Bayreuth, Reichshof Kulturbühne, Der Friedensengel - Oper von Siegfried Wagner, IOCO Kritik, 02.10.2021
Der Friedensengel - Siegfried Wagner
- Ein Krimi aus Oberfranken -
von Karin Hasenstein
Der zweite Corona-Sommer bescherte der Rezensentin auch die zweite Oper von Siegfried Wagner. Nach Sonnenflammen, 2020, opus 8, stand nun opus 10, Der Friedensengel auf dem Programm der Kulturbühne Reichshof in Bayreuth
Katharina Wagner ist es ein persönliches Anliegen, dass nicht nur die Werke ihres Urgroßvaters Richard gespielt werden, sondern dass auch die Opern seines Sohnes, ihres Großvaters Siegfried Wagner, (1869-1930) einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Mit Der Friedensengel bringt Regisseur Peter P. Pachl mit seinem piano-pianissimo Musiktheater nun bereits die dritte Produktion in Bayreuth zur Aufführung. 2019 wurde die Reihe eröffnet mit "An allem ist Hütchen schuld!" (opus 11).
Wer nun meint, dass im Verlauf der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth niemand eine kleinere Spielstätte unterhalb des Grünen Hügels aufsuchen würde, um eine zumeist unbekannte Oper zu erleben, der täuscht. Auch im dritten Jahr der Aufführungen des Oeuvres Siegfried Wagners versammelte sich eine eingeschworene Anhängerschaft: gerade weil diese Werke so gut wie nie auf deutschen Bühnen aufgeführt werden
HANDLUNGEntnommen aus - Siegfried Wagner Opernführer, Internationale Siegfried-Wagner-Gesellschaft, Bayreuth
Vorgeschichte
Auf Drängen seiner Mutter Kathrin hat Willfried die ihn liebende Eruna geheiratet. Der auf diese Weise von Eruna verschmähte Freier Ruprecht wartet auf eine Gelegenheit, Revanche zu üben. In seiner freien Liebe zu Mita findet Willfried das, was er in seiner ehelichen Beziehung vermisst und will daher seine Ehe lösen.
Erster Akt
Eruna, Willfrieds Gattin, kompensiert ihre unglückliche Liebe durch tätige Hilfe, die sie anderen Liebenden zuteil werden lässt. Dem Brautpaar Gundel und Anselmhat sie Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt und ihr Haus für den bevorstehenden Polterabend zur Verfügung gestellt.
Im Gespräch mit Kathrin sucht Eruna nach Gründen für Willfrieds Entfremdung. Kathrin soll Mita ins Gewissen reden. Da sie befürchtet, dass Willfried einen Arzt nötig hat, will Kathrin nach dem Doktor schicken.
Balthasar, ein Dorf-Philosoph, kommt zu früh zum Fest. Als zweiter Gast trifft der Pfarrer ein. Als Neuigkeit gibt Balthasar zum besten, dass sich ein junges Mädchen aus unglücklicher Liebe umgebracht hat. Der Pfarrer schimpft auf die gottlose Jugend und betont, dass Selbstmördern das kirchliche Begräbnis verwehrt wird. Als der Pfarrer eben den Wein genießen will, erklingt die Vesper-Glocke und hält den Geistlichen ungebührlich lange vom Trinken ab. Der als dritter Gast eintretende Arzt wird von Kathrin sogleich im Fall Willfried um Hilfe gebeten. Der Arzt, ein begeisterter Anhänger der Schädelmessung, wittert einen geeigneten Fall für ein Experiment. Damit Willfried nichts merkt, lassen sich auch die anderen Gäste den Schädel messen, aber Willfried durchschaut an der Gründlichkeit des Doktors die Absicht. Der Doktor befürchtet eine Geistesverwirrung, und der Pfarrer fordert Willfried schlichtweg auf, zur Beichte zu kommen.
Nach Abgang der Gäste bittet Willfried Eruna, ihn freizugeben, aber sie willigt nicht ein. Mit einem Vorwand erreicht Kathrin, dass Willfried das Zimmer verlässt, denn eben ist Mita angekommen. Kathrin drängt auf eine Aussprache der Rivalinnen.
Mita ist nur gekommen, um dem Brautpaar einen Blumenstrauß zu schenken, sich bei Eruna zu entschuldigen und zu verabschieden, da sie das Dorf verlassen will. Die Mutter führt Eruna hinaus.
