Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2024, DAS RHEINGOLD – Richard Wagner, IOCO

Erschütternd und faszinierend zugleich ist das Video von Luis August Krawen während des Vorspiels der 1. Szene. In einer Fruchtblase, an der Nabelschnur, bekämpft sich das Zwillingspaar Wotan und Alberich.

Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2024, DAS RHEINGOLD – Richard Wagner, IOCO
Bayreuther Festspielhaus © Enrico Nawrath

von Ingrid Freiberg

 „Der Ring ist die Dichtung meines Lebens, all dessen was ich bin und all dessen was ich fühle.“ Richard Wagner

Die Idee zur Tetralogie Der Ring des Nibelungen nahm mit dem im Herbst 1848 niedergelegten Prosaentwurf zu Siegfrieds Tod erste konkrete Formen an. Vorausgegangen war eine intensive Beschäftigung mit Literatur, darunter der Edda, dem Nibelungenlied und anderen nordischen Sagen, den klassischen Dramen eines Aischylos und Aristophanes, den Deutschen Sagen der Brüder Grimm… Der zentrale Gedanke vom Raub des Goldes, von der Gier nach Macht und Herrschaft und vom Missbrauch der Gesetze stammt noch aus der Zeit vor dem Dresdner Maiaufstand. Wagner lernte den russischen Emigranten und Revolutionär Michail Bakunin kennen und fand durch diesen zu seiner These „Eigentum ist Diebstahl“. Er betätigte sich auch schriftstellerisch als anarchistischer Revolutionär „Zerstören will ich die bestehende Ordnung der Dinge, welche die einige Menschheit in feindliche Völker, in Mächtige und Schwache, in Berechtigte und Rechtlose, in Reiche und Arme teilt, denn sie macht aus allem nur Unglückliche. Zerstören will ich die Ordnung der Dinge, die Millionen zu Sklaven von Wenigen und diese Wenigen zu Sklaven ihrer eigenen Macht, ihres eigenen Reichtums macht…“ Im Gegensatz zu Bakunin, der nicht nur die Vernichtung aller Kultureinrichtungen, sondern die Zerstörung alles Bestehenden forderte, wollte Wagner die Menschheit durch seine Kunst zum Besseren beeinflussen. Die politischen Erfahrungen waren der entscheidende Impuls für sein Werk, in dessen Mittelpunkt ein Held steht, der die Menschen von der durch die Macht des Geldes verursachten Unterdrückung befreien soll. Die Entstehungszeit umfasste die Jahre 1848 bis 1874; rund 26 Jahre, in denen sich Wagner vom 34jährigen Revolutionär zum 60jährigen gutsituierten Komponisten entwickelt hat.

Im Ring des Nibelungen spiegelt sich Wagners eigenes Leben ebenso wider wie die politischen Veränderungen seiner Zeit. Neben Siegfried, „dem gewünschten, gewollten Menschen der Zukunft“ tritt immer mehr Wotan als Katalysator von Wagners eigenen Ideen und Zweifeln in den Vordergrund. Schließlich gestaltete er die Tragödie des Gottes: „Er gleicht uns aufs Haar, er ist die Summe der Intelligenz der Gegenwart, wogegen Siegfried der Mensch der Zukunft ist, der aber nicht durch uns gemacht werden kann und der sich selbst schaffen muss durch unsere Vernichtung.“ Diese Götter und Figuren entnahm Wagner seiner Zeit und schuf nach seinen Bildern und Visionen eine eigene mythologische Welt aus germanischen und griechischen Vorlagen. Vom Revolutionär Siegfried bis zum den eigenen Untergang als Basis für eine glückliche Menschheit heraufbeschwörenden Wotan, führte ein Weg, der für ihn die Auseinandersetzung mit weiteren philosophischen Schriften beinhaltete.

