Bremen, Die Glocke, 7. Philharmonisches Konzert - „Durchbruch“, IOCO Kritik, 06.03.2020
7. Philharmonisches Konzert - „Durchbruch“Bremer Philharmoniker, Leonard Elschenbroich, Violoncello, Marko Letonja, Dirigent
Mark Simpson: Konzert für Violoncello und Orchester Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 1 D-Dur
von Thomas Birkhahn
Es ist immer begrüßenswert, wenn zeitgenössische Musik aus dem Nischendasein der Neue-Musik-Festivals ausbricht und einen Platz im herkömmlichen Konzertbetrieb findet. Insofern kann man die Bremer Philharmoniker für ihren Mut loben, eine deutsche Erstaufführung auf das Programm zu setzen: Das Cellokonzert des Engländers Mark Simpson (*1988), welches eigens für den Solisten dieses mit „Durchbruch“ betitelten philharmonischen Konzerts, Leonard Elschenbroich, geschrieben und von diesem uraufgeführt 2018 wurde.
Schon die große Geste mit der das Orchester das Werk einleitet, macht deutlich, dass wir es hier mit hochemotionaler Musik zu tun haben. Die Intensität wird durch die ausladenden gesanglichen Linien des Cellos noch gesteigert. Elschenbroich identifiziert sich absolut mit dieser Musik und verleiht ihr eine Expressivität, die den Zuhörer bis zum Schluss nicht loslässt. Er stürzt sich mutig in die rasenden Läufe und höllisch schweren Doppelgriffe, die seine fabelhafte Technik bezeugen.
Solist und Orchester überbieten sich beinahe im Anheizen der Emotionen, so dass der langsame Mittelsatz eine willkommene Beruhigung auch für den Zuhörer darstellt. Simpson scheint vor allem das hohe Register des Cellos zu lieben. Wenn in diesem Werk ein Wunsch offenbleibt, dann der, dass der große Tonumfang des Cellos häufiger voll ausgereizt wird. Man hätte sich gelegentlich ein längeres Verweilen des Cellos in den tiefen Registern durchaus vorstellen können. Das Werk wurde nach der Uraufführung - so konnte man dem Programmheft entnehmen - von Teilen der Presse in die Nähe von Filmmusik à la Hollywood gerückt. Wenn dem so ist, dann ist dies Musik für einen Thriller, der fast ununterbrochen für Nervenkitzel sorgt.
Nach dem begeisterten Applaus – der zu einem nicht geringen Teil auch dem anwesenden Komponisten galt - bedankt sich der Solist mit der wunderbar innig vorgetragenen Sarabande aus der dritten Cellosuite von Johann Sebastian Bach.
Nach der Pause erklingt dann Gustav Mahlers erste Symphonie. Um etwas vorzugreifen: Am Ende erheben sich die acht Hornisten von ihren Plätzen und spielen den Schluss im Stehen. Es ist die passende optische Geste für eine Musik, die alle Selbstzweifel hinter sich gelassen hat und in triumphaler Selbstbehauptung der Zukunft entgegen geht.
Dass es ein steiniger Weg ist, den der „Titan“, der in Wirklichkeit Mahler ist, in dieser Sinfonie zurücklegen muss, machen Dirigent Marco Letonja und seine Bremer Philharmoniker überzeugend deutlich.
Mahlers erste Sinfonie wurde 1889 in Budapest uraufgeführt, damals noch als fünfsätzige Sinfonische Dichtung mit dem Titel Der Titan - angelehnt an einen Roman von Jean Paul. Erst später konzipierte Mahler das Werk als Sinfonie und strich sowohl das sinfonische Programm als auch den zweiten Satz, der heutzutage noch gelegentlich unter dem Titel Blumine aufgeführt wird.
Letonja hat eine klare Vorstellung davon, wie der Weg des Helden verlaufen soll. Das Hauptthema des ersten Satzes – aus Mahlers eigenem Lied „Ging heut' morgen übers Feld“ - nimmt er nicht nur im von Mahler mit „Immer gemächlich“ vorgeschriebenen Tempo, sondern auch mit der nötigen Zartheit und Zurückhaltung. Letonja erzeugt eine idyllisch heitere Stimmung, in der die lyrische Melodik Mahlers genauso zur Geltung kommt wie die Zögerlichkeit, die Fragezeichen, die dieser Musik ebenfalls innewohnen. Erst nach einer gewaltigen Klangentladung am Ende des ersten Satzes – vermutlich der „Durchbruch“, der dem Konzert seinen Titel gab - wird der Weg frei für Optimismus und Lebensbejahung.
Diese herrschen auch zunächst im länderartigen zweiten Satz vor. Letonja und seine Musiker betonen mit hörbarer Spielfreude das Rustikale, Volkstümliche dieser Musik, ohne die bedrohlichen Klänge, die sich hier und da dazwischen mischen zu ignorieren. Diese dunklen Untertöne werden dann aber mit hitziger Energie beiseite gespielt. Wunderbar zart gelingt das Trio. Die Streicher der Bremer Philharmoniker zaubern einen zerbrechlichen Klangteppich, den die Bläser mit klangschönen Soli ergänzen.
Der dritte Satz beginnt mit einem Kontrabasssolo (sehr einfühlsam gespielt von Hiroyuki Yamakazi), der das Volkslied Bruder Jakob in Moll anstimmt. Vielleicht war es dieser Einbruch des Profanen, der „niederen Kunst“ in die Sinfonie, die ja die Königsgattung der Orchestermusik ist, die den berühmten Wiener Kritiker Eduard Hanslick zu der Aussage verleitete, dass diese Sinfonie „zu jener Gattung Musik gehört, die für mich keine ist.“
Mahler macht hier aus einem Kinderlied einen Trauermarsch, der immer mehr zu einem wehmütigen Klagegesang anschwillt. Immer wiederkehrenden Unterbrechungen des Trauermarschs durch volkstümliche Klänge gelingen Letonja sehr organisch, und besonders Mahlers Zitat aus seinem Lied Die zwei blauen Augen wird vom Orchester mit berückender Schönheit gespielt.
Letonja hält sich genau an Mahlers Anweisung und macht keine Unterbrechung vor dem Finalsatz. In den verlöschenden Trauermarsch hinein lässt er mit schneidender Schärfe das Finale über die Zuhörer hereinbrechen. Die Extreme von Mahlers Emotionen werden uns noch einmal in ihrer ganzen Bandbreite dargelegt. Seine Zerissenheit, sein Weltschmerz, und am Ende sein Optimismus – sie lösen an diesem Abend einen Beifallssturm aus, den sich Dirigent und Orchester verdient haben.
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