Willfried hat MitasStimme gehört und eilt herein. Sie wird von ihm in ihrem Entschluss verunsichert. Er will sie zur Flucht "ins ewige Lenzesland" überreden, die mit Hilfe eines gütigen Helfers, des Friedensengels, möglich sei. Als Mita erkennt, dass sich hinter diesem Friedensengel ein Dolch verbirgt, bekommt sie Angst, denn sie hängt am Leben. Als sie erschreckt "Mörder!" ruft, entschließt sich Willfried allein für den Freitod. Er schreibt einen Abschiedsbrief an die Mutter und legt ein Kruzifix daneben, dann verschwindet er im Nebenzimmer. Mita wagt nicht, ihm zu folgen und flieht, als sie Stimmen vernimmt.
Kathrin entdeckt ihren toten Sohn. Damit er kirchlich beerdigt werden darf, ersinnt sie eine List: der Knecht Rudi soll den Toten in den Wald schaffen, damit es so aussieht, als sei er von Räubern überfallen worden. Der Knecht schwört Verschwiegenheit und macht sich ans Werk.
Die Hochzeitsgäste geleiten das Brautpaar in einem Fackelzug herein. Der von Balthasar geforderte Trinkspruch erweist sich als eine Warnung vor der Ehe, ein Lob seiner Witwerfreiheit. Er rät dem Brautpaar, besser ohne eheliche Bindung zusammenzuleben. Durch einen Windstoß werden zunächst einige, dann alle Lichter im Raum gelöscht. Balthasar zitiert den Volksaberglauben, nach dem dies ein Zeichen dafür ist, dass die Seele eines Selbstmörders davonfliegt und ein Grab sucht. Als nur noch der Mond die Szene beleuchtet und die Gäste erregt durcheinanderlaufen, schreit Eruna plötzlich auf: sie glaubt die Gestalt eines Graumännchens auftauchen und durch die verschlossene Tür in jenem Zimmer verschwinden zu sehen, in dem sich Willfried das Leben genommen hat. Das Licht wird wieder angezündet, und das Fest nimmt seinen Fortgang.
Zweiter Akt
Nach ihrer Flucht ist Mita in ein Kloster eingetreten. Doch hat sie hier nicht gefunden, was sie suchte, und ist entschlossen, sich neuem Leben und neuer Liebe zuzuwenden. Sie will ihre Jugendliebe Reinhold aufsuchen.
In jenem Dorf angelangt, das Reinhold bewohnt, begrüßt sie die neu gewonnene Freiheit, genießt den Frieden der Natur als das bewusste Glück des Augenblicks.
Reinhold erkennt Mita zunächst nicht wieder, umarmt sie dann aber und erzählt ihr von all den Amouren, die er seit ihrem Fortgang hatte. Außerdem hat er geheiratet, Gerta, einen "guten Drachen", die er sich absichtlich erwählt hat, damit seine ungebändigte Erotik etwas gezügelt werde. Mita soll wenigstens für einen Tag, unerkannt von Gerta, Magd im Haus spielen und Reinholds Leidenschaft genießen. Als Gerta ihn ins Haus ruft, versteckt er Mita in der Laube.
Der Fronbote schlägt einen Steckbrief der Fehme gegen Mita an, die man für die Mörderin Willfrieds hält. Balthasar, der zur Kirchweih aus Kronach in dieses Dorf kommt, berichtet Gerta und Reinhold über Hintergründe der Suchaktion und über die Foltermethoden der Fehme. Ruprecht, Erunas einst verschmähter Freier, ist der Anführer der Ankläger.
Zunächst ist Reinhold eifersüchtig auf Mitas Liebe zu Willfried, überlegt sich aber doch, dass er sie am liebsten als zweite, zusätzliche Frau an seiner Seite hätte und spielt mit dem Gedanken, Moslem zu werden.
Er verspricht Mita, ihr zu helfen, wird jedoch von Gerta überrascht, als er Mita küsst. Als Gerta erfährt, wen sie vor sich hat, flicht sie Mita einen Strohkranz -das Zeichen für Buhlerinnen- und bindet sie an die Säule vor der Kirchentür, um sie dem Spott der Gemeinde preiszugeben. Reinhold will Mitabefreien und ihr den Kranz abnehmen, aber Mita bekennt sich zu diesem "Schmuck". Die Landschaft scheint ihr verändert, der Friede auf ewig entschwunden.
