Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2024, GÖTTERDÄMMERUNG – Richard Wagner, IOCO

Eine echte Bank ist der Festspielchor unter der Chorleitung von Eberhard Friedrich. Die drohenden Mannen machen klar, dass auch der unseriöseste Machtmensch mit genügend Geld und Einfluss über Untergebene verfügen kann.

Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2024, GÖTTERDÄMMERUNG – Richard Wagner, IOCO
Zuschauerraum Bayreuther Festspielhaus © Enrico Nawrath

von Ingrid Freiberg

Götterdämmerung – zu End’ ewiges Wissen! Der Welt melden Weise nichts mehr.

Die Vollendung der Götterdämmerung gab sogleich Gelegenheit, Auszüge aus dem Werk in Konzerten vorzuführen, die der Finanzierung des Festspielhauses und der ersten Festspiele galten. Am 1. März und 6. Mai 1875 dirigierte Wagner im Musikvereinssaal Wien Ausschnitte aus dem „Vorspiel“, „Hagens Wacht“, „Siegfrieds Tod und Trauermarsch“ sowie die „Schlussszene Brünnhildes“. Die erste vollständige Aufführung erlebte das Werk innerhalb der ersten Aufführung der gesamten Tetralogie anlässlich der ersten Bayreuther Festspiele am 17. August 1876; Dirigent war Hans Richter, die künstlerische Leitung hatte Richard Wagner. Die Aufführung war zwar äußerlich ein Erfolg: Was in Deutschland Rang und Namen hatte, war anwesend, so auch der deutsche Kaiser. Künstlerisch aber war Wagner keineswegs zufrieden, und finanziell war es nahezu ein Desaster. Mit dem Titel Götterdämmerung ist allerdings nur ein Teil dessen bezeichnet, was sich in diesem Schlussstück ereignet. Dargestellt wird nämlich nicht nur das Ende der Götter, deren szenische Präsenz auf das Schlussbild beschränkt bleibt, sondern vor allem das Ende Siegfrieds, der wie am Zweiten Tag auch, hier der Hauptheld ist. Nicht zufällig lautete der ursprüngliche Titel Siegfrieds Tod. Die Götterdämmerung handelt in vielfältiger Form vom Ende. Jenes der Nornen ist kein physisches, sondern eines der Funktion, beruhend auf den gewandelten Machtverhältnissen in der Welt, die ihrerseits die Konsequenz des Endes der Götter sind. Das Ende Brünnhildes ist ein freiwilliger Tod, frei vom Pathos der Trauer. Das Ende wird vielmehr als Glück erfahren. Brünnhilde geht so in den Tod, wie sie sich Siegfried in die Arme warf: lachend.

Wagners Entscheidung, Siegfried mit einem Duett zu beenden, kündigt die umstrittene Rückkehr zur traditionellen Oper an. Sie verzerrt diese Konventionen mit einer Art böswilliger Schadenfreude. Wir erleben Duette, schurkische Monologe, das Schwören eines Eides, einen Trinkchor, einen Hochzeitszug: Die stilistischen Gänge reiben sich aneinander. In gewisser Weise sind die Nornen das Gegenstück zu den Rheintöchtern. Aber während letztere fröhlich und verspielt sind, sind sie ein mürrisches Trio „Welch Licht leuchtet dort?“, „Wie das wird…“, „Aus Not und Neid ragt mir des Niblungen Ring: ein rächender Fluch nagt meiner Fäden Geflecht…“, „Ein Ende der ewigen Weisheit!“ und erschauen das Ende der Götter. Der Vier-Akkord, der einst so prächtig glänzte, als Brünnhilde erwachte, ist in einem düsteren, unheilvollen Klang zu hören.

