Berlin, Komische Oper Berlin, Premiere Hoffmanns Erzählungen - Phantasiegespinste eines Alkoholikers, IOCO Kritik, 02.10.2015
Erfolgreiche Premiere: Les Contes d’Hoffmann von Jacques Offenbach
Mit einem eindrucksvollem Bild beginnt die am ersten Oktoberfreitag an der Komischen Oper stattfindenden Premierenaufführung von Les Contes d’Hoffmann (Hoffmanns Erzählungen) von Jacques Offenbach. Auf einer bühnenfüllenden, schrägen Plattform, inmitten von unzähligen, aufgestellten Spirituosenflaschen, sitzt ein einsamer, alter, dem Alkohol sichtlich verfallener Hoffmann und gibt sich seiner bizarren Erinnerungs - bzw. Phantasiegespinsten hin. Denn so ist die kluge und originelle Inszenierung dieser Phantastischen Oper von Barrie Kosky in Zusammenarbeit mit dem Chefdramaturgen Ulrich Lenz angelegt.
Aber zuerst noch ein paar Zeilen zu dem Werk selbst. Bereits 1851, hatten der Theaterdichter Jules Barbier und der Librettist Michel Carré ein von ihnen verfasstes Theaterstück, basierend auf verschiedenen Erzählungen des Schriftstellers E.T.A. Hoffmann uraufgeführt. Fasziniert von dem bizarren Stoff, beschloss der im damals preußischen Köln geborene Jacques Offenbach eine Oper zu komponieren, zu dem Jules Barbier selbst ihm das neue Libretto schuf.
Komplex und langwierig gestaltete sich die Entstehungs-geschichte des Werkes, insbesondere als Offenbach 1880 starb, und mit der Oper nicht fertig geworden, keine eindeutige, finale Partitur hinterließ.
Nach immer wieder neuen Streichungen und Überarbeitungen fand 1881 die Uraufführung an der Opéra Comique in Paris statt. Dies setzte jedoch kein Schlussstrich unter die Veränderungen und Ergänzungen die bis in die Gegenwart immer wieder zu neuen Fassungen gebracht haben. Vielleicht ist es genau diese Möglichkeit, sich zwar nicht uneingeschränkt, jedoch mit recht viel Freiheit des musikalischen exquisiten Materials zu bedienen, das gepaart mit der phantastischen, bizarren Handlung die Anziehungskraft des Werkes ausmacht.
In der Oper, ist im Gegensatz zu dem Schauspiel, Hoffmann selbst der Hauptakteur. Eingeleitet wird die Oper von Hoffmanns Muse, die uns über ihr Vorhaben in Kenntnis setzt den Schriftsteller von seinen unglücklichen Amouren ablenken zu wollen um ihn wieder zur Literatur zurückzuführen. Nach den dann anschließend folgenden drei voneinander unterschiedliche Episoden, die jeweils von einer anderen Geliebten handeln, findet Hoffmann im Schlussbild zurück zur Kunst und zur Muse zurück.
In dieser, in französischer Sprache gesungenen Neuproduktion der Komischen Oper, versteht Kosky die Geschichte – wie bereits am Anfang erwähnt – als eine Abfolge wahnhafter Erinnerungen eines alten alkoholisierten Hoffmann, voller Ängste und Selbstzweifel. Hierfür wurde auf den Text der Hoffmann’schen Novelle „Don Juan“ zurückgegriffen, in der Hoffmann in Form eines Briefes einem Freund voller Enthusiasmus von einer erlebten Aufführung des „Don Giovanni“ von Mozart und der dort in der Rolle der Donna Anna auftretenden italienischen Sängerin. Als Ergänzung in die Handlung eingewoben, wird dieser Text ausdrucksstark und überzeugend innig von dem aus Essen stammenden Schauspieler und Sänger Uwe Schönbeck auf Deutsch rezitiert. Dafür wurde auf die gesprochenen Dialoge der Oper verzichtet.
Das Geschehen findet auf einer großen Plattform, oder um sie herum statt, die zur Bühne für die Hoffmann’sche, wirre Phantasiewelt wird. Wie schwebend hebt, senkt und neigt sie sich fortwährend (mit Hilfe einer leider nicht ganz leisen Hubeinrichtung) und schafft so immer neue Bilder. Mit wenigen, aber klug eingesetzten Deko-Elementen und Requisiten werden die einzelnen Episoden visuell eingefangen (Ausstattung von Katrin Lea Tag).
