Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2024, DIE WALKÜRE – Richard Wagner, IOCO

Großes Augenmerk lag auf dem Debüt von Vida Miknevičiūtė als Sieglinde. Mit ihrem leicht herben, geradezu glühenden Sopran und ihrem intensiven Spiel ist sie eine anrührende Sieglinde.

Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2024, DIE WALKÜRE – Richard Wagner, IOCO
Zuschauerraum Bayreuther Festspielhaus © Enrico Nawrath

von Ingrid Freiberg

„Die Walküre“ - Leben nach dem Tod oder die Existenz von Gottheiten

In der Tetralogie Der Ring des Nibelungen ist Die Walküre „der erste Tag“, so Wagner, „des Bühnenfestspiels für drei Tage und einen Vorabend“. In einem Brief vom 11. November 1851 bezeichnet Wagner das Stück noch als Siegmund und Sieglind: der Walküre Bestrafung. An eine Aufführung war lange Zeit nicht zu denken. Der ursprünglich vorgesehene Verleger Breitkopf & Härtel sprang ab, sodass Wagner das Projekt der Tetralogie vorübergehend aufgab und erst wieder aufgriff, nachdem König Luwig II. ihn 1864 nach München holte. Immerhin führte er konzertant 1862/63 in zahlreichen Städten Europas die bis heute beliebtesten Ausschnitte „Winterstürme wichen dem Wonnemond…“, „Ritt der Walküren“ und „Wotans Abschied und Feuerzauber“ auf.

In der Walküre treten zum ersten Mal Menschen auf. Allerdings ist das, was sich zwischen ihnen abspielt, kaum etwas anderes als das Resultat der Geschehnisse, die mit den Göttern zu tun haben. Die enge Verknüpfung von Menschen und Göttern zeigt sich allein schon daran, dass Siegmund und Sieglinde unmittelbare Abkömmlinge Wotans sind. Seine Zwillingskinder verlieben sich ineinander, ohne zu wissen, dass sie Geschwister sind. Trotz dieses Skandals fand das Publikum des 19. Jahrhunderts diese Szenen genauso anrührend wie andere populäre Romanzen dieser Zeit. Die sich steigernden Gefühlskaskaden: Siegmunds leidenschaftlicher Gesang von Frühling und Liebe, Sieglindes ebenso glühende Antwort „Du bist der Lenz, nach dem ich verlangte…“ und die sich anschließende orgiastische Umarmung der beiden ist eine tour de force heißblütiger romantischer Gefühle: „Braut und Schwester bist du dem Bruder, so blühe denn Wälsungen-Blut!“

Valentin Schwarz – Sinndeutung

Der Regisseur Valentin Schwarz gibt mit seiner Sichtweise dem Publikum einige Rätsel auf. Allerdings lassen sich diese, bei genauem Nachdenken und Reflektieren, sehr wohl in den Ring-Kontext einfügen. Immer vorausgesetzt, man lässt sich auf Neues ein und beschäftigt sich damit. Schwarz schafft immer wieder geradezu magische Momente, in denen man den Atem anhält und deren Intensität überwältigt. Weniger zwingend ist Schwarz’ Regieansatz, dass Sieglinde bereits im ersten Akt schwanger ist. Und Wotan ist der Vater, der seinen Erben sichern will. Die Zwillingsliebe als Inbegriff freier Liebe wird damit entwertet, hier sind Sieglinde und Siegmund nur Geschwister. In einer auf die Geschehnisse im Rheingold folgenden Nacht „Hunde und Wölfe“ bringt ein Sturmwind eine alte Esche, hier nur als Wurzeltentakel zu sehen, zu Fall. Hunding lässt seine schwangere Frau, die Wotantochter Sieglinde, bei eindringendem Wasser allein zurück. Das Unwetter treibt einen Fremden ins Haus: Wotansohn Siegmund kehrt als unsteter Wölfling Wehwalt an den Ort seiner Kindheit zurück. Seine Zwillingsschwester Sieglinde, die den Bruder seit Kindertagen nicht mehr gesehen hat, erkennt ihn zunächst nicht, bietet ihm jedoch Schutz und Obdach an. Siegmund rührt mit seinen Erzählungen das Herz Sieglindes.

