Braunschweig, Staatstheater Braunschweig, DER RING DES NIBELUNGEN - GÖTTERDÄMMERUNG, IOCO Kritik, 07.06.2023

Braunschweig, Staatstheater Braunschweig, DER RING DES NIBELUNGEN - GÖTTERDÄMMERUNG, IOCO Kritik, 07.06.2023

Staatstheater Braunschweig

Staatstheater Braunschweig © Stefan Koch
Staatstheater Braunschweig © Stefan Koch

GÖTTERDÄMMERUNG - Richard Wagner

- Phänomenale Produktion - nicht endender Jubel nach sechsstündigen Wagner-Rausch -

von Michael Stange

Richard Wagner Denkmal Berlin © IOCO
Richard Wagner Denkmal Berlin © IOCO

Mit Wagners Ring des Nibelungen hat sich das Staatstheater Braunschweig dem längsten Opernwerk des heutigen Spielplanbetriebs gewidmet. In vier Opern erklärt Richard Wagner den Untergang der Epoche einer Götterwelt, die geprägt von Lügen, Verbrechen, Gier, Triebhaftigkeit und Verrat war. Mit diesem Epos manifestierte er seine Rolle als einer der einflussreichsten Schöpfer der Musikgeschichte.

Im Finale der Götterdämmerung erhalten die Rheintöchter das im Rheingold von Alberich gestohlen Gold zurück. Sein Fluch gegenüber dem Gott Wotan ist damit ausgelöscht. Viele Tote über Fasolt, Siegmund, Mime, Siegfried und Gunther sind zu beklagen. Der Gott Wotan hat seine Macht verloren. Seine Gegner haben nichts gewonnen und haben ihn nicht beerbt. Die Menschen freilich haben diese Katastrophe überlebt. Ihre alte Welt aber ging verloren.

Eine der Lehren aus Wagners Ring ist, dass der Fluch des Goldes und Machtgier ins Verderben führen. Gleichwohl endet Götterdämmerung nicht in Moll sondern mit einem Erlösungsmotiv in Dur. Es erklingt erstmalig im dritten Akt der Walküre, als Sieglinde dazu „O hehrstes Wunder! Herrliche Maid“ singt. Das Dur der Erlösungstonart ist kein Zufall, sondern Ausdruck von Wagners Philosophie.

Im Zuge des Schöpfungsprozesses entschied er sich für die Prophetie: „Gut noch Geld noch herrischer Prunk, nicht trüber Verträge trügender Bund…..Selig in Lust und Leid lässt die Liebe nur sein." Dieser Gesang steigt am Schluss der Götterdämmerung aus der brennenden Trutzburg der Erdherrschaft Wotans empor.

Staatstheater Braunschweig / GÖTTERDÄMMERUNG hier Allison Oakes, Christian Miedl, Chor © Björn Hickmann
Staatstheater Braunschweig / GÖTTERDÄMMERUNG hier Allison Oakes, Christian Miedl, Chor © Björn Hickmann

Wagner hatte einen langen Weg zum Erfolg. Wegen seiner revolutionären Umtriebe und des hohen Anspruch seiner Werke schreckte viele Theater zu seinen Lebzeiten vor Aufführungen zurück. In Braunschweig hatte er aber mit Louis Spohr einen großen Bewunderer. Er führte dort als eine der ersten nach den Dresdner Premieren den Fliegenden Holländer und Tannhäuser auf. Auch der Ring des Nibelungen erlebte in den Jahren 1878 und 1879 erste Aufführungen in Braunschweig. Hans Sommer, Mathematiker und Komponist der musikalisch wegweisenden Oper Rübezahl, die musikalisch vieles aus Richard Strauss Frau ohne Schatten vorwegnimmt, war zu Wagners Lebzeiten Direktor des Braunschweiger Polytechnikums. Er hatte engen Kontakt zu ihm, war Mitbegründer ds Braunschweiger Ablegers des Allgemeinen Richard Wagner-Vereins und er verfasste ein auch online verfügbares Buch über jene Jahre.

