Bayreuth, Bayreuther Festspiele 2022, Arnold Bezuyen - Charaktertenor im Interview, IOCO Interview, 24.08.2022
Arnold Bezuyen, Charaktertenor im Interview
Mime zu Siegfried „Um dich nur besorgt, versank ich in Sinnen, wie ich dich Wichtiges weise… (Der Ring des Nibelungen, SIEGFRIED, 1. Akt, 3. Szene)
IOCO Redaktionsmitglied
Ingrid Freibergbegegnete anlässlich der Bayreuther Festspiele 2022 vielen dort auf der Bühne aktiven Persönlichkeiten, so auch Arnold Bezuyen. Den international bestens etablierten niederländischen Charaktertenor Arnold Bezuyen (u.a. kürzlich als Siegfried in Tokio) verbindet eine langjährige Zusammenarbeit mit den Bayreuther Festspielen; bereits 1998 debütierte Bezuyen in Bayreuth als Loge. Als Mime in Rheingold und Siegfried war Bezuyen in Bayreuth 2022 zu erleben. Ingrid Freiberg interviewte Arnold Bezuyen während der Festspiele, sprach mit ihm über sein Leben und seine langjährige erfolgreiche Gesangskarriere.
Ingrid Freiberg (IF): Herr Bezuyen, Ihre internationale Karriere begann zunächst an der Hoofdstad Operette, Amsterdam. Träumten Sie schon als junger Sänger davon, dereinst Rollen wie Herodes und Mime zu singen?“
Arnold Bezuyen (AB): Da ich anfangs eine Gesangskarriere nicht angestrebt habe, sondern entdeckt wurde, schien mir zu Beginn meiner Karriere an der Hoofdstad Operette Amsterdam die Welt der großen Opern noch in weiter Ferne. Und wohin sich meine Stimme entwickeln würde, war als junger Operetten-Tenor überhaupt nicht absehbar.
IF: Sie sind sehr breit aufgestellt: Mit Rollen wie Pinkerton, Ismael, Turriddu, Italienischer Sänger, Cassio, Alfredo, Tamino, Alwa, Matteo, Siegfried, Erik und Loge haben Sie großen Erfolg. Deshalb eine sehr persönliche Frage an Sie: Gibt es Lieblingsrollen, Lieblingshäuser, Lieblingsdirigenten?
AB: Klar ist, dass ich der Rolle des Loge sehr viel verdanke. Nichtsdestotrotz freue ich mich immer wieder auf neue Herausforderungen, neue Rollen und neue Häuser. Für die Bayreuther Festspiele empfinde ich, nicht zuletzt wegen meiner jahrelangen Tätigkeit an diesem besonderen Ort, eine große Vertrautheit und komme immer wieder sehr gerne zurück. Auch wenn ich schon des Öfteren in Tokyo gesungen habe, freue ich mich jetzt sehr im November am New National Theatre Tokyo mit der Rolle des Schuijski in Boris Goudonov debütieren zu können.
IF: Bewundernd frage ich Sie, wie es Ihnen möglich ist, so viele Rollen in so unterschiedlichen Sprachen zu lernen und abzurufen?
AB: Zum Glück habe ich beim Lernen von neuen Partien viel Freude und sehe es nicht als „zwangvolle“ Plage an.
IF: Wie erreichen Sie es, die Einzigartigkeit Ihrer Stimme zu bewahren? Ist es schwer, mit Gesangslehrern, Dirigenten und Regisseuren auf Augenhöhe zu arbeiten?
AB: Der große Wiedererkennungswert meiner Stimme ist zum Glück nichts, wofür ich arbeiten muss, sondern ist einfach da. Aber vielen Dank! Da ich als Freiberufler als Gast engagiert werde, habe ich immer wieder mit anderen Dirigenten und anderen Regisseuren zu tun. Bei aller Professionalität gibt es dabei sicherlich hin und wieder Kombinationen, die weniger gelungen sind als andere. Im besten Fall erreicht man tatsächlich eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
IF: Sie sind ein vielfach umjubelter „Einspringer“! Legendär Ihr Siegfried in Tokio und Ihr Loge in Paris! Wie gelingt es Ihnen, Ihre Stimme, Ihren Körper, Ihre Konzentration von jetzt auf gleich herauszufordern und zu einer Glanzleistung zu bringen?
