Bremen, Die Glocke, Bremer Philharmoniker - 9. Philharmonisches Konzert, IOCO Kritik, 29.04.2022
9. Philharmonisches Konzert - Bremer Philharmoniker
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 8 c-moll - zweite Fassung von 1890
von Thomas Birkhahn
Was für ein Glück, dass Anton Bruckner die beiden Beckenschläge im Adagio seiner 8. Symphonie nicht in einer späteren Fassung wieder entfernte, so wie er es mit dem Beckenschlag im Adagio seiner 7. Symphonie machte! Er ist im 9. Philharmonischen Konzert unter Marco Letonja und den Bremer Philharmonikern der krönende Höhepunkt einer emotionalen und leidenschaftlichen Wiedergabe von Bruckners längster und in jeder Hinsicht monumentalster Symphonie.
Wie schon frühere Symphonien Bruckners liegt auch die 8. Symphonie in zwei Fassungen vor. Die erste – 1887 fertig gestellte - Fassung fand vor Bruckners wichtigstem musikalischen Ratgeber, dem Dirigenten Hermann Levi, keine Gnade. Levi nannte die Instrumentation „unmöglich“, die Form „schablonenhaft“ und der letzte Satz war für ihn „ein verschlossenes Buch.“ Bruckner war von dieser Kritik schwer getroffen, fügte sich aber dem Urteil des Freundes und beendete drei Jahre später die zweite Fassung, die dann 1892 von den Wiener Philharmonikern unter Hans Richter mit großem Erfolg uraufgeführt wurde und bis heute nach fast einhelligem Urteil als die überzeugendere Fassung angesehen wird.
An diesem Abend in der nicht vollbesetzten Bremer Glocke macht schon der etwas verhaltene Beginn, der sicher nicht zufällig in seinem Rhythmus an das Hauptthema des Kopfsatzes aus Beethovens 9. Symphonie angelehnt ist, deutlich, worum es Letonja geht: Er formt die Musik sehr klar und arbeitet ihre Konturen heraus. Hier ist nichts verwaschen oder weichgespült. Letonja geht mit der Lautstärke dieses Riesenorchesters behutsam um, er lässt nicht bei jeder der vielen Steigerungen die Scheiben scheppern, sondern konzentriert sich auf einige wenige Höhepunkte, die von den bestens aufgelegten Blechbläsern mal mit triumphalem Strahlen, mal mit schneidender Schärfe gespielt werden.
Friedrich Nietzsche nannte Richard Wagner einmal eines „Meister des Übergangs“. Und obwohl Bruckner Wagner geradezu abgöttisch verehrte, kann man in seiner Musik oftmals das Gegenteil beobachten: Musikalische Gedanken werden urplötzlich abgebrochen und es beginnt übergangslos ein neuer Gedanke. Manchmal scheint die Musik auch im Nichts zu enden und es entsteht eine Art Leere. Es wirkt dann so, als wäre sie auf der Suche nach einer neuen Richtung und Letonja gibt dieser Suche den nötigen Raum. Auch die leisen Momente, wie die flüsternden Geigenpassagen im ersten Satz, kommen bei ihm nicht zu kurz.
Das Flirren in den Geigen zu Beginn des Scherzos versetzt den Zuhörer dann in eine ganz andere Welt. Es ist eine aufgeregte und hellwache Musik, die auf merkwürdige Art um sich selbst kreist. Es gibt Aufführungen, in denen die ständigen Wiederholungen auf den Zuhörer gelegentlich ermüdend wirken können. Aber nicht an diesem Abend: Hier wird die Musik zu einem mitreißenden Triumph, nur unterbrochen von der feierlichen Nachdenklichkeit des Trios.
Das Kreisen um sich selbst weicht im Adagio zunächst einer Art Stillstand. Das langgezogene, sehnsuchtsvolle Thema scheint fast auf der Stelle zu treten. Und die Geigen bringen mit ihrem satten warmen Klang eine neue Klangfarbe ins Spiel. Dies ist an diesem Abend der stärkste Satz, es herrscht eine Intensität des Musizierens, die zu Herzen geht. Letonja lässt das Orchester leuchten, die langgezogenen Kantilenen in den Celli und Bratschen sind durchzogen von romantischer Sehnsucht und die immer wieder aufbrandenen Wellen des Klangs werden – wie eingangs erwähnt - zweimal vom Becken vergoldet.
Das Finale nannte Bruckner den „bedeutsamsten Satz meines Lebens“, und auch dieser Satz ist reich an musikalischen Gesten: Der Choral der Wagner-Tuben, die pastorale Flötenmelodie, die triumphale Prozession der Blechbläser – sie alle bekommen bei Letonja einen eigenen Charakter und werden doch zu einem großen Ganzen zusammen gefügt.
Wenn Bruckner am Schluss die Hauptthemen der ersten drei Sätze zitiert, ist wieder der Bezug zu Beethovens 9. Symphonie erkennbar. Doch während bei Beethoven die Themen der vorigen Sätze nacheinander „abgelehnt“ werden, um den Weg für das „Freude“-Thema frei zu machen, schichtet Bruckner sie übereinander und sie bilden den triumphalen Schlusspunkt einer Symphonie, die zu den größten Kunstwerken der abendländischen Kultur gehört.
Dafür, und für das engagierte und lebendige Musizieren aller Beteiligten gibt es vom Publikum begeisterten und lang anhaltenden Applaus
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