Durchgehend abwechslungsreich ist die Inszenierung mit originellen und witzigen Einfällen gespickt, zum Beispiel Olympias Auftritt als singende und tanzende Spielorgel-Kommode oder als im dritten Akt die aus Hitchcocks „Psycho“ –Thriller entsprungene und auf der Geige spielende Mutter Antonias, gemeinsam mit ihren eigenen Vervielfältigungen (dargestellt durch Statisten) mit ihren Geigenbögen die Tochter peinigt und fast zersägen will. Auch eine sehr schlüssige Idee, den spielfreudigen und wohlklingenden Herrenchor (Leitung von David Cavelius) im Kleid der Stella/Donna Anna darzustellen, um so Hoffmanns Obsession für die Sängerin zu visualisieren. Stimmungsvoll werden die einzelnen Bilder der bizarren Vorstellungen als wahnhafte Ausgeburten eines gequälten Geistes dargestellt, den zum Schluss in dieser Kosky-Inszenierung auch die Muse nicht retten kann.
Bemerkenswert und stimmlich sehr homogen in ihrer Gesamtheit die komplette Besetzung. Erstmalig in der Aufführungsgeschichte der „Les Contes d’Hoffmann“ wurde für die ersten zwei Akte ein Bariton (Dominik Köninger) eingesetzt, so wie es ursprünglich Offenbach geplant hatte, jedoch dann aus theaterpolitischen Gründen nicht verwirklichen konnte. Mit schönem, sattem Timbre gestaltete Köninger überzeugend diesen Part, während die restlichen drei Akte von dem litauischen Gasttenor Edgaras Montvidas packend, mit sicherer Höhe und darstellerischer Ausdruckskraft dargeboten wurden.
Ebenfalls sehr expressiv der russische Gastsolist Dimitry Ivashchenko. Mit kräftigem, dunklem Bass zeichnete er nuanciert die Bösewichte Lindorf/Coppélius/Le docteur Miracle/Dapertutto, während die Rollen seiner jeweiligen Diener der alt bewährte und immer wieder köstlich spielende Peter Lenz sang. Gut besetzt auch Philipp Meierhöfer als Cochenille/Crespel/Peter Schlémil.
Souverän, sowohl im Gesang wie in auch in der Darstellung, Karolina Gumos als Muse (und dann auch als Antonias Mutter) als Amadeus Mozart dargestellt, gestaltete sie mit angenehmem und ausgeglichenem Mezzo die Partie.
Zu Recht vom Publikum umjubelt wurde die amerikanische Sopranistin Nicole Chevalier, die in dieser Produktion in alle drei, bzw. vier Frauengestalten (Stella/Olympia/Antonia/Giulietta) gekonnt schlüpft; ob die grotesk-komische Automatenfrau, die leidende, todkranke Sängerin oder die unheilbringende Verführerin. Beeindruckend auch wie sie mit ihrem lyrischen Sopran bravourös die jeweiligen, so unterschiedlichen gesanglichen Anforderungen erfüllt, auch wenn man sich für Antonia oder Giulietta etwas mehr Klangkörper gewünscht hätte. Herausragend die Darbietung der Puppe Olympia, nicht nur vokal-technisch in den perfekt dargebotenen Koloraturen, sondern zusätzlich durch ihr großes komödiantische Talent.
Hervorragend auch die Musikalische Ausführung des Orchesters der Komischen Oper unter der Leitung des renommierten Schweizer Dirigenten Stefan Blunier.
Dem Wunsch des Regisseurs Barrie Kosky entsprechend, es nicht zu sehr nach „großer Oper“ klingen zu lassen, stand die Musik zwar voll im Dienste des szenischen Geschehens, wurde aber dadurch dem meisterhaften Zauber dieses musikalischen Werkes nicht ganz gerecht.
Fazit: Eine sehenswerte Inszenierung und insgesamt sehr lobenswerte Darbietung, auch wenn eine tiefbewegende Berührung, trotz des hohen allgemeinen Niveaus und des engagierten Einsatzes aller Beteiligten ausblieb.
IOCO / G.G. / 02.10.2015
---| IOCO Kritik Komische Oper Berlin |---