I. Aufzug Vida Miknevičiūtė (Sieglinde), Michael Spyres (Siegmund) © Enrico Nawrath

Der zurückgekehrte Hunding bemerkt die Blicke zwischen den Geschwistern und erkennt die Rechtswidrigkeit der Handlungen, von denen der Fremde arglos berichtet. Für eine Nacht das Gastrecht während, fordert er von Siegmund für den nächsten Tag Rechenschaft. Während Siegmund verzweifelt, erträumt Sieglinde sich in ihm ihren Gefährten und vertraut ihm schließlich ihr Innerstes an. Das Aufeinandertreffen der Geschwister öffnet die Tür zu ihrer gemeinsamen Kindheit. Dort entdecken sie beglückt die kindlichen Rituale und geben sich dem Taumel des Wiedersehens hin. Die Wirklichkeit holt sie allerdings ein und zwingt sie zur Flucht.

Wotan lässt sein altes Leben hinter sich

Im Atrium findet sich die Götterfamilie an Freias Sarg ein; sie konnte nicht verwinden, was ihr bei ihrer Entführung angetan wude und brachte sich um. Wotan begrüßt die eintreffende Brünnhilde, seine erklärte Lieblingstochter. Auf sie setzt er nun all seine Hoffnung. Fricka unterbricht das freudige Aufeinandertreffen und bedrängt Wotan mit der Unzahl seiner Vergehen. Von der Last seiner Verantwortung erdrückt, muss sich Wotan seiner Frau beugen und die tödliche Bestrafung seines Sohnes Siegmund ausführen. Nur der tröstenden Brünnhilde, seiner willens- und wesensverwandten Tochter, offenbart er seine drückenden Nöte und geheimen Pläne. Das Zwillingspaar, das sich wiedergefunden hat, flüchtet in Walhalls Leere, wo Siegmund die von Schuldgefühlen und Wehen geplagte Sieglinde notdürftig bettet. Brünnhilde fällt nun die Pflicht zu, Siegmund sein bevorstehendes Ende mitzuteilen. Er will das Urteil nicht akzeptieren und Sieglinde mit in den Tod reißen. Überwältigt verspricht Brünnhilde, ihrem Halbbruder beizustehen. Dunkle Geschehnisse um das Wälsungenkind, das sie unter dem Herzen trägt, verfolgen Sieglinde. Im Kampf mit Hunding scheint Siegmund zu siegen, doch Wotans Eingreifen kostet seinem Sohn das Leben. Brünnhilde flieht mit Sieglinde vor Wotans maßloser Wut. Acht Wotantöchter, die Walküren, dem Jugend- und Schönheitskult in einer Klinik frönend, vertreiben sich die Zeit.

III. Aufzug Christa Mayer (Schwertleite), Alexandra Ionis(Siegrune), Claire Barnett-Jones (Waltraute), Catharine Woodward (Gerhilde), Brit-Tone Müllertz (Ortlinde), Noa Beinart (Rossweisse), Dorothea Herbert (Helmwige), Marie Henriette Reinhold (Grimgerde), Catherine Foster (Brünnhilde), Vida Miknevičiūtė (Sieglinde), Statisterie der Bayreuther Festspiele © Enrico Nawrath

Da hinein platzen Brünnhilde, Grane und Sieglinde mit ihrem inzwischen zur Welt gekommenen Neugeborenen und bitten vergeblich um Hilfe, sodass sich Sieglinde gezwungen sieht, mit ihrem Kind, das den Namen Siegfried tragen soll, vor der Rache Wotans zu fliehen, während Brünnhilde die Ankunft ihres zornigen Vaters erwartet. Vor den Walküren klagt Wotan die einstige Lieblingstochter an. Die Übertretung seiner Verbote verlange nach Ausstoßung aus der Dynastie. Aus Liebe zu ihr verwirklicht Wotan seine Pläne jedoch nicht. Brünnhilde darf unbeschadet – in Einsamkeit - die Zeiten überdauern. Wotan wird seine Tochter nie wiedersehen und tritt von seinen Verpflichtungen zurück. Fricka erscheint zum versöhnlichen Rendezvous. Ihr Mann lässt sie stehen und sein altes Leben hinter sich - das Ende einer Ära.