Dritter Akt
Am Fuß der Staffelsteine, der Gerichtsstätte des Fehmegerichtes, verhört der Freigraf Mita. Das Urteil lautet auf Verbannung. Danach wird Rudi verhört, doch der Knecht schweigt beharrlich. Kathrin beteuert seine Unschuld und verstrickt sich dabei selbst in Widersprüche. Ruprecht fordert, dass die Leiche Willfrieds exhumiert wird. Als Rudi gefoltert werden soll, vertraut Kathrin, auf Zuspruch des Pfarrers, dem Freigrafen die Wahrheit an. Der verkündet nun lauthals Kathrins Geständnis, woraufhin Ruprecht das Recht auf seiner Seite hat: die Überreste Willfrieds sollen ausgegraben werden, da ein Selbstmörder nicht auf dem Friedhof bestattet sein darf.
Eruna versucht, Kathrinvon der Sinnlosigkeit, sich der aufgehetzten Bauernrotte entgegenzustellen, abzubringen, aber Kathrin überschüttet Eruna mit Vorwürfen. Der Pfarrer verspricht Kathrin, Willfrieds Grabstätte heimlich zu weihen, was Kathrin jedoch entschieden zurückweist.
Vergeblich versuchen Kathrin und Eruna, Ruprecht durch vernünftige Argumente von seinem Vorhaben abzubringen. Um an Willfrieds Grab zu gelangen, entfernen die Bauern zunächst ein Gebüsch. Dahinter erblicken sie Mita, tot auf Willfrieds Grab liegend. Doch auch, nachdem sie Mitas Leiche entfernt haben, wagen die Bauern nicht, das Grab zu öffnen, da sie dahinter eine Gestalt zu sehen vermeinen. Alle, bis auf Ruprecht, hören aus der sich erleuchtenden Kirche einen epischen Chor, der von der Möglichkeit des Friedens in der Welt kündet. Ein Teil der Bauern glaubt zu sehen, wie Engel ein Grab öffnen und Mitas Leiche bestatten. Dankbar betet die Mutter den Friedensboten als "heiligen Christ" und "Friedensengel" an.
Der Friedensengel - stark autobiografisch geprägt
1914 vollendet, konnte Siegfried Wagner sein Opus 10 zunächst nicht aufführen, da der Erste Weltkrieg herrschte. Nach dem Krieg hatte er schlicht "andere Sorgen", denn er hatte in Bayreuth die Festspiele zu organisieren und somit auch weder Gelegenheit noch die finanziellen Mittel, eine eigene Opernproduktion voranzubringen. So sollte es bis 1926 dauern, bis Der Friedensengel" am Badischen Landestheater Karlsruhe zur Uraufführung gelangen konnte, einige weitere Vorstellungen folgten.
Außer einer weiteren (konzertanten) Aufführung 1975 auf Betreiben Friedelind Wagners in London gab es bis zur Bayreuther Inszenierung keine weiteren Vorstellungen. Das liegt sicher eher am Text als an der Musik, möglicherweise auch an den zahlreichen Figuren (alleine 20 Solisten, Damen- und Herrenchor sowie ein umfangreich besetztes Orchester), die eine Produktion sehr aufwändig machen. Die Handlung ist eher ein Krimi als ein Märchen. Man könnte auch an Volkstheater denken, was sicher auch daran liegt, dass das Stück in Franken spielt, in der Gegend um Kronach und an den handelnden Personen.
Worum geht es in - Der Friedensengel ?
Es geht im Sexualität, um Glauben und Irrglauben. Siegfried Wagner hat einen Stoff entwickelt und die Musik komponiert. Er hat sich keines fremden bereits bestehenden Stoffes bedient, sondern seine eigene Geschichte erdacht. Umgesetzt wird das Ganze in einem Bühnenraum und einer Videoproduktion.
Es gibt drei Wahrnehmungsebenen, eine, die wir sehen, eine historische und eine Assoziationsebene.
Das Komponieren von Opern war für Siegfried Wagner Flucht und Ausweg zugleich, eine Möglichkeit, sich aus seinem realen Leben fortzuträumen. Er hat Handlungen einfach erfunden, wie zum Beispiel den Bärenhäuter 1899.
