Bremen, Die Glocke, 11. Philharmonisches Konzert - Bremer Philharmoniker, IOCO Kritik, 17.06.2022
11. Philharmonisches Konzert - Bremer Philharmoniker
Paul Dukas: Der Zauberlehrling, Carl Nielsen: Flötenkonzert, Igor Strawinsky: Der Feuervogel
von Thomas Birkhahn
Man könnte Paul Dukas als „One-Hit-Wonder“ der klassischen Musik bezeichnen. Dieser eigentlich aus der Popmusik stammende Begriff aus dem englischsprachigen Raum wird für Künstler benutzt, die mit nur einem einzigen Song erfolgreich waren. Das trifft auch auf Dukas zu, denn bedauerlicherweise ist außer seiner sinfonischen Dichtung „Der Zauberlehrling“ außerhalb Frankreichs kaum eines seiner Werke bekannt. Warum eben jener „Zauberlehrling“ ein Superhit in den Konzertsälen der Welt ist, konnte man am 14.6.2022 im 11. Philharmonischen Konzert in der Bremer Glocke erleben.
Dirigent Stefan Asbury lässt das Drama behutsam sich entfalten. Nach der langsamen Einleitung, in der Dukas die vier Leitmotive vorstellt, die er zur musikalischen Darstellung von Goethes Ballade benötigt, steigert Asbury nach und nach die Spannung dieser Musik, die sich genau an ihre literarische Vorlage hält. Er betont zunächst den tänzerischen Charakter der Musik des aufmüpfigen Lehrlings, der sich in einem Anflug von Größenwahn für ebenso kompetent wie sein Meister hält. Asbury lässt den Zuhörer an der langsam steigenden Nervosität des Lehrlings teilhaben, wohl dosiert steigert er die Dramatik, in der die Welt nach und nach aus den Fugen gerät. Sehr eindrucksvoll klingen bei ihm die Axthiebe des gesamten Orchesters, die - anstatt den aus dem Ruder gelaufenen Zauber zu beenden – alles nur noch schlimmer machen. Man sieht die Entstehung der zwei Besen regelrecht vor sich, so theatralisch lässt Asbury lässt hier Fagott und Kontrafagott spielen. Es gelingt ihm, die Atmosphäre noch weiter anzuheizen und alles auf den Höhepunkt zulaufen zu lassen, an dem der Meister bei seiner Rückkehr mit dem korrekten Zauberspruch in Gestalt der Blechbläser dem Spuk ein Ende bereitet.
Das Orchester folgt Asbury auf dem Weg durch das Drama mit großer Spielfreude und einer breiten Palette an Klangfarben, die diese mitreißende Musik in ihrer ganzen schillernden Farbigkeit lebendig werden lässt.
Es ist immer begrüßenswert, wenn Solokonzerte aufgeführt werden, die nicht zu den „großen Drei“ der Soloinstrumente - Geige, Klavier und Violoncello - gehören. So konnte man sich auf Carl Nielsens Flötenkonzert aus dem Jahr 1926 freuen.
Bei Solistin Helene Freyburger - seit sechs Jahren Soloflötistin der Bremer Philharmoniker – ist ihre innere Verbundenheit mit dieser Musik von Beginn an zu hören. Sie übernimmt sofort die Initiative und gibt sie bis zum Schluss nicht mehr ab.
Die technischen Schwierigkeiten dieses Werkes scheinen für Helene Freyburger gar nicht zu existieren. Sie beherrscht jederzeit souverän das musikalische Geschehen. Die kaskadenartigen schnellen Läufe klingen bei ihr wie spontan und frei, aber gleichzeitig wohlüberlegt und mit musikalischem Sinn erfüllt. Ihr klarer Ton setzt sich immer gut gegen das Orchester durch, ihre Musikalität und ihr tiefes Verständnis dieser Musik ist jederzeit spürbar.
