gegen Ende keinerlei Ermüdungserscheinungen.
Die Gralserzählung beginnt er so zart, als hätte er nicht schon drei Stunden
oftmals mit voller Kraft gesungen.
Seine Liebe für Elsa kennt bei Hilbrich keine Grenzen, die beiden können von
Anfang an kaum voneinander lassen. Offenbar bekommen Gralsritter nur selten
körperliche Zuneigung vom anderen Geschlecht.
Sarah-Jane Brandon spielt und singt Elsa mit einer anrührenden Mischung aus Verletzlichkeit und Einsamkeit. Ihr sicher geführter, weicher Sopran lässt die
Unsicherheit und Verwundbarkeit dieser Figur wunderbar lebendig werden.
Musikalisch weist Wagner besonders im zweiten Akt in die Zukunft. Die große
Szene des Ehepaars Friedrich / Ortrud ist mit seiner fiebrigen Dramatik schon
nah am Musikdrama, das Wagner nach dem Lohengrin neu konzipieren wird.
Gyungseok Hans rabenschwarze Darstellung des Friedrich findet in dieser
Szene eine ebenbürtige Entsprechung in der Ortrud Nadine Lehners. Sie kann
ihrer Stimme eine Kälte und Härte verleihen, die geradezu beängstigend sind.
Dieser Ortrud möchte man lieber nicht im Dunkeln begegnen, sie ist eine
rachsüchtige Besessene, die noch an die alten Götter glaubt und mit ihrer
Zauberkraft die Bibel in Flammen aufgehen lässt. Hilbrich findet auch für sie
starke Bilder, etwa wenn sie sich die Asche der Bibel ins Gesicht schmiert.
Und spätestens hier müssen Dirigent Stefan Klingele und die Bremer
Philharmoniker erwähnt werden, denn was Klingele und sein Orchester in
dieser Szene an überkochenden Emotionen aus dem Graben herausschleudern,
lässt schon Wagners „Tristan“ vorausahnen. Dies ist Musizieren auf der
äußersten Stuhlkante und es hätte wohl niemanden gewundert, wenn nicht nur
die große Bibel, sondern auch Klingeles Dirigierpartitur in Flammen
aufgegangen wäre, so feurig spielt das Orchester.
Aber da ist ja noch die Erzählung des Volkes von Brabant, dass sich dem neuen
Anführer Lohengrin unterwirft. Sie gelingt Hilbrich in ausdrucksstarken
Bildern ebenso großartig wie die Geschichte Elsas.
Ohne kritisches Hinterfragen wird Lohengrin von Anfang an als Heilsbringer
bejubelt. Zum Symbol der neuen Zeit werden die wie zum Vogelflug
ausgestreckten Arme, ein klarer Hinweis Hilbrichs auf eine Zeit, als in
Deutschland der nach oben ausgestreckte rechte Arm zum Symbol einer
Bewegung wurde...
Am Ende des ersten Aktes lässt sich das Volk von Lohengrin zur Zerstörung
seines kulturellen Erbes und seiner Geschichte anstiften: Die Porträts werden
von der Wand gerissen, Bücher werden zerfetzt, Akten vernichtet. Man denkt
hier unweigerlich an die chinesische Kulturrevolution, als Rotgardisten,
aufgehetzt von Mao Tse Tung, in rasender Zerstörungswut das Land mehrere
Jahre ins Chaos stürzten.
Doch Hilbrich geht noch weiter: Nicht nur der ohne echte Beweise entehrte und
geächtete Friedrich wird aus der Gesellschaft ausgestoßen, sondern auch
diejenigen, die ihm äußerlich ähnlich sehen. Sie werden als Verräter und
Verwirrte gebrandmarkt. Wer hier nicht an den wachsenden Rassismus in
Deutschland denkt, hat vermutlich die letzten zehn Jahre auf einer einsamen
Insel verbracht.
Die Gleichmachung, die jeder Diktatur innewohnt, schreitet im dritten Akt noch
mehr voran. Alle tragen nun graue Einheitskleidung, das neue Symbol ist ein
Schwanen-Ei, welches in die Höhe gereckt wird und schließlich kommen noch
Fackeln dazu, die sogleich an den 30. Januar 1933 denken lassen.
Aber schließlich enden beide Geschichten tragisch – zum Glück, möchte man
im Falle der Diktatur ergänzen - denn Elsa missachtet das Frageverbot, das
Lohengrin ihr auferlegt hat. Man könnte auch sagen, sie nimmt ihr Recht wahr,
zu erfahren, wer er sei. Wie auch immer, Lohengrin muss zum Gral
zurückkehren, er verlässt Elsa und sein Volk, die beide ohne ihn nicht
lebensfähig sind. Die Trennung von Elsa scheint ihm bei Hilbrich wesentlich
mehr zuzusetzen, Lohengrin klagt sie wütend an. Auch hier ist er nicht der
weihevolle Gottgesandte, als den man ihn schon oft gesehen hat. Das Leben als
Gralsritter scheint kein Spaß zu sein, er wäre gerne geblieben.
Was Frank Hilbrich, Stefan Klingele und allen Beteiligten mit diesem
Lohengrin gelingt, ist nicht weniger als eine Sternstunde des Musiktheaters!
Eine absolut überzeugende Regie und durchweg großartiges Musizieren sorgen
für einen Opernabend, den man lange im Gedächtnis behalten wird!