„Der Ring des Nibelungen ist eine Überforderung Operngeschichte: Das Scheitern in der Götterdämmerung ist zum Mantra des Werkes selbst geworden - der Versuch, die ganze Welt- und Menschheitsgeschichte zu erzählen… und alles, was Kunst und Geisteswissenschaften Großes und Wesentliches hervorgebracht haben.“

Die Tochter von Siegfried und Brünnhilde wird zu Bett gebracht und träumt von weit zurückliegenden Geschehnissen, die noch immer auf die Gegenwart einwirken. Bei Tagesanbruch steht Siegfrieds Abschied von seiner Familie bevor. Entfremdet von Frau und Kind zieht es ihn fort. Brünnhildes und Siegfrieds Beschwörung der gemeinsamen Liebe vor dem Aufbruch des Helden zu den Gibichungen und der in der Deutung von Valentin Schwarz initiierte Ehekrach der beiden sind allerdings zuwiderlaufend. Brünnhilde kann den Geliebten nicht aufhalten, behält aber das gemeinsame Kind als teure Erinnerung an ihren Geliebten und gibt diesem Grane, den treuen Freund, mit auf den Weg.

I. Aufzug Catherine Foster (Brünnhilde), Klaus Florian Vogt (Siegfried), Kinderstatisterie der Bayreuther Festspiele © Enrico Nawrath

Offensichtlich haben die neureichen Gibichungen Gunther und Gutrune die Räume, Bühne Andrea Cozzi, vom toten Fafner übernommen haben. Sie sind gerade dabei, sich schick einzurichten. Hauptsache teuer und im Ring-Design. Ein Stück Stamm (vermutlich Esche), ein Speer, ein Schwert - hier ist alles zur Dekoration kondensiert. Auf der gläsernen Balustrade, die den Aktionsradius stark einschränkt, geraten Wotan und Siegfried aneinander. Gunther ist mit einem "Who the fuck is Grane"-Glitzer-T-Shirt, Kostüm Andy Besuch, aufs Äußerste gestylt und bewegt sich sehr affektiert, was der Ernsthaftigkeit seiner Figur abträglich ist. Gutrune trägt über ihrem aufreizenden neongrün-farbenen Kleid einen wollweißen Mantel im Stil von Coco Chanel bzw. ein schwarzes Lackkleid mit besonders tiefem Ausschnitt - hocherotisch. Brünnhilde in einem leuchtend-roten Ripsrock mit lindgrüner Hemdbluse wirkt dagegen ziemlich bieder.

Die neuen Besitzer Walhalls, Gunther und Gutrune, hören leichtgläubig auf Hagens Pläne. Man empfängt Siegfried, der Hagen nicht erkennt. Leichtsinnig verliert sich Siegfried in Verlangen nach Gutrune. Gunther gewinnt ihn als Blutsbruder; die beiden brechen zu Brünnhilde auf, um sie nun für Gunther als Braut zu erringen. Hagen bleibt zurück und ermordet Grane. Brünnhildes Einsamkeit wird durch den unerwarteten Besuch ihrer Schwester Waltraute unterbrochen. Ihr Ansinnen wird schnell deutlich: Sie will Brünnhilde ihr Liebstes, ihre Tochter, entreißen, aber Brünnhilde kann sich dessen erwehren. Hoffnungsvoll schickt sie ihr Kind dem heimkehrenden Gatten entgegen; doch sie wird bitter enttäuscht: Gunther, der ihn begleitet, gewinnt Gewalt über das Kind und bricht Brünnhildes Widerstand. Unter Siegfrieds Augen ist sie dieser Schmach ausgeliefert.

Gequält lauscht Hagen den Einflüsterungen seines einstigen Adoptivvaters Alberich, der ihn verlässt. Gutrune feiert im zurückgekehrten Siegfried ihren neugewonnenen Ehemann, während Hagen mit dem verschreckten Kind zurückbleibt. Höhnisch ruft er die belustigten Gäste eines Germanenfests zum bevorstehenden Krieg und schwört sie auf Treue ein. Alle verstummen jedoch, als ihnen Gunther seine gedemütigte Braut Brünnhilde vorstellt. Ihre lautstarke Empörung angesichts des ungeheuerlichen Verrats nötigt Siegfried zu einer öffentlichen Entgegnung. Tief erniedrigt, schwört Brünnhilde einen Gegeneid. Siegfried schreitet zur Hochzeit; fassungslos angesichts dieser Kränkung bleibt Brünnhilde zurück. Mord müsse das Unrecht sühnen, beschließt sie im Pakt mit Hagen und dem verängstigten Gunther. Der 2. Aufzug ist die düsterste und konzeptionell gewalttätigste Musik, die Wagner m. E. geschrieben hat. In der 1. Szene beschwört Alberich seinen Sohn Hagen „Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“„Sei wahr!“ Hagen antwortet zweideutig: „Mir selbst schwör’ ich’s; schweige die Sorge!“