Mystifikation des Es-Dur-Vorspiels

Wie bei allen seinen Kompositionen hatte Wagner auch für den Beginn des Rheingolds rückblickend eine Mystifikation parat: „Am Nachmittag heimkehrend, streckte ich mich todmüde auf einem harten Ruhebett aus, um die langersehnte Stunde des Schlafes zu erwarten. Sie erschien nicht; dafür versank ich in eine Art somnambulen Zustand, in welchem ich plötzlich die Empfindung, als ob ich in ein stark fließendes Wasser versänke, erhielt. Das Rauschen desselben stellte sich mir bald in musikalischen Klängen des Es-Dur-Akkords dar.“ Aus den 136 Takten des Es-Dur-Vorspiels in Rheingold entwickelt Wagner den Uranfang der Welt, seinen Kosmos der Motive – er nannte sie „Gefühlswegweiser“ – die für die rekapitulierenden Erzählungen sowohl musikalisch als auch dramaturgisch erleuchtend sind. Diese „Leitmotive“ sind alles andere als stereotype Erkennungsfloskeln, welche die Handlung nochmals auf der Ebene der Musik spiegeln. Wagners Musik ist stets mehrdeutig. Neue Stilmomente wie die unendliche Melodie, der dramatische rezitativisch-ariose Gesang anstelle geschlossener Arienformen, der weitgehende Verzicht auf den Chor sind eine Abkehr: Im Ring soll nicht die Einzelnummer bestechen, sondern die Kunst der Verwandlung. Die pausenlose Überblendung der Szenen verleiht den Aufzügen eine sinfonische Großform, aus der sich nur noch selten Einzelmomente herauslösen lassen, wie Loges Erzählung, Siegmunds „Ein Schwert verhieß mir der Vater…“ und „Winterstürme“, Sieglindes „Der Männer Sippe…“, Brünnhildes Todesverkündigung, Siegfrieds Schmiedelieder… Eher gelingt dies mit Szenenkomplexen, sinfonischen Einheiten wie dem „Einzug der Götter in Walhall“, dem „1. Aufzug der Walküre“, „Wotans Abschied“, dem „Feuerzauber“, „Wotans Weckrufer-Szene“, „Brünnhildes Erwachen“, „Siegfrieds Rheinfahrt“ und „Brünnhildes Schlussgesang“. Das Rheingold mit dem falsch klingenden Einzug der Götter in Walhall, der bereits ihr Ende signalisiert, ist ein erster Höhepunkt dessen, was Wagner mit seinem Orchester, das größer als je zuvor besetzt ist, an klanglicher Sensibilität und Psychologie, an interpretatorischem Raffinement und szenisch-magischer Naturbeschwörung bewirken kann.

 „Das Rheingold“ mit seinem trügerischen, täuschenden Glanz

 136 Takte in Es-Dur… Das Orchestervorspiel beginnt mit leisen Bass-Streichern, die den Ton übers Fagott an andere Instrumente weitergeben und in einem „Wellen-Crescendo“ zum Rheingold-Motiv überleiten. „Weia! Woga! Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia! Wallala weiala weia!“, das ist „gleichsam das Wiegenlied der Welt“ sagte Wagner. Er habe dabei an das „Eia popeia“ gedacht, dass Mütter seit Jahrhunderten ihren Kindern zum Einschlafen vorsingen. Aus der Wiege wird ein Universum. Die goldenen Dreiklänge der Harmonie entstehen aus einem Grundton. So eindrucksvoll es ist, das Rheingold ist kein Idyll natürlicher Unschuld, keine naive Botschaft vom Verlust des Paradieses. Es hat einen trügerischen, täuschenden Glanz.

IV. Szene. Zurück im Atrium Tomasz Konieczny (Wotan), Jens-Erik Aasbø (Fasolt), Tobias Kehrer (Fafner), Okka von der Damerau (Erda), Christina Nilsson (Freia), Statisterie der Bayreuther Festspiele, oben: Christa Mayer (Fricka) © Enrico Nawrath

