Bremen, Theater Bremen, SALOME - Richard Strauss, IOCO Kritik
SALOME: „Sehen Sie nicht zuviel auf das Drumherum, sondern nur auf die Protagonisten“, könnte man in Anlehnung an ein Wagner Zitat den Besuchern von Ulrike Schwabs Neuinszenierung von Salome am Theater Bremen raten ......
von Thomas Birkhahn
„Sehen Sie nicht zuviel hin“ soll Richard Wagner zu einer Freundin während der Uraufführung seines Ring des Nibelungen gesagt haben, so sehr wich das Bühnengeschehen von seinen eigentlichen Vorstellungen ab.
„Sehen Sie nicht zuviel auf das Drumherum, sondern nur auf die Protagonisten“, könnte man in Anlehnung an dieses Zitat den Besuchern von Ulrike Schwabs Neuinszenierung von Richard Strauss' Salome am Theater Bremen raten, denn Schwab, hier besprochene Vorstellung 2.2.2024, verwässert ihre starke Erzählung dieser Schocker-Oper mit unnötigen Nebenhandlungen.
Ohne Vorspiel lässt Richard Strauss uns eintauchen in die dekadente, jede bürgerliche Moral sprengende Welt am Hofe des Königs Herodes, der seine Stieftochter Salome zu einem erotischen Tanz überredet, dann für sie als Gegenleistung Johannes den Täufer – hier Jochanaan genannt – enthaupten muss und sie kurz darauf angewidert töten lässt.
Die Sorge um den Verfall bürgerlicher Sitte und Moral durch die Aufführung dieses Einakters war bei der Dresdener Uraufführung im Jahr 1905 so groß, dass ganz am Schluss der Stern von Bethlehem am Bühnenhimmel erscheinen musste, der die Ankunft der heiligen drei Könige voraussagt. Ohne diesen „Hinweis“ auf eine bessere Welt hätte Kaiser Wilhelm II. eine Aufführung verweigert.
Salome ist zudem eine der ersten „Literaturopern“, also ein Bühnenwerk ohne eigens erstelltes Libretto. Strauss besuchte 1902 eine Aufführung von Oscar Wildes skandalträchtigem Theaterstück und begann kurz darauf, Wildes originalen Text zu vertonen – mit Kürzungen, die er selbst vornahm.
Schwab und Bühnenbildnerin Rebbecca Dornhege Reyes haben einen Raum geschaffen, in der die eigentliche Bühne von Zuschauerrängen umgeben ist. Der Zuschauerraum gehört also zur Spielfäche der Protagonisten dazu und sowohl Jochanaan als auch Herodes und Herodias befinden sich zu Beginn der Oper dort. Und so werden wir alle zu Gästen auf dem Fest des Herodes und damit Teil dieser Inszenierung.
Im Zentrum der eigentlichen Bühne ist die Zisterne, Jochanaans Gefängnis. Sie ist umgeben von einer mit Wasser bedeckten Spielfläche, deren Sinn nicht ganz klar wird. Die Protagonisten gehen häufig durch dieses Wasser und da es sehr flach ist, sieht es so aus, als konnte damals nicht nur Jesus übers Wasser laufen...Ein vermutlich unbeabsichtigter Effekt Schwabs.
Um die Wasserfläche herum hat Reyes einen halbfertigen römischen Tempel gebaut, der noch von einem Gerüst gestützt wird. Dieses Gerüst ist sowohl Spielfläche für Salome, die sich oftmals darauf zurückzieht, um die Beobachterrolle einzunehmen, als auch Aufbewahrungsort für Kleider, die Salome um Laufe des Abends anzieht und andere Gegenstände, die alle zur Kulturgeschichte dieser Figur gehören. Sie sollen dazu beitragen, die für Schwab zentrale Frage „Wer ist Salome?“ zu beantworten.
Und diese Frage – so interessant sie sein mag – lenkt von Schwabs sehr überzeugender Personenregie ab. Das mag eine Frage sein, der man in einem Essay im Programmheft nachgeht, aber daraus wird kein großes Theater. Schon gar nicht, wenn sie auf so plakative Weise behandelt wird wie hier: Schwab hat über der Bühne neben den Übertiteln einen weiteren Bildschirm angebracht, auf dem die Femmes Fatales der Menschheits-geschichte aufgelistet werden. Zu beiden Seiten des Gerüsts stehen kleine Fernseher, auf denen gelegentlich Fragen wie „Wer ist dieses Weib?“ auftauchen. Hinter dem Gerüst steht eine Art Billboard, auf der die Protagonisten im Laufe des Abends durch Verschieben der Buchstaben verschiedene Fragen formulieren wie etwa: „Wer ist dieses Kind?“.
Schwab stellt von Beginn an Salome buchstäblich ins Zentrum ihrer Erzählung. Sie ist von Anfang an ununterbrochen auf der Bühne und wird von allen Seiten beäugt. Eine Salome-Aufführung steht und fällt natürlich mit der Besetzung der Titelpartie und hier hat das Theater Bremen einen Glücksgriff getan, denn Yannick-Muriel Noah meistert diese Partie stimmlich wie darstellerisch bravourös! Die vielen Facetten dieser Figur werden bei ihr lebendig. Sie kann sowohl stimmlich als auch darstellerisch flehentlich bitten, kindisch trotzen, schmeichelnd verführen und mit unerbittlicher Härte den Kopf des Jochanaan fordern.
