Berlin, Dom, MESSA DI REQUIEM, G. Verdi, IOCO
Verdis Requiem überwältigt mit phänomenalem Ensemble
von Michael Stange
16.11.2024 - Dunkelheit, Flucht vor Kälte, Suche nach Wärme, Geborgenheit aber auch Einsamkeit sowie körperliche und geistige Einkehr. Diese Mischung und die Gedanken an Tod und Wiederauferstehung sind prägende Momente des Spätherbstes insbesondere zu Allerheiligen und Allerseelen. An jenen Tagen gedenkt die Kirche der Heiligen und der Toten, die hoffen, freudig in das Reich Gottes einzugehen.
Diesem Angedenken ist die Musik im Requiem gewidmet, das sich an die kirchliche Liturgie anlehnt. Die Bitte an Gott um Erbarmen, die Buße, das Jüngste Gericht, die Segnung und die Bitte, dass das „ewige Licht“ leuchten möge, sind seine zentralen Elemente.
Giuseppe Verdis Messa di Requiem, ist seine einzige vollständige liturgische Komposition. Theatralisch angelegt mit unglaublichen Steigerungen wartet es mit immensem spirituellen Leuchten aber auch mit furchteinflößend bedrohlichen Momenten auf. Das Weltgericht ist dort ein zentraler musikalischer Aspekt.
Oft stehen diese Kompositionen, auch im Zeichen des Gedenkens an herausragende Persönlichkeiten. Verdis Messa di Requiem wurde komponiert für die heilige Messe im Gedenken an Alessandro Manzoni. Dieser Dichter war eine Identifikationsfigur der italienischen Freiheitsbewegung „Risorgimento“. Sie trug dazu bei, dass Italien letztlich von der Fremdherrschaft befreit wurde. Verdi war gleichfall Mitglied und Identifikationsfigur dieser Bewegung. Der Gefangenenchor aus seiner Oper Nabucco wurde zu ihrer Hymne. Nach der Messa da Requiem folgte seine nahezu zehnjährige Schaffenspause.
Verdis Requiem verfügt über eine wirkungsvolle sakrale Aura, die innige Momente und überbordende Dramatik paart. Ein zentraler Aspekt ist für Verdi das Jüngste Gericht als „Tag des Zorns und des Gerichthaltens“. Für Verdi geht es in seinem Requiem um die letzten Dinge in Bezug auf das menschliche Individuum aber auch darum, ob die ganzen Menschheit in der Apokalypse im Heil oder im Untergang aufgeht.
Eigene Erlebnissen mögen die machtvolle Komposition des Tag des Zorns gleichfalls beeinflusst haben. Verdi trug zur Zeit der Komposition eine immense eigene Wut in sich. Sie fußte auf Verfolgungen und Ausgrenzung in seiner Heimatstadt Busseto, wo er mit der Sängerin Giuseppina Strepponi lebte. Sein Vater war gegen die Beziehung und die Stadtbewohner traten dem Paar feindselig gegenüber. In der Kirche wurde Giuseppina Strepponi gemieden. Die Plätze neben ihr blieben leer. Selbst auf dem von Verdi gekauften Gut Sant'Agata fand das Paar keine Ruhe.
Der Berliner Dom bietet mit seiner opulenten Gestaltung und der runden Kuppel eine einzigartige Kulisse für musikalische Ereignisse. Mit der ausgeleuchteten Domkuppel, den Emporen und dem dunklen Zuschauerraum hat man die Atmosphäre des Requiem zwischen Gruft und Auferstehung körperlich gespürt.