Regie und Bühnenbild entführen in eine andere Welt

Die Personenregie begeistert vor allem dann, wenn der fulminante Wotan von Tomasz Konieczny und Catherine Foster als Brünnhilde singen und spielen. Daran haben auch Vida Miknevičiūtė als Sieglinde, Michael Spyres als Siegmund, Georg Zeppenfeld als Hunding und Christa Mayer als Fricka entscheidenden Anteil. Ein besonders eindrucksvolles Spiel in den Räumen von Andrea Cozzi gelingt in der „Winterstürme-wichen-dem-Wonnemond-Szene“. Wenn bei den Zwillingen die verschütteten Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit aufkommen, schweben zwei holzgetäfelte, großbürgerliche Kinderzimmer aus dem Schnürboden herab, verdecken die Tristesse von Hundings Hütte und entführen in eine andere Welt. Im tentakelartigen Wurzelgeflecht der Esche steckt kein Schwert. Grund genug, zu sinnieren, was im ersten Stock der Hütte aufleuchtet. Ist es die strahlende Pyramide, das Architekturmodell für Walhall aus Rheingold? Erst bei näherem Hinsehen entdeckt man eine Pistole in dem leuchtenden Kubus, mit der Wotan Siegmund erschießen wird. Der Walkürenfels ist das Wartezimmer einer Schönheitsklinik, wo korrigiert, geliftet und implantiert wird. Die Kostüme von Andy Besuch sind betont farbig: Siegmund, zunächst in Lederjacke, danach in khaki-farbener Hose mit hellblauem Hemd, Sieglinde in einem blau-türkisen enganliegenden Samtkleid, das ihre Schwangerschaft betont, Hunding in einer hellblau/dunkelblauen Dienstuniform mit Krawatte und Namensschild. Brünnhilde trägt eine leuchtende, paillettenbestickte Jacke im stilistischen Flair des frühen 17. Jahrhunderts mit einer weißen Bluse mit Volants, schwarze hohe Stiefel, das gleiche Amulett wie Wotan und zur Trauerfeier von Fricka ein marinefarbenes Kostüm mit roter Bluse und dunkelblauen Pumps. Besonders farbenfreudig – in Rot- bis Violetttönen – und in höchstem Maße erotisch, erscheinen die Walküren in der steril modernistischen Schönheitsklinik, während Wotan weiterhin seinen curry-farbenen Anzug mit hellblauem Hemd und das Amulett trägt.

Die Bayreuth-Neulinge begeistern

Großes Augenmerk lag auf dem Debüt von Vida Miknevičiūtė als Sieglinde. Mit ihrem leicht herben, geradezu glühenden Sopran und ihrem intensiven Spiel ist sie eine anrührende Sieglinde. Die Zustände und die Härte ihres Lebens gestaltet sie, gepaart mit einer perfekten Durchdringung des Textes, mitreißend mit Seele und viel Zärtlichkeit. Die Reinheit ihrer Gesangslinie, ihre herrlich expressive Mittellage und die mühelos erreichten Spitzentönen sind bewegend und gehen zu Herzen. Mit der Energie ihres Tons, Präsenz und Resonanz, dramatischem Instinkt bewältigt sie die Rolle mit sanften, höchst sinnlichen Tönen. Es ist eine wahre Freude, ihr zuzuhören. Auch Michael Spyres feiert mit großem Erfolg sein ungeduldig erwartetes Bayreuth-Debüt als Siegmund mit großem Erfolg. Überzeugend, mit seinem dunkel grundierten Baritenor, ein seltenes Stimmfach, ist er zu zarten, lyrischen Momenten fähig. Mit seiner biegsamen Stimme über mindestens drei Oktaven präsentiert er einen lyrischen, feinstimmig timbrierten Gesang in bestens differenzierter Kombination von kernig maskulinen Qualitäten. Zunächst verhalten, sich allmählich steigernd, ohne konditionelle Einbußen, singt er in eindrucksvoller Disposition und hinreißender Legato-Kultur. Seine Diktion allerdings irritiert ein wenig, hier muss er nacharbeiten. Hingegen stimmt bei Georg Zeppenfeld als Hunding jede Satzbetonung, jedes Ornament, jedes Zögern. Mit tiefer Schwärze ist er ein furchteinflößender gefährlicher Gegenspieler Siegmunds. Brutal, mit beklemmender Bühnenpräsenz, gesanglich und darstellerisch fesselnd gewinnt er mit ideal fokussiertem Bariton, hervorragend disponiert, gefährlich, bedrohlich, verschlagen und ungemein hintergründig. Welch Triumph in seiner Mimik, als er Siegmund als seinen Todfeind erkennt... Bei Zeppenfeld sitzt jede Nuance, jede Geste. Tomasz Konieczny als Wotan nimmt mit sattem Wohlklang seine Partie des Vorabends auf, ist mal verzweifelt, mal großartig wütend. Seine Kraftreserven und seine offene Gestaltung beeindrucken. Ein Höhepunkt ist „Wotans Abschied“. Ihn gestaltet er wunderbar eindringlich. Mit fließender Geläufigkeit und Virtuosität tönt sein dramatisch timbrierter Bassbariton. Unterstützt durch sein suggestives Spiel entsteht ergreifendes Musiktheater.