Siegfried studierte Architektur und Technik, konnte aber auch aus einem großen musikalischen Repertoire schöpfen. Der spätromantische Komponist schuf mehr Opern als sein Vater, insgesamt 17 Werke, zu denen er auch die Libretti schrieb. Jedoch erreichten seine Opern nie die Berühmtheit und die Anerkennung wie die Werke Richards. In der Entstehungszeit 1913/14 hatte er zwei Spielzeiten verloren, er hatte Schulden.
Alle Ehen in der Familie waren gescheitert, Siegfried sollte endlich heiraten, war er doch bereit 44 Jahre alt. Er hatte die Vorstellung, dass die Ehe etwas Schlimmes ist, dass alle Männer fremdgehen müssen, Schürzenjäger sein müssen. Siegfried wurde Ehrenbürger der Stadt Bayreuth, aber nicht als Anerkennung seiner Person, sondern als "Sohn des Meisters", was ihn sehr gekränkt haben muss. Weiterhin wütete der Vaterschaftsprozess um Isolde. So ist es auch kein Zufall, dass die Hauptfigur Willfried heißt, mit der besonderen Schreibweise mit zwei "l". Ein Mann, der seinen Frieden will.
In jedem Fall verdienen Siegfried Wagners Werke einen besonderen Platz im Opernrepertoire.
Für die Bayreuther Produktion wurden eigens Musikbänder hergestellt, um das Werk spielen zu können. Wie schon 2020 bei den Sonnenflammen, link zur IOCO Rezension - HIER, erklang ein digitales Orchester, der Dirigent Ulrich Leykam dirigierte und führte zur Einspielung live die Solisten auf der Bühne. Sicherlich eine Herausforderung, da die Tempi durch die Einspielung vorgegeben sind und der Dirigent nicht auf die Solisten eingehen und im Tempo nachgeben oder vorangehen kann. Immerhin war so eine Aufführung mit großem Orchesterklang möglich. Mit einem echten Orchester im Reichshof hätten Coronaschutzverordnung und Abstandserfordernisse nicht eingehalten werden können.
Die Aufführung beginnt mit einem Vorspann à la Star Wars.
Die Bühne ist dunkel, wir sehen eine Videoeinspielung mit Blick ins Weltall, die Erdkugel, unendliche Weiten, Galaxien. Verschiedene Machthaber werden gezeigt, Diktatoren, Kampfszenen. Dazu auf der Bühne Tänzer in weißen Overalls, sie bewegen sich in Zeitlupe, scheinbar schwerelos. Im Video Bilder von Krieg und Bomben. Das Attentat auf John F. Kennedy, die Erdkugel wird zum Coronavirus. Die Musik ist hier ruhig, geprägt von viel Blech und hohen Streichern. Sie erinnert stark an Filmmusik, was durch das Video verstärkt wird.
Erster Akt
Die Hochzeitsfeier ist in vollem Gange. Alle tragen Handschuhe. Vor Corona gibt es kein Entrinnen. Die Mutter, Kathrin (mit angenehm warmem runden Mezzo: Maarja Purga) stellt fest: "Gegen Hunger und Durst labt Schöppchen und Wurst". Sowohl Szenerie als auch Musik erinnern vom Duktus her ein kleines bisschen an die Meistersinger. Die Mutter ruft den Arzt für den Sohn, Willfried ist nicht wohl. Der Arzt will den Schädel vermessen, Willfried schöpft Verdacht: "Wo ist das kurfürstliche Siegel?" und der Pfarrer stellt anklagend fest "Warst lange nicht beim Beichten!"
Nun bricht es aus Willfried heraus "Eruna, gib mich frei! Gib mich frei, spende Glück!" An dieser Stelle ist die Musik leidenschaftlich, unterstreicht Willfrieds Wunsch, aus der Ehe auszubrechen. "Du küsst erstarrte Lippen, willst du, dass sie sich neu beleben, so gib mich frei!". Sie fragt "Dein felsenfester Wille? Weil es dein Heil ist."
In einer weiteren Videosequenz sehen wir Frauen beim Catchen, siehe Foto oben. Ein Spiegelbild von Eruna und Mita?