Dieser Tradition gepaart mit einem Ausspruch Richard Wagners folgt die aktuelle Produktion der Götterdämmerung. „Kinder! macht Neues! Neues! Und abermals Neues! - hängt Ihr Euch an's Alte, so holt Euch der Teufel der Inproduktivität, und Ihr seid die traurigsten Kinder.", so schrieb Wagner an Franz Liszt am 8. September 1852.

Neu ist das Braunschweiger Konzept für Wagners Ring des Nibelungen. Zu Beginn und zum Ende des Ring des Nibelungen wurden Wagners Opern aufgeführt. Gepaart wurde Wagners Kosmos mit der Walküre in Form eines Schauspiels der Autorin Caren Jeß. Statt der Oper präsentierte ein ironisch temporeiches Stück Aspekte von Wagners Walküre gemischt mit Kritik an der Zerstörung der Erde und Diskriminierung. Den Siegfried haben der Komponist Steffen Schleiermacher und der Choreograf Gregor Zöllig mit Tänzerinnen und Tänzern gestaltet. Das Staatstheater Braunschweig nimmt Wagners Ring so als Ausgangspunkt für eine vielschichtige künstlerische Neuauslegung und Erweiterung, die die Möglichkeiten des Mehrspartenhauses kombiniert.

Durch ein Projekt "Ausweitung des Ringgebiets" wird aktiv den Austausch mit der Stadtgesellschaft aufgenommen. Unter diesem Motto finden Aktionen und Installationen außerhalb des Theaters statt, um Aufmerksamkeit zu generieren und ein größeres Publikum zu erreichen.

Staatstheater Braunschweig / GÖTTERDÄMMERUNG hier Allison Oakes, Tilmann Unger, Chor Chor © Björn Hickmann
Staatstheater Braunschweig / GÖTTERDÄMMERUNG hier Allison Oakes, Tilmann Unger, Chor Chor © Björn Hickmann

Die Götterdämmerung, hier besprochene Vostellung 3.6.2023, verantwortete ein Regiekollektiv, bestehend aus Beatrice Müller, Isabel Ostermann, Dagmar Schlingmann und Gregor Zöllig, die für die verschiedenen Stränge der Handlung verantwortlich zeichneten.

Ihre Götterdämmerung ist in heutigen Zeiten angesiedelt. Die Nornen sinnen zu Beginn des Werkes über die Zukunft der Welt. Die Rolle der Seile, die sie flechten, nehmen Tänzer ein, so dass die Auswirkungen der Prophezeiungen auf die Menschen im Mittelpunkt stehen. Brünnhilde und Siegfried nehmen vor seinem Abschied ein gemeinsames Frühstück ein. Siegfried packt seinen Reiseproviant ein, schultert seinen grünen Rucksack und geht auf Abenteuersuche. Dort begegnet er bei einem Imbisswagen Hagen, Gunter und Gutrune. Nach einem verabreichten Vergessenstrank verliebt er sich in Gutrune und verspricht Gunter für ihn Brünnhilde zu gewinnen. Während Brünnhilde auf ihn wartet erscheint ihre Schwester Waltraute mit ihren übrigen Schwestern, berichtetet von dem schlechten Zustand Wotans und bitten sie, den Rheintöchtern Siegfrieds Ring zurückzugeben um den Fluch zu brechen. Trotz des Flehens von Waltraute unterstützt von den Schwestern bleibt Brünnhilde hart. Die Liebe zu Siegfried stellt sie über Moral und Tochterpflicht. Allein gelassen von den Schwestern wird sie vom als Gunter verkleideten Siegfried, als der er an seinem grünen Wanderrucksack unschwer erkennbar ist, als Gunters Braut gefesselt und der Ring wird ihr entrissen. Im zweiten Akt wird Brünnhilde wie eine Jahrmarktattraktion in einem Schaukasten vorgeführt aber sie entstieg dem Kasten und enthüllte Gunters und Siegfrieds Schwindel. Mit Hagen, Gunter einigte sie sich dann, Siegfried für den Verrat zu töten.