Marcus Merkel leitete die Junge Philharmonie Berlin. Dieses Berliner Ensemble besteht aus jungen, erfahrenen und hochtalentierten Musikern. Mit immensem musikalischen Gespür wurden die zahlreichen Schichten der Partitur architektonisch fein strukturiert in jeder Phase des Abends durchleuchtet und prächtig dargeboten. Spannungsgeladen entrollten alle Beteiligten einen fesselnden Klangteppich. Mit Solisten, Chor und Orchester entwickelte Marcus Merkel ein fein gesponnenes und glänzend auf das Finale zusteuerndes vielschichtiges, sich stets steigerndes Klangbild. Die innigen aber auch die dramatischen Momente bestachen durch rhythmische Präzision und feurige Ausgestaltung. Steigerungen des Ausdruckes und Tempovariationen ließen Verdis Werk farbenreich strahlen. Wirkungsvolle auch die Positionierung der Ferntrompeten auf der Empore, die Im „Tuba mirum“ mit ihren Posaunenstößen das Jüngste Gericht erschallen ließen. Eine weitere große Leistung war der Zusammenhalt von Orchester, Chor und Solisten, der im akustisch schwierigen Berliner Dom mit seinem langen Nachhall keine Leichtigkeit ist.
Die Herausforderungen des Werkes – insbesondere für den Chor – liegen in der Dynamik, den Tempowechseln aber auch dem und dem Klangrausch des opulent besetzten Orchesters. Hier bewährte sich der Ernst Senff Chor unter Steffen Schubert. Mit wuchtigem Klang und großer Polyphonie zeigte er, dass er diesem anspruchsvollen Stück vollends gewachsen war.
Die fordernden Solopartien verlangen von den Sängerinnen und Sängern große stimmliche Meisterschaft und eine immense Ausdruckspalette. Das Solistenquartett meisterte seine Partien bravourös.
Barbara Krieger setzte mit strahlendem Sopran bewegende Akzente. Dramatische Ausbrüche paarte sie mit innigen lyrischen Passagen. Ihr bestrickend warmer Ton, die glockenhelle, völlig frei klingende Höhe und die Glut, die sie unter der Domkuppel verströmte waren von immenser Kraft und starker Intensität. Ihr samtweiches Piano, die Atemfülle, mit der sie die Stimme flutete waren beeindruckend. So wirkte diese starke Leistung insbesondere durch die Kombination, von Innigkeit, Gestaltungskraft und fulminanter Stimmpracht.
Kurzfristig eingesprungen war Karina Repova. Ihr raumfüllender, opulenter, warmer, dramatischer, wandlungsfähiger, strahlender und klangschöner Mezzosopran ging zu Herzen. Für die anspruchsvolle Partie war ihre Stimme wie geschaffen. Mit jede Faser füllte sie ihre Partie farbschön und poetisch. Mit ihrer unglaublich farbenreichen Stimme bot sie eine ergreifende Interpretation. Eine junge Sängerin, die hoffentlich noch oft in Berlin zu hören sein wird. Aktuell gehört sie dem Ensemble des Staatstheaters Mainz an.
Sotiris Charalampous bestach mit perfekt sitzendem Tenor und suggestiv bewegendem Stimmklang. Er verfügte über eine packenden Dramatik die er mit einer technisch brillant geführten Stimme kombinierte. Seine Gestaltungskraft, die Intensität des Gesangs und der warme, samtweiche Ton machten großen Eindruck. Zudem verfügte er über eine atemberaubende Durchschlagskraft und eine mächtige Höhe. Im „Ingemisco“ begann er zart schwebend und schwang sich dann zu leuchtendem und bewegenedem Glanz auf. Erneut bewies er nach seinen Erfolgen als Alfredo in "La traviata" und den Glanzleistungen beim Classic Open Air in Dresden in diesem Sommer, zu welchen großen Leistungen er fähig ist. Eine große Hoffnung im lyrisch dramatischem Tenorfach.
Albert Pesendorfer punktete mit orgelgleicher erzerner Basspracht. Im „Confutatis maledict" paarte er tiefschwarzes Stimmvolumen mit einem berührenden Wohlklang. Das Donnergrollen seiner Stimme war ehrfurchtgebietend. Sein sonorer Vortrag beeindruckte immens.
Eine Aufführung, die durch die seelisch Involviertheit der Beteiligten eine soghaft packende Kraft entfaltete. Durch die starke Ensembleleistung war man durchgängig emotional berührte und ergriffen.
Ein bewegtes Publikum im ausverkauften Dom dankte den Künstlern mit langem begeisterten Applaus.