Brandenburg, Brandenburger Theater, ELEKTRA - Richard Strauss, IOCO

Brandenburger Theater: Richard Strauss Elektra nachdem antiken Tragödiendichter Sophokles beschreibt aus dem Atridenmythos die Rache der Geschwister Orest und Elektra an den Mördern ihres Vaters Agamemnon. Agamemnons Frau Klytämnestra .......

Brandenburg, Brandenburger Theater, ELEKTRA - Richard Strauss, IOCO
Brandenburger Theater, Brandenburg an der Havel @ BT-Maja Gottschalk

ELEKTRA von Richard Strauss im Brandenburger Theater - Fulminante Regie, beglückende Titelheldin mit großartigem Ensemble

 von Michael Stange

Ursprung von Richard Strauss´ Elektra ist das gleichnamige Stück des antiken Tragödiendichters Sophokles. Dort beschreibt dieser eine Episode aus dem Atridenmythos der die Rache der Geschwister Orest und Elektra an den Mördern ihres Vaters Agamemnon thematisiert. Agamemnons Frau Klytämnestra und deren Geliebter Aigisth haben ihn nach seiner Rückkehr von einem Feldzug ermordet.

Richard Strauss Büste in Walhalla @ HGallee

Mord, Schuld, Sühne und Fluch sind prägende Elemente der Atridensage. Der ihr entstammenden gleichnamige Fluch beschreibt eine Prophezeiung der Götter. Danach soll sich in jeder Generation seines Geschlechts ein Mörder gegen die Sippe wenden. Er werde die Familie bis in die fünfte Generation in eine unheilvolle Folge von Gewalt und Verbrechen stürzen.

In Sophokles Drama hat Agamemnon zuvor seine Tochter Iphigenie geopfert. Aus Rache dafür und weil beide sich seiner entledigen wollen, töten ihn Klytämnestra und ihr Geliebter. Beide werden Jahre später wiederum von Agamemnons Sohn Orest getötet. In Aischylos Orestie werden die Rachegeister nach diesem Mord Anklägerinnen Orests Anklägerinnen in einem Gerichts-verfahren. Göttin Athene erkennt aufgrund einer Stimmengleichheit auf Freispruch. So wird die Kette von Gewalt und Gegengewalt durchbrochen.

ELEKTRA hier Barbara Krieger als Elektra @ Enrico Nawrath

Der aus Rache und Mord entstehende Kreislauf ist eines der Urmotive der griechischen Tragödie. Tod wird in Blutrache durch Mord in Selbstjustiz gerächt. So wird der Muttermord Klytämnestra als Rache für den Vatermord an Agamemnon als legitim angesehen.

In der Oper Elektra wird eine moralisch verwerfliche Welt in Endzeitstimmung gezeigt, die an die Gesellschaft von WagnersRing des Nibelungen“ erinnert. Alle Protagonisten sind voller Hass oder Angst; Folge der mörderischen Vergangenheit und der ungewissen künftigen Rache für ihre Taten.

Strauss und Hoffmansthal haben mit dieser Oper die Tür zum Psychodrama in der Oper noch weiter als Wagner aufgestoßen und eine der zentralen Opern des zwanzigsten Jahrhunderts geschaffen.

Fortgesponnen wurde diese Erzählung unter anderem in Hollywood mit den genannten „Revenge-Movies“, in denen sich Frauen, die oft bereits dem Wahnsinn verfallen sind, spektakulär für erlittene Gewalt rächen. Mord, Rache und Gewalt wurden auch dort in ihrer ganzen Wucht präsentiert.

In Strauss Elektra lebt die Königstochter Elektra ausgestoßen von ihrer Familie außerhalb des Palasts wie eine Dienerin. Ihre Mutter Klytämnestra und ihr Stiefvater Aegisth haben vor vielen Jahren ihren Vater König Agamemmon ermordetet. Sie sinnt auf Rache für diesen Mord und das ihr angetane Unrecht. Sehnsüchtig erwartet sie ihren Bruder Orest, den sie vor dem Paar gerettet hat und der in der Ferne bei Fremden aufwuchs. Als er von Elektra zunächst unerkannt aus der Fremde heimkehrt, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Orest erschlägt Klytämnestra und Aegisth. Nach einem wahnsinnigen Tanz findet Elektra den Tod.

