Bremen, Bremer Theater, OTELLO - G. Verdi, IOCO

Bremen, Bremer Theater, OTELLO - G. Verdi, IOCO
Adèle Lorenzi, Ian Spinetti, Fabian Düberg, Jasin Rammal-Rykala, Arvid Fagerfjäll copyright Jörg Landsberg

Vorstellung: 21.4.25

 

Was, bitteschön, soll diese Liebe jemals gefährden, fragt man sich am Ende des ersten Aktes von Giuseppe Verdis „Otello“, so harmonisch scheint die Beziehung von Otello und Desdemona zu sein, so tief ihre Zuneigung zueinander und so überirdisch schön ist Verdis Musik. Regisseur Frank Hilbrich stellt ein langes gemeinsames Leben dieses Liebespaares in seiner Neuinszenierung am Bremer Theater zumindest zur Diskussion, in dem er gleichzeitig die beiden Protagonisten um Jahrzehnte gealtert am Abendbrottisch zeigt. Hätte es so kommen können für Verdis letztes tragisches Liebespaar wenn nicht schon wenig später eine Intrige ihren Lauf nimmt, die mit dem Tod beider Protagonisten enden wird?

Hilbrich identifiziert sich in seiner Inszenierung so sehr mit den Frauenfiguren – allen voran Desdemona – dass er wohl am liebsten das Ende umgeschrieben und Desdemona am Leben gelassen hätte. Er zeigt sie als starke und selbstbewusste Frau, die erst ganz am Schluss aufgibt und sich der Übermacht der Männer beugt.

 Denn darum geht es hauptsächlich in dieser Inszenierung: Um eine von Testosteron und Machtstreben dominierte Welt, in der die Frauen sich den Spielregeln der Männer anpassen müssen.

Aldo Di Toro, Adèle Lorenzi, Chor_copyright Jörg Landsberg

Hilbrich konzentriert sich ganz auf die Interaktion seiner Figuren und nichts auf der spärlich dekorierten Bühne soll davon ablenken: Bühnenbildner Sebastian Hannak hat einen abstrakten, komplett weißen Raum geschaffen, an dessen Rückseite sich eine große, kreisrunde Öffnung befindet, durch die die Protagonisten auf- oder abtreten können. Aus der Öffnung führt eine Art Laufsteg nach vorne in Richtung Zuschauer, der den handelnden Personen dazu dient, sich bei Bedarf noch etwas mehr ins Rampenlicht zu rücken.

Über der Bühne beleuchtet eine große, ebenfalls kreisrunde Scheibe  diese Shakespeare'sche Tragödie, die den knapp 70-jährigenVerdi dazu veranlasste, seinen selbstgewählten Ruhestand aufzugeben und nach einer Pause von zwölf Jahren noch ein letztes Mal eine tragische Oper zu schreiben, die 1887 mit ungeheurem Erfolg an der Mailander Scala uraufgeführt wurde. Fun fact am Rande: Im Orchester saß auch ein 19-jähriger Cellist namens Arturo Toscanini, der wenig später zu einem der größten Dirigenten des 20. Jahrhunderts aufsteigen sollte.

 

Zurück zur Intrige: Es ist die Rache des Jago, der es nicht verwinden kann, dass nicht er sondern sein Rivale Cassio (Ian Spinetti) von Otello zum Hauptmann befördert wurde und der deshalb einen grausamen Plan ersinnt, der am Ende mit einem Femizid und einem Selbstmord endet.

 

Michal Partyka spielt und singt einen äußerlich erstaunlich harmlosen Jago. Die  Normalität, die er dieser Figur verleiht, macht sie aber nur noch unheimlicher. Dieser Jago ist nicht einfach nur böse, er könnte jeder von uns sein. Es sind vor allem die leisen Töne, mit denen Partyka großartig verstören kann und mit denen er Otello am Ende des zweiten Aktes die Lüge des Traumes auftischt, den  Cassio angeblich geträumt hat. Das Böse kommt hier auf leisen Sohlen daher, und man möchte als Zuschauer Otello zurufen, doch nicht alles für bare Münze zu nehmen, was sein angeblicher Freund ihm einflüstert, aber die Eifersucht vernebelt ihm den Blick.