Die Szene der Oper, in der sich Salomes Schicksal entscheidet, ist ihr Aufeinandertreffen mit Jochanaan. Schwab gelingt hier durch eine spannende Personenregie großartiges Musiktheater. Ihr Jochanaan ist ein Mensch mit Ängsten, Zweifeln und Sehnsüchten. Er weist Salome nicht einfach zurück, er fühlt sich auch zu ihr hingezogen. Immer wieder sieht es so aus, als würde er doch ihren Verführungskünsten erliegen. Schwab lässt den Zuschauer bis zuletzt im Ungewissen, ob die beiden nicht doch zueinander finden und die Geschichte einen ganz anderen Verlauf nimmt, bevor der Fluch gegen Salome ihre Gefühle für ihn in Hass umschlagen lässt.
Dass dies ein lebendiger Jochanaan ist, wie man ihn selten gesehen hat, liegt natürlich auch an der intensiven Darstellung durch Michal Partyka. Zu oft ist diese Figur nur ein weihevoller Verkünder stereotyper Botschaften, aber nicht bei Partyka. Er ist mal aggressiv, mal anklagend und mal mitfühlend. Den Selbstmörder Narraboth (mit quälender Unruhe gespielt und gesungen von Oliver Sewell) lässt er nicht einfach links liegen, wie es Strauss und Wilde vorgesehen haben, sondern er gibt ihm noch posthum mit viel Liebe die Taufe. Vielleicht ein Fingerzeig Schwabs, dass das Christentum in seinen Anfängen sehr viel toleranter und mitfühlender war als in späteren Jahrhunderten.
Für den Tanz der Sieben Schleier übernimmt Salome den Taktstock von Dirigent Stefan Klingele und dirigiert das Orchester. Die Botschaft ist klar: Die Musik ist die eigentliche Verführerin in dieser Oper. Folglich haben Schwab und Klingele das Orchester auch nicht im Graben, sondern im hinteren Teil der Bühne platziert. Überhaupt lohnt es sich, das Orchester einmal nicht erst am Schluss zu erwähnen. Durch die ungeheuer lebendige und farbenreiche Partitur wird es von Strauss beinahe zu einem weiteren Protagonisten aufgewertet. Es ist mitnichten nur ein Begleiter der Sängerinnen und Sänger, sondern führt ein Eigenleben, und das machen Dirigent Stefan Klingele und seine Bremer Philharmoniker an diesem Abend auf großartige Weise deutlich. Ohne die Sängerinnen und Sänger zuzudecken erwecken sie eine Musik zum Leben, die an Rauschhaftigkeit noch die Musikdramen von Strauss' großem Idol Richard Wagner übertrifft. Stellvertretend für viele eindringliche Momente sei hier eine Stelle zu Beginn der vierten Szene genannt. Wann hat man jemals als Zuschauer so gefröstelt, wenn die orchestralen Wüstenwinde den Herodes zum Frieren bringen?
Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch eine gefühlt minutenlange Unterbrechung, eine Generalpause nach den Worten „Darum ist großes Übel über das Land gekommen.“ Alles steht auf einmal still, möglicherweise soll das eine Denkpause aller Protagonisten andeuten, aber sie steht mit keiner Note in der Partitur und unterbricht den musikalischen Fluss. Hier hätte man sich von Klingele gewünscht, dass er die Musik vor diesem Übergriff durch die Regie schützt.
Christian-Andreas Engelhardt als Herodes und Nadine Lehner als Herodias sind ein moralisch verkommenes sowie innerlich leeres Herrscherpaar. Sie verströmen nicht nur stimmliche Gefühlskälte, sondern man spürt auch durch ihr intensives Spiel ihre große Einsamkeit und ihre tiefe Sehnsucht nach menschlicher Wärme, zu der sie aber beide nicht fähig sind. Ihre überdimensionierten Pelzmäntel unterstreichen noch das Verdorbene ihres Charakters. Überhaupt gelingt Lena Schmidt und Marina Stefan mit den Kostümen das Kunststück, gleichzeitig sowohl Dekadenz als auch Zerfall zu vermitteln. Dies ist keine Gesellschaft, die eine große Zukunft vor sich hat.
Auch das rhythmisch schwierige Judenquintett (Ian Spinetti, Junho Oh, Luis Olivares Sandoval, Stefan Hahn, Bruno Vargas) gelingt an diesem Abend überzeugend. Das ist umso bemerkenswerter, als die Sänger den Dirigenten im Rücken haben und nur auf die Bildschirme kucken können. Hier ist schon so manches Sängerensemble auseinander geflogen.
Am Ende bekommt Salome nicht den Kopf des Jochanaan, stattdessen entsteigt die junge Salome der Zisterne. Salome hat sich mit ihrem inneren Kind versöhnt, die Schrecken ihrer grauenhaften Kindheit scheinen überwunden und sie kann die Bühne doch noch verlassen, um sich den Blicken aller Anwesenden zu entziehen.
Was das Theater Bremen an diesem Abend liefert, ist intensives Musiktheater mit großartiger Personenregie, einem phantastisch aufspielenden Orchester und einem sehr guten Sängerensemble. Nur die „Zusatzfragen“, die Schwab mit auf die Bühne nimmt, lenken davon ab. Sieht man jedoch „nur auf die Protagonisten“, bekommt man einen spannenden Theaterabend auf hohem musikalischen Niveau.
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