Bremen, Bremer Theater, BÉATRICE ET BÉNÉDICT, H. Berlioz, IOCO

Bremen, Bremer Theater, BÉATRICE ET BÉNÉDICT, H. Berlioz, IOCO
Sewell, Freund, Rammal-Rykala, Goldberg, Fagerfjäll copyright Jörg Landsberg

Premiere 09.02.2025

 

Der Komponist und Dirigent Pierre Boulez hat 1967 in einem Rundumschlag  die Sprengung aller Opernhäuser gefordert. In der Aufregung über diese radikale Ansicht ging eine weitere Aussage von Boulez über die Opernregie der damaligen Zeit etwas unter: „Ein Telefon auf der Bühne macht noch keine moderne Inszenierung.“

Nach der Neuproduktion von Hector Berlioz' „Beatrice et Benedict“ am Bremer Theater möchte man hinzufügen: „Und ein diamantbesetztes Handy auch nicht!“

 

Aber der Reihe nach: Das Bremer Theater beauftragte die Autorin Nina Maria Metzger mit einer Neufassung der gesprochenen Dialoge von Berlioz' letzter Oper. Da „Béatrice et Bénédict“ im Untertitel mit dem Zusatz „nach William Shakespeares 'Viel Lärm um nichts'“ versehen ist, wäre es nur konsequent gewesen, diese Neuproduktion mit dem Zusatz „nach Hector Berlioz“ zu ergänzen.

Denn diese Neufassung hat mit den ursprünglichen, von Berlioz selbst geschriebenen Dialogen nicht mehr viel zu tun.

Regisseurin Susanne Lietzow hält die ursprünglichen Dialoge für überholt und „einfach nicht spritzig“.

Nun ist ja nicht grundsätzlich etwas gegen eine Bearbeitung oder sogar Neufassung einzuwenden, wenn es die Aussage eines Stückes deutlicher hervor  hebt. Man denke etwa an den Bremer „Rosenkavalier“ von 2019, in dem mehrere kleinere Partien zu einer ganz neuen Figur zusammen gefasst wurden. Was hier jedoch erreicht wurde, ist das Gegenteil: Statt mit spitzer Feder sind diese Dialoge mit einem stumpfen Wachsmalstift geschrieben. Die ironischen verbalen Giftpfeile, die  Béatrice und Bénédict bei Berlioz aufeinander abschießen, sind hier Klamauk und äußerlichen Knalleffekten gewichen.

Es geht turbulent zu an diesem Abend. Die Spaßgesellschaft ist zurück und wir sind wieder in den 90er Jahren in der Comedy Zone eines Privatsenders.

Elisa Birkenheier, Chor copyright Jörg Landsberg

Das Bühnenbild (Aurel Lenfert) ist ein knallbunter Tropengarten, voll mit exotischen Blumen und vorbeiziehenden Flamingos. Man raucht und trinkt nach Herzenslust, schlägt sich in Tarzan-Manier auf die Brust, setzt sich auf einen überlebensgroßen Flamingo, bricht in überdrehtes Geheul aus und singt teilweise in den Arien sogar  über den Schlusston  des Orchesters hinaus.

Hierbei bleiben die leisen Zwischentöne, die sowohl in der Musik als auch im Libretto zu finden sind, auf der Strecke.

Metzger hat den Versuch unternommen, der Rahmenhandlung, die der Text der gesungenen Musik vorgibt, eine eigene Handlung überzustülpen. Dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt ist, wird schon sehr früh deutlich: Héro hat bei Metzger von Beginn an Zweifel an einer Heirat mit Claudio, Metzger erfindet das Problem, dass die beiden sich erst seit kurzer Zeit kennen und deshalb noch gar keine echten Gefühle füreinander empfinden können. Davon steht aber nichts bei Berlioz und in  Héros erster Arie ist davon schon keine Rede mehr. Es ist also nicht so, dass sich in der Musik „die Emotionen reflektieren lassen“, wie die Sängerin der Béatrice ,Ulrike Mayer, es im Pressetext formuliert. Es ist umgekehrt: Die gesungenen Emotionen widersprechen den von Metzger neu geschriebenen.

Anstatt die Oper als Ganzes so zu nehmen, wie sie ist, hat man nun zwei halbe Stücke, die sich nicht zu einem Ganzen verbinden.

 

Aber nicht nur Metzger, sondern auch Lietzow setzt in ihrer Regie auf schnelle Lacher und Situationskomik, etwa wenn Béatrice die Arme ausbreitet und unabsichtlich den neben ihr stehenden  Bénédict umwirft. Ihr Duett im ersten Akt, in dem sie sich gegenseitig vordergründig aufziehen, endet bei Lietzow mit einem Kampf in Martial Arts Manier. Eine feinsinnige Komödie, die diese Oper laut Pressetext ist, sieht anders aus.

 

Lietzow hat sich außerdem dazu entschieden, die beiden Hauptfiguren von jeweils zwei DarstellerInnen spielen zu lassen. Béatrice und Bénédict werden  von einer  Schauspielerin und einem Schauspieler gedoppelt.

Diese Verdoppelung soll das komplizierte und oftmals widersprüchliche Innenleben der Figuren sichtbar machen. Während die eine  Béatrice sich schon zu  Bénédict hingezogen fühlt, geht die andere noch sichtbar auf Distanz. Diese Darstellung hat durchaus ihren Reiz, aber noch reizvoller wäre es gewesen, wenn die inneren Konflikte, die beide Protagonisten durchmachen, in ein und derselben Person stattfinden. Kaum etwas ist im Theater spannender als die Darstellung von inneren Widersprüchen, die einen – aber eben nur einen –  Menschen zerreißen.