I. Aufzug Michael Kupfer-Radecky (Gunther) © Enrico Nawrath

Lustlos wirft Siegfried mit seinem Kind in einem verödeten Schwimmbecken seine Angel aus. Die drei Rheintöchter umwerben ihn und fordern sein Kind. Doch er lacht über den Spuk. Hagen erreicht den Angler mit Gunther und den Mannen. Absichtsvoll drängt er Siegfried, aus seinem Leben zu erzählen. Als dieser in seinem Kind die Liebe zu Brünnhilde erkennt, streckt Hagen ihn nieder. Aufgewühlt nimmt dieser das Kind vorübergehend zu sich. Aus dem Hintergrund erscheint Brünnhilde. Ein letztes Mal spricht sie das Urteil über das Geschehene, ehe sie mit allem abschließt. Das Kind geht seiner eigenen Wege. Die Fehler der Vergangenheit sollen nicht mehr in die Zukunft reichen. Brünnhilde träumt von einem neuen Licht. An die Toten geschmiegt, setzt sie ihrem Leben ein Ende.

Das Ensemble löst Begeisterungsstürme aus

Klaus Florian Vogt ist der derzeit einzige Heldentenor, der weltweit alle Wagner-Partien interpretiert. Der Götterdämmerungs-Siegfried ist besonders gefürchtet, weil der Sänger den unmittelbar zuvor absolvierten, enorm umfangreichen Jung-Siegfried noch in den Knochen hat. Und als einzige Tenorpartie im Schaffen Wagners muss er furchtlos mehrfach hinauf zum berüchtigten hohen C... Mit strahlend hohen Tönen, großer Ausdruckspalette und stimmlicher Agilität beeindruckt Vogt durch deutliche Diktion, stellt sich mit Stimmschmelz und Ästhetik ganz in den Dienst der Musik. Seine etwas dunklere Tönung tut der Rolle gut. Vogt beweist, dass er sich zu einem der führenden Rolleninterpreten entwickelt hat. Catherine Fosters Brünnhilde strahlt und glänzt wie schon zwei Tage zuvor. Sie scheint in der Form ihres Lebens zu sein und lebt und liebt diese Rolle mit nie nachlassender Intensität bis zum grandiosen Schlussmonolog, das längste Sopran-Solo der Opernliteratur. Überragend „Siegfried! Siegfried! Selig gilt dir mein Gruß!“, den sie glühend aussingt. Ihre herrlich samtene Tiefe, ihre warme, expressive Mittellage und ihre mühelos erreichten Spitzentöne sind mit bewegender Intensität gestaltet. 

Michael Kupfer-Radecky als Gunther fügt sich mit seinem albernen Verhalten rückhaltlos dem Regiekonzept von Valentin Schwarz. Darstellerisch überzeugt er durch dieses beherzte Spiel. Sein profunder charismatischer Bariton ist eindrucksvoll, lässt seine gesangliche Wandlungsfähigkeit aufblühen und ist von besonderer Strahlkraft. Seine Stimme gleitet schwerelos durch die Register. Seine differenzierte Darstellung als Weichling wurde zu Recht stark bejubelt. Gabriela Scherer als Gutrune ist kein bescheidenes Mädchen, sondern eine sehr sinnliche glamouröse Frau. Lebendig, intensiv, lässt sie sich tief ein mit all ihrer Persönlichkeit. Ihre subtile Körpersprache gehört ebenso zu ihr wie ihre ausdrucksvolle Stimme, mit der sie die dramatisch aufwallenden und lyrischen Passagen meistert. Da muss einem nicht bange werden: Es gibt sie eben doch, die künstlerischen Glücksfälle. Ólafur Sigurdarson als Alberich ist ebenfalls großartig und gibt seinem nie aufgegebenen Herrschaftsanspruch hörbare Form. Er ist in seiner Gefährlichkeit glaubwürdig. Anfangs fast jovial, bald mit bröckelnder Fassade, kann er seine Gier kaum verstecken. Die böswillige Durchsetzungskraft, die Intensität, mit der er seine Vorhaben vorantreibt, lässt erschauern. Seine hochdramatischen Eruptionen sind eindrucksvoll. Mika Kares symbolisiert den geraubten „Ring“ und sucht als Erwachsener nach seinem Platz im Leben. Zu den Gibichungen gehört er nicht, zu den Göttern auch nicht. Eigentlich will er nur geliebt werden. Für Gunther ist Hagen so etwas wie ein großer Bruder. Auch in der Begegnung mit Alberich zeigt Hagen seine innere Zerrissenheit. Obwohl Alberich ihn einst entführte, hat er Gefühle zu ihm entwickelt. Gefühle zeigt er auch der Tochter von Siegfried und Sieglinde gegenüber. Liebevoll tröstet er sie, obwohl er ihren Vater gerade ermordet hat. Der Schwur zwischen Hagen, Gunther und Brünnhilde zählt zu den Höhepunkten dieser Aufführung. Stimmlich ist Kares der intrigante Strippenzieher am Gibichungenhof: überzeugend mit dunkel-gefärbtem Bass tönt sein schmieriger Rat. Er ist ein klangvoller und eloquenter Sängerdarsteller, schon körperlich überragend in seiner Gefährlichkeit.