Willfried liebt Mita, hat aber Mitja bei sich, eine stumme Rolle, dargestellt von dem jungen Tänzer Mathis Bargel. Eine weitere Anspielung auf die Homosexualität Siegfried Wagners.
Ein Liebesduett folgt, "Fort von hier", dann will er sie scheinbar beide töten. Das Zimmer beginnt sich zu drehen, er schmeißt ihr die Briefe vor die Füße. Willfried schreibt seiner Mutter einen Abschiedsbrief und tötet sich schließlich selbst.
Mita flieht, die Mutter findet Willfrieds Leiche und den Brief. Ihre größte Sorge ist nun, dass der Selbstmörder nicht in geweihter Erde bestattet werden kann. Rudi (sonor: Jakob Ewert) soll die Spuren beseitigen. Es eilt, die Gäste sind schon da. Mitja erscheint auf der Szene und legt Trauerkleider an. Balthasar erscheint, der Festspruch wird gefordert. Dieser wird überzeugend dargeboten von Uli Bützer. Das Graumännchen geht um, alle gruselt es, was entsprechend durch gekonnt eingesetzte Beleuchtung untermalt wird. Das Fazit ist jedoch "Es war ja nichts!".
Auch der zweite Akt beginnt mit einer Videosequenz
Wir sehen ein Kloster, Nonnen, Bilder von Folter. Leider sind die Stimmen der Nonnen auf der Bühne mit dem Klagegesang "O quam tristis" nicht immer zusammen mit dem Orchester. Hier zeigt sich das größte Manko der voreingespielten Bänder in der Unfähigkeit, auf Tempoabweichungen zu reagieren. Trotz klaren Dirigates von Ulrich Leykam kommen Stimmen und Orchesterspur nicht zusammen.
"Gott will, dass wir lachen. Nun aber kommt die Sonne! Wer kann leben ohne Liebe?" Mita denkt an ihr früheres Leben. "Erster Liebe beglückendes Bild! Reinhold! Gebüßt habe ich, Gewissen ist frei! Himmelsbräute nennt ihr euch, doch ich will Erdenbraut sein!"
Hier wird die Musik triumphierend, das begleitende Video hell und freundlich, optimistisch. Mita geht, verlässt das Kloster. Im Wald begegnet sie Mitja in Frauenkleidern.
Wir sehen Naturbilder, Gänse fliegen, die Musik ist extrem lautmalerisch eingesetzt zur Naturbeschreibung. Schafe und Schwalben tauchen auf, Mita macht Flugbewegungen. "Friede! Freiheit! Neu belebt schwillt die Brust, schlürft eine wonnige Lust!". Der folgende Gesang "An das Leben, an das Licht! Heil uns!" erinnert ein bisschen an "Heil dir, Sonne!" von Brünnhilde aus dem dritten Akt des Siegfried.
Leider wurde diese Stelle für die Pause gewählt, so dass ein gewisser Bruch entsteht.
Nach der Pause geht es weiter mit "Preis dir, gütiger Gott!" Reinhold erscheint als regelrechter Lüstling. Er stellt allen Frauen nach. "Wer mich nicht liebt, das müsste schon eine Hutzel sein!". (Darunter zu verstehen ist eine gedörrte Frucht, vornehmlich Birne, oder wahlweise eine alte Frau mit runzliger, faltiger Haut). "Heiterkeit ist mein wahrer Ernst", so ist er von sich überzeugt. Gerta, seine Braut erscheint, während Reinhold Mita küsst, und das mitgeführte Accessoire, eine Reitgerte, macht klar, warum das "t" kein Druckfehler ist.
Auf den Ruf "Mord! Fahndung!" hin erscheint Balthasar. "Ihr wisst doch wohl von Willfrieds Tode, ermordet fand man ihn im Wald. Wer ist der Mörder?" will er nun von den Anwesenden wissen. Es wird auch klar, man sucht Mita, die in der Nacht seines Todes verschwunden ist und sich somit verdächtig macht.
Balthasar macht die Liebe als eigentliche Schuldige aus: "Hol doch der Teufel die ganze Liebe! Das Fehmgericht harret ihrer." Im Video laufen Jahrmarktszenen. Reinhold kommt und stellt fest "Die Welt ist so dumm und kleinlich gestimmt. Sie will's nicht gestatten, dass man Zweifel nimmt."