Elektra lebt in ihrer Innenwelt. Wesentlicher Teil ihrer Erinnerung ist das hündisch vergossene Blut des Königs Agamemnon. Die anderen Personen werden nur begrenzt von ihr wahrgenommen. Dies ist ihr Schutz, um zu überleben. Für ihre Schwester Chrysothemis nimmt sie weder die Rollen von Vater, Mutter oder Schwester ein. Seelenlos, am Schicksal der Schwester innerlich unbeteiligt, will sie sie lediglich als Werkzeug für ihre Mordpläne benutzen.

Strauss hat in Elektra Psychogramm einsamer, verletzter und mit teils tödlicher Wut gefüllter Seelen entfesselt, von denen Elektra die Zerrissenste und am gröbsten Verletzte ist. Diese Erzählung hat er dramatisch furios mit einem opulenten Orchester versehen. Bisher nicht gekannte voluminöse  Ausbrüche stehen neben subtilen, von Strauss als „Nervencontrapunkt“ bezeicheten, Klangfarben.

ELEKTRA hier Sotiris Charalampous als Orest ©Enrico Nawrath

Besonders stark wird dies in Klytämnestra Angstzuständen, der Erkennungs-szene zwischen Elektra und Orest und im Finale. Seine Elektra-Vertonung nannte Strauss auch „psychische Polyphonie“.

Die Fieberphantasien von Richard Wagners Tristan werden in der Elektra fortgesetzt und intensiviert. Neurotiker und psychisch Kranke wie Elektra, Salome und Herodes stellen eine völlig neue Generation von Protagonisten auf der Opernbühne dar. Hieran schloss dann später unter anderem Alban Berg mit Lulu und Wozzeck an.

Die Brandenburger Inszenierung greift viele dieser Hintergründe geschickt auf. Das Bühnenbild besteht aus stehenden und hängenden Metallelementen mit unterschiedlich angeordneten Verstrebungen aus Panzertape, die einem Tarnnetz der Armee gleichen. Sie werden passend zur Szene mit faszinierenden Lichteffekten ausgeleuchtet, so dass eine Bildlandschaft mit faszinierenden Impressionen entsteht. In der Mitte der Bühne steht die Urne des toten Königs Agamemnon, über die sein Königsmantel hängt, den Elektra später überstreift.

Für die Kostüme zeichnet Hannes Ruhland verantwortlich. Gelernter Damenschneidermeister und an der Modeschule München ausgebildeter Stylist war er langjährig als freischaffender Designer und bei Escada tätig. Heute betreut er unter anderem seine eigene Kollektion „Shapes & Patterns“. Durch die luxuriöse Wahl eines derart beschlagenen Designers wartet die Brandenburger Elektra mit vollendeten, die Charaktere subtil zeichnenden Kostümen auf: Barbara Krieger trägt ein militärisch geschnittenes Kleid mit integrierten Shorts, über das sie zeitweise den Königsmantel trägt. Geschickt werden so Weiblichkeit, gesellschaftlicher Rang und der mörderische Auftrag versinnbildlicht. Orest ist gleichfarbige uniformiert während Klytämnestra und Chrysothemis blutrot tragen. So werden schon durch Kostümschnitt und Farben die Lager der unter-schiedlichen Parteien verdeutlicht Die Mägde erinnern in Gewändern an die Hexen in Macbeth. Aegisth ist ein viriler junger Krieger mit Goldpanzer.