III. Aufzug Tomasz Konieczny (Wotan), Catherine Foster (Brünnhilde) © Enrico Nawrath

Catherine Foster beglückt als Brünnhilde durch die Schönheit ihres klaren, in der Höhe sich klangvoll öffnenden Soprans mit kraftvoller Eleganz, leuchtendem Gesang und prachtvoller Entfaltung. Ihre Wandlung von der übermütigen, verwöhnten Tochter zur Ausgestoßenen und Verdammten gelingt ihr packend. Jauchzend, mitfühlend und bewegend versteht sie es, die Wunschmaid in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken. Die „Hojotohos“ sind bei ihr keine Bravournummern, sondern authentischer Ausdruck einer jungen Unbekümmertheit. In dieser debütierte sie bereits 2013 bei den Bayreuther Festspielen und gewinnt seither an Lockerheit. Christa Mayer ist als Fricka Ehefrau, Göttin und Hüterin von Ehe und Moral ganz in ihrem Element. Sie ist ein selbstbewusster unbeugsamer Charakter, eine Dame von Welt, eine selbstbewusste unbarmherzige Göttergattin. Dicht gestaltete Gesangsbögen und wohl dosierte Noblesse lassen dramatisch aufwallend ihre Persönlichkeit und Kompetenz aufleuchten. Ihre fokussierte Klangfarbe, ihr samtener Mezzosopran ist wunderbar sinnlich, weit ausstrahlend. Ihre genaue Diktion und Gestaltung ergeben ein faszinierendes Rollenportrait. Die acht Walküren, Gerhilde Catherine Woodward, Ortlinde Brit-Tone Müllertz, Waltraute Claire Barnett-Jones, Schwertleite Christa Mayer, Helmwige Dorothea Herbert, Siegrune Alexandra Ionis, Grimgerde Marie Henriette Reinhold und Rossweise Noa Beinart, Brünnhildes Schwestern, sind rasende Kriegerinnen, die aus Angst vor dem Groll ihres Walvaters Wotan ihrer Schwester Brünnhilde ihre Hilfe verweigern. Der berühmte „Walkürenritt“ ist mit seiner expressiven Wirkung vermutlich eines der bekanntesten Stücke der Musikgeschichte. Den Sängerinnen gelingt es, ausdrucksstark, mit Augenzwinkern exaltiert, ohne falsches Pathos, zwischen Respekt und Abscheu Gefühle auszulösen. Rhythmisch präzise tragen sie zum furiosen Gelingen des Abends bei. Der Schauspieler Igor Schwab (mit Pferdeschwanz-Frisur) verkörpert das Ross Grane. Er ist der treue hingebungsvolle Begleiter von Brünnhilde. Wie er Sieglinde und das Baby aus der Walküren-Schönheitsklinik rettet, ist überaus rührend anzusehen.

Das Festspielorchester webt irisierende, schwerelose Klangflächen

Was beim Rheingold verheißungsvoll begann, setzt sich fort: Simone Young, Musikalische Leitung, nimmt auch bei der Walküre durch ihr spannungsgeladenes Dirigat ein, das alles an Schönheit und Dramatik aus der Partitur herausholt. Das Festspielorchester webt irisierende, schwerelose Klangflächen, die kosmische Sphären verdeutlichen; kurze melodische Holzbläser-Floskeln heben sich über die flirrend hohen Streicher, kaum fassbar, wie sie immer wieder sehr leise wie aus der Ferne beginnen. Akzente setzt das Schlagwerk, vielfarbige Paukensoli schaffen Konturen im vibrierenden Klangflächenzauber, gestützt von Streicherglissandi und zitternden Tremoli. Die Blechbläser liefern sensible Einwürfe. Melodisches wird angedeutet, Spannung gebende Dissonanzen bleiben als Klangteppich bestehen und werden als angenehm erlebt. Steigerungen wirken intensiv, ebenso die rhythmischen Floskeln der Holzbläser. Es entsteht eine mystische Atmosphäre. Das Dirigat der Walküre glückt Young noch besser als das des Rheingolds am Tag zuvor. Und wie beim Rheingold gab es am Ende der Walküre für alle Mitwirkenden frenetischen Applaus und großen Jubel für die magischen Momente.

Festspiele 2025: Programm und Karten, Link hier

Read more