Gerta erwischt Mita und Reinhold zusammen, sie hat ein Flugblatt in die Hand bekommen und weiß nun, wer sie ist. Sie bindet ihr ein Band, einen Kranz aus Stroh, als Strafe und Erkennungszeichen für Buhlerei. Im Video wird der Schriftzug "BITCH" eingeblendet. Zusätzlich zu dem Strohkranz hängt sie Mita ein Schild mit der Aufschrift "HURE" um den Hals. Sie klagt Reinhold an, er verhalf Mita zur Flucht. Mitja erscheint wieder auf der Szene.
"Alles verwandelt. Wo bist du hin? Holder Friede, dahin. Dahin. Ewig dahin" erklingt der Klagegesang. Dis Musik wird lauter, Pauken setzen ein, der Klang wird bedrohlich, die Stimmung ist düster, sowohl in der Musik als auch auf der Bühne.
Dritter Akt
Die Malstatt der hiesigen Fehme. Im Hintergrund Staffelsteine, die Gerichtsstätte. Das Video zeigt einen Wald und Heidelandschaft. Ein Pentagramm und Hexenprozesse deuten an, dass es für Mita nicht gut aussieht. Fünf Folterknechte erscheinen und verhören Mita. Das Urteil lautet: bezüglich des Mordes wird sie freigesprochen, aber man klagt sie der Buhlerei an und erkennt sie als schuldig. Sie wird geächtet und gebrandmarkt mit dem Pentagramm. Die Mutter spricht für Rudi, er war es auch nicht. Aber woher kommt der blutige Dolch? Das Fehmgericht droht Mita Folter an, doch der Pfarrer weiß, wie es sich zugetragen hat. Kathrin will sprechen, aber nur zum Freigrafen allein. Sie offenbart ihm, dass es Selbstmord war, dass Willfried aus eigener Hand umgekommen ist und Mita unschuldig ist.
"Des Rätsels Lösung ward uns kund". Die Mutter ersann die List, damit der Frevler in geweihter Erde begraben werde. Im gleichen Atemzug wird der Pfarrer angeklagt, der dieses geschehen ließ. Somit beschließt er: "Noch heute Nacht werde der Sünder ausgescharrt!" Der Klage der Mutter folgt ein kurzes Zwischenspiel. Die nächste Szene spielt auf dem Friedhof, ein Grab wird ausgehoben. Bücherstapel stehen überall auf der Bühne, werden von einer Seite auf die andere geschichtet, symbolisieren den Akt des Exhumierens. Mitja, wieder im Kleid, erscheint zwischen den Bücherstapeln.
Das folgende Zwischenspiel ist düster und Unheil verkündend.
Die Mutter klagt Eruna an. Hätte sie ihn freigegeben, lebte er noch! Der Pfarrer erklärt, er habe die Erde heimlich geweiht, in die Willfried gelegt werde. Kathrin und Eruna haben ein kurzes Duett. Sie finden vermeintlich Mita im Grab Willfrieds, tatsächlich ist es jedoch Mitja im Kleid. In der Kirche erstrahlt Licht. Ein Bild des toten Willfried. Ein Frauenchor ist zu hören. "Gebt drum seiner Hülle heiligen Grabes heilige Stille. Friede, Friede, Himmels Trost. Friedensengel, sei gegrüßt! Benedeit in Ewigkeit!"
Im Abspann: Ende opus 10. To be continued.
Die letzten Bilder auf der Bühne zeigen Mitja im Lendenschurz, vorne an der Rampe im Licht. Zum Schluss grüßt ein rauchender Siegfried Wagner das Publikum.
Wer oder was ist der Friedensengel?
Der Friedensengel ist alles, was uns Menschen umtreibt; jeder muss das finden, was er für ihn bedeutet.
Ähnlich den Opern seines Vaters Richard ist hier Erlösung ein Thema. Und ein Plädoyer für die Freiheit. Im Grunde aber ist es ein Krimi. Eine Straftat wird begangen, ein vermeintlicher Mord, der sich als Selbstmord herausstellt und somit nach damaliger Auffassung schon gar keine Erlösung bringen kann, sondern eine schwere Sünde ist.