Dieser Otello ist bei Hilbrich über weite Strecken ein Zweifelnder, er ist eher fassungslos als rasend vor Wut ob der vermeintlichen Untreue seiner Frau. Ein bisschen mehr aufbrausende Emotion hätte man sich von ihm schon gewünscht. Aldo di Toro meistert die schwere Partie stimmlich bravourös, aber darstellerisch bleibt er  etwas blass.

 

Er ist in dieser Produktion kein dunkelhäutiger Mensch, er ist also kein Außenseiter, wie Shakespeare ihn konzipiert hat. Dafür gibt es auch gute Gründe, denn die Dinge, um die es in dieser Tragödie geht – Machtstreben, Verrat, Liebe, Eifersucht – sind universelle Themen, die in jeder Gesellschaft vorkommen.

Diese Gesellschaft, genauer gesagt das „Volk“, repräsentiert durch den bestens aufgelegten Bremer Opernchor (Einstudierung: Karl Bernewitz), ist bei Hilbrich der unsrigen sehr ähnlich, denn zum einen sitzen die Chormitglieder des Öfteren im Publikum, zum anderen sind sie modern aber festlich gekleidet wie die Opernbesucher. Und sie wenden sich mehrfach direkt zum Publikum, man ist gelegentlich beinahe geneigt, dem Chor beim Gang auf die Bühne zu folgen um mitzuhelfen, das tragische Ende zu verhindern.

Denn genau das versucht das Volk bei Hilbrich: Seine Desdemona (Adele Lorenzi) ordnet sich nicht dienend ihrem im Laufe des Abends immer fremder werdenden Mann unter. Sie reckt am Ende des dritten Aktes die taschentuchumwickelte Faust in die Höhe, als Zeichen des Widerstands gegen die Dominanz der Männer. Daraus wird eine regelrechte Bewegung, der sich nach und nach das gesamte Volk anschließt und mit erhobener Faust den Akt beendet.

Adele Lorenzis Desdemona ist eine sensible und doch selbstbewusste Frau, stimmlich meistert sie die Partie scheinbar mühelos. Sie findet auch im vierten Akt noch lyrische Töne für das wunderschöne Weidenlied.

 

Die eigentlichen Stars dieses Abends sind aber die Bremer Philharmoniker und ihr Kapellmeister. Zu oft wird in einer Opernaufführung der Beitrag dieser für das Publikum unsichtbaren Mitwirkenden nicht ausreichend gewürdigt.

Was Dirigent Sasha Yankevych und sein Orchester in dieser Aufführung an Emotionen ins Publikum transportieren, geht unter die Haut. Verdi hat im „Otello“ dem Orchester nicht einfach eine Begleitrolle für die SängerInnen zugewiesen. Die sehr differenziert und farbenreich instrumentierte Partitur ist Trägerin der  Emotionen dieses Dramas. Die menschlichen Abgründe  werden erst durch das ebenso engagierte und hochemotionale Spiel der Bremer Philharmoniker wirklich erlebbar. Während es im großen Liebesduett die betörenden kammermusikalischen Klänge sind, die den Zuhörer verzaubern, kommt er bei den Klängen der Holzbläser in Jagos bösem „Glaubensbekenntnis“ regelrecht ins Gruseln. So gespentische Triller hat man selten gehört und Yankevych und seine Musiker zeigen in diesen Momenten, dass das 20. Jahrhundert mit seiner Abkehr von der Tonalität nicht mehr fern ist.

 

Kurz vor Desdemonas Weidenlied richten die Männer, die die Macht in dieser Gesellschaft unter sich ausmachen, die  Bühnenscheinwerfer auf Desdemona, lassen sie auch danach nicht aus den Augen. Als Desdemonas Todesahnung übermächtig wird, knipst sie alle Bühnenscheinwerfer per Hand aus. Das ist ein starkes Bild, das Hilbrich hier findet: Den Frauen bleibt nur der Rückzug in die Dunkelheit, um sich dem Zugriff der Männer zu entziehen.

Den Femizid am Schluss des Stücks können aber weder die Dunkelheit noch die gereckten Fäuste des Volkes verhindern. Ist das ein Fingerzeig, dass am Ende aller Widerstand gegen die Mächtigen sinnlos ist?

Immerhin findet die zweite Frauenfigur Emilia (Nathalie Mittelbach) am Ende den Mut, die Intrige aufzudecken und dafür zu sorgen, dass Jago fliehen muss, vielleicht sieht Hilbrich für unsere Gesellschaft also doch noch nicht alles verloren.