III. Aufzug Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath Catherine Foster (Brünnhilde) © Enrico Nawrath

Die Waltraute von Christa Mayer glänzt durch Bühnenpräsenz, ist eine Walküre mit eigener Identität. Suggestiv berührend die zentralen Passagen ihrer Waltrauten-Erzählung „Höre mit Sinn, was ich dir sage…“, eine eindrucksvolle Warnung. Sie singt sich mit ihrem sinnlich satten Mezzo in die Zuschauerherzen. Vor allem mit ihrer Textverständlichkeit, aber auch im szenischen Spiel überzeugen die Nornen (Noa BeinartAlexandra Ionis und Christina Nilsson). Sie agieren sehr weiblich, wunderbar kammermusikalisch, stringent und kompakt. Die Rheintöchter (Evelin NovakNatalia Skrycka und Marie Henriette Reinhold) tönen weich, harmonisch und geradezu gruselig in ihren „Siegfried!“-Rufen. Sensibel ist ihre austarierte Balance der Intonation, Farbgebung und Textartikulation Das Ross Grane, der stumme Begleiter Brünnhildes, wird von Igor Schwab bewegend gespielt, bis er einem Ritualmord zum Opfer fällt.

Funkelnde Höhepunkte

Eine echte Bank ist der Festspielchor unter der Chorleitung von Eberhard Friedrich. Die drohenden Mannen machen klar, dass auch der unseriöseste Machtmensch mit genügend Geld und Einfluss über Untergebene verfügen kann, die seine Stellung zementieren. Tenöre und Bässe bezwingen mit Verve und Eindringlichkeit, mit einer differenzierten Tongebung und präzisen Diktion, kraftvoll und dramatisch. Die Sänger werden bereits nach dem 2. Aufzug bejubelt. 

Simone Young, Musikalische Leitung, akzentuiert die Partitur mitunter sehr eigen; man hört aus dem Festspielorchester zuweilen Solo-Instrumente und Gruppen heraus, die man zuvor so nicht wahrgenommen hat. Der gesamte Abend lebt von ihrem elanvollen Zugriff. Das Werk atmet Klarheit und leuchtet wie ein Diamant. Das ist von hoher Kulinarik. Das tiefschwarze es-Moll-Vorspiel in der Götterdämmerung wird sauber intoniert, eine Meisterleistung in Sachen Balance und Orchesterbeherrschung. Die Musik bekommt Süffigkeit und emotionale Tiefe, ist wuchtig, besonders bei den großen Orchesterstücken wie „Siegfrieds Rheinfahrt“ und dem „Trauermarsch“. Das Finale gerät fulminant. Der Jubel ist entsprechend groß, als sich am Ende der Vorhang öffnet und das gesamte Orchester auf der Bühne erscheint, um mit seiner Dirigentin den Schlussapplaus entgegenzunehmen.

Zum Ende wachsende Jubelstürme… Es war ein ganz großes Ereignis, das noch lange in Erinnerung bleiben wird. Das Publikum feiert die Künstlerinnen und Künstler mit begeistertem, stürmischem Beifall und Standing Ovations und natürlich - in Bayreuth wohlklingend - mit den Füßen.

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