Die Kombination aus szenischer Darstellung auf der Bühne und der Einspielung von Videosequenzen ist dem Zuschauer bereits aus Sonnenflammen bekannt und wurde auch Der Friedensengel wieder eingesetzt. Sie ersetzt an manchen Stellen auch das Bühnenbild, das hier schon aufwändiger war als in den Sonnenflammen, aber immer noch reduziert. Im wesentlichen werden Andeutungen gezeigt, genug, um sich ein Bild zu machen, wo wir uns gerade befinden. Die Kostüme von Christian Bruns sind aufwändig und detailliert. Eine sehr schöne Idee ist die Figur des Mitja, der anstelle von Mita Willfried in seiner Traumwelt begleitet, sehr gekonnt und ästhetisch dargestellt von Mathis Bargel.
Einer Anregung der Rezensentin folgend gab es 2021 vor der Premiere und der zweiten Vorstellung einen Einführungsvortrag mit Informationen zum Komponisten und zur Entstehung der Oper. Als weiteres Rahmenprogramm konnte eine Ausstellung in den Räumen der Klaviermanufaktur Steinbgraeber & Söhne besichtigt werden. Im Vorjahr war eine Ausstellung zu Sonnenflammen noch in den Räumen der Stadtbibliothek zu sehen, die ebenfalls mit viel Liebe zum Detail zusammengestellt worden war.
Auch das sehr detaillierte umfangreiche Programmheft, man möchte schon fast sagen, "Katalog", zeugt davon, dass das Werk Siegfried Wagners eine wahre Herzensangelegenheit des Regisseurs Peter P. Pachl ist. Umso bedauerlicher, dass Corona bedingt an beiden Tagen nur eine relativ kleine Anzahl Zuschauer Zugang zum Reichshof Kulturbühne erhalten konnte.
Am Premierenabend jedoch nahm das Publikum die Darbietung mit großer Begeisterung auf. Zum einen hatten sicher Viele seit langer Zeit keine live dargebotene Oper erlebt, zum anderen lag das an der beeindruckenden künstlerischen Gesamtleistung, die das Ensemble an diesem Abend gezeigt hat. Alleine die Tatsache, die 20 Solistinnen und Solisten auf der Bühne mit dem digitalen Orchester zu koordinieren und zu einem befriedigenden Klangerlebnis zu modellieren. Leider gelang das nicht immer, wie im erwähnten Chor der Nonnen, jedoch hat man über weite Strecken schlicht ausgeblendet, dass gar kein Orchester im Saal war, sondern die Einspielung vom Band kam. Hierfür gebührt Ulrich Leykam und Jochen Schoberth große Anerkennung und Respekt. Wegen der Vielzahl der Rollen sollen hier exemplarisch Willfried (Giorgio Valenta) und Frau Kathrin (Maarja Purga) genannt werden.
Der Tenor Giorgio Valenta ist in Coburg (Bayern) geboren und hat an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien bei Leopold Spitzer und Walter Berry Gesang studiert. Nach zahlreichen Gastspielen im deutschen und italienischen Operettenfach hat er in den letzten Jahren eine Facherweiterung zum Charakter- und Heldentenor vollzogen. Er war bereits 2020 als Fridolin in den Sonnenflammen im Reichshof Kulturbühne zu erleben. Ihm gelang es, mit heldischen Anklängen den frevelhaften zerrissenen Selbstmörder Willfried eindrücklich und fesselnd darzustellen.
Die estnische Mezzosopranistin Maarja Purga absolvierte ihr Gesangsstudium am Koninklijk Conservatorium Den Haag und an der Hochschule für Musik und Tanz Köln bei Lioba Braun. Meisterkurse bei namhaften Sängerinnen und Dirigenten rundeten ihre Ausbildung ab. 2016 verlieh ihr der Richard-Wagner-Verband Ammersee für ihre künstlerische Tätigkeit das Richard-Wagner-Stipendium. Mit ihrer starken Bühnenpräsenz und ihrem dunkel timbrierten Mezzosopran hat sie der Mutter Kathrin große Glaubwürdigkeit verliehen und die Verzweiflung der Figur überzeugend und berührend dargestellt.
Abschließend sei Regisseur Peter P. Pachl und der Siegfried-Wagner-Gesellschaft gedankt für ihren Einsatz um das Werk Siegfried Wagners. Die Reihe der Opernaufführungen im Reichshof Kulturbühne soll im Jahre 2022 während der Bayreuther Festspiele ihre Fortsetzung finden.
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