AB: Nicht mehr als auch sonst ist es die Herausforderung, die Partie zu bewältigen und erfolgreich zu sein. Beim Einspringen sorgen die besonderen Umstände - äußerst kurzfristige Anreise, das sich Vertrautmachen mit der Inszenierung, ggf. Jetlag usw. - dafür, dass der Körper reichlich Adrenalin ausschüttet und dadurch eine Höchstleistung möglich macht.
IF: Neben der Stimme prägt die Körpersprache eine Rolle. Sie geben Ihren Rollen immer auch starken körperlichen Ausdruck. Sind Sie ein schauspielerisches Naturtalent oder müssen Sie sich die physische Gestaltung einer Rolle hart erarbeiten?
AB: Schauspielerei liegt mir schon immer im Blut und fällt mir dankenswerterweise sehr leicht.
IF: Bei den Bayreuther Festspielen 2022 singen Sie zum ersten Mal sehr erfolgreich den Mime. Zuvor waren Sie auf dem Grünen Hügel (seit 1998) in drei Produktionen ein gefeierter Loge. Verändert sich die Interpretation, wenn ein Sänger Gelegenheit hat, mit einer Rolle reifen zu dürfen?
AB: Da man selbstverständlich mit seinen Aufgaben wächst und künstlerisch reift, verändern sich auch die Interpretationen. Zusätzlich gibt es Regisseure und Dirigenten die meinen Interpretationen einen Spiegel vorhalten, um den Fokus auch auf andere Aspekte zu richten.
IF: Neben Ihrer Operntätigkeit geben Sie mit Erfolg Liederabende mit Liedern von L. von Beethoven, Berg, Schubert, Schumann, Strauss und Wolf. Wie unterscheidet sich Opern- und Liedgesang?
AB: Ich setze mich mit Lied-Gesang einfach gerne auseinander. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass der intimere Umgang mit der Stimme die Stimme pflegt.
IF: Corona hat viele Künstlerkarrieren geschwächt, manche sogar zerstört. 2018 wurden Sie als Universitätsprofessor an die Kunstuniversität Graz berufen und erhielten so ein neues Aufgabenfeld. Was bedeutet es für Sie, junge Talente bis zu ihrem ersten Engagement zu begleiten und bühnenreif zu machen?
AB: Vor 2018 bereits zeichnete sich ab, dass ich mit dem Unterrichten viel Spaß habe, allerdings strebte ich nie eine Professur an. Erst nachdem ich mehrmals darauf hingewiesen wurde, dass auch da ein Talent von mir lag, habe ich mich in Graz beworben. Seit 2018 unterrichte ich nun dort. Ich bemühe mich, dieser verantwortungsvollen Aufgabe gerecht zu werden. Das geht weit über das Technische hinaus und setzt große Feinfühligkeit voraus. Die Lehrtätigkeit hört allerdings nicht mit dem ersten Engagement der mir Anvertrauten auf. Ich unterrichte auch „fertige“ Kolleg*innen, wie auch ich von Zeit zu Zeit noch Unterricht nehme.
IF: Welche Schwerpunkte setzen Sie als Professor? Sind für die Gesangstechnik z. B. auditive Vorstellungsfähigkeiten hilfreich? Wie verhindern Sie die Gefahr der Nachahmung einer erfolgreichen Stimme? Wie erarbeiten Sie mit Ihren Schützlingen deren eigene Persönlichkeit?
AB: Wer ein Gesangstudium anfangen möchte, sollte bereits eine starke Persönlichkeit mitbringen. Deren Entwicklung würde ich auf keinen Fall durch Imitation berühmter Stimmen vorantreiben wollen, vielmehr geht es darum, die Einzigartigkeit der eigenen Stimme herauszuarbeiten. Natürlich kann heutzutage jeder zu jeder Zeit auf jede Aufnahme einer zu studierenden Arie, Oper oder Lied zugreifen. Sicherlich ist das auch hilfreich. Jedoch muss es Ziel sein, nicht eine weitere Kopie zu produzieren, sondern eine eigene Interpretation zu entwickeln.
IF: Herr Bezuyen, es war eine ausgesprochene Freude, mit Ihnen zu sprechen. Selten habe ich einen solch liebenswürdigen und fesselnden Gesprächspartner getroffen. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen für Tokio und andere Aufgaben viel Erfolg!
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