Zu Beginn des dritten Aktes begegnet Siegfried den Rheintöchtern und einer Gruppe von Menschen, die mit langen Brettern, die auch Rohmaterial für Särge sein können, Wellenbewegungen ausführen. Ihre Warnungen vor dem Ring und seinem Fluch schlägt er in den Wind. Als er auf die Jagdgesellschaft mit Hagen und Gunter trifft, heitert er sie mit Erzählungen aus seiner Jugend auf. Als Hagen ihm ein Gegenmittel zum Vergessenstrank reicht erzählt er von Brünnhildes Erweckung und seiner Liebe zu ihr. Hagen ermordet ihn und Brünnhilde beklagt sein Ende in ihrem monumentalen Schlussgesang.

Staatstheater Braunschweig / GÖTTERDÄMMERUNG hier Christian Miedl, Tilmann Unger, Chor © Björn Hickmann
Staatstheater Braunschweig / GÖTTERDÄMMERUNG hier Christian Miedl, Tilmann Unger, Chor © Björn Hickmann

Die Erzählungen der Handlungsstränge sind von großer Dichte und dramatisch packend angelegt. Angefangen von Friedrich Nietzsche (Mattias Schamberger) der das Geschehen begleitet und emsig auf Block und Wänden notiert, über die packende Personenführung über die Botschaften an den Wänden wird das Publikum in einen dramatischen Sog gezogen. Text und Musik werden plastisch auf die Bühne gebracht und ungemein wirksam in plausiblen Bildern gedeutet. Ein Beispiel ist das Panoptikum in dem Brünnhilde im 2. Akt erscheint. Zwangsläufigkeit und Unentrinnbarkeit aller Protagonisten aus ihrem Schicksal werden allein durch diesen Schaukasten klar. Rührend auch, wie Gutrune im Finale Brünnhilde Siegfrieds Proviantbeutel entgegenhält. Eine wirklich bemerkenswerte Regieleistung, die mit bestechenden Bildern und Einfällen glänzte und eine starke Wirkung entfaltete.

Musikalisch war dürfte die Aufführung eine der grandiosesten Darbietungen der Götterdämmerung der letzten Jahre gewesen sein. Maßgeblichen Anteil am musikalischen Gelingen hatte das Staatsorchester Braunschweig unter der Leitung von Generalmusikdirektor Srba Dinicz. Differenziert, vorwärtsdrängend, dramatisch wuchtig und mit einem immens intensiven Feuer entfaltete sich ein glühend geschmiedeter packender Wagnerabend, der das Drama mit Wucht aber auch ausbalancierter Dynamik entfaltete. Dinicz hatte eine packende Vision von einer sich auf den Untergang Eine grandiose packende Meisterleistung, bei der weder die Musiker, Ensemble noch das Publikum geschont wurden.

Als Brünnhilde feierte Allison Oakes ihr Rollendebut und einen ungeheuren Triumph. Ihre Stimme verfügt über eine leuchtende Höhe, eine warme bronzegleich klingende Tiefe und eine sonore Mittellage. Mit Feuer und Energie begann sie schon im Duett mit Siegfried. Ihre Klage im zweiten Akt war von anrührender Intensität und einer gestalterischen Wucht, die an große Vorbilder wie Astrid Varnay erinnerte. Im Schlussgesang überzeugte sie durch zarte Piani aber auch auftrumpfend intensiv schmerzliche Töne. Ohne die Gesangslinie zu verlassen gelangen ihr sehnsuchtsvolle Momente und machtvolle Attacken, die das groß auftrumpfende Orchester nicht im Ansatz überdecken konnte. Dank ihrer künstlerischen Durchdringung der Rolle und ihren leuchtendem Stimmfarben gelang ihr ein erstklassiges Portrait der Brünnhilde. Sie lebte die Rolle mit jeder Faser ihres Herzens. Durch ihren stimmlichen Einsatz, ihre phantastische Wortdeutlichkeit und ihre künstlerische Meisterschaft ist sie in der Rolle erste Wahl.