ELEKTRA hier Barbara Krieger als Elektra @ Enrico Nawrath

Regisseur Alexander Busche erweist sich als Meister der Licht- und Personen-führung. Zentrum des Raums ist eine metallenen Vase, die einer Urne gleicht und auch die Asche Agamemnons Bergen könnte. Die unterschiedlichen Szenen werden mit eindrucksvollen Lichteffekten untermalt. Mal schlangengleich verschlagen und mal elegant verführerisch bewegt sich Barbara Krieger gefährlich amazonengleich aber auch verführerisch im Dialog mit Klytämnestra durch den Raum. Orest ist ihr äußerlich in sich ruhender Gegenpol, der nur selten wütend auffährt. Hier ist das Stück entsprechend der Musik inszeniert und unterstützt die Entwicklung des Dramas

György Mészáros konnte das packend rauschhafte Musiktheater mit den Brandeburger Symphonikern packend umsetzen. Gespielt wurde die orchestral reduzierte mit etwa fünfzig Musikern, die hinter dem Bühnenbild spielten. Neben der Wucht der Emotionen gelangen auch die Zwischentöne, Kontraste und kammermusikalische Elemente. Mészáros bewältige auch die schwierige Aufgabe ohne unmittelbaren Kontakt mit den Sängerinnen und Sängern ein großes Drama zu erzeugen. Insgesamt überzeugte das Orchester durch ein differenziertes und packendes Klangbild. Den Musiker gelang eine ergreifende Farbpalette, es wurde mit grandioser innerer Beteiligung gespielt.

Barbara Kriegers Elektra war von lyrisch glühender Intensität. Mit immensem vokalem Einsatz und einer breiten Palette an Stimmfarben gelangen ihre die Momente der eigenen Verletzlichkeit aber auch der tückischen Gefahr, die von Elektra ausgeht, mit faszinierender Seelentiefe. In ihren Monologen und den Dialogen mit Orest und Klytämnestra entwickelt sie eine verzehrende Intensität und große darstellerische Präsenz. Sie war technisch unglaublich sicher und so mit der Partie verwachsen, dass sie ihre stimmlichen Qualitäten durchweg ausspielen konnte. Darstellerische Intensität, paarte sich mit atemberaubendem stimmlichen Umfang von der Tiefe bis in die höchsten Lagen. und berückendem Timbre. Die Stimme behielt stets einen sonoren Klang, blieb in der Gesangslinie und prunkte mit großer Wortdeutlichkeit. Schauspielerisch ging sie in der Rolle vollendet auf. Eine besondere Herausforderung für sie lag auch darin, dass sich das Brandenburger Theater für die ungekürzte Fassung entschieden hatte. Ein beeindruckendes Rollendebut.

ELEKTRA hier Barbara Krieger als Elektra, l, Yvonne Elisabeth Frey als Chrysothemis, r, @ Enrico Nawrath

Als Chrysothemis bestach Yvonne Elisabeth Frey mit hellem lyrisch-dramatischen Sopran. Mit jugendlichem Feuer goss sie ihre Träume und Sehnsüchte in blühende und raumfüllende Klänge. Einer der Glanzpunkte war auch der Dialog mit Elektra im Finale. Ihre Rolle gestaltete sie mit Verve und Intensität. Gráinne Gillis Klytämnestra war mit dunkel volltönendem Mezzosopran und teils keifenden Höhen weniger ein starker Widerpart als eine Frau, der schon der Tod dämmerte und die darüber verzweifelte. Wut und Verletzlichkeit stellte sie mit großer Authentizität und involviertem Spiel dar.

Frederik Baldus war ein raumgreifender Orest mit lyrisch heldischem Bariton. Trotz seiner weich lyrischen Tongebung gelangen ihm dramatische Attacken, so dass er den furchteinflößenden Rächer glaubwürdig darstellte. Durch seine Rollenidentifikation machte er insbesondere die Wiedererkennungszene zu einem großen Moment der Vorstellung. Sotiris Charalampous war ein Playboy, der die Rolle des Aegisth mit italienischem Spinto und unglaublich warmer und voluminöser baritonaler Tongebung und prächtigen hohen Tönen füllte. Eine beglückende Leistung.

Die Mägde Denise Seyhan, Oleksandra Diachenko, Anna Werle, Nataliia Ulasevych, und Natallia Baldus erinnerten an Macbeth Hexen und glänzten mit prächtigem stimmlichen Einsatz.

Grandios wurde musiziert und gesungen. Dies und die szenische Umsetzung wurde vom Publikum frenetisch gefeiert. Eine großartige Leistung, die in ihrer Wucht jedem großen Opernhaus zur Ehre gereicht hätte.

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