Um in die Regie von Valentin Schwarz informiert einsteigen zu können, macht es für den Wagnerkenner Sinn, dem jeweiligen Teil des Opernzyklus sein Konzept voranzustellen: Der Neid treibt Alberich zum Anwesen seines verhassten Zwillingsbruders Wotan. Dort sind die drei Rheintöchter, adrette Kinder-/Hausmädchen, Woglinde, Wellgunde und Floßhilde mit den ihnen übereigneten Zöglingen. Pflichtvergessen beginnen sie einen Flirt mit dem Eindringling. Bald gerät das Spiel zum Spott. Das Trio verlacht die Mannesschwäche des liebesgierigen Alberich, der vergeblich nach den Mädchen hascht. Ein Plan gärt in Alberichs Hirn: Ein siegreicher Menschenraub könnte die Zukunft zu seinen Gunsten wenden. Durch Liebesverzicht gelingt es ihm, den Knaben, das Gold der Zukunft, in seine Gewalt zu bringen: „Nur wer der Minne Macht versagt, nur wer der Liebe Lust verjagt, nur der erzielt sich den Zauber zum Reif zu zwingen das Gold... so verfluch ich die Liebe!“ Unbehelligt entkommt er mit seinem Fang. Im Atrium bringt Fricka den Träumer Wotan zur Raison: Die von ihm beauftragte Erweiterung des Herrschaftssitzes Walhall, der Wall gegen die Zeit, sei auf tönernen Füßen gebaut. Den Architektenbrüdern Fasolt und Fafner habe der Gatte mangels ausreichender Zahlungsmittel seine eigene Schwägerin, Frickas Schwester Freia, als Lohn versprochen. Wotan bleibt die Antwort schuldig, die eintreffenden Baumeister beharren auf ihrer Forderung. In den Streit platzen Frickas entrüstete Brüder Donner und Froh. Die verfahrene Situation droht zu eskalieren. Doch der Familienanwalt Loge eröffnet einen Ausweg: Seine Erzählung von Alberichs jüngster Entführungstat verfängt bei allen; auch die beiden Architekten begehren nun den kindlichen Nachfolger, den sie als Entlohnung akzeptieren würden. Bis zum Vollzug des Tauschgeschäfts entreißen sie der Familie Freia als Pfand. Wotan sieht sich genötigt, das Kind mit Loge zu beschaffen. Für den musikalisch grandios implizierten Abstieg der beiden nach Nibelheim entfesselt Wagner ein riesiges Schlagwerk mit achtzehn Ambossen. Den sorgenden Erzieher Mime bedrückt die trübe Zukunft des Raubkindes. Rücksichtslos unterweist Alberich „seinen“ Sohn. Wotan und Loge treffen ein, und ihnen offenbaren sich die brutalen Folgen von Alberichs Kindesprägung. Im Größenwahn zielt er auf die totale Unterwerfung aller - mithilfe „seines“ Sohnes. Loge gelingt es, den unvorsichtigen Alberich zu überrumpeln, er entledigt ihn seiner Waffe. Der Räuber muss sich den Räubern fügen. Der gedemütigte Alberich wird ob seiner Vermessenheit bestraft; das Kind wird ihm entrissen. Daraufhin verflucht er den Besitz des Knaben auf alle Zeit. Für das Kind soll Mime geeigneten Ersatz als Bezahlung für die Baumeister beschaffen. Mit der Rückkehr der Architekten Fasolt und Fafner endet Freias Gefangenschaft. Verstört tritt sie ihren Geschwistern entgegen. Während der Auslösung Freias durch das von Mime bereitgestellte Ersatzkind bemerkt Fafner den echten Jungen, welchen Wotan bewusst vor den Baumeistern versteckt hält. Unwillig, ihn den beiden zu überlassen, wird der Göttervater in höchster Not von Erda vor weiteren Verfehlungen bewahrt. Wotan gibt das Kind schließlich preis, während Erda dem Haus den Rücken kehrt und das Ersatzkind mit sich nimmt. Brutaler Brudermord im Streit um die Beute kündet vom bereits wirkenden Fluch: Fafner erschlägt Fasolt und nimmt den Jungen mit. Während Loge Abschied von der dem Untergang geweihten Familie nimmt, verlocken die Weiten Walhalls im letzten Sonnenlicht die Zurückgelassenen zu versöhnlichen wie vergeblichen Wunschträumen.

Werkstatt Bayreuth

Valentin Schwarz, Regie, der mit seinem Inszenierungsteam im Premierenjahr gnadenlos ausgebuht wurde, hat nachgebessert. Publikum und Presse hatten 2021 mit totalem Unverständnis reagiert. Die Umdeutung des Ringes in ein Kind, in der Lesart von Schwarz, ist durchaus belebend: ein Kind als Zukunft und Erbe, als das Weiterbestehen der eigenen Wünsche und Ideen. Die Personenregie ist vor allem dann überzeugend, wenn sie verinnerlicht wird. Hier blühen die darstellerischen Qualitäten der erstklassigen Sängerinnen und Sänger auf. An der Wechselwirkung auf die Überzeugungskraft der Szene haben sie entscheidenden Anteil. Der Bühnenbildner Andrea Cozzi errichtet eine Haus- und Raumkonstruktion mit Abstufung des Interieurs.

IV. Szene. Zurück im Atrium Tobias Kehrer (Fafner), Jens-Erik Aasbø (Fasolt), Nicholas Brownlee (Donner), Mirko Roschkowski (Froh), Christina Nilsson (Freia), Statisterie der Bayreuther Festspiele © Enrico Nawrath