Dieses Flötenkonzert ist eine sehr wandlungsfähige Musik voller rapider Stimmungswechsel. Das Hauptthema des ersten Satzes kommt mal tänzerisch, mal dramatisch daher. Den Musikern gelingt es, auf diese wechselnden Stimmungen schnell zu reagieren. Durch Nielsens oftmals sparsame Instrumentation, seine gelegentlich kammermusikalische Behandlung des Orchesters entstehen zwischendurch kleine Duos, Trios oder Quartette, von denen besonders das „Trio“ mit Horn, Bratsche und Soloflöte durch das innige Spiel aller Beteiligten anrührt.
Freyburger bedankt sich für den begeisterten Applaus mit dem Stück „Bergere captive“ von Pierre-Octave Ferroud.
Im Jahr 1909 beauftragte der russische Ballett-Impresario Sergey Dhiagilev den Komponisten Anatol Liadow damit, Musik für das auf zwei russischen Märchen basierende Ballett Der Feuervogel zu komponieren. Da Liadow jedoch zu lange mit einer Zusage zögerte, wandte sich Dhiagilev an den damals 27-jährigen, weitgehend unbekannten Igor Strawinsky. Schon damals galt anscheinend das Motto: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, denn während Liadow heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist, begann durch den großen Erfolg des Feuervogel Strawinskys kometenhafter Aufstieg zu einem der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Die Popularität des Feuervogel war so groß, dass Strawinsky im Laufe seines Lebens drei verschiedene Suiten für den Konzertsaal arrangierte. Die an diesem Abend gespielte Fassung von 1945 ist die letzte und gleichzeitig die längste der drei Suiten.
Es ist eine Musik zwischen zwei Extremen: Einerseits ist sie noch der spätromantischen Tonsprache von Strawinskys Lehrer Rimsky-Korsakow verhaftet, andererseits kündigt sich schon Strawinskys ureigener Stil an, in dem er rhythmische Urkräfte freisetzt und zu einem perkussiven, im besten Sinne barbarischen Stil findet, den er drei Jahre später in seinem Ballett Le Sacre du Printemps auf die Spitze treiben wird.
Dieses Musizieren zwischen den Extremen gelingt an diesem Abend nur teilweise, und schon zu Beginn wird deutlich, dass Dirigent und Orchester mit dem „rhythmischen“ Strawinsky besser zurecht kommen.
Die Einleitung schildert die Welt des bösen Zauberers Kaschtschei, der Prinzen zu Stein verwandelt hat und Prinzessinnen gefangen hält. Es ist eigentlich ein sehr düsterer, mysteriöser Beginn in den tiefen Streichern, die sehr leise beginnen sollen. Der Klang der Philharmoniker ist hier zu präsent, es fehlt das Geheimnisvolle des von Strawinsky im Pianissimo vorgeschriebenen Beginn.
An manchen Stellen hätte man sich noch eine Spur mehr romantisches Schwelgen gewünscht, so zum Beispiel, wenn der gefangene Feuervogel um seine Freilassung bittet. Das spätromantische Flehen, dass dieser Musik innewohnt, kommt etwas zu kurz.
Sehr viel überzeugender gelingt der Tanz des Feuervogels, in dem die ganze Farbigkeit von Strawinskys Instrumentation hörbar wird und Asbury mit rhythmischer Präzision und lebendigem Schwung den Feuervogel zum Leben erweckt.
Nirgends werden die Extreme dieser Musik hörbarer als im „Höllentanz des Kaschtschei“, dessen stampfende Rhythmik und brutale Akkordschläge vom Orchester überzeugend dargeboten werden, in dem man jedoch in den romantischen Passagen das Herzblut vermisst. Hier sind vor allem die Streicher mehr gefordert, hier ist – bildlich gesprochen – Musizieren auf der äußersten Stuhlkante notwendig.
Heraus ragen an diesem Abend einzelne Solisten des Orchesters. Ein wunderbar inniges Hornsolo, ein Cellosolo, dass zu Herzen geht und ein sehr delikates Fagottsolo sind an diesem Abend die stärksten Momente einer Feuervogel-Aufführung, die insgesamt nicht ganz zu überzeugen vermochte.
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