Ihr Siegfried war Tilmann Unger. Auch er setzte in der Rolle Maßstäbe. Seinen klangschöner baritonal gefärbter Heldentenor ist durch eine strahlende klangschöne Höhe geprägt. Dies paart er mit immenser Ausdruckskraft und einem phänomenalen Durchhaltevermögen. Mit Strahlkraft begegnet er Gunther und prunkt im 2. Akt mit Vehemenz und heldischem Metall. Seine gestalterische Intensität reißt ihm Dialog mit den Rheintöchtern durch seinen schäumenden Übermut und in den Erzählungen durch Innigkeit und Poesie mit. Ein großer Tenor und einer der gestaltungsstärksten Rollenvertreter, die man heute erlebt.

Staatstheater Braunschweig / GÖTTERDÄMMERUNG hier Tanzensemble © Björn Hickmann
Staatstheater Braunschweig / GÖTTERDÄMMERUNG hier Tanzensemble © Björn Hickmann

Franz Hawlata war ein finsterer auftrumpfender Hagen mit profunder Tiefe und ungeheurer Stimmkraft. Seiner Gestaltung ließ vor diesem dämonischen und furchteinflößenden Charakter zittern. Auch darstellerisch nahm er machtvoll für sich ein.Christian Miedl verfügt über einen klangvollen und mächtig auftrumpfenden Heldenbariton. D  adurch gab er Gunter im 1. Akt Kraft und Wucht. Zudem punktete durch seine intensive Gestaltung.

Die schwierige Rolle der Gutrune kostete Victoria Leshkevich mit Leidenschaft, Emphase und blühenden Farben aus. Im Finale entwickelte sie intensive Glut und gab eine prachtvolle Klage auf Siegfrieds Tod. Michael Mrosek war ein fieser stimmstarker Alberich von düsterer Gestalt. Marlene Lichtenberg setzte ihren dramatischen klangschönen Mezzosopran mit Verve und dramatischer Glut ein. Mitreißend, wie sie um Brünnhilde warb und an dramatischer Wucht. Auch als 1. Norn bot sie eine raumfüllende Darbietung.

Rowan Hellier als 2. Norn und Floßhilde, Ekaterina Kudryavtseva als 3 Norn, Veronika Schäfer als Woglinde und Milda Tubelyte als Wellgunde rundeten das Ensemble mit leuchtenden Tönen und intensivem Singen ab. Der Chor und der Herren-Extrachor des Staatstheaters Braunschweig unter Georg Menskes, Johanna Motter waren in grandioser Form. Gesanglich machtvoll und darstellerisch involviert trugen sie erheblich zur Düsternis des 2. Aktes bei.

Ein begeistertes Publikum dankte mit nicht endend wollenden Jubel den sechsstündigen Wagner-Rausch. Phänomenal was hier gelungen ist, Eine derart musikalische Meisterschaft und ein so aufeinander eingespieltes Ensemble sind selten zu finden. Unbedingt hinfahren.

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Hamburg, Staatsoper, DER FREISCHÜTZ - C. M. von Weber, IOCO

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17. 11.  Premiere   Als zweite Premiere der Spielzeit 2024-25 stand an der Hamburgischen Staatsoper Carl Maria von Webers „Freischütz“ auf dem Programm, diese romantische deutsche Oper, welche Natürliches mit Übernatürlichem verbindet und welche so einige Opern-Hits aus dem Wunschkonzert beinhaltet. Die Erwartungen waren hoch, doch nach der sensationellen Saison-Eröffnungspremiere „Trionfi“

By Wolfgang Schmitt