Die häufigen Szenenwechsel auf offener Bühne sind technisch-logistisch fabelhaft gelöst. Wirkungsvoll gliedert er die Räume des Herrenhauses der Götter. Reichtum prägt die gesamte Villa. Es gibt einen Swimmingpool, in dem einige Kinder planschen. Auf der linken Seite der Bühne befindet sich eine Garage, in der Fasolt und Fafner ihre Luxuslimousine abstellen, auf deren Kühlerhaube Fafner seinen Bruder erschlägt. Ein Stockwerk schwebt von oben herab und senkt sich lautlos auf die Garage. Das Wohnzimmer der Götterfamilie fährt herein und wieder hinaus, um im nächsten Zwischenspiel ebenso perfekt den „Kinderhort“ von Nibelheim zu platzieren. Die Kostüme von Andy Besuch sind modern und unterstreichen die Hierarchie: Wotan trägt einen curry-farbenen Anzug mit hellblauem Hemd und Amulett, Fricka einen Mantel à la Coco Chanel, Freia ein orientalisch besticktes Kleid, Donner einen leuchtend blauen Anzug mit Weste und Golfschläger, Froh ein farblich herausstechendes grünes Jackett mit goldener Krawatte, Erda ein jugendlich himmelblaues Mantelkleid mit weißem Kragen und weißen Manschetten, Loge, einem Familienanwalt entsprechend, einen gestreiften eleganten Anzug, Alberich Jeans, eine hellbraune Lederjacke und Cowboystiefel, Mime einen neongrünen Cordanzug mit schwarz-cognac-farbenem Rauten-Pollunder. Fasolt und Fafner kommen als moderne Businessmen im dunklen, der neuesten Mode entsprechenden, Anzug daher. Die Rheintöchter (Kinder-/Hausmädchen) sind sehr brav und wenig aufreizend gekleidet, die kleinen Mädchen spielen in ihren weiß-rosa gestreiften Kleidchen mit Wasserbällen und Schwimmreifen.

Erschütternd und faszinierend zugleich ist das Video von Luis August Krawen während des Vorspiels der 1. Szene. In einer Fruchtblase, an der Nabelschnur, bekämpft sich das Zwillingspaar Wotan und Alberich. Alberich schlägt Wotan das linke Auge, sein Gefühlsauge, aus, der noch ungeborene Gott tritt Alberich in seine Genitalien und beraubt ihn damit seiner Manneskraft.

Ein Ensemble auf Festspielniveau

Tomasz Konieczny findet zunehmend in die Wotan-Wucht hinein und schafft große emphatische Szenen, seine Diktion hat spürbar gewonnen und sein Bariton vereinigt männlichen Drive mit achtsamen Piani. Sein Wotan, Gott, Naturfrevler, Machtmensch und gescheiterter Herrscher der Welt, ist eine Figur, die sich mit Voranschreiten der Geschichte verändert, ein Wotan, der sich dem Regiekonzept voll ausliefert. Seine wohltönend klangvolle Stimme erfüllt die anspruchsvolle Bandbreite dieser Rolle. Mit fließender Geläufigkeit und Virtuosität, suggestivem Spiel, tönt sein dramatisch timbrierter Bassbariton. Nuancenreich bewegt sich auch Nicolas Brownlee als stimmgewaltiger Donner, als Gott der Gewalt und des Zornes. Kraftvoll und völlig unangestrengt kann er dieser Figur viele Schattierungen abgewinnen und beredtes Profil geben. Seine sängerisch-darstellerische Ausdrucksskala überzeugt mit kompromisslosem Nachdruck der Diktion. Sein profunder charismatischer Bariton ist eindrucksvoll, von besonderer Strahlkraft. Der Neuzugang Mirko Roschkowski singt Froh, den Herrscher über Regen und Sonnenschein, mit strahlend hohen Tönen und stimmlicher Agilität. Seinen lyrisch feinstimmigen, herrlich timbrierten Tenor bringt er zum Erblühen, seine Kantilenen haben belkantische Nuancen von betörendem Wohlklang. Auch John Daszak als Feuergott Loge, dem Gott der Zwietracht, debütiert auf dem Grünen Hügel. Als aalglatter Intrigant in feinem Anzug zeigt er mit starker Bühnenpräsenz, und vor allem vorbildlicher Textgestaltung, eine überragende Leistung: Kompromisslos, extrovertiert, listig und verschlagen treibt er den Untergang der Götter voran. Mit ungewöhnlich kommunikativer Kraft und subtiler Körpersprache ist er Träger von Mitteilungen, die ebenso aus der Musik wie aus ihm selbst kommen; eine ausdrucksstarke Interpretation eines erzählerisch auf Hochglanz polierten Tenors.