 

Das zentrale Handlungselement dieser Oper ist die Intrige, die die Protagonisten spinnen, um  Béatrice und  Bénédict zu verkuppeln: Leonata, Don Pedro und Claudio unterhalten sich über  Béatrice' Liebe zu  Bénédict. Diese Liebe ist nur ausgedacht und sie tun das in dem Wissen, dass Bénédict  heimlich zuhört und dadurch dazu bewegt werden soll, sich seine Zuneigung zu Béatrice einzugestehen. Diese Intrige verliert aber an Glaubwürdigkeit, wenn – wie in dieser Produktion –  Bénédict nicht nur heimlich zuhört, sondern sich in das Gespräch einmischt.

 

Auch der Schluss ist bei Metzger und Lietzow komplett verändert. Während das Original mit einer Doppelhochzeit von Héro und Claudio sowie  Béatrice und  Bénédict endet, verweigert  Héro ihrem Angetrauten aus den erwähnten dazu erfundenen Gründen das Ja-Wort. Auch die beiden – oder hier vier –  Hauptfiguren heiraten nicht, stattdessen gibt es eine spontane Heirat von Don Pedro und der Gouverneurin Leonata. Überflüssig zu erwähnen, dass davon bei Berlioz keine Rede ist. Im übrigen ist Leonata im Original ein Gouverneur und heißt Leonato.

Die Figur des etwas täppischen und dilettantischen Kapellmeisters Somarone, der für die eigentliche Handlung unnötig ist, aber mit seinem für Héro und Claudio komponierten Hochzeitslied komödiantisches Potenzial hat, wurde gestrichen bzw. auf Dirigent Stefan Klingele, der zwischendurch von den Darstellern auf die Bühne gebeten wird und dem Darsteller des Claudio, Arvid Fagerfjäll, aufgeteilt. Klingeles schauspielerische Leistung in allen Ehren, aber so ging der Witz etwas unter, dass dieses Hochzeitslied von Berlioz absichtlich schlecht komponiert wurde.

Bei soviel Änderung und Umschreibung fällt es kaum ins Gewicht, dass die Pause in dieser Produktion vor dem Ende des ersten Aktes stattfindet, nämlich nach  Bénédicts hoffnungsfroh verliebter Jubel-Arie. Der eigentliche Akt-Schluss ist aber das Duett zwischen Héro und ihrer Vertrauten Ursula, in dem wir eine erstaunlich melancholische  Héro antreffen. So wurde die Chance vertan, die Zuschauer mit nachdenklichen Gedanken in die Pause zu entlassen.

 

Die Musik ist an diesem Abend – wie so oft im Bremer Theater – die eigentliche Gewinnerin. Das liegt zuallererst natürlich an Berlioz' wunderbarer Komposition. Schon die ersten Takte der Ouvertüre mit ihren übermütig übereinander purzelnden Triolen setzen den Tonfall für diese Oper, die ernste Zwischentöne aber nicht scheut. Berlioz beweist in seinem letzten großen Werk, dass er nicht nur bombastische und tragische Musik für das Theater schreiben kann, sondern auch eine kammermusikalische, ganz auf das Melodische ausgerichtete federleichte Komödie beherrscht.

Stefan Klingele und seinen Philharmonikern gelingt es, den Zauber dieser Musik zu vermitteln. Die vielen Stimmungen und Schattierungen dieser Musik werden lebendig, etwa wenn die Streicher den Duft einer Sommernacht in Musik verwandeln.

Nathalie Mittelbach, Elisa Birkenheier copyright Jörg Landsberg

Das sängerische und schauspielerische Niveau ist durchweg sehr hoch an diesem Abend. Ulrike Mayer ist eine Béatrice, die die Unsicherheiten dieser Figur stimmlich überzeugend vermitteln kann. Oliver Sewell hat als  Bénédict anfänglich noch Intonationsschwierigkeiten, steigert sich aber im Verlauf des Abends und bringt vor allem  Bénédicts draufgängerische Seite gut rüber. Elisa Birkenheiers Héro und Arvid Fagerfjälls Claudio nimmt man ihre Unbekümmertheit und Verliebtheit jederzeit ab und Jasin Rammal-Rykala ist ein stimmlich autoritärer Feldherr Don Pedro. Heraus ragt aus diesem sehr guten Sängerensemble Nathalie Mittelbach als Ursula, die mit ihrem wunderbar dunklen Mezzosopran ihre wenige Musik großartig gestaltet und einen wohltuenden Ruhepunkt gegen die allgemeine Aufgeregtheit setzt.

Auch die Schauspieler können überzeugen: Judith Goldberg als Leonata ist eine – dem Regiekonzept folgende – überdrehte Leonata und das Schauspieler-Paar der beiden Hauptfiguren (Mirjam Rast und Christian Freund) spielt die Doubles mit viel Gespür für Situationskomik.

 

Auch der Chor (Einstudierung: Carl Bernewitz) singt und spielt mit voller Leidenschaft. Sind sie zunächst knallbunte Hotelangestellte (Kostüme: Jasna Bosnjak), die die siegreiche Armee begrüßen, verwandeln sie sich am Ende in eine Partygesellschaft, die einfach nur feiern will – egal was.

Und so endet dieser Opern-Abend dann mit einem rauschenden Fest, bei dem die eingangs erwähnten teuren Handys gezückt werden um das Ereignis festzuhalten, aber ohne Erkenntnisgewinn über die menschlichen Irrungen und Wirrungen in der Liebe.