IV. Szene. Zurück im Atrium Tomasz Konieczny (Wotan) © Enrico Nawrath

Fricka, Göttin und Hüterin von Ehe und Moral, Christa Mayer ist Wotans emanzipierte Ehefrau, ein unbeugsamer Charakter, eine Dame von Welt. Dicht gestaltete Gesangsbögen und wohl dosierte Noblesse lassen dramatisch aufwallend ihre Persönlichkeit und Kompetenz aufleuchten. Ihre Stimme ist herb, massiv durchgreifend und charaktervoll. Sie verfügt über einen farbenreichen in allen Registern ansprechenden Mezzosopran mit großer Farbpalette. Freia, gesungen von Christina Nilsson, sorgt mit goldenen Äpfeln für die Unsterblichkeit der Götter. Sie ist der Inbegriff von Weiblichkeit und Fruchtbarkeit. Ihre warme, expressive Mittellage, der Klang ihres jugendlich-lyrischen Soprans, die Feinheiten der Phrasierungen, das strömende Legato in Kombination mit den silbern tönenden Höhen sind bewegend. Okka von der Damerau als Erda, Mutter der Nornen, der Welt weisestes Weib, die allwissende Urmutter und Weltenseele, verwöhnt das Publikum mit ihrer warmherzigen, alles überstrahlenden Stimme. Sie braucht keine zusätzlichen Gesten, ist mit ihrer farbreichen Stimme hochdramatisch, raumgreifend, klangschön zupackend, schmerzlich treibend. Fesselnd ist auch Olafur Sigurdarson als Alberich, der Nachtalbe, der der Liebe entsagt. Mit technischer Brillanz, dramatisch aufblühendem virilen Bariton verfügt er über beklemmende Präsenz, ausdrucksstarke Phrasierung und hemdaufreißende Intensität. Grantig und toxisch meldet er seine Ansprüche an. Sein emotionales Spiel ist eruptiv und durchschlagend. Ya-Chung Huang als Mime ist ein verschlagener Schmied, ein Zerrissener zwischen Vaterrolle und Gier. Entgegen der oft unreflektierten Rollendarstellungen ist er eher zurückhaltend. Mit Stilgefühl, ohne Faxen, mit großer Selbstverständlichkeit, Natürlichkeit im Vortrag und hoher Konzentration lässt er seine Stimme frei strömen. Seine enormen Gefühlsschwankungen drückt er ergreifend aus. Er ist ein stimmlich glänzender, prägnant artikulierender Mime mit erforderlicher Höhe. Fasolt, dargeboten von Jens-Erik Aasbø, ursprünglich redlich arbeitender Riese, hier Bauunternehmer und Architekt, wird im Streit von seinem Bruder Fafner erschlagen. Für seine Liebe zu Freia findet er wunderschöne Farben der Sehnsucht. Ausdrucksstark, mit sonorem mächtigem Bass, gestaltet er darstellerisch profiliert, sicher im Ton und angenehm im Klang den Betrogenen; eine szenische Ausstrahlung von verzweifelter Würde und Sehnsucht. Tobias Kehrer besticht in der Rolle des gewaltbereiten großspurigen Fafner. Mit bedrohlicher Präsenz, mit klarem heldisch-timbrierten Bass und tiefer Grundierung dominiert er gefährlich scharf und beeindruckend, ist fesselnd, sängerisch einprägsam und sicher in seiner szenischen Ausstrahlung. Die Rheintöchter, hier Kinder- und Hausmädchen, sind mit Evelin Novak (Woglinde), Natalia Skrycka (Wellgunde) und Marie Henriette Reinhold (Floßhilde) besetzt. Mit ihrem lachenden Spiel (strahlendes Rheingoldmotiv des Orchesters) beginnt die Tragödie. Harmonisch ihr Kichern, Keckern, Jauchzen und Jubeln, sensibel die austarierte Balance der Intonation, Farbgebung und Textartikulation.

Simone Young, Musikalische Leitung, beglückt mit ihrem lange überfälligen Debüt, mit einem transparenten, rhythmisch pointierten und stringent in den Tempi durchgestalteten Dirigat. Alle Stimmen werden miteinander verwoben, die Klangfarben differenziert eingesetzt und die zentralen Leitmotive ohne Effekthascherei gewissenhaft herausgearbeitet. Die Wagner-Tuben und Stierhörner schließen sich mit der Natur kurz. Das Festspielorchester besticht mit gefühlvoller Sängerbegleitung, hoher sinfonischer Kompetenz und detailgenauem Spiel. Die dramatischen Passagen liegen Young ebenso wie die lyrischen Stellen, denen sie große Aufmerksamkeit schenkt und die sie einfühlsam herausstellt. Das lässt für die folgenden Abende Überdurchschnittliches erwarten. Am Ende gab es tosenden, lang anhaltenden Applaus mit wohlverdienten Jubelstürmen für